C'est par la logique que l'on prouve
et par l'intuition que l'on découvre.
— Mit der Logik beweisen wir,
mit der Intuition entdecken wir.
Henri Poincaré (1854–1912)
Algebraische Topologie 1
Vorlesung im Wintersemester 2017
Vorlesung | Mo 14:00 - 15:30 | Raum V57-7.530 |
Vorlesung | Mo 15:45 - 17:15 | Raum V57-7.530 |
Übung | Do 09:45 - 11:15 | Raum V57-7.530 |
Auf dieser Seite finden Sie:
- Einen (Rück-/Aus-)Blick auf motivierende Grundfragen
- Einen kurzen Überblick zur Einleitung und Motivation
- Ein paar Worte zur Zielsetzung und Literatur
- Organisation der Vorlesung und der Übungen
- Übungsvorschläge zur Vorlesung
- Themen der Vorlesung und Vorlesungstermine
Rückmeldungen? Ich freue mich über Ihre Kommentare und Anregungen! Bitte lassen Sie mich wissen, wie Ihnen die Veranstaltung gefällt, wie Sie mit dem Stoff zurecht kommen, und was sich verbessern lässt.
A child’s first geometrical discoveries are topological. —
If you ask him to copy a square or a triangle,
he draws a closed circle.
Jean Piaget (1896–1980)
Aktuelles
Diese Seite wird nicht mehr regelmäßig aktualisiert; sie wird aber noch längere Zeit zugänglich bleiben, um als Archiv zu dienen. Zur Übersicht: aktuelle und vergangene Lehrveranstaltungen
Herr Thannheimer stellt freundlicherweise seine Tafelphotos zur Verfügung.
Der Gerechte muss viel leiden.
Psalm 34:19
Einleitung und Motivation
Point set topology is a disease from which
the human race will soon recover.
Henri Poincaré (1854–1912)
Was ist algebraische Topologie?
Die algebraische Topologie untersucht topologische Räume und stetige Abbildungen mit algebraischen Hilfsmitteln. Den Räumen werden Gruppen zugeordnet (und weitere algebraische Strukturen, zum Beispiel graduierte Moduln oder Algebren) und den Abbildungen werden Homomorphismen zugeordnet. So entsteht ein algebraisches Abbild des ursprünglich topologischen Sachverhalts. Oft ist das algebraische Abbild leichter zu verstehen und erlaubt so eine Lösung des topologischen Problems. In günstigen Fällen funktioniert die Übersetzung auch umgekehrt, und die Topologie erleuchtet die Algebra.
Fundamentalgruppe und Überlagerungen
Ein typisches Beispiel kennen Sie aus der Grundvorlesung zur Topologie: die allgegenwärtige Fundamentalgruppe und das hierzu duale Konzept der Überlagerung. Beide sind geometrisch unmittelbar zugänglich und erlauben eine algebraische Sichtweise auf topologische Räume.
Erste Anwendungen sind der Brouwersche Fixpunktsatz (zunächst in Dimension 2), der Jordan-Brouwersche Zerlegungssatz (zunächst in der Ebene), die Invarianz der Dimension (zunächst bis Dimension 2). Diese Aussagen gelten auch in höherer Dimension, die Fundamentalgruppe reicht hierzu allerdings nicht aus und muss zu höherdimensionalen Werkzeugen ausgebaut werden.
Homotopiegruppen und Faserungen
Die Fundamentalgruppe ist die erste Homotopiegruppe. Zu Beginn der Vorlesung werden wir diese Konstruktion kurz wiederholen und zu höheren Homotopiegruppen verallgemeinern. Dual hierzu werden wir den Begriff der Überlagerung zu Faserbündeln verallgemeinern. (Den noch flexibleren Begriff der Faserung werden wir hier ebenfalls kennenlernen.) Diese Objekte spielen auch in der Differentialgeometrie eine wichtige Rolle, vor allem als Tangentialbündel einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit.
Homotopiegruppen sind wichtige und mächtige Werkzeuge: Sie erklären, was die (topologische) Welt im Innersten zusammenhält. Sie sind allerdings notorisch schwer zu berechnen, dazu brauchen wir weitere Werkzeuge...
Homologie und Kohomologie
Zwecks leichterer Berechenbarkeit werden wir Homologiegruppen einführen und in einigen wichtigen Beispielen berechnen. Diese erfreuen sich besonderer struktureller Eigenschaften: Homotopieinvarianz, lange exakte Homologiesequenz, Additivität, Ausschneidung. Diese kann man als Axiome für die Homologie nutzen und zur konkreten Berechnung anwenden auf zelluläre Homologie, Mayer-Vietoris-Sequenz, Künneth-Formel...
Dual zur Homologie ist die Kohomologie. Anders als die Homologie trägt sie ein natürliches und überaus nützliches Produkt, das sogenannte Cup-Produkt. Somit kann jedem topologischen Raum ein Kohomologiering zugeordnet werden, der wesentliche geometrisch-topologische Eigenschaften in algebraische Eigenschaften übersetzt. (Hierzu mehr im zweiten Teil der Vorlesung.)
Warnhinweise
An der Topologie, insbesondere der algebraischen Topologie, scheiden sich die Geister: Die einen halten sie für schwer zugänglich und schwindelerregend abstrakt. Die anderen finden sie außerdem noch elegant und schön.
In these days the angel of topology and the devil of abstract algebra
fight for the soul of every individual discipline of mathematics.
Hermann Weyl (1885–1955)
Zielsetzung der Vorlesung
Die Vorlesung vermittelt die Grundlagen der algebraischen Topologie: Homotopiegruppen und Faserbündel, Homologie und Kohomologie. (Diese Themen werden im Sommersemester in der Vorlesung Algebraische Topologie 2 fortgesetzt.) Ziel sind dabei immer zwei komplementäre Kompetenzen: das Verständnis sowohl konkreter Anwendungen als auch der allgemeinen Theorie. Das eine ist ohne das andere kaum denkbar.
Zitat aus dem Modulhandbuch: Die Studenten erlernen die Grundlagen der algebraischen Topologie. Sie sind in der Lage, die behandelten Methoden selbstständig, sicher, kritisch, korrekt und kreativ anzuwenden.
Literatur
Es gibt viele Lehrbücher zur algebraischen Topologie, darunter auch einführende und gut lesbare.
- A. Hatcher: Algebraic topology, CUP 2009, online.
- W.S. Massey: A basic course in algebraic topology, Springer 1980.
- J.J. Rotman: An introduction to algebraic topology, Springer 1998.
- G.E. Bredon: Topology and geometry, Springer 1993.
- J.R. Munkres: Elements of algebraic topology, Westview 1995.
- R. Stöcker, H. Zieschang: Algebraische Topologie, Teubner 1994.
- A. Dold: Lectures on algebraic topology, Springer 1995.
- W. Lück: Algebraische Topologie, Vieweg 2005.
- F. Waldhausen: Skripte zur algebraischen Topologie, online.
- T. tom Dieck: Algebraic topology, EMS 2008.
- E.H. Spanier: Algebraic topology, Springer 1994.
- J.P. May: A concise course in algebraic topology, UCP 1999, online.
Jedes dieser Lehrbücher hat seine eigenen Vorzüge und betont etwas andere Motivationen, Sichtweisen und Schwerpunkte: Das Spektrum reicht von geometrisch-topologisch bis formal-algebraisch, von knapp-elegant bis ausführlich illustriert. Sie sollten daher in möglichst vielen Büchern schmökern, um sich einen Überblick zu verschaffen und Ihr Lieblingsbuch zu finden.
Eine detaillierte Darstellung aus historischer Perspektive bieten:
- J. Dieudonné: A History of Algebraic and Differential Topology, Birkhäuser 1989.
- I.M. James (ed): History of Topology, Elsevier 1999.
Ich möchte im Wesentlichen dem wundervollen Buch von Hatcher folgen, das gelingt mir aller Erfahrung nach aber meistens nicht. Es ist schön geschrieben, umfasst viel Stoff und ist eine gute langfristige Investition. (Ich werde mir nicht verkneifen können, meinen Senf dazuzugeben; lokal hängt der Verlauf auch von Ihren Reaktionen und Fragen ab.) Das Buch ist elektronisch frei erhältlich, und man kann es auch gedruckt günstig kaufen — über 500 Seiten für etwa 30 Euro.
Organisation der Vorlesung
Voraussetzungen
Inhaltliche Voraussetzung sind Topologie und Algebra. Aus der Algebra verwenden wir die Grundbegriffe der Gruppen, Ringe, Moduln und ihrer Homomorphismen. Aus der Topologie benötigen wir neben der allgemeinen Topologie vor allem die Fundamentalgruppe sowie als Beispielfundus Simplizialkomplexe und die Klassifikation der Flächen. Aus der Analysis bzw. Geometrie ist der Begriff der (Unter)Mannigfaltigkeit hilfreich, denn diese sind eine wichtige Beispielklasse interessanter topologischer Räume.
Allgemeine Voraussetzung: Jede ernsthafte Beschäftigung mit Mathematik erfordert zunächst einmal Interesse, Neugier und Offenheit für Probleme und sodann Kreativität, Sorgfalt und Hartnäckigkeit bei deren Lösung. Da dies eine vertiefende Vorlesung ist, wird die (schwer definierbare und nur indirekt lehrbare) Eigenschaft der mathematischen Reife vorausgesetzt. Ein jeder prüfe sich selbst. Oder Sie versuchen es einfach!
Prüfungen
Da die Teilnehmerzahl überschaubar ist, schlage ich Ihnen mündliche Prüfungen vor. Im Anschluss an die Vorlesung können Sie Prüfungstermine jederzeit mit mir ausmachen.
Update: Das WiSe 2017/18 begann mit 32 mutig engagierten Teilnehmern! Ich bin sehr geehrt und freue mich über Ihr Interesse. Diesmal würde sich eine schriftliche Klausur lohnen. Das entscheiden wir demnächst gemeinsam.
Geplante Themen
Themen der Vorlesungen Algebraische Topologie 1 und 2:
- Von Simplizialkomplexen zu Zellkomplexen
- Fundamentalgruppe und Methoden zu ihrer Berechnung
- Überlagerungen in Theorie und Anwendung
- Von der Fundamentalgruppe zu höheren Homotopiegruppen
- Von Überlagerungen zu Faserungen und lange exakte Homotopiesequenz
- Homologie: simplizial, singulär, zellulär
- Anwendungen auf geometrische Fragen
- Beziehung zwischen Homotopie und Homologie
- Kohomologie und Produkte (Cup, Cap, usw.)
- Mannigfaltigkeiten und Poincaré-Dualität
The traditional mathematics professor
of the popular legend is absentminded. (...)
He writes a, he says b, he means c; but it should be d.
George Pólya (1887–1985), How to solve it