Arrow’s Impossibility Theorem is quite surprising:
there is no “perfect” way to make social decisions.
Hal Varian
Der Satz vom Diktator
Kenneth Arrows geniale Antwort auf die Frage: Wie schreibe ich meine Doktorarbeit in fünf Tagen und erhalte dafür den Wirtschaftsnobelpreis?
TryScience an der Universität Stuttgart.
Jede:r kennt das Fach „Mathematik“ aus der Schule. Doch wie abstrakt und praktisch, wie schön und nützlich, wie vielseitig und faszinierend Mathematik wirklich sein kann, bleibt vielen Schüler:innen verborgen. Der Fachbereich Mathematik bietet für TryScience auch dieses Jahr wieder eine unterhaltsame und lehrreiche Infoveranstaltung an. Wir stellen ein mathematisches Thema vor, mit dem interessierte Schüler:innen „die Uni ausprobieren“ können.
Unser Thema diesmal heißt: Der Satz vom Diktator
Demokratie erfordert Abstimmung.
You’ve got to vote, vote, vote, vote.
That’s it; that's the way we move forward.
Michelle Obama
Abstimmungen kennt jede:r von uns aus alltäglichen Entscheidungen. Für jede Demokratie ist das Wählen die wesentliche Grundlage. Doch nach welchen mathematisch-logischen Regeln funktioniert dies? Schauen wir also genauer hin!
Eine Gruppe von Personen \(P_1,P_2,\dots,P_n\) darf / soll / muss über mehrere mögliche Alternativen \(A_1,A_2,\dots,A_m\) abstimmen. Jede Person hat ihre individuelle Präferenz, doch wie folgt daraus ein Gesamtpräferenz? Verfahren: Wie wird das Ergebnis konkret berechnet, in allen Fällen, auch in extrem schwierigen? Qualität: Welche allgemeinen Forderungen muss ein „faires“ Wahlverfahren erfüllen? Diese Fragen treten in zahlreichen Anwendungen auf, daher sind sie für die Praxis überaus wichtig... und auch theoretisch höchst interessant!
Ab zwei Alternativen wird es interessant.
Democracy in the contemporary world demands,
among other things, an educated and informed people.
Elizabeth Bishop
Offensichtlich braucht man gar nicht erst abzustimmen, wenn es nur eine Alternative gibt, oder schlimmer noch gar keine Alternative. („Alternativlos“ war das Unwort des Jahres 2010 und wird immer wieder gerne genutzt.) Ebensowenig lohnt eine Wahl, wenn das Wahlverfahren einem einzelnen Individuum diktatorische Vollmacht gibt.
Wenn es genau zwei Alternativen \(A,B\) gibt, dann kann man zum Beispiel die Stimmen zählen, und es entscheidet die relative / einfache / absolute / qualifizierte Mehrheit. Hier gibt es bereits viele Möglichkeiten, ein Wahlverfahren festzulegen. Manchmal gibt es zudem Vetorechte zum Schutz von Minderheiten und ähnliche Verfeinerungen.
Schon ab drei Alternativen wird es schwierig!
Soweit ist noch alles klar und relativ einfach. Das ändert sich dramatisch, wenn drei Alternativen \(A,B,C\) oder mehr vorliegen. Wie soll hierüber abgestimmt werden?
Kenneth Arrow ging 1948 der grundlegenden Frage nach, wie ein gerechtes Wahlverfahren für drei oder mehr Alternativen aussehen müsste. Hierzu formulierte er gewisse naheliegende Bedingungen (Wünsche, Forderungen, Axiome) und versuchte dann, geeignete Wahlverfahren zu finden (oder zu „erfinden“, zu „konstruieren“), die alle gewünschten Bedingungen erfüllen. Das gestaltete sich überraschend schwierig...
Nachdem ihm keine Lösung gelang, bewies er kurzerhand das Gegenteil: Es gibt keine! Das ist Arrows berühmtes Unmöglichkeitstheorem, etwas spektakulärer heißt es auch Arrows Satz vom Diktator. Es wurde 1951 zu seiner Dissertation. Arrow bekam 1972 für seine Arbeiten den Wirschaftsnobelpreis.
That was it! It took about five days to write in September 1948.
When every attempt failed I thought of the impossibility theorem.
Kenneth Arrow,
zitiert nach Sylvia Nasar, A Beautiful Mind
Ablauf der Veranstaltung
Wir beginnen mit einer Vorstellung der Mathematik-Studiengänge, Lehramt und Bachelor/Master of Science. Danach präsentieren wir das Thema Wahlverfahren in Form einer Vorlesung und zugehöriger Übung, genau wie im richtigen Studium.
- Druckversion im Format 2x2 oder 1x1
- Kurzfassung der Folien zur Projektion
Democracy is not a spectator sport.
Marian Wright Edelman
Das scheint unglaublich? Beweisen wir's!
We can all agree on the importance of voting.
Jenna Bush Hager
Arrows Satz vom Diktator löst oft heftige Diskussionen aus. Zahlreiche Wahlverfahren wurden und werden vorgeschlagen, doch keines kann perfekt sein. Warum bin ich so sicher? Nicht nur, weil ein Nobelpreisträger behauptet, ein solches Verfahren könne es nicht geben. — Das wäre ein reines Autoritätsargument und als solches eher schwach. So beeindruckend oder einschüchternd dies auch sein mag, es ersetzt keinen Beweis.
Starke Antwort: Wir haben einen Beweis! Wir führen alle Argumente sorgfältig aus, jeder von uns kann sie nun selbstständig prüfen. Es geht nicht um Autorität, sondern um nachvollziehbare Argumente. Das ist wissenschaftliche Ehrlichkeit und Transparenz, so soll es sein.
Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!
Immanuel Kant (1724–1804), Was ist Aufklärung?, 1784
Und die Moral von der Geschicht?
Zugegeben: Arrows Unmöglichkeitstheorem klingt zunächst unglaublich.
Die gute Nachricht: Wir müssen es nicht glauben, wir können es beweisen.
Manche möchten es vielleicht dennoch nicht wahr haben, aber es ist besser, die Grenzen von Wahlverfahren zu kennen. In einfachen, klaren Fällen können wir manchmal ein Ergebnis ablesen. Das Wahlsystem soll aber ganz allgemein gelten, also auch aus extremen, heterogenen, widersprüchlichen Voten eine gemeinsame Präferenz extrahieren. Die Gesellschaft kann extrem uneinig sind, und das Wahlverfahren soll es irgendwie richten. Das ist zu viel verlangt! Konsens oder Kompromiss muss die Gesellschaft selbst herstellen; diese mühsame Arbeit kann ihr keine magische Formel abnehmen.
The ballot is stronger than the bullet.
Abraham Lincoln (1809–1865)