Mal verlierst du,
mal gewinnen die anderen.
Otto Rehhagel (1938–)
Spieltheorie und
ökonomisches Verhalten
Vorlesung im WiSe 2019/20.
Dozent: Michael Eisermann.
Assistentin: Friederike Stoll.
Auf dieser Seite finden Sie:
- Aktuelle Ankündigungen und Stundenplan
- Organisation der Übungen zur Vorlesung
- Fromme Worte zu Lernzielen und Literatur
- Meine Vorlesungsfolien zur Spieltheorie
- Vorlesungstermine mit Inhaltsangabe
Rückmeldungen? Ich freue mich über Ihre Kommentare und Anregungen! Bitte lassen Sie mich wissen, wie Ihnen die Veranstaltung gefällt, wie Sie mit dem Stoff zurecht kommen, und was sich verbessern lässt. Es ist Ihr Studium! > Umfrage der Fachgruppe (pdf) > Evaluation der Vorlesung (pdf) > Evaluation der Übungen (pdf)
The final test of a theory is its capacity
to solve the problems which originated it.
George Bernard Dantzig (1914–2005),
Linear Programming and Extensions, RAND 1963
Aktuelles
Everyone's a winner, baby, that's no lie.
Hot Chocolate, Every 1's a Winner (1978)
Das Semester ist beendet, die Messe ist gelesen, gehet hin in Frieden. Möge die Mathematik mit Euch sein! Diese Seite wird nicht mehr regelmäßig aktualisiert; sie wird aber noch längere Zeit zugänglich bleiben, um als Archiv zu dienen. Zur Übersicht: aktuelle und vergangene Lehrveranstaltungen
Diese Vorlesung hat dem Team und den meisten Teilnehmern viel Freude bereitet. Sie wurde zudem ausgezeichnet mit dem Vorlesungspreis 2019/20 der Fachschaft Mathematik.
Ewige Bestenliste des Casino Royal 2019/20:
Name / Pseudonym | gewonnene €i$to |
Matthias | 15300 |
dtc103 | 11400 |
Heiko Mögerle | 9500 |
TheCakeIsALie | 9400 |
SMK | 5500 |
The traditional mathematics professor
of the popular legend is absentminded. (...)
He writes a, he says b, he means c; but it should be d.
George Pólya (1887–1985), How to solve it (1945)
Stundenplan
Doch vorerst dieses halbe Jahr
Nehmt ja der besten Ordnung wahr.
Fünf Stunden habt Ihr jeden Tag;
Seid drinnen mit dem Glockenschlag!
Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832),
Faust
Auf mehrheitlichen Wunsch der Studierenden verschieben wir den Vorlesungstermin von Donnerstag 3. Block ab sofort auf Donnerstag 5. Block in Raum 8.339.
geänderter Termin! | ||
Vorlesung (Michael Eisermann) | Do 15:45 - 17:15 | Raum V57-8.339 |
Vorlesung (Michael Eisermann) | Fr 11:30 - 13:00 | Raum V57-8.333 |
Übung (Friederike Stoll) | Do 9:45 - 11:15 | Raum V57-8.333 |
Casino Royal (optional) | Fr 14:00 - 15:30 | Raum V57-8.333 |
Say what you know,
do what you must,
come what may.
Sofia Kovalevskaya (1850–1891)
Rückblick: Was bisher geschah
Verstehen kann man das Leben nur rückwärts;
leben muss man es aber vorwärts.
Søren Kierkegaard (1813–1855)
Erwartungen der Studierenden zu Beginn der Vorlesung und in der zweiten Woche:
Die Vorlesung begann mit einer spielerischen Einführung am Donnerstag 17.10.2019 9:45 (sic! eigentlich Übungstermin). Ich habe in der ersten Woche alle vier Termine genutzt und vorsorglich zwei Vorlesungen vorgeholt, die später im Semester ausfielen. Das gab uns genug Zeit für erste Spiele und Erklärungen (Kapitel A) und die Grundlagen zu kombinatorischen Spielen (Kapitel B). Darauf baute bereits das erste Übungsblatt.
Die erste Übung begann in der zweiten Woche, Donnerstag 24.10.2019 9:45 (fortan als regulärer Übungstermin). Großes Lob für die engagierten Teilnehmer! Bitte bereiten Sie sich weiterhin so gut vor, arbeiten Sie die Vorlesung nach, wenden Sie die neuen Werkzeuge gleich selbst an, kommen Sie mit Ihren Antworten und Ihren Fragen!
Das erste eigenständige Casino Royal fand in der zweiten Woche statt, am Freitag, den 25.10.2019 14:00, siehe Terminkalender. Das Vertrauensspiel "Hin-und-Rück" liefert experimentell erstaunliche Ergebnisse, und konvergiert langsam gegen die theoretische Vorhersage. Neuzugang: Wir hatten das Piratenspiel bereits in der Vorlesung theoretisch gelöst, aber im Casino kam praktisch alles anders... Das Experiment überrascht und begeistert! Jetzt bereits legendär...
Woche für Woche versammelte sich immer freitags ab 14 Uhr eine treue Anhängerschar zur praktischen Spieltheorie im Casino Royal. Wir haben viel gelernt, manchmal wurde die Theorie bestätigt, manchmal auch arg in Zweifel gezogen.
Das große Finale des Winnersemesters 2019/20 war unsere Abschiedsvorstellung am Freitag, den 07.02.2020: Semesterschlussverkauf. Wir versteigern wertvolle Dinge. Alles muss raus!
Genie oder Wahnsinn: Ist das Casino Royal allzu kindisch?
Die Zeit nennt 5 Gründe warum Ihre Kinder mehr spielen sollten: 1. Motorik fördern, 2. Gedächtnis schulen, 3. Stressreduzierung, 4. soziale Kompetenz, 5. Glückshormone. Wenn es für Kinder gut ist, dann kann es für Studierende (und Dozenten) auch nicht schlecht sein. Wir haben jedenfalls im Experiment viel gelernt: Theorie und Praxis klaffen manchmal auseinander. Zudem hat es großen Spaß gemacht: Das Gedächtnis wird trainiert, die soziale Kompetenz gefördert, der Stress der Woche abgebaut, wir haben viel gelacht und den Glückshormonen freien Lauf gelassen. Vielen Dank an alle engagierten und spielfreudigen Teilnehmer!
Erwartungen der Studierenden zu Beginn des Casino Royal:
Radiointerview zum Brexit aus spieltheoretischer Sicht
Sind wir durch die Spieltheorie klüger geworden? Ja, definitiv. Können wir damit alle Probleme lösen? Sicher nicht. Immerhin können wir darüber reden! Als Lernziel wurde unter anderem erreicht: Der Dozent kann Grundzüge der Spieltheorie im Interview flüssig darstellen, zum Beispiel in SWR2 Aktuell vom 17.01.2019 mit Florian Rudolph, zum Brexit aus spieltheoretischer Sicht. Das Thema ist verzwickt und bleibt weiterhin aktuell.
Kuriositäten des Internets: Ich werde kopiert, also bin ich.
Eine weitere schöne Überraschung: Aus der Einleitung meines Skripts zur Vorlesung im Sommersemester 2018 konnte das Leibniz-Institut für interdisziplinäre Studien e.V. (LIFIS) bereits im Juli 2019 durch Copy & Paste ein wunderbar wohlklingendes Konferenzprogramm zusammenstellen. Freundlicherweise wurde ich sogar zu dieser Konferenz eingeladen. Ist das seriös? Nein. Ist er schmeichelhaft? Vielleicht. Urteilen Sie selbst: Snapshot vom 02.09.2019 und nach Abmahnung Snapshot vom 12.09.2019.
Was ist ein Spiel?
Das ganze Leben ist ein Spiel,
und wir sind nur die Kandidaten.
Hape Kerkeling (1964–)
Wir alle haben als Kinder gespielt, viele spielen auch als Erwachsene mit Begeisterung. Bei Ein-Personen-Spielen geht es meist um Geschick, manuell oder mental. Die SpielerIn versucht eine Aufgabe zu lösen und zwar möglichst effizient (Optimierungsproblem), oder unter mehreren Alternativen die beste Wahl zu treffen (Entscheidungsproblem).
Auch bei ökonomischem Handeln muss jede AkteurIn Probleme von folgendem Typ lösen: Was ist möglich? Was ist erstrebenswert? Wie wähle ich die beste Möglichkeit? Das führt sofort zu klassischen Fragen der Optimierung und ihren mathematischen Methoden.
Sobald zwei oder mehr Spieler interagieren, entsteht zudem eine besondere Situation: Das Ergebnis jedes einzelnen hängt nicht nur von seinen eigenen Aktionen ab, sondern auch von den Aktionen der anderen Spieler; ihre Ergebnisse sind gekoppelt. Hierdurch kann es zu Konflikten kommen, sowohl zu Konkurrenz als auch zu Kooperation. Damit stellt sich die Frage, wie ein Spieler sein Ergebnis verbessern kann, im Idealfall gar optimieren.
Die Optimierung wird dadurch wesentlich komplizierter und auch interessanter! Genau dies ist die Ausgangssituation der Spieltheorie. Oft ist es keineswegs offensichtlich, wie wir die Konflikte lösen können oder sollen. Ein sehr einfaches Spiel ist Schere, Stein, Papier (engl. Rock-paper-scissors). Die Simpsons bringen es wunderbar auf den Punkt:
Erstaunlich viel Statistik, Taktik und Psychologie spielen beim Elfmeter im Fußball eine Rolle, ebenso beim Endspiel der letzten 20 Sekunden im Basketball. Spieltheorie hilft.
Wie verzwickt selbst einfachste Entscheidungen sein können, zeigt das Gefangendilemma (engl. Prisoner's dilemma). Es ist das Paradebeispiel eines sozialen Dilemmas: In zahllosen Varianten begegnet es uns nahezu überall als Tragik der Allmende. Mit spieltheoretischen Modellen können wir die Struktur des Konflikts präzise beschreiben. Nicht immer können wir ein verfahrenes Problem in Wohlgefallen auflösen, doch immerhin naive Pseudolösungen erkennen und vermeiden, und manchmal auch nach besseren Mechanismen suchen.
Bemerkenswerterweise lassen sich die meisten Konfliktsituationen als ein Spiel beschreiben. Dies gelingt, da wir den Begriff ausreichend weit und allgemein fassen. In diesem Sinne ist ein Spiel ein Mehr-Personen-Entscheidungsproblem. Wir könnten etwas provokativ auch sagen: Das ganze Leben ist ein Spiel!
"He just kept talking about Life being a game and all. You know."
— "Life is a game, boy. Life is a game that one plays according to the rules."
— "Yes, sir. I know it is. I know it." Game, my ass. Some game. If you get on the side
where all the hot-shots are, then it's a game, all right — I'll admit that.
But if you get on the other side, where there aren't any hot-shots,
what's a game about it? Nothing. No game.
J.D.Salinger (1919–2010), The Catcher in the Rye (1951)
Warum spielt der Mensch?
Es ist eine bemerkenswerte Grunderfahrung: Der Mensch spielt gerne und häufig! Das unterscheidet ihn von vielen anderen Lebewesen. Homo ludens, der spielende Mensch: Im Spiel entdeckt und übt der Mensch seine Fähigkeiten, macht Erfahrungen und entwickelt seine Persönlichkeit, er erprobt Handlungsfreiheit und eigenes Denken, er erkennt und antizipiert die Konsequenzen seines Handelns.
Warum ist das so? Alles Leben ist Problemlösen, schrieb Karl Popper. Das Leben besteht zu einem großen Teil aus Konfliktsituationen. Daher ist es überaus sinnvoll, Probleme vorher durchzuspielen. Die Evolution hat uns hierzu Neugier und Spielfreude geschenkt.
Spielen und Evolution
Spiele und Evolution haben enge Verbindungen: In einer Population von Individuen (Lebewesen, Spielern, Akteuren) treffen diese immer wieder aufeinander und interagieren. Dabei gilt, wie oben erklärt: Das Ergebnis jedes einzelnen hängt nicht nur von seinen eigenen Aktionen ab, sondern auch von den Aktionen der anderen Spieler; ihre Ergebnisse sind gekoppelt. Die Evolution fügt nun Reproduktion und Selektion hinzu: Eine Strategie vermehrt sich umso stärker, je erfolgreicher sie ist relativ zur aktuell vorgefundenen Umwelt und Population. So entwickelt sich die Population ständig fort. (Mutation variiert bestehende Strategien und lässt so neue Strategien entstehen.)
Das Ergebnis einer solchen Evolution kann eine Art rationales Verhalten sein, selbst wenn die Individuen über wenig oder keine eigene Intelligenz verfügen. Diese fundamentale Idee wird wunderbar erklärt und illustriert auf der interaktiven Webseite von Nicky Case: The Evolution of Trust. Spielen Sie es einmal durch, die Zeit ist gut investiert!
Was ist und was soll die Spieltheorie?
Spiele beschreiben Konflikte, sowohl Konkurrenz als auch Kooperation:
- Mehrere Akteure interagieren (Individuen, Firmen, Staaten, KI).
- Jeder Akteur hat gewisse Handlungsoptionen (Züge, Strategien).
- Aus diesen Möglichkeiten wählt jeder Akteur aus (frei, unabhängig).
- Daraus entsteht für jeden ein Ergebnis (Nutzen, Auszahlung, etc).
- Jeder Spieler versucht, sein Ergebnis zu maximieren.
Die Spieltheorie untersucht allgemein solche strategischen Interaktionen. Soweit möglich stellt sie Methoden zur Analyse und zur Lösung bereit, in den bald 80 Jahren ihres Bestehens zunehmend realistisch und umfassend. Die möglichen Anwendungen sind vielfältig, von klassischen Spielen bis zu ökonomischem Verhalten, von Versteigerungen im Internet bis zu politischen Verhandlungen.
Dem Anwenden muss das Erkennen vorausgehen.
Max Planck (1858–1947)
Grundlegend ist der Begriff des Nash-Gleichgewichts (engl. Nash equilibrium). Für seine bahnbrechenden Arbeiten aus den 1950er Jahren bekam Nash 1994 den Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften. Dieser Preis wird seit 1969 vergeben, darunter immer wieder für Arbeiten in der Spieltheorie. Einen wunderschönen Überblick gibt John Milnor in seiner Ehrung A Nobel Prize for John Nash (zugänglich dank Uni-Stuttgart-Campuslizenz) und seiner Buchbesprechung John Nash and "A Beautiful Mind".
Ein typisches Ziel der Spieltheorie ist es, rationales Verhalten in (ökonomischen, sozialen, politischen) Konfliktsituationen zu beschreiben und zu erklären. In der empirischen Ökonomie wird umgekehrt das reale Verhalten beobachtet und mit der Theorie verglichen. Sehr häufig ist unser Verhalten gar nicht so rational, wie wir annehmen möchten! Die so gewonnenen empirischen Daten dienen dazu, die Theorie zu testen und zu kalibrieren.
In der Theorie gibt es keinen Unterschied
zwischen Theorie und Praxis.
In der Praxis schon.
Wer interessiert sich für Spieltheorie?
Die Spieltheorie liefert sehr flexible Modelle und erfolgreiche Analysemethoden, daher wird sie nahezu überall angewendet. Anregungen und Anwendungen finden sich unter anderem in folgenden Bereichen:
- Mathematik, Optimierung, Kybernetik, Logik
- Ökonomie, Management, Operations Research
- Politik, Diplomatie, Militärstrategien
- Philosophie, Psychologie, Pädagogik
- Biologie, Evolution, Medizin
- Informatik, Künstliche Intelligenz (AI), Machine Learning (ML)
Die Wechselwirkung zwischen Mathematik und Naturwissenschaften ist seit jeher extrem stark, die Wechselwirkung mit den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften dagegen vergleichsweise schwach; wichtigste Ausnahme sind statistische Methoden zur Erhebung und Auswertung von Daten, in jüngster Zeit unter dem Banner Data Science und Big Data. Als zweite mathematische Disziplin hat die Spieltheorie seit den 1950er Jahren die Sichtweisen und Denkmuster in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften nachhaltig geprägt. Sie gehört heute zum unverzichtbaren Standardwerkzeug der Mikroökonomie.
Förderung durch die RAND Corporation
Die Jahre nach dem zweiten Weltkrieg waren geprägt vom kalten Krieg. Die noch junge Spieltheorie wurde von einzelnen Forschern betrieben, meist an US-amerikanischen Universitäten. Die US Regierung gründete 1948 die RAND Corporation in Santa Monica als think tank zur strategischen Forschung. Für viele Jahre war RAND das Zentrum der Spieltheorie, bündelte und finanzierte die Bemühungen zur Lösung milärischer Probleme durch spieltheoretische Methoden. (Zwei-Personen Nullsummenspiele sind gerade hierzu ein geeignetes Modell, während sie in sozialen und ökonomischen Interaktionen meist zu restriktiv sind.) Die RAND Corporation entwickelte über die Jahrzehnte eine überaus erfolgreiche Forschungstätigkeit zu zahlreichen interdisziplinären Fragestellungen, meist mit quantitativen, mathematischen Methoden. Über 30 Nobelpreisträger waren im Laufe ihrer Karriere mit der RAND-Corporation verbunden, darunter auch John Nash.
Inhalt dieser Vorlesung
To be literate in the modern age you need to have
a general understanding of game theory.
Paul Samuelson (1915–2009)
Diese Vorlesung präsentiert grundlegende Beispiele und Modelle, Begriffe und Techniken der Spieltheorie: statische und dynamische Spiele, Normalform und extensive Form, vollständige und unvollständige Information, Rationalität, Nash-Gleichgewichte und verfeinerte Lösungskonzepte, Lösungsmethoden, Anwendungen der Mikroökonomie, kollektive Entscheidungen, Verhandlungstheorie, Auktionstheorie. Wir werden dabei zahlreiche konkrete (Bei)Spiele analysieren, einige zur Erprobung auch (online/live) gegeneinander spielen, und das dabei beobachtete ir/rationale Verhalten untersuchen.
Blödem Volke unverständlich //
treiben wir des Lebens Spiel.
Gerade das, was unabwendlich //
fruchtet unserm Spott als Ziel.
Magst es Kinder-Rache nennen //
an des Daseins tiefem Ernst;
wirst das Leben besser kennen, //
wenn du uns verstehen lernst.
Christian Morgenstern (1871–1914), Galgenberg
Voraussetzungen
Die Voraussetzungen sind kurz gesagt Neugier und Fleiß:
Jede ernsthafte Beschäftigung mit Mathematik erfordert zunächst Interesse, Neugier und Offenheit für Probleme und sodann Kreativität, Sorgfalt und Hartnäckigkeit bei deren Lösung. Das gilt auch und besonders für die Spieltheorie! Sie benötigen hierzu:
- Mathematische Reife sowie Begeisterung für Anwendungen und Abstraktion
- Die Kenntnisse und Fertigkeiten des (gesamten) Grundstudiums Mathematik
Die Spieltheorie mobilisiert und nutzt nahezu alle mathematischen Teildisziplinen, sie verläuft quer zu den üblichen traditionell-willkürlichen Grenzziehungen, oft führt eine konkrete Problemstellung zu einer abstrakt-mathematischen Struktur und umgekehrt allgemeine Lösungemethoden zu konkreten Anwendungen. Diese Vorlesung bietet und fordert daher eine große Spannweite von Abstraktion und Formalisierung zur Lösung konkreter Fragen und Anwendungen. Technisch benötigen wir unbedingt die solide Basis des Grundstudiums:
- Die Grundlagen der Analysis und Linearen Algebra (angefangen bei mathematischen Grundstrukturen, Mengen-Relationen-Abbildungen, Logik und Beweisen, ...). Ihre krönende Zusammenführung zur Funktionalanalysis ist hier nicht erforderlich.
- Elementare Wahrscheinlichkeitsrechnung (Wahrscheinlichkeitsräume, bedingte Wkt, Bayes, Zufallsvariablen, Erwartung, ...). Nicht gefordert doch hilfreich-inspirierend sind einfache stochastische Prozesse wie zufällige Irrfahrten auf \(\Z^n\).
- Elementare Geometrie und Topologie (Konvexität, Kompaktheit, ich zitiere auch Brouwers Fixpunktsatz, ...). Nicht gefordert doch hilfreich-inspirierend sind einfache zeitkontinuierliche dynamische Systeme wie Differentialgleichungen.
Kurzum: Diese Vorlesung zur Spieltheorie ist oft eher problemorientiert und nicht stur methodenzentriert. Wir nutzen alle mathematischen Methoden, die zur Problemlösung dienlich sind. Alles ist wunderschöne Mathematik und zudem in realen Anwendungen! Manche lieben es, andere hassen es. Sie sollten es jedenfalls im Voraus wissen. Ich halte es für die realistische Herangehensweise, daher will ich ehrlich darauf hinweisen.
Es gibt nichts Gutes,
außer man tut es.
Erich Kästner (1899–1974)
Was bedeutet problemorientiert vs methodenzentriert?
Die Spieltheorie arbeitet häufig problemorientiert und nicht stur methodenzentriert. Natürlich gibt es auch hier die bewährte mathematische Organisationsform: Beispiele und Definitionen, Sätze und Beweise, Algorithmen und Anwendungen. Doch oft genug stehen konkrete Anwendungsfragen im Mittelpunkt. Der Übergang beider Sichtweisen ist fließend, die beiden Extreme können Sie sich leicht vorstellen:
Methodenzentriert bedeutet, Sie lernen die Methode A und rechnen ein Dutzend Aufgaben zu genau dieser Methode A, dann lernen Sie die nächste Methode B und rechnen ein Dutzend Aufgaben zu Methode B, usw. Gut ausgewogen und getaktet ist diese Lehr-und-Lern-Methode sehr erfolgreich, so lernen Sie zum Beispiel in den ersten Semestern Ihres Mathematikstudiums ganz wunderbar lineare Gleichungssysteme zu lösen, Eigenvektoren zu bestimmen, reelle Funktionen zu differenzieren und zu integrieren. Übung macht die MeisterIn!
Problemorientiert hingegen bedeutet, Sie untersuchen das Problem X und probieren ein Dutzend Methoden zur Lösung dieses konkreten Problems X, dann untersuchen Sie das nächste Problem Y und probieren ein Dutzend Methoden zur Lösung von Y, usw. Das ist die realistische Herangehensweise, so wie sich Probleme im Leben nun mal stellen. Genau darauf bereiten Sie sich in den ersten Semestern Ihres Studiums vor, indem Sie sich einen möglichst vielfältigen Werkzeugkasten mathematischer Methoden aneignen!
Beide Arbeitsweisen ergänzen sich in der offensichtlichen Weise: Lösungsmethoden müssen trainiert werden, ausgiebig und fokussiert, doch dabei sollte es nicht bleiben. Erstaunlich viele verschiedene Anwendungsprobleme können mit erstaunlich vielen mathematischen Methoden bearbeitet und gelöst werden. Selbstverständlich müssen Sie die hierzu nötigen Grundlagen erst einmal erwerben. Das passende Werkzeug zu (er)kennen und in Angriff zu bringen, ist nicht einfach, auch das sollten Sie üben und dürfen dann stolz und glücklich darüber sein.
Da Sie die Spieltheorie (vermutlich) ab Ihrem 5. Studiensemester hören, halte ich hier den sanften Übergang und die gegenseitige Ergänzung beider Arbeitsweisen für gut positioniert.
Kann ich die Spieltheorie schon im vierten Semester hören?
Ich antworte mit einem klaren: Warum nicht? Probieren und studieren passen gut zusammen. Da wir die Spieltheorie nur einmal etwa alle zwei Jahre anbieten können, ist sie sicher einen Versuch wert. Schauen Sie einfach mal rein und entscheiden Sie dann!
Das Schöne an der Spieltheorie ist: Sie nutzt nahezu alle mathematischen Methoden, je nachdem was gerade am besten passt. Es ist ein wunderbarer Ritt durch den Gemüsegarten. Dieser erste Durchgang ist naturgemäß nicht sehr tief, aber bereits recht breit angelegt. Den meisten Teilnehmern fehlt daher erfahrungsgemäß noch das eine oder das andere Werkzeug, doch genau diese problemorientierte Herangehensweise (s.o.) kann auch sehr motivierend sein, es in diesem Kontext frisch anzupacken. Das wird sicher auch Ihnen im 4. Semester so gehen. Die Frage ist also vor allem, ob Sie Freude am Thema haben und bereit sind, sich einzuarbeiten. Das gilt eigentlich für jede fortgeschrittene Veranstaltung, und speziell hier in der Spieltheorie als bunter Strauß schöner Methoden und Anwendungen.
Warum benötigen wir so vielfältige Grundlagen?
Wenn Sie sich diese Frage mit Widerwillen stellen, dann halte ich das für unglücklich verdreht. Freuen Sie sich lieber, dass Sie hier so viele wunderbare Methoden in Aktion sehen und sogar selbst anwenden können. Sie sollten die Vielfalt der Mathematik freudig begrüßen und nicht davor zurückscheuen oder gar weglaufen. Das meiste davon ist ja auch nicht schwer, sondern wunderschön und harmonisch verwoben. Wenn Ihnen dazu noch mathematische Grundlagen fehlen, dann ist jetzt die beste Gelegenheit, diese endlich zu erlernen! Damit Sie wissen, worauf Sie sich hier einlassen, versuche ich die obige Skizze der benutzten mathematischen Methoden.
Bitte sehen Sie daher die Aufzählung der verwendeten Methoden nicht als Beschwernis oder Schikane, sondern als Erfüllung und Auszeichnung: Sie studieren Mathematik, hier können Sie aus dem Vollen schöpfen! Wir nutzen glücklich und dankbar alle mathematischen Begriffe und Techniken, wo sie uns begegnen, zum Beispiel: algebraische Strukturen wie Gruppen und Vektorräume, lineare Abbildungen und Gleichungssysteme, quadratische Formen und Quadriken, Stetigkeit und Kompaktheit, metrische Vollständigkeit und Banachs Fixpunktsatz, etc. Hier zahlen sich all Ihre vorigen Investitionen aus. Es wäre schade, nicht von diesen mathematischen Grundlagen zu profitieren.
Ein Beispiel aus der Wahrscheinlichkeits- und Maßtheorie: Wahrscheinlichkeiten sind endlich sehr anschaulich (Summen, Kombinatorik), diskret kommen Reihen hinzu (absolute Konvergenz, Umordnung), kontinuierlich dann Integrale (absolute Integrierbarkeit, Fubini). Das ist ehrliches Handwerk und hat bekanntlich goldenen Boden, daher ist es allen Mathematikstudierenden aus dem Grundstudium vertraut. Bedingte Wahrscheinlichkeiten sind diskret auch nicht schwer, aber kontinuierlich schon etwas knifflig: Begriff und Technik der "Disintegration" klingen erstmal hochgegriffen, sind aber genau das richtige Werkzeug.
Wir nutzen schöne Mathematik wo immer sie uns begegnet.
Handwerk hat goldenen Boden.
Deutsches Sprichwort
Was bedeutet "mathematische Reife"?
Wer sich unter "mathematischer Reife" noch nichts vorstellen kann, dem fehlt sie vermutlich, daher will ich diese sibyllinische Weissagung etwas ausführlicher auslegen. Wie jedes ernsthaft wissenschaftliche Thema erfordert auch die Spieltheorie die Ihnen aus dem Studium vertrauten mathematischen Grundtugenden: Sorgfalt und Ehrlichkeit.
Was zeichnet mathematische Arbeit aus? Ehrlich sein zu sich selbst und zu allen anderen, präzise formulieren, sorgfältig argumentieren, nachvollziehbar, nach logischen Regeln, alle Fälle berücksichtigen, nichts verschweigen. Sorgfalt und Ehrlichkeit sind mühsam, viele mögen das nicht, manche spotten gar darüber, doch beides ist bitter nötig, und die Mühe lohnt sich!
Diese Vorlesung erfordert (und fördert, so hoffe ich) Ihre mathematische Reife sowie Ihr Verständnis und Ihre Begeisterung für Anwendungen und Abstraktion. Wer nichts weiß, muss alles glauben; wer mehr weiß, kann kritisch mitreden und eigenständig urteilen.
Wo liegen die technisch-mathematischen Schwierigkeiten?
Die technischen Herausforderungen der Spieltheorie entstehen in drei Bereichen:
- Präzise Modellbildung: Wie gelangen wir von einer zunächst außermathematischen, manchmal recht vagen Fragestellung zu einem mathematisch präzisen Modell?
- Sorgfältige Analyse: Wie lösen wir die vorliegende Fragestellung im gewählten Modell, also in der zuvor erarbeiteten mathematischen Formulierung?
- Kritische Anwendung: Wie interpretieren / kalibrieren / überprüfen wir unsere theoretischen Ergebnisse in der Wirklichkeit?
Je nach Anwendung und Anspruch kann jeder dieser drei Bereiche leicht oder beliebig schwer ausfallen. In dieser Einführung werden wir einigen schwierigen Themen begegnen, doch teilweise ausweichen (müssen), das heißt, wir verschieben mögliche Vertiefungen zugunsten eines breiteren Überblicks.
Grade an diesen Abzweigungen finden manche TeilnehmerInnen besonderen Gefallen und wollen tiefer graben, das ist ein schöner Kollateralnutzen. Solcherart Vertiefungen haben in den letzten Jahren auch öfters in Promotionsprüfungen als Ergänzungsthema viel Freude bereitet. Sie sehen daran: Die Spannbreite und Vertiefungsmöglichkeiten sind erstaunlich groß.
Brauchen wir Lineare Optimierung / Lineare Programmierung?
Die Lineare Optimierung dient uns in der Spieltheorie zur Berechnung optimal gemischter Strategien. Sie ist darüber hinaus ein eigenständiges Gebiet und verbindet Algorithmik, Numerik und Geometrie. Ich werde in dieser Vorlesung darauf verweisen, aber nicht länger darauf eingehen (können). Es wäre allerdings zu schade, diese schöne Verbindung zur Optimierung nicht zu nutzen! Daher kann ich nicht widerstehen, wenigstens das Grundprinzip zu erklären und einige Beispiele zu rechnen: Un/Gleichungssysteme, Zeilenoperationen à la Gauß-Algorithmus, voilà das Simplex-Verfahren. Wer hierzu Kenntnisse aus Optimierungsvorlesungen hat, darf stolz darauf sein und sich freuen; wer nicht, darf diese Querverbindung als Motivation und Ausblick auf die Optimierung nutzen.
We are all familiar with methods for solving linear equation systems [...]
On the other hand, the study of linear inequality systems excited virtually no interest
until the advent of game theory in 1944 and linear programming in 1947.
George Bernard Dantzig (1914–2005),
Linear Programming and Extensions, RAND 1963
Lernziele
Die Studierenden beherrschen die grundlegenden Begriffe und Techniken der Spieltheorie. Sie besitzen die mathematischen Grundlagen für das Verständnis spieltheoretischer Modelle in den angrenzenden Wissenschaften und können sich mit Spezialisten darüber verständigen. Sie sind in der Lage, die behandelten Methoden selbstständig, sicher, kritisch, korrekt und kreativ anzuwenden, ähnlich strukturierte Probleme zu erkennen, mathematisch zu modellieren und rechnerisch zu lösen.
Es gibt drei Möglichkeiten, klug zu handeln:
1. Durch Nachahmen — Das ist die leichteste.
2. Durch Nachdenken — Das ist die edelste.
3. Durch Erfahrung — Das ist die bitterste.
Konfuzius (551–497 v.Chr.)
Bei allem Spielspaß erfordert diese Zielsetzung auch Fleiß und Disziplin.
- Selbstständig: Es geht nicht nur um Auswendiglernen,
sondern um Verstehen und unabhängige Urteilsfähigkeit. - Sicher: Es geht nicht nur um Intuition oder Spekulieren,
sondern um nachvollziehbare Argumente und Rechnungen. - Kritisch: Es geht nicht nur um Glauben oder (Auto)Suggestion,
sondern um (selbst)kritische Fragen und sorgfältige Antworten. - Korrekt: Sie beherrschen Definitionen, Sätze, Methoden, Proben.
Gegenbeispiele zeigen Fehlerquellen, die es zu vermeiden gilt. - Kreativ: Es geht nicht nur um fertige Rezepte,
sondern um eigenständige Anwendung.
Zusatzangebot: Casino Royal freitags ab 14Uhr
Als Zusatzangebot bieten wir dieses Jahr zur Spieltheorie neben Vorlesung und Übung auch optional das Casino Royal. Die messerscharfe Überlegung dahinter ist folgende. Als wir die Veranstaltung zur Spieltheorie zum ersten Mal durchführten, stellte sich bald heraus, dass Teilnehmer recht unterschiedliche Ziele verfolgen:
- Einige kommen vor allem für den Spielspaß.
- Manche kommen für die schöne Mathematik.
- Andere kommen für die perfekte Mischung.
Die Teilnehmer hatten sehr verschiedene Präferenzen, aber wir nur ein gemeinsames Angebot: One size fits all. Diese Situation war nicht ideal. Soweit unsere Marktforschung. Wir haben viel Zeit und Mühe investiert, wir haben nicht geruht und unser Premiumprodukt noch weiterentwickelt. Der Kampf um die beste Vorlesung ist hart. Die Konkurrenz schläft nicht.
Wir bieten Ihnen daher die Spieltheorie weiterhin in gewohnter Qualität auf dem Silbertablett, aber nun zusätzlich in zwei Geschmacksrichtungen:
- Als knallharte, mathematische Spieltheorie. Dazu gehören jede Woche zwei Vorlesungen und eine Übung sowie abschließend die Klausur. Ihre ehrlich verdienten 9 Leistungspunkte für die Spieltheorie gibt es hier und nur hier.
- Als spaßorientierte, angewandte Spieltheorie. Auch hier können Sie viel gewinnen: Erfahrung und Erleuchtung, vielleicht Süssigkeiten, manchmal echtes (Spiel)Geld und auch Scheine. Aber erwarten sie nicht auch noch Leistungspunkte!
Die beiden Teile ergänzen sich, sind aber unabhängig. Choose wisely! Die experimentelle Spieltheorie illustriert und motiviert durch zahlreiche konkrete Beispiele und manche überraschende empirische Erkenntnis; idealerweise wollen Sie dann auch die Theorie dahinter verstehen. Im mathematischen Teil erlernen Sie präzise Modelle und nutzen vielfältige Methoden, selbstständig, sicher, kritisch, korrekt und kreativ; idealerweise wollen Sie diese Erkenntnisse dann auch testen und anwenden.
Die Klausur behandelt alle Themen und Techniken aus Vorlesung und Übung, der experimentelle Spielspaß wird dort natürlich nicht abgefragt.
Übungen
Die Spieltheorie soll für Sie nicht bloß Theorie bleiben, Sie sollen sie selbst erfahren und dadurch verstehen. Um sich damit vertraut zu machen, sollen Sie regelmäßig selbst spielen, genauer: spieltheoretische Fragen mathematisch modellieren und lösen.
Wir sind dieses Semester glücklich (und auch ein wenig stolz), Ihnen zu dieser Vorlesung Übungen anbieten zu können. Das ist angesichts knapper Ressourcen leider keineswegs selbstverständlich. Wenn Sie sich ernsthaft darauf einlassen, werden Sie viel Freude daran haben und so manches Aha-Erlebnis. Möge es nützen!
Erkläre es mir, und ich werde es vergessen.
Zeige es mir, und ich werde mich erinnern.
Lass es mich tun, und ich werde es verstehen.
Konfuzius (551–497 v.Chr.)
Übungsblätter
Die Übungsblätter werden hier wöchentlich zur Verfügung gestellt. Die Vorlesung erklärt Ihnen wie es geht, anschließend können Sie diese Techniken anwenden und einüben und die behandelten Themen mit weiterem Übungsmaterial vertiefen.
Scheinbedingungen
Für die Zulassung zur Klausur (aka Erwerb des Übungsscheins) erwarten wir regelmäßige aktive Teilnahme an den wöchentlichen Übungsgruppen (Votieren und Vorrechnen). Genaueres wird zu Beginn des Semesters in der Vorlesung und der Übung bekanntgegeben.
Arbeitsaufwand
Dieser Kurs wird mit 9 Leistungspunkten (also 270 Arbeitsstunden) veranschlagt:
- ca 90 Stunden Präsenz (6 Stunden wöchentlich, bestehend aus 4 Stunden Vorlesung und 2 Stunden Übung, bei etwa 15 Wochen Vorlesungszeit)
- ca 120 Stunden eigene Arbeit während der Vorlesungszeit (etwa 8 Stunden wöchentlich zur Vor- und Nachbereitung und für Hausaufgaben)
- ca 60 Stunden Prüfungsvorbereitung nach der Vorlesungszeit (etwa zwei Wochen)
Die Bemessung der nötigen eigenen Arbeitszeit beruht auf jahrzehntelanger Erfahrung. Individuelle Werte können und werden davon abweichen, nichtsdestotrotz sollen beide Seiten – Lehrende und Lernende – sich ehrlicherweise an dieser Bemessung orientieren. Sie spiegelt eine Grunderfahrung wieder, die sich alle zu Herzen nehmen müssen:
Mathematik lernen Sie nicht allein durch Zuschauen,
sondern durch eigene Arbeit und regelmäßige Übung.
Klavierspielen lernen Sie ja auch nicht
allein durch den Besuch von Konzerten!
Das Verhältnis 1:2 ist dabei durchaus realistisch: Jede Präsenzstunde erfordert zusätzlich zwei Stunden eigene Arbeit. Das ist keine Übertreibung sondern regelmäßige Erfahrung. Wenn Sie glauben, dass dies auf Sie nicht zutrifft, dann sind Sie entweder ein Genie, oder (was wahrscheinlicher ist) ein Opfer des berüchtigten Dunning-Kruger-Effekts.
Eisermanns Gesetz des quadratischen Lernens
Wer nur einen Teil der nötigen Zeit investiert, wird auch nur einen Teil des Inhalts verstehen. So weit, so klar. Der Effekt ist jedoch nicht-linear und deshalb dramatisch spürbar. Lernen und Verstehen beruhen nicht nur auf der Ansammlung einzelner Wissensschnipsel (linear), sondern auf deren Verbindung, auf Analogien, auf Vernetzung (mindestens quadratisch).
In guter Näherung gilt Eisermanns Gesetz des quadratischen Lernens: Wenn Sie nur die Hälfte der Zeit investieren, werden Sie nur ein Viertel verstehen, da Ihnen viele Querverbindungen entgehen. Wenn Sie nur 10% der Zeit investieren, werden Sie nur 1% verstehen, also so gut wie nichts, da alles flüchtig und oberflächlich bleibt. Positiv gesehen: Wenn Sie nur 40% mehr investieren, werden Sie doppelt so viel verstehen. Einige Studierende nutzen das mit Erfolg und Begeisterung. Es wirkt!
Bei einer Vorlesung wie dieser über 15 Wochen und somit 30 Terminen kommt ein weiterer, ähnlicher Effekt hinzu: Die Themen sind nicht zusammenhangslos und unabhängig, sondern bauen aufeinander auf! Wir benötigen in Woche n die Vorarbeiten der Wochen 1 bis n-1. Es ist bewiesenermaßen ineffizient, das Lernen auf später aufzuschieben. Sehr effizient hingegen ist, dem Flow der Veranstaltung und der Lerngruppe zu folgen und das gemeinsame Arbeiten zu nutzen.
Gehen Sie also den ganzen Weg und planen Sie die volle wöchentliche Arbeitszeit fest ein, bereits während des Semesters parallel zur Vorlesung, um kontinuierlich mitzuarbeiten. Nur bei intensiver Vor- und Nachbereitung und regelmäßiger aktiver Mitarbeit werden Ihnen Vorlesung und Übung wirklich etwas nützen. Anders wird es nicht gehen.
Literatur
Eine ausführliche und kommentierte Literaturliste finden Sie in den Vorlesungsunterlagen am Ende des ersten Kapitels. Die Lehrbuchliteratur zur Spieltheorie wächst rapide und ist inzwischen sehr umfangreich. Die grundlegenden Themen sind weitgehend kanonisch, die Darstellung variiert jedoch abhängig von der Zielgruppe und dem Grad der mathematischen Formalisierung, von verbos-verspielt zu wortkarg-formal.
Am besten Sie schmökern ein wenig und suchen sich das für Sie passende heraus.
- Fudenberg, Tirole: Game Theory. MIT Press 1991
- Osborne, Rubinstein: A Course in Game Theory. MIT Press 1994 (frei erhältlich)
- Luce, Raiffa: Games and Decisions. Dover Publications, Reprint 2012
- Myerson: Game Theory, Analysis of Conflict. Harvard University Press 1997
- Gibbons: A Primer in Game Theory. Prentice Hall 1992
Unsere Universitäts-Bibliothek bietet einige (deutschsprachige) Lehrbücher auch online:
- Winter: Grundzüge der Spieltheorie. Springer 2015
- Holler, Illing: Einführung in die Spieltheorie. Springer 2006
- Berninghaus, Ehrhart, Güth: Strategische Spiele. Springer 2010
- Mehlmann: Strategische Spiele für Einsteiger. Vieweg 2007
Für Freude am Lesen und an schönen Illustrationen:
- Binmore: Fun and Games. Heath & Co 1992
Der Klassiker von John von Neumann und Oskar Morgenstern begründete die moderne Spieltheorie. Dieses Lehrbuch wird bis heute verehrt und zitiert, aber selten gelesen. Es ist immer noch interessant, aber nicht leicht zu lesen und daher nicht zum Einstieg empfohlen.
- von Neumann, Morgenstern: Theory of Games and Economic Behavior. Princeton University Press 1944 (online verfügbar), 60th anniversary edition 2004
Die kombinatorische Spieltheorie ist ein riesiges Gebiet, das in dieser Vorlesung nur gestreift aber nicht ernsthaft behandelt wird. Wer in diese Richtung abbiegen möchte, findet sein Glück in folgendem epischen Klassiker:
- Berlekamp, Conway, Guy: Winning Ways for Your Mathematical Plays. A K Peters 2001-2004, Gewinnen: Strategien für mathematische Spiele. Vieweg 1985-1986
- Conway: On Numbers and Games. A K Peters 2000
Wenn Sie gerne Biographien lesen und zudem mathematisch interessiert sind, dann wird Ihnen die folgende Lektüre gefallen (und vielleicht auch die oskarprämierte Verfilmung):
- Nasar: A Beautiful Mind. Faber&Faber 1998
Chuck Norris liest keine Bücher:
Er starrt sie so lange an, bis sie ihm
freiwillig sagen, was er wissen will.
Lustiges und lehrreiches
Vielleicht vergeuden Sie gerne etwas Zeit im Internet. (Seien wir ehrlich: Wir alle tun es, und auch Sie sind ja gerade dabei.) Dann möchten Sie vielleicht Ihre Zeitvergeudung optimieren und in lustige und lehrreiche Spiele investieren:
- The Evolution of Trust. Evolutionäre Spieltheorie, wunderbar illustriert!
- Die Tragik des Gemeinguts als unterhaltsam-denkwürdiges Science-Video
- Das Braess Paradox als Lego-Animation: Wie cool ist das? Sehr cool!
- Shubik: The Dollar Auction Game. Wie verrückt ist das? Ziemlich verrückt!
- Computer-gestützte Lösung des Strandkiosk-Problems
Termine und Themen
Quidquid agis, prudenter agas et respice finem!
— Was immer du tust, handele klug und bedenke das Ende!
Vorlesungsbeginn am 17. Oktober 2019 | |
V01 Do 17.Okt | Organisatorisches zum Ablauf der Veranstaltung. §A1 Einführung und Überblick, das Spiel Hin-und-Rück. §A2 Stufen der Rationalität, Kuchen teilen, Erbe teilen. |
V02 Do 17.Okt | Piratenspiel: Rekursion aka Rückwärtsinduktion, Strandkiosk: rekursive Optimierung, ir/rational verhandeln und bluffen. §A3 Die Rolle der Mathematik. |
V03 Fr 18.Okt | §B1 Dynamische Spiele, Graphen als tragende Grundstruktur, Auszahlung und Rückwärtsinduktion, Bellman-Gleichung. §B2 Einzeiliges Nim: Selbstversuch. |
V04 Fr 18.Okt | Rekursion, Memoisation, Bottom-up. Das Nim-Spiel und Boutons geniale effiziente Lösung. Summe von Spielen und Sprague-Grundy-Satz. §B3 Anwendungsbeispiele. |
V05 Do 24.Okt | Das Spiel Chomp!, Strategieklau. §C1 Irrfahrt und Gewinnerwartung, Belohnungen und erwartete Reisezeit, Exit-Option und nicht/lineare Gleichungssysteme. |
V06 Fr 25.Okt | Irrfahrt auf \(\Z\) und \(X = \{0,1,\dots,n\}\) und Reisezeit, erwarteter Gewinn numerisch für \(X \subset \Z^2\), Googles PageRank. §C2 Banach, Blackwell, Bellman: Gewinniteration. |
CaRo 25.Okt | Casino Royal: viermal das Vertrauensspiel "Hin-und-Rück", einmal invertiert. Fünf Piraten teilen sich 100 Dukaten: Das Experiment überrascht und begeistert! |
V07 Do 31.Okt | Bellmans Optimalitätsprinzip. §C3 Roboter und Bewegungsplanung. Algorithmen, maschinelles Lernen. §D1 Strategische Spiele in Normalform. Nash-Gleichgewichte. |
V-- Fr 01.Nov | Allerheiligen ist Feiertag |
V08 Do 07.Nov | Fortsetzung auf gemischte Strategien, Gleichgewichte berechnen. Konstruktion der Nash-Funktion, Fixpunkte sind Gleichgewichte. Dynamische Interpretation. |
V09 Fr 08.Nov | §D2 Sicherheitsstrategien, von Neumanns Minimaxsatz. Dominante/dominierte Strategien, Reduktion. Symmetrien, Isomorphismen. Regularität. |
CaRo 08.Nov | Wir spielen Zwei Drittel vom Mittel [beauty contest] und das Kartenduell. Nähern wir uns dem Gleichgewicht? Ja, ja, die Realität ist wieder mal kompliziert. |
V-- Do 14.Nov | Diese Vorlesung fällt aus. / Workshop in Oberwolfach |
V-- Fr 15.Nov | Diese Vorlesung fällt aus. / Workshop in Oberwolfach |
CaRo 15.Nov | Special Session! Spielleiterin: Friederike Stoll. Highlight: kombinatorische Spiele. |
V10 Do 21.Nov | Rationalisierbare Strategien: Strikt dominiert = niemals beste Antwort. Lösung von \(2 \times n\)-Spielen. §E1 Lineare Optimierung: Überblick, Beispiele, Basiswechsel. |
V11 Fr 22.Nov | Begriffe, Optimierung durch Basiswechsel, Dualität: schwach und stark, zertifizierte Lösung. §E2 Anwendung: Vom Nullsummenspiel zum linearen Programm. |
CaRo 22.Nov | Überlappende Generationen: Welche Gleichgewichte sind möglich? Wiederholtes Gefangenendilemma: Wir lassen Automaten gegeneinander spielen. |
V12 Do 28.Nov | §F1 Restaurantproblem, soziale Dilemmata. Paradoxer Verkehrsfluss nach Braess. §F2 Lotka-Volterra, Replikatorgleichung, evolutionär stabile Gleichgewichte (ESS). |
V13 Fr 29.Nov | §G1 Kreative Summation und Umordnungsschwindel, Ponzi-Betrug und Schneeballsystem. Wie und warum funktioniert Geld? Einfache Modelle, ESS. |
CaRo 29.Nov | Fermionen-Spiel: Jeder Spieler will den besten / einen guten Platz, vor allem aber für sich alleine. Verschiedene Protokolle zu Platzwechsel und Interaktion. |
V14 Do 05.Dez | §G2 Überlappende Generationen, Modelle mit un/endlicher Generationenfolge. Wie gelingt Nachhaltigkeit? Wahrung der Rechte zukünftiger Generationen. |
V15 Fr 06.Dez | §H1 Ausgewählte Beispiele zu unvollständiger Information. §H2 Zufallszüge und Signalgeber. Bayes-Spiel, Harsanyi-Transformation und Bayes-Gleichgewichte. |
CaRo 06.Dez | Experimente zum Kartell-Spiel à la OPEC: RaphaOil Ltd gegen Slippy Sloppy Oil AG. Variante als Cournot-Oligopol. Sollten wir auch Klausuren so gestalten? |
V16 Do 12.Dez | Bayes-Gleichgewichte, universelle Signalgeber. Typen-Modell verfeinert Harsanyi-Transformation, von endlichen Summen zu Integralen. Disintegration. |
V17 Fr 13.Dez | Simultan-Poker als Bayes-Spiel, Harsanyi-Transformation und Typen-Modell, Bluffen. §H3 Korrelierte Gleichgewichte, Beispiele, universeller Signalgeber. |
CaRo 13.Dez | Iteriertes Gefangenendilemma Team A vs Team B, endlich: Cheap Talk und Betrug, geometrische Wkt: Kooperation, partielle Information, Blitzdings, zitternde Hand. |
V18 Do 19.Dez | §I1 Spiele mit zeitlicher Struktur: erste Beispiele. Dynamische Spiele in kybernetischer Form: Dynamik, Auszahlung, Erwartung, Teilspielperfektion. |
V19 Fr 20.Dez | Satz von Zermelo: Rückwärtsinduktion für Spiele mit vollständiger Information. §I2 Alphabet, Wörter, Baumstruktur. Dynamische Spiele in extensiver Form. |
CaRo 20.Dez | Verhandlungsspiel (based on a true story): Wie teilen sich vier Personen ihre Taxikosten A:20€, B:20€, C:40€, C:60€ entlang einer gemainsamen Strecke? |
Weihnachtsferien vom 21.12.2019 bis 07.01.2020 | |
V20 Do 09.Jan | Prinzip einmaliger Abweichung, Gegen/Beispiele, Beweis. §I3 Dynamische Spiele mit unvollständiger Information. Signalspiele. Perfekte Erinnerung. |
V21 Fr 10.Jan | §J1 Wiederholtes Gefangenendilemma, Grim-Trigger, Verkettung von Spielen und Strategien, endlicher Fall. §J2 Ausführliche Rechnung zu Gegen/Beispielen. |
CaRo 10.Jan | Hundertfüßlerspiele / centipede games: Alice und Bob durchleben schwere Zeiten (der Länge 0,1,2,3,4,5,10). Erreichen sie das Happy End? Sind sie dabei rational? |
V22 Do 16.Jan | Prinzip der Abschreckung, explizite Gleichgewichtskonstruktion, Geduldsschwellen. §J3 Nash Folk Theorem: quantitative Grundversion, Anwendungsbeispiele. |
V23 Fr 17.Jan | §K1 Motivierende Beispiele, Verhandlungsprobleme und Verhandlungslösungen, Nash-Axiome: INV, SYM, PAR, IIA. Existenz und Eindeutigkeit der Nash-Lösung. |
CaRo 17.Jan | Koalitionen und Verhandlungen: Fünf Personen verhandeln die Aufteilung eines Budgets. Beispiel einer Firma: gemeinsamer Gewinn und Tarifverhandlungen. |
V24 Do 23.Jan | Monotone Verhandlungslösung. §K2 Rubinstein-Modell: Verhandeln durch alternierende Angebote, PNE-Auszahlungen, Konvergenz gegen die Nash-Lösung. |
V25 Fr 24.Jan | §L1 Koalitionsspiele, Allokationen und Kern, Konvexität. §L2 Shapley-Wert als axiomatische Lösung §L3. Koalitionsverhandlung nach Hart-Mas-Collel. |
CaRo 24.Jan | Der Arbeitskampf geht weiter: Spieltheoretiker aller Länder, koaliert euch! Drei Firmen, drei Verhandlungen. Auftritt Shapley-Wert. Was ändert dieses Wissen? |
V26 Do 30.Jan | §M1 Präferenzen, Wahlverfahren, Beispiele abzählen. §M2 Zwei Alternativen, Arrows Axiome, perfekte Wahlverfahren. §M3 Paradox von Condorcet. |
V27 Fr 31.Jan | Arrows Satz vom Diktator. §N1 Auswahlverfahren, Manipulierbarkeit, Gibbard-Satterthwaite, Einhelligkeit und Monotonie, Muller-Satterthwaite. |
CaRo 31.Jan | Sieben Teilnehmer stimmen über drei Filme ab. Doch zuerst müssen sie das beste Wahlverfahren bestimmen. Es gibt viele Ideen, aber immer geht irgendwas schief. |
V28 Do 06.Feb | §O1 Auktionen, prominente Beispiele, Zweitpreisauktion: Offenbarungseigenschaft, Erstpreisauktion: Strategie, Erlös. Satz von Vickrey zur Erlösäquivalenz. |
V-- Fr 07.Feb | Wir haben fertig. Vielen Dank für Ihr Engagement! |
CaRo 07.Feb | Das große Finale des Winnersemesters 2019/20: Abschiedsvorstellung und Semesterschlussverkauf. Wir versteigern wertvolle Dinge. Alles muss raus! |
Vorlesungsende am 7. Februar 2020 | |
??? | Abschlussklausur / Modulprüfung. |
Was immer du tust, handele klug und bedenke das Ende! |
Spieltheorie kann süchtig machen.
Teilnahme erst ab 18 Jahren.
Bundeszentrale für
gesundheitliche
Aufklärung
(BZgA)