4.3.3  Zur Existenz von Stammfunktionen.

Der Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung setzt die Existenz einer Stammfunktion F für f voraus. Wir formulieren nun ein hinreichendes Kriterium dafür.

Theorem 4.3.6. Jede Funktion f C([a,b], ) besitzt eine Stammfunktion der Form

F(x) = 0,x = a axf(t)dt,a < x b . (4.20)

Wir müssen für die in (4.20) definierte Funktion die Eigenschaften (4.17) - (4.19) überprüfen.

Beweis. Schritt 1: Die Stetigkeit von F(x). Nach (4.14) gilt

|F(x) F(a)| = axf(t)dt M(x a),M = max t[a,x]|f(t)|.

Für x a folgt demnach F(x) F(a) und damit ist F stetig im Punkt a. Wir betrachten nun einen Punkt x0 ]a,b]. Für beliebiges x [a,b] gilt wegen (4.12) |F(x) F(x0)| = axf(t)dt ax0 f(t)dt = x0xf(t)dt M|x x 0|

für M = sup t[a,b]|f(t)|, und damit F(x) F(x0) für x x0. Damit gilt F C([a,b], ).

Schritt 2: Wir zeigen nun F(x 0) = f(x0) für beliebiges x0 ]a,b[. Es sei φ(F; h,x0) der Differenzenquotient von F. Dann gilt φ(F; h,x0) f(x0) = h1(F(x 0 + h) F(x0)) f(x0) = h1x0x0+hf(t)dt f(x 0) = h1x0x0+hf(t)dt h1x0x0+hf(x 0)dt = h1x0x0+h(f(t) f(x 0))dt.

Es sei Ix0(h) = [x0,x0 + h] falls h > 0 bzw. Ix0(h) = [x0 + h,x0] für h 0. Wegen |f(t) f(x0)| ω(f,Ix0(h)) und (4.14) gilt

φ(F; h,x0) f(x0) |h1||ω(f,I x0(h))||h| = |ω(f,Ix0(h))|.

Nach Voraussetzung ist f C([a,b], ) und nach dem Satz von Cantor ist f damit gleichmässig stetig auf [a,b]. Demnach gibt es zu jedem ε > 0 ein Λε, so dass ω(f,Ix0(h)) ε für alle h mit |h| < Λε. Daraus folgt lim h0ω(f,Ix0(h)) = 0 und

F(x 0) := lim h0φ(F; h,x0) = f(x0).

Remark 4.3.7. Wir merken an, dass nicht jede Funktion f R[a,b] eine Stammfunktion besitzt. Es sei z.B. f eine beliebige monotone Funktion auf [a,b]. Dann ist nach Satz 4.1.8 f R[a,b]. Als allgemeine monotone Funktion kann f natürlich Sprungstellen besitzen. Gilt jedoch f = F, so darf f nach dem Satz von Darboux über keinerlei Sprungstellen verfügen! Damit ist eine monotone Funktion f mit mindestens einer Sprungstelle zwar integrierbar, sie ist aber nicht die Ableitung einer in ]a,b[ differenzierbaren Funktion. Insbesondere ist F(x) =axf(t)dt in den Sprungstellen nicht differenzierbar und stellt damit keine Stammfunktion dar.

 

Remark 4.3.8. Die in Punkt 4.3 getroffen Aussagen lassen sich sofort auf Funktionen f : [a,b] Kn, K {, }, einer reellen Variablen und deren Stammfunktionen F : [a,b] Kn ausweiten, indem man die Ableitung in (4.19) als reelle Ableitung in x ]a,b[ versteht und die bewiesenen Sätze separat auf die Real- und Imaginärteile der einzelnen Vektorkomponenten anwendet.