[banner] Michael Eisermann

C'est par la logique que l'on prouve
et par l'intuition que l'on découvre.

— Mit der Logik beweisen wir,
mit der Intuition entdecken wir.
Henri Poincaré (1854–1912)

Algebraische Topologie 1

Vorlesung im Wintersemester 2017

Vorlesung Mo 14:00 - 15:30 Raum V57-7.530
Vorlesung Mo 15:45 - 17:15 Raum V57-7.530
Übung Do 09:45 - 11:15 Raum V57-7.530

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A child’s first geometrical discoveries are topological. —
If you ask him to copy a square or a triangle,
he draws a closed circle.

Jean Piaget (1896–1980)

Aktuelles

Diese Seite wird nicht mehr regelmäßig aktualisiert; sie wird aber noch längere Zeit zugänglich bleiben, um als Archiv zu dienen. Zur Übersicht: aktuelle und vergangene Lehrveranstaltungen

Herr Thannheimer stellt freundlicherweise seine Tafelphotos zur Verfügung.

Der Gerechte muss viel leiden.
Psalm 34:19

Einleitung und Motivation

Point set topology is a disease from which
the human race will soon recover.

Henri Poincaré (1854–1912)

Was ist algebraische Topologie?

Die algebraische Topologie untersucht topologische Räume und stetige Abbildungen mit algebraischen Hilfsmitteln. Den Räumen werden Gruppen zugeordnet (und weitere algebraische Strukturen, zum Beispiel graduierte Moduln oder Algebren) und den Abbildungen werden Homomorphismen zugeordnet. So entsteht ein algebraisches Abbild des ursprünglich topologischen Sachverhalts. Oft ist das algebraische Abbild leichter zu verstehen und erlaubt so eine Lösung des topologischen Problems. In günstigen Fällen funktioniert die Übersetzung auch umgekehrt, und die Topologie erleuchtet die Algebra.

Fundamentalgruppe und Überlagerungen

Ein typisches Beispiel kennen Sie aus der Grundvorlesung zur Topologie: die allgegenwärtige Fundamentalgruppe und das hierzu duale Konzept der Überlagerung. Beide sind geometrisch unmittelbar zugänglich und erlauben eine algebraische Sichtweise auf topologische Räume.

Erste Anwendungen sind der Brouwersche Fixpunktsatz (zunächst in Dimension 2), der Jordan-Brouwersche Zerlegungssatz (zunächst in der Ebene), die Invarianz der Dimension (zunächst bis Dimension 2). Diese Aussagen gelten auch in höherer Dimension, die Fundamentalgruppe reicht hierzu allerdings nicht aus und muss zu höherdimensionalen Werkzeugen ausgebaut werden.

Homotopiegruppen und Faserungen

Die Fundamentalgruppe ist die erste Homotopiegruppe. Zu Beginn der Vorlesung werden wir diese Konstruktion kurz wiederholen und zu höheren Homotopiegruppen verallgemeinern. Dual hierzu werden wir den Begriff der Überlagerung zu Faserbündeln verallgemeinern. (Den noch flexibleren Begriff der Faserung werden wir hier ebenfalls kennenlernen.) Diese Objekte spielen auch in der Differentialgeometrie eine wichtige Rolle, vor allem als Tangentialbündel einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit.

Homotopiegruppen sind wichtige und mächtige Werkzeuge: Sie erklären, was die (topologische) Welt im Innersten zusammenhält. Sie sind allerdings notorisch schwer zu berechnen, dazu brauchen wir weitere Werkzeuge...

Homologie und Kohomologie

Zwecks leichterer Berechenbarkeit werden wir Homologiegruppen einführen und in einigen wichtigen Beispielen berechnen. Diese erfreuen sich besonderer struktureller Eigenschaften: Homotopieinvarianz, lange exakte Homologiesequenz, Additivität, Ausschneidung. Diese kann man als Axiome für die Homologie nutzen und zur konkreten Berechnung anwenden auf zelluläre Homologie, Mayer-Vietoris-Sequenz, Künneth-Formel...

Dual zur Homologie ist die Kohomologie. Anders als die Homologie trägt sie ein natürliches und überaus nützliches Produkt, das sogenannte Cup-Produkt. Somit kann jedem topologischen Raum ein Kohomologiering zugeordnet werden, der wesentliche geometrisch-topologische Eigenschaften in algebraische Eigenschaften übersetzt. (Hierzu mehr im zweiten Teil der Vorlesung.)

Warnhinweise

An der Topologie, insbesondere der algebraischen Topologie, scheiden sich die Geister: Die einen halten sie für schwer zugänglich und schwindelerregend abstrakt. Die anderen finden sie außerdem noch elegant und schön.

In these days the angel of topology and the devil of abstract algebra
fight for the soul of every individual discipline of mathematics.

Hermann Weyl (1885–1955)

Zielsetzung der Vorlesung

Die Vorlesung vermittelt die Grundlagen der algebraischen Topologie: Homotopiegruppen und Faserbündel, Homologie und Kohomologie. (Diese Themen werden im Sommersemester in der Vorlesung Algebraische Topologie 2 fortgesetzt.) Ziel sind dabei immer zwei komplementäre Kompetenzen: das Verständnis sowohl konkreter Anwendungen als auch der allgemeinen Theorie. Das eine ist ohne das andere kaum denkbar.

Zitat aus dem Modulhandbuch: Die Studenten erlernen die Grundlagen der algebraischen Topologie. Sie sind in der Lage, die behandelten Methoden selbstständig, sicher, kritisch, korrekt und kreativ anzuwenden.

Literatur

Es gibt viele Lehrbücher zur algebraischen Topologie, darunter auch einführende und gut lesbare.

Jedes dieser Lehrbücher hat seine eigenen Vorzüge und betont etwas andere Motivationen, Sichtweisen und Schwerpunkte: Das Spektrum reicht von geometrisch-topologisch bis formal-algebraisch, von knapp-elegant bis ausführlich illustriert. Sie sollten daher in möglichst vielen Büchern schmökern, um sich einen Überblick zu verschaffen und Ihr Lieblingsbuch zu finden.

Eine detaillierte Darstellung aus historischer Perspektive bieten:

Ich möchte im Wesentlichen dem wundervollen Buch von Hatcher folgen, das gelingt mir aller Erfahrung nach aber meistens nicht. Es ist schön geschrieben, umfasst viel Stoff und ist eine gute langfristige Investition. (Ich werde mir nicht verkneifen können, meinen Senf dazuzugeben; lokal hängt der Verlauf auch von Ihren Reaktionen und Fragen ab.) Das Buch ist elektronisch frei erhältlich, und man kann es auch gedruckt günstig kaufen — über 500 Seiten für etwa 30 Euro.

Organisation der Vorlesung

Voraussetzungen

Inhaltliche Voraussetzung sind Topologie und Algebra. Aus der Algebra verwenden wir die Grundbegriffe der Gruppen, Ringe, Moduln und ihrer Homomorphismen. Aus der Topologie benötigen wir neben der allgemeinen Topologie vor allem die Fundamentalgruppe sowie als Beispielfundus Simplizialkomplexe und die Klassifikation der Flächen. Aus der Analysis bzw. Geometrie ist der Begriff der (Unter)Mannigfaltigkeit hilfreich, denn diese sind eine wichtige Beispielklasse interessanter topologischer Räume.

Allgemeine Voraussetzung: Jede ernsthafte Beschäftigung mit Mathematik erfordert zunächst einmal Interesse, Neugier und Offenheit für Probleme und sodann Kreativität, Sorgfalt und Hartnäckigkeit bei deren Lösung. Da dies eine vertiefende Vorlesung ist, wird die (schwer definierbare und nur indirekt lehrbare) Eigenschaft der mathematischen Reife vorausgesetzt. Ein jeder prüfe sich selbst. Oder Sie versuchen es einfach!

Prüfungen

Da die Teilnehmerzahl überschaubar ist, schlage ich Ihnen mündliche Prüfungen vor. Im Anschluss an die Vorlesung können Sie Prüfungstermine jederzeit mit mir ausmachen.

Update: Das WiSe 2017/18 begann mit 32 mutig engagierten Teilnehmern! Ich bin sehr geehrt und freue mich über Ihr Interesse. Diesmal würde sich eine schriftliche Klausur lohnen. Das entscheiden wir demnächst gemeinsam.

Geplante Themen

Themen der Vorlesungen Algebraische Topologie 1 und 2:

The traditional mathematics professor
of the popular legend is absentminded. (...)
He writes a, he says b, he means c; but it should be d.

George Pólya (1887–1985), How to solve it