Michael Eisermann

C'est par la logique que l'on prouve
et par l'intuition que l'on découvre.

— Mit der Logik beweisen wir,
mit der Intuition entdecken wir.
Henri Poincaré (1854–1912)

Topologie


Nachrichtenmeldung vom 17.11.2017: Auf Initiative der Studierenden wurde diese Vorlesung mit dem Lehrepreis 2017 der Universität Stuttgart ausgezeichnet.

Preisverleihung am 17.11.2017
Verleihung des Lehrepreises bei der Jahresfeier der Universität Stuttgart am 17.11.2017

Die Laudatio auf der Jahresfeier der Universität hielten Frau Anne Bernhardt (rechts im Bild) und Frau Julia Kühnert (zweite von rechts) aus der Fachgruppe Mathematik. Anschließend übergab der Rektor, Prof. Dr. Wolfram Ressel (zweiter von links), die Urkunde an den glücklichen Preisträger, Prof. Dr. Michael Eisermann (links im Bild).

Ich danke allen Beteiligten herzlich für Zuspruch und Vertrauen, insbesondere allen Studierenden für ihr Engagement. Ebenso gerne danke ich nochmals unseren Tutoren und Frau Dr. Friederike Stoll für die wunderbare Zusammenarbeit. It takes a team to teach topology!


Avengers
Avengers of Topology 2016

Vorlesung im Wintersemester 2016/2017.
(V 013420000 / Ü 013420101, Modul 11810)

Auf dieser Seite finden Sie:

Rückmeldungen? Ich freue mich über Ihre Kommentare und Anregungen! Bitte lassen Sie mich wissen, wie Ihnen die Veranstaltung gefällt, wie Sie mit dem Stoff zurecht kommen, und was sich verbessern lässt. > Umfrage der Fachgruppe (pdf) > Evaluation der Vorlesung (pdf) > Evaluation der Übungen (pdf)

Aktuelles

Diese Seite wird nicht mehr regelmäßig aktualisiert; sie wird aber noch längere Zeit zugänglich bleiben, um als Archiv zu dienen. Zur Übersicht: aktuelle und vergangene Lehrveranstaltungen

We will not back down / We are not afraid / Not a drop of doubt
Hand in hand across this land / Our voices shouting out: No Topology!

Bon Jovi, No Topology


Physik-Nobelpreis 2016 für topologische Phasen und Phasenübergänge

Nachrichtenmeldung vom 04.10.2016: Der Nobelpreis 2016 für Physik geht an die Quantenphysiker Thouless, Haldane und Kosterlitz für die Erforschung exotischer Materiezustände, insbesondere topologischer Phasen und Phasenübergänge.

Die Topologie ist eine Entwicklung des 20. Jahrhunderts und damit ein recht junger Zweig der Mathematik; sie untersucht die abstrakte Form geometrischer Objekte, zum Beispiel Flächen. Abstrakt bedeutet wie immer nicht nur allgemein und theoretisch, sondern vor allem vielseitig anwendbar: erstaunlicherweise sogar in der Quantenphysik, dereinst vielleicht sogar in Quantencomputern. Nach hochrangigen Preisen wie diesem oder der Poincaré-Vermutung wird die Topologie wohl auch als Partythema taugen, je nach Party, zumindest für die nächsten Wochen. Wer's genauer wissen will, dem bietet die folgende Vorlesung eine Einführung in die Topologie.


Stundenplan

Vorlesung (Michael Eisermann) Mo 11:30-13:00 V 57.06
Di 9:45-11:15 V 57.04
Übung 1 Di 11:30-13:00 Raum V57-2.326
Übung 2 Di 11:30-13:00 Raum V57-7.342
Übung 3 Mi 14:00-15:30 Raum V57-2.532

Aperitif – ein Vorgeschmack auf die Topologie

Topology should not be viewed as an advanced subject
whose theorems and concepts should be avoided until graduate school.
Rather it is the study of continuity, and thus underlies the most basic geometric results.

Daniel Henry Gottlieb

Was ist Topologie? Ein bekannter Scherz lautet: In der Topologie unterscheidet man nicht zwischen einer Kaffeetasse und einem Doughnut. — Wenn Sie hierüber schmunzeln können, dann sind Sie hier richtig. Andernfalls lesen Sie besser hier weiter.


Die Skulptur Rubato von Eva Hild
Dieses Photo zeigt die Skulptur Rubato von Eva Hild. Welche Fläche ist das?
Die Klassifikation der kompakten Flächen gibt vollständige Auskunft:
Randkomponenten? Geschlecht? Orientierbarkeit?
Zur Hilfestellung hier ein Video.

Warnhinweise und Nebenwirkungen

Abstraktion ist eine starke Droge, doch wohldosiert erlaubt sie phantastische Anwendungserfolge. Eine Unterdosierung verlängert das Leiden an undurchsichtigen Beispielen und kann Stumpfsinn verursachen. Eine Überdosierung hingegen kann zu Schwindelgefühl und Realitätsverlust führen. Bei Zweifeln sprechen Sie bitte mit Ihrem Dozenten oder Tutor oder einem Topologen ihres Vertrauens.

Dem Leser wird im Folgenden die Bereitschaft abverlangt, altgewohnte Denkmuster aufzugeben und sich unvoreingenommen mit topologischen Fragen zu befassen. Eine Traumatisierung zartbesaiteter Leser kann nicht ausgeschlossen werden!

Zur Erheiterung und als Vorgeschmack will ich hier kurz ein paar anschauliche Anwendungen der Topologie vorstellen. Es gibt, wie für jede erfolgreiche Theorie, unzählige weitere Anwendungen, aber ich wähle hier nur wenige aus, die eine besonders hübsche Einkleidung erlauben und darunter den technischen Apparat zu verstecken vermögen. Ihre Darstellung mag daher scherzhaft sein, doch der mathematische Kern ist durchaus ernsthaft. Für besonders Mutige gibt's auf Klick weitere Erläuterungen.

[Kaffee]

Wie Luitzen Brouwer seinen Kaffee umrührt

Können Sie eine Tasse Kaffee so gründlich umrühren, dass kein Punkt bleibt wo er war? Natürlich soll dabei der Kaffee in der Tasse bleiben und die Tasse am selben Ort... Also, geht das?

[Marmorkuchen]

Wie Karol Borsuk und Stanislaw Ulam sich ein Stück Marmorkuchen teilen

Jedes Stück Kuchen kann man durch einen geraden senkrechten Schnitt in zwei gleich große Teile zerlegen.

Was aber, wenn es sich um einen Marmorkuchen handelt, und in beiden Teilen auch noch gleich viel Schokolade sein soll? Geht das auch mit einem geraden senkrechten Schnitt?

Was bedeutet die Dimension?

Bei Kaffee und Kuchen philosophieren vier Mathematiker (ein Algebraiker, ein Differentialgeometer, ein Topologe und ein Mengentheoretiker) über den Begriff der Dimension: Unter welchen Bedingungen sind die Räume \(\R^m\) und \(\R^n\) isomorph?

  1. Linear vermöge eines \(\R\)-Vektorraumisomorphismus?
  2. Differenzierbar vermöge eines Diffeomorphismus?
  3. Topologisch vermöge eines Homöomorphismus?
  4. Als bloße Mengen vermöge einer Bijektion?

Wie lautet jeweils die Antwort? Und wie beweist man sie?

[Michelangelo]

[Igel] [Erde]

Der Satz vom gekämmten Igel

Kann man einen Igel wirbelfrei kämmen? (Klarstellung: In dieser Vorlesung kommen weder Personen noch Tiere zu Schaden!)

Herrscht jederzeit an mindestens einem Ort der Erde Windstille? (Inwiefern hängt die Antwort von der Form der Erde ab?)

[donut]

Klassifikation der kompakten Flächen

Die Kugeloberfläche hat Geschlecht 0 (kein Loch), hingegen hat die Oberfläche eines Doughnuts Geschlecht 1 (ein Loch). Sind sie deshalb verschieden? Was bedeutet das genau und wie beweist man es?

Ebenso wie der Doughnut hat auch die Oberfläche einer Kaffeetasse Geschlecht 1 (durch den Henkel). Sind beide Oberflächen allein deshalb schon topologisch gleich? Ober brauchen wir hierzu noch genauere Informationen?

Die Klassifikation der Flächen ist einer der Höhepunkte der Vorlesung. Die anschauliche Bedeutung ist leicht zu verstehen, ihre präzise Formulierung fordert und fördert unser topologisches Vokabular, und die Ausführung des Beweises mobilisiert nahezu alle Techniken dieser Vorlesung.

[Kleinsche Flasche] [Kleinsche Flasche]

Darauf sollte man anstoßen – mit einem edlen Tropfen aus der Kleinschen Flasche!

Es handelt sich bei diesem wundersamen Wesen um eine geschlossene, nicht-orientierbare Fläche. Sie besitzt nur eine einzige Seite, sodass innen und außen gleich sind!

Flächen mit nur einer Seite? Diese verblüffende Eigenschaft kennen Sie sicherlich vom Möbius-Band, das aus Papier leicht herzustellen ist. Wenn Sie genau hinschauen, entdecken Sie das Möbius-Band als Teil der Kleinschen Flasche. Genauer: Die Kleinsche Flasche entsteht aus zwei Möbius-Bändern durch Verkleben längs der Ränder. Die Einbettung eines Möbius-Bandes in eine Fläche ist äquivalent zur Nicht-Orientierbarkeit.

Das Möbius-Band findet tatsächlich praktische Anwendung: Flachriemen kann man als Möbius-Band herstellen, damit sich „beide Seiten” des Bandes gleichmäßig abnutzen.

Möbius Band [Gebrauchsmuster Möbius-Band]

Slapenarski had knelt beside the limb body and was twisting the arms and legs into fantastic knots.
He was, in fact, folding the Wisconsin topologist as he had folded his piece of paper! Suddenly
there was a small explosion, like the backfire of a car, and under the Polish mathematician's
hands lay the collapsed clothing of Dr. Simpson. Simpson had become a nonlateral surface.

Martin Gardner, No-sided Professor

Freiheit für alle Gruppen –
Nieder mit den Relationen!

[Cayley-Graph]

Der Satz von Nielsen-Schreier besagt, dass in einer freien Gruppe jede Untergruppe frei ist. (Das ist keine politische sondern eine mathematische Aussage.) Den Beweis kann man rein algebraisch führen, er mündet dann aber leicht in einer heillosen Rechnerei. Man kann den Beweis auch topologisch führen, indem man freie Gruppen als Fundamentalgruppen von Graphen darstellt – und alles löst sich in Wohlgefallen auf. In der Vorlesung wird dies eine schöne Anwendung der Überlagerungstheorie sein. Der Graph rechts zeigt einen unendlichen Baum: Dies ist der Cayley-Graph der freien Gruppe auf zwei Erzeugern \(a\) und \(b\), geschrieben \(F_2 = \langle a,b \mid - \rangle\). Er ist zudem ein einfaches Fraktal.

Einleitung und Motivation

Die Topologie (griechisch τόπος [tópos] ‚Ort’ und λόγος [lógos] ‚Lehre’) ist wörtlich übersetzt die „Lehre vom Ort” und handelt von der Form und gegenseitigen Lage geometrischer Objekte, wie etwa Kurven und Flächen im Raum. Die obigen Beispiele illustrieren einige geometrische Fragestellungen und erfolgreiche Anwendungen.

Dank ihrer vielseitig einsetzbaren Begriffe und Methoden ist die Topologie neben Analysis und Algebra eine der Grundstrukturen der modernen Mathematik und liefert Werkzeuge, um eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Phänomene zu behandeln. Sie untersucht grundlegende Konzepte wie Konvergenz und Stetigkeit, offene und abgeschlossene Mengen, Zusammenhang und Kompaktheit, lokale vs globale Eigenschaften, Fundamentalgruppen und Überlagerungen, usw. Hierdurch steht sie in enger Wechselwirkung mit der Analysis, der Geometrie und der Algebra. Die Vorlesung vermittelt hierzu die notwendigen Grundlagen.

In Einstein's general relativity
the structure of space can change but not its topology.
Topology is the property of something that doesn't change
when you bend it or stretch it as long as you don't break anything.

Edward Witten

Als mathematische Disziplin ist die Topologie eine Schöpfung des 20. Jahrhunderts – und damit relativ jung. Sie wurde schnell zum mathematischen Grundwissen, vor allem Dank ihrer spektakulären Erfolge in vielfältigen Anwendungen und Verzweigungen (analytische, geometrische, algebraische Topologie...).

Was ist analytische Topologie?

In der Analysis verwendet man eine Norm oder Metrik zum Messen von Abständen und gewinnt daraus die überaus wichtigen Begriffe der Konvergenz von Folgen und Stetigkeit von Abbildungen. Für viele Begriffsbildungen braucht man aber gar keine Metrik: Es genügt, die offenen Mengen zu kennen. So abstrahiert man von metrischen zu topologischen Räumen, die oft flexibler und bequemer zu handhaben sind. Der erste, „mengentheoretische” Teil der Vorlesung widmet sich grundlegenden Konstruktionen, wie Produkten und Quotienten, sowie Eigenschaften topologischer Räume, wie Kompaktheit und Zusammenhang.

Point set topology is a disease from which the human race will soon recover.
Henri Poincaré (1854–1912)

Was ist geometrische Topologie?

Je nach Anwendung interessiert man sich für spezielle, besonders schöne topologische Räume, wie zum Beispiel Mannigfaltigkeiten oder Simplizialkomplexe. Dies sind topologische Räume mit zusätzlichen „geometrischen” Strukturen, die maßgeschneiderte Techniken erlauben und erfordern. In dieser Vorlesung werden wir uns der Einfachheit halber zumeist auf simpliziale Komplexe konzentrieren. Als wichtige Anwendung werde ich den Klassifikationssatz für (triangulierte) Flächen beweisen. Des weiteren möchte ich den Abbildungsgrad von Sphären behandeln, der eine erstaunliche Vielfalt von Anwendungen eröffnet. Dies klärt insbesondere die Topologie der euklidischen Räume \(\R^n\), die besonders übersichtlich sind und daher als Modell universell eingesetzt werden und uns besonders am Herzen liegen.

A child’s first geometrical discoveries are topological. —
If you ask him to copy a square or a triangle, he draws a closed circle.

Jean Piaget (1896–1980)

Was ist algebraische Topologie?

Die algebraische Topologie untersucht topologische Räume und stetige Abbildungen mit algebraischen Hilfsmitteln. Den Räumen werden Gruppen zugeordnet (oder andere algebraische Strukturen) und den Abbildungen werden Homomorphismen zugeordnet. So entsteht ein algebraisches Abbild des ursprünglich topologischen Sachverhalts. Oft ist das algebraische Abbild leichter zu verstehen und erlaubt so eine Lösung des topologischen Problems. In günstigen Fällen funktioniert die Übersetzung auch umgekehrt, und die Topologie erleuchtet die Algebra. Mit dem allgegenwärtigen Begriff der Fundamentalgruppe und dem dualen Konzept der Überlagerung beschäftigt sich der dritte Teil der Vorlesung.

In these days the angel of topology and the devil of abstract algebra
fight for the soul of every individual discipline of mathematics.

Hermann Weyl (1885–1955)

Zielsetzung der Vorlesung

Die Vorlesung soll die Grundlagen der Topologie vermitteln. Ziel sind dabei – wie immer – zwei komplementäre Kompetenzen: das Verständnis sowohl konkreter Anwendungen als auch der allgemeinen Theorie. Das eine ist ohne das andere kaum denkbar.

Es gibt nichts Praktischeres
als eine gute Theorie.

Immanuel Kant (1724–1804)

Topologische Begriffe, Methoden und Ergebnisse werden in vielen Gebieten der Mathematik verwendet, zum Beispiel der Analysis, insbesondere der Funktionalanalysis, der Geometrie, insbesondere der Differentialgeometrie, und der Algebra. Diese Vorlesung erarbeitet hierzu die nötigen Grundlagen und Werkzeuge und führt zu Vertiefungen hin, insbesondere der algebraischen Topologie, der Differentialtopologie und Differentialgeometrie, der geometrischen Topologie und Knotentheorie.

People cry, people moan
Look for a dry place to call their home
Try to find some place to rest their bones
While the angels and the devils try to make them their own

Nirvana, Lake of Fire

Einführende Literatur

Es gibt viele gute Lehrbücher zur Topologie. Je nach Ausrichtung behandeln sie mehr analytische oder mehr algebraische Topologie. Die folgenden Lehrbücher unterscheiden sich in Ausrichtung und Stil, sind aber allesamt empfehlenswert:

Spezialisiertere Lehrwerke zur analytischen Topologie:

Weiterführende Lehrwerke zur algebraischen Topologie und ihren geometrischen Anwendungen:

Es gibt auch hervorragende Bücher und gute Skripte, die online frei erhältlich sind:

Why waste time learning,
when ignorance is instantaneous?

Hobbes (1985–1995)

Organisation der Vorlesung

Voraussetzungen

Inhaltliche Voraussetzung sind die Grundvorlesungen Analysis und lineare Algebra: Hieraus stammen viele Beispiele, Begriffe und Fragen der Topologie, und wir werden vielfach ihre omnipräsenten Methoden verwenden. Notwendig ist insbesondere eine genaue Kenntnis der topologischen Grundbegriffe der Analysis (Metrik, Konvergenz, Stetigkeit, offene und abgeschlossene Mengen, etc.), denn diese werden in der Topologie verallgemeinert und allerorten verwendet. Abstrahieren heißt nicht ignorieren!

Allgemeine Voraussetzung: Jede ernsthafte Beschäftigung mit Wissenschaft erfordert zunächst einmal Interesse, Neugier und Offenheit für Probleme und sodann Kreativität, Sorgfalt und Hartnäckigkeit bei deren Lösung. Wie in allen fortgeschrittenen Veranstaltungen der Mathematik ist die Beherrschung grundlegender Arbeitsweisen (mathematische Sprache, Logik, Beweistechniken, ...) und Begriffsbildungen (Mengen, Abbildungen, ...) unabdingbare Voraussetzung.

Half the money I spend on advertising is wasted;
the trouble is I don't know which half.

John Wanamaker (1838–1922)

Arbeitsaufwand

Ich erörtere hier eine Selbstverständlichkeit, die immer wieder Erstaunen auslöst.

Dieser Kurs wird mit 9 Leistungspunkten (also 270 Arbeitsstunden) veranschlagt:

Die Bemessung der nötigen eigenen Arbeitszeit beruht auf jahrzehntelanger Erfahrung. Individuelle Werte können und werden davon abweichen, nichtsdestotrotz sollen beide Seiten – Lehrende und Lernende – sich ehrlicherweise an dieser Bemessung orientieren. Sie spiegelt eine Grunderfahrung wieder, die sich alle zu Herzen nehmen müssen:

Mathematik lernt man nicht nur durch Zuschauen,
sondern durch eigene Arbeit und regelmäßige Übung!

Das Verhältnis 1:2 ist dabei durchaus realistisch: Jede Präsenzstunde erfordert zusätzlich zwei Stunden eigene Arbeit. Das ist keine Übertreibung sondern regelmäßige Erfahrung. Wenn Sie glauben, dass dies auf Sie nicht zutrifft, dann sind Sie entweder ein Genie, oder (was wahrscheinlicher ist) ein Opfer des Dunning-Kruger-Effekts.

Wer nur einen Teil der nötigen Zeit investiert, wird auch nur einen Teil des Inhalts verstehen. Gehen Sie also den ganzen Weg und planen Sie diese Zeit bereits während des Semesters parallel zur Vorlesung fest ein, um kontinuierlich mitzuarbeiten. Nur bei intensiver Vor- und Nachbereitung und regelmäßiger aktiver Mitarbeit werden Ihnen Vorlesung und Übung wirklich etwas nützen. Anders wird es nicht gehen.

Übungen

Zur Vorlesung werden Übungsgruppen angeboten. Nehmen Sie bitte das Angebot der Übungen gewissenhaft wahr: Bearbeiten Sie Woche für Woche die Vorlesung und die Übungsaufgaben! Diese Selbstverständlichkeit mag Ihnen als lästige Pflicht erscheinen, aber nur dies strukturiert das Semester effizient. Anders wird es nicht gehen.

Übung und Vorlesung sind eng aufeinander abgestimmt. Die Vorlesung erklärt Ihnen die nötigen Begriffe und Techniken. In Übung und Hausaufgaben können / sollen / müssen Sie diese anwenden, verstehen und vertiefen. Anders wird es nicht gehen.

Quiz

Zu Beginn jeder Übung gibt es ein Quiz von 10 Minuten mit 5 einfachen Fragen zu den Themen der Vorwoche. (In der ersten Woche können Sie Bonuspunkte sammeln: 15 Minuten Quiz mit 10 einfachen Fragen zu Analysis und Linearer Algebra aus dem ersten Studienjahr.) Das soll Ihnen als Diagnose dienen und eine zeitnahe Rückmeldung geben, was Sie schon können und wo es noch fehlt. Daneben soll es Sie auch motivieren, manche sagen: zwingen, die Vorlesung wöchentlich nachzubereiten und so die darauf abgestimmte Übung vorzubereiten.

Präsenzübungen

Die Übungen beginnen mit Präsenzaufgaben und münden in Hausaufgaben: Während der Gruppenübung können und sollen Sie Ihre Aufgaben möglichst gut vorbereiten und dann zu Hause sorgfältig schriftlich ausarbeiten. Ihre Ausarbeitung geben Sie bei der nächsten Übung zur Korrektur ab. Aus der Rückmeldung der Korrektur wiederum erfahren Sie, was Sie bereits beherrschen und was Ihnen noch fehlt, insbesondere welche Fehlerquellen Sie verstehen und vermeiden müssen.

Das setzt voraus, dass Sie effizient lernen und mitarbeiten wollen: Hierzu sollen Sie die Vorlesung wöchentlich nacharbeiten (siehe Quiz) und mit diesen Werkzeugen die zugehörigen Aufgaben lösen. Der Präsenzteil gibt Ihnen die Gelegenheit, Ideen zu diskutieren, erste Lösungen zu versuchen, die Zusammenhänge und Ihre Fragen zu klären, und schließlich mit einer guten Strategie Ihre Hausaufgaben auszuarbeiten.

Hausaufgaben

Mit Ihrer gründlichen Vorbereitung aus Vorlesung und Präsenzübung sollten Ihnen Ihre Hausaufgaben leicht fallen, zumindest sollten Sie einen gangbaren und motivierenden Plan haben. Mit Ihren Hausaufgaben können Sie dann trainieren und sich darauf konzentrieren, Ihre Lösungen sauber und sorgfältig auszuarbeiten. Das ist in der Mathematik bekanntermaßen schwierig und bedarf eines mehrjährigen Trainings.

Hieraus ergeben sich die offensichtlichen und Ihnen wohlbekannten Warnungen: Wenn Sie die Vorlesung ignorieren, dann fehlen Ihnen die nötigen Werkzeuge. Wenn Sie die Präsenzzeit vertrödeln, dann erschweren Sie sich selbst die Lösungsfindung. Wenn Sie Ihre Hausaufgaben abschreiben, betrügen Sie sich selbst und nehmen sich die beste Gelegenheit, Mathematik zu lernen und zu verstehen.

Übungsblätter

Die Übungsblätter werden wöchentlich online zur Verfügung gestellt. Die Aufgaben mit Punktzahl sind beim nächsten Übungstermin schriftlich abzugeben und werden korrigiert (siehe Präsenz- und Hausaufgaben).

Arbeitsgruppen

Übungsaufgaben können und sollen Sie in Kleingruppen gemeinsamen erarbeiten. Schriftliche Aufgaben reichen Sie bitte alleine oder in Zweiergruppen ein.

Scheinklausuren

Scheinklausuren dienen als Zwischenbilanz zur Wiederholung der grundlegenden Begriffe und Techniken, und als Diagnose, wo noch Unsicherheiten bestehen. Sie dienen zudem als Training für die Abschlussklausur und haben nahezu dasselbe Format.

Nach Absprache mit den Teilnehmern gibt es dieses Semester zwei Scheinklausuren, eine Anfang Dezember und eine Ende Januar, um die Vorbereitung zu strukturieren und die Inhalte gleichmäßig zu verteilen. Das ist für alle Beteiligten anstrengend aber lohnend. Da auch die Vorlesung in drei Themen unterteilt ist, entspricht dies auch thematisch etwa dem ersten und zweiten Drittel der Vorlesung.

Die erste Scheinklausur fand statt am Samstag, den 3.12.2016, von 10 bis 12 Uhr im Hörsaal V47.02: Klausurtext, Lösungen. Es waren keine Hilfsmittel zugelassen.

Die zweite Scheinklausur fand statt am Samstag, den 21.01.2017, von 10 bis 12 Uhr im Hörsaal V47.02: Klausurtext, Lösungen. Es waren keine Hilfsmittel zugelassen.

Übungsschein

Dieser Kurs wird mit einer schriftlichen Prüfung abschließen. Um zur Abschlussklausur zugelassen zu werden, müssen Sie erfolgreich an den Übungen teilnehmen, das heißt:

Falls es Ihnen außerhalb dieser Vorlesung nützlich sein sollte, kann für die erfolgreiche Teilnahme an den Übungen ein unbenoteter Übungsschein ausgestellt werden. Für die meisten Teilnehmer wird dies jedoch überflüssig sein, da sie den Kurs mit der Klausur abschließen.

Abschlussklausur

Die Klausur (zum Abschluss der Veranstaltung im WiSe 2016/17) fand statt am Donnerstag, den 09.03.2017, von 8 bis 10 Uhr im Hörsaal V47.03: Klausurtext, Lösungen. Die Herbstklausur am Donnerstag, den 14.09.2017, von 8 bis 10 Uhr im Hörsaal V55.21: Klausurtext, Lösungen. Es waren keine Hilfsmittel zugelassen.

Themen der Vorlesung

Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen.
Goethe (1749–1832), Faust

  1. Einleitung und Überblick: Was ist und was soll die Topologie? Das klassische Paradebeispiel: Eulers Polyederformel und die Klassifikation der Flächen.
  2. Analytische Topologie: ca. 14 Vorlesungen
  3. Grundlagen: Aufbau des Zahlensystems \(\N \into \Z \into \Q \into \R \into \C\), algebraische Grundstrukturen, reelle und komplexe Zahlen.
  4. Metrische Räume und Vollständigkeit: Euklidische/normierte/metrische Räume, offene und abgeschlossene Mengen, Umgebungen, Konvergenz von Folgen, Stetigkeit von Abbildungen, topologische Äquivalenz von Metriken, Beispiele.
  5. Topologische Räume: Topologische Räume und stetige Abbildungen, topologische Grundbegriffe, Basen und Erzeugung von Topologien, Beispiele.
  6. Topologische Konstruktionen: Teilräume, Quotientenräume, Summen, Produkträume, Beispiele, Tietze-Urysohn, Metrisierung.
  7. Kompaktheit: Kompaktheit, Teilräume, Produkte, Satz von Tychonoff, lokale Kompaktheit, Kompaktifizierungen, Beispiele.
  8. Zusammenhang: Zusammenhang und Komponenten, Wegzusammenhang und Wegkomponenten, Funktorialität, Homotopie stetiger Abbildungen, Homotopie-Äquivalenz von Räumen, Homotopie-Kategorie.
  9. Die Sprache der Kategorien: Kategorien, Funktoren, natürliche Transformationen.
  10. Geometrische Topologie: ca. 8 Vorlesungen
  11. Komplexe: Simpliziale Komplexe, Triangulierung topologischer Räume, Euler-Charakteristik, simpliziale Approximation, Anwendungen.
  12. Abbildungsgrad und Topologie des \(\R^n\): Umlaufzahl, Abbildungsgrad, Brouwerscher Fixpunktsatz, Satz vom Igel, Satz von Borsuk-Ulam, Satz von Jordan-Schoenflies, topologische Invarianz der Dimension, des Randes, der Orientierung, des Gebietes.
  13. Klassifikation der Flächen: Mannigfaltigkeiten, projektive Räume, simpliziale Flächen, Polygonmodell, (simpliziale) Klassifikation der kompakten Flächen.
  14. Algebraische Topologie: ca. 8 Vorlesungen
  15. Fundamentalgruppe: Wege und Homotopie, der Funktor \(\pi_1\), Darstellung für offene Mengen \(U \subset \R^n\) und für Simplizialkomplexe, Beispiele, Flächengruppen.
  16. Überlagerungen: Überlagerungen, freie diskontinuierliche Gruppenoperationen, Hochhebungssatz, Galois-Korrespondenz, Satz von Nielsen-Schreier.

The axiomatic method of postulating what we want has many advantages;
they are the same as the advantages of theft over honest toil.

Bertrand Russel (1872–1970), Introduction to Mathematical Philosophy

Vorlesungstermine

Diesmal stehen uns nur 29 Vorlesungstermine zur Verfügung (statt zuletzt 32).
Die Zeit ist dementsprechend knapp, ich muss mindestens drei Vorlesungen sparen (immerhin 10%). Das ist schwierig in Anbetracht der ambitionierten Themensetzung.

Vorlesungsbeginn am 17. Oktober 2016
V01 Mo 17.OktOrganisatorisches. §A Einführung. §A1 Homöomorphismen, Beispiele, stereographische Projektion. §A2 Polytope, Ecken, Seiten, platonische Körper.
V02 Di 18.Okt§A3 Eulers Polyederformel, Beweis nach Hadwiger, polytopale Komplexe, Euler-Charakteristik, topologische Invarianz. §A4 Die berandeten Modellflächen \(F_{g,r}^\pm\).
Ü01 Di/MiQuiz 0. Blatt 1: Willkommen in der Topologie!
V03 Mo 24.OktDie geschlossenen Modellflächen \(F_g^\pm\), Flächenklassifikation. §B Grundlagen. §C1 Skalarprodukt und Norm, Beispiele. §C2 Metrische Räume, Beispiele.
V04 Di 25.OktDie Topologie zu einer Metrik. §C3 Konvergenz und Stetigkeit, topologische Formulierung. §C4 Erinnerung: Cauchy-Folgen, metrische Vollständigkeit.
Ü02 Di/MiQuiz 1. Blatt 2: Metrische Räume
V05 Mo 31.Okt§D1 Topologische Räume, stetige Abbildungen. §D2 Umgebungen und Umgebungsbasen, 1AA, Hausdorff, Eindeutigkeit von Grenzwerten.
--- Di 01.NovFeiertag: Allerheiligen
Ü03 Di/MiBlatt 3: Süßes oder Saures. Feiertag / Allerheiligen: Die Übungen fallen aus!
V06 Mo 07.NovTopologie aus Umgebungsbasis. §D3 Anwendung auf Funktionenräume: punktweise / gleichmäßige / kompakte Konvergenz, Metrisierbarkeit.
V07 Di 08.Nov§D4 Inneres, Abschluss, Rand, dicht, diskret, lokal-endlich. §D5 Basen, Erzeugung von Topologien, 2AA, Mächtigkeit der euklidischen Topologie.
Ü04 Di/MiQuiz 2. Blatt 4: Hier geht's zum Abschluss.
V08 Mo 14.NovAbzählbare Basis, diskrete & dichte Teilmengen, \(C_b(\R,\R)\), \(C([a,b],\R)\). §E1 Initiale und finale Topologie. §E2 Teilräume, UAE, Einbettungen, Verkleben.
V09 Di 15.Nov§E3 Quotienten, -Topologie, -Raum, UAE, Beispiele, Identifizierungen, kanonische Faktorisierung, \(\R/\Z \isoto \S^1\), Zusammenschlagen.
Ü05 Di/MiQuiz 3. Blatt 5
V10 Mo 21.Nov§E4 Summen topologischer Räume, UAE. §E5 Produkte topologischer Räume, Erzeugendensystem, Basis, Topologie, UAE, Metrisierbarkeit.
V11 Di 22.Nov§E6 Trennungsaxiome, Tychonoff: 2AA & T3 ⇒ T4, Urysohn: T4 ⇒ T4½, Fortsetzungssatz von Tietze, Metrisierungssatz von Urysohn.
Ü06 Di/MiQuiz 4. Blatt 6
V12 Mo 28.Nov§F Kompaktheit. §F1 Intervalle, stetige Bilder, Min&Max, Kompakt-Hausdorff-Kriterium, endliche Produkte, Heine-Borel, finite intersection property (FIP).
V13 Di 29.NovTychonoff für beliebige Produkte. §F2 Anwendungen: \(\D^n /\!/ \S^{n-1} \cong \S^n\), konvex & kompakt \(\cong \D^k\), offen & sternförmig \(\cong \R^n\), Normen auf \(\R^n\) und \(\Q^2\).
Ü07 Di/MiQuiz 5. Blatt 7
V14 Mo 05.Dez§F3 Kompakte metrische Räume, Lebesgue-Zahl. §F4 Lokale Kompaktheit, Gegen-/Beispiele. §F5 Kompaktifizierung, Alexandroff. §G1 Zusammenhang.
V15 Di 06.DezBilder, Abschluss, Komponenten. §G2 Wegzusammenhang, Beispiele, \(\R\not\cong\R^2\), Wegkomponenten \(\pi_0(X)\), Funktorialität. §G3 Lokaler (Weg)Zusammenhang.
Ü08 Di/MiQuiz 6. Blatt 8
V16 Mo 12.Dez§G4 Homotopie \(f \simeq g\), sternförmig \( X \simeq * \), Bsp. \(f \simeq g \colon X \to \S^n \), Homotopie-Kategorie \([X,Y]\), Homotopie-Äquivalenz. §G5 Deformationsretrakte.
V17 Di 13.Dez§H1 Kategorien, Beispiele, Isomorphismen, Äquivalenz. §H2 Initial und terminal, Produkte und Summen. §H3 Funktoren, ko- & kontravariant.
Ü09 Di/MiQuiz 7. Blatt 9
V18 Mo 19.Dez§I1 Simpliziale Komplexe: affin, kombinatorisch, abstrakt, Realisierung, Topologie, Metrik, Teilkomplexe und Abbildungen.
V19 Di 20.Dez§I2 Triangulierung, Sphäre, Torus, \(\R\P^2\), zentrische Unterteilung, Produkte. §I3 Sterne, Überdeckungen, simpliziale Approximation.
Ü10 Di/MiQuiz 8. Blatt 10
Weihnachtsferien vom 23. Dezember 2016 bis zum 8. Januar 2017
V20 Mo 09.Jan§J1 Polygonale Wege und Homotopien, Umlaufzahl als Winkelsumme, Homotopie-Klassifikation, Abbildungsgrad \(\deg \colon [\S^1,\S^1] \isoto \Z\), Achsübergänge.
V21 Di 10.Jan§J2 Satz von Jordan-Schoenflies, Beweis im polygonalen Fall: Umlaufzahl zeigt genau zwei Gebiete ("außen" und "innen"), dann Dreiecke einklappen.
Ü11 Di/MiQuiz 9. Blatt 11
V22 Mo 16.Jan§J3 Abbildungsgrad: Axiome, erste Folgerungen. §J4 Der Brouwersche Fixpunktsatz. §J5 Der Satz vom Igel: Nicht-/Existenz von Vektorfeldern.
V23 Di 17.Jan §J6 Der Satz von Borsuk-Ulam, Anwendungen. §J7 Invarianz der Dimension, des Randes, des Gebietes.
Ü12 Di/MiQuiz 10. Blatt 12
V24 Mo 23.JanOrientierung, zunächst linear dann topologisch. §K1 Mannigfaltigkeiten, Rand, Orientierung. §K2 Projektive Räume.
V25 Di 24.Jan\(\R\P^1 \cong \S^1\), \(\C\P^1 \cong \S^2\), \(\SO_3\R \cong \R\P^3\). §K3 Klassifikation simplizialer Flächen.
Ü13 Di/MiQuiz 11. Blatt 13
V26 Mo 30.JanFlächenwörter, Flächenkalkül. §L1 Wege, Homotopie bei festen Endpunkten, Verknüpfung, Fundamentalgruppoid
V27 Di 31.Jan§L2 Fundamentalgruppe. §L3 Präsentation von Gruppen. §L4 Polygonale Fundamentalgruppe, Anwendungen.
Ü14 Di/MiQuiz 12. Blatt 14
V28 Mo 06.Feb§L6 Simpliziale Fundamentalgruppe: Bäume, Graphen, Simplizialkomplexe. Anwendungen auf Flächen, \(\pi_1(\R\P^2)\cong\Z/2\), ebenso \(\R\P^3 \cong \SO_3\R\).
V29 Di 07.FebWir tanzen \(\pi_1(\SO_3\R)\cong\Z/2\), Erzeuger \([\alpha]\) und explizite Homotopie \(\alpha^2 \sim 1\). Flächengruppen, Abelschmachung, Flächenklassifikation.
Ü15 Di/MiQuiz 13. Blatt 15
Vorlesungsende am 11. Februar 2017
???Abschlussklausur

Zu guter Letzt

Auch wenn die Topologie eine sehr junge Wissenschaft ist, so spielen topologische Beobachtungen und Anwendungen schon seit der Antike eine gewisse Rolle. Das Labyrinth von Minos zum Beispiel erinnert jeden topologisch geschulten Leser an die Fundamentalgruppe und die universelle Überlagerung:

Ariadne gab Theseus ein Knäuel Faden, dessen Ende er am Eingange des Labyrinthes festknüpfte und den er während des Hinschreitens durch die verwirrenden Irrgänge in der Hand ablaufen lassen sollte, bis er an die Stelle gelangt wäre, wo der Minotauros seine Wache hielt. Theseus ward mit seinen Gefährten in das Labyrinth geschickt, erlegte den Minotauros und wand sich mit Hilfe des abgespulten Zwirns aus den Höhlengängen des Labyrinthes glücklich heraus.
Aus dem Theseus-Mythos

Die folgende Abbildung zeigt eine polygonale Kurve \(C \subset \R^2\). Sie ist einfach geschlossen, somit homöomorph zur Kreislinie \(\S^1\); wir nennen dies eine Jordan-Kurve. Sie prüfen dies leicht nach, indem Sie die gesamte Kurve geduldig mit einem Stift abfahren. Können Sie \(a\) mit \(b\) durch einen Weg im Komplement \(\R^2 \setminus C\) verbinden? und \(a\) mit \(c\)? und \(b\) mit \(c\)? Wie können Sie das effizient feststellen bzw. Ihre Antwort leicht nachprüfbar zertifizieren? Können Sie \(a,b,c\) verbinden, nachdem Sie irgendein kleines Wandstück entfernen?

[Labyrinth]

Der Satz von Jordan besagt: Jede Jordan-Kurve \(C \subset \R^2\) zerlegt die Ebene in genau zwei Gebiete: \(\R^2 \setminus C = A \sqcup B\) mit \(A,B\) offen und zusammenhängend, \(A\) unbeschränkt und \(B\) beschränkt. Zudem ist jeder Punkt von \(C\) zugleich Randpunkt von \(A\) und Randpunkt von \(B\). Dies wird augenfällig, wenn wir beide Gebiete einfärben: Fahren Sie mit dem Mauszeiger über die Abbildung! Genauer: Nach Wahl einer beliebigen Parametrisierung \(f \colon \S^1 \isoto C\) erhalten wir die Bijektion \(\pi_0(\R^2 \setminus C) = \{A,B\} \isoto \{0,1\}\) durch die Umlaufzahl \(x \mapsto \deg(f - x) \bmod 2\). Jeder innere Punkt \(b \in B\) (gelb) wird von \(f\) genau einmal umlaufen, jeder äußere Punkt \(a \in A\) wird nicht umlaufen. Dieser Algorithmus löst die obigen Fragen! Es ist ein erstes schönes Beispiel zur Poincaré-Dualität.

Wem die Topologie allzu abstrakt erscheint, den möge John von Neumann trösten:

If people do not believe that mathematics is simple,
it is only because they do not realize how complicated life is.

John von Neumann (1903–1957)

Zur Illustration zitiere ich eine seltene topologische Zwangshandlung:

Heinz (29 Jahre alt): Ich ziehe so eine Art unsichtbare Linie hinter mir her, und ich habe den Zwang, diese Linie gerade hinter mir herlaufen zu lassen. Die darf nicht verwurstelt sein. Zum Beispiel kann ich kein Karussell fahren, weil ich mich nicht zurückdrehen kann. (...) Und dann habe ich einmal probiert, um eine Litfaßsäule herumzugehen – und schon hatte ich den Salat. Die Linie war verwickelt. Also musste ich zurückgehen. (...) Wenn ich zum Beispiel zur Arbeit fahre, morgens, dann versuche ich abends exakt denselben Weg zurückzufahren, um die Linie wieder aufzusammeln.
Aus Jürgen Domian, Extreme Leben (1996)

Ob diese Zwangsvorstellung durch den Besuch einer Topologie-Vorlesung oder das Selbststudium der Fundamentalgruppe ausgelöst wurde, ist nicht bekannt.