[banner] Michael Eisermann

Mal verlierst du,
mal gewinnen die anderen.

Otto Rehhagel (1938–)

Spieltheorie und
ökonomisches Verhalten

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Vorlesung im SoSe 2018.
Dozent: Michael Eisermann.
Assistentin: Friederike Stoll.

Auf dieser Seite finden Sie:

Rückmeldungen? Ich freue mich über Ihre Kommentare und Anregungen! Bitte lassen Sie mich wissen, wie Ihnen die Veranstaltung gefällt, wie Sie mit dem Stoff zurecht kommen, und was sich verbessern lässt. Es ist Ihr Studium! > Umfrage der Fachgruppe (pdf) > Evaluation der Vorlesung (pdf) > Evaluation der Übungen (pdf)

The final test of a theory is its capacity
to solve the problems which originated it.

George Bernard Dantzig (1914–2005),
Linear Programming and Extensions, RAND 1963

Aktuelles

Diese Seite wird nicht mehr regelmäßig aktualisiert; sie bleibt vorerst zugänglich, um als Archiv zu dienen. Zur Übersicht: aktuelle und vergangene Lehrveranstaltungen

The traditional mathematics professor
of the popular legend is absentminded. (...)
He writes a, he says b, he means c; but it should be d.

George Pólya (1887–1985), How to solve it (1945)

Rückblick auf das Semester

Everyone's a winner, baby, that's no lie.
Hot Chocolate, Every 1's a Winner (1978)

Vorlesungspreis Spieltheorie

Die Vorlesung begann spielerisch am Dienstag, 10. April 2018, und endete ebenso furios am Mittwoch, 18. Juli 2018, mit der Versteigerung eines Euros. Der Weg war weit, mit manchen Anstiegen und Umwegen, aber es hat sich gelohnt. Nach diesen 14 Wochen Spieltheorie wird nichts mehr so sein, wie es vorher war... außer natürlich all den Dingen, die sich nicht ändern.

Say what you know,
do what you must,
come what may.

Sofia Kovalevskaya (1850–1891)

Den Teilnehmern scheint es gut gefallen zu haben, für uns als Team (FS+ME) trifft das jedenfalls voll und ganz zu.

Sind wir klüger geworden? Ja, definitiv. Als Lernziel wurde unter anderem erreicht: Der Dozent kann Grundzüge der Spieltheorie im Interview flüssig darstellen, zum Beispiel in SWR2 Aktuell vom 17.01.2019 mit Florian Rudolph, zum Brexit aus spieltheoretischer Sicht. Das Thema ist verzwickt und bleibt weiterhin aktuell.

Sind wir fortan rationaler oder verspielter? Schwer zu sagen. Die Teilnehmer kennen nun wesentliche Begriffe und Methoden der Spieltheorie, doch sind sie dadurch auch wirklich erfolgreicher in ihrem Verhalten? Die Spieldaten der Vorlesung hierzu sind vielschichtig und lassen durchaus mehrere Interpretationen zu... Die Hoffnung bleibt.

Vorhersagen sind immer schwierig,
insbesondere wenn sie die Zukunft betreffen.

Die Klausur im September 2018 war die erste zur Veranstaltung Spieltheorie. Lernen nach alten Klausuren wird gern genutzt, oft übertrieben, hier war es unmöglich. Die Klausur war sehr eng an Vorlesung und Übung angelehnt, so gesehen leicht. Die Fragen waren natürlich nicht identisch, die Herausforderung war also durchaus real, die erlernten Methoden auf einfache, neue Beispiele anzuwenden. Das hat teilweise auch gut geklappt. Viele Punkte waren leicht, erforderten aber wie angekündigt Übung und Routine.

Manches sagt ich, mehr noch wollt ich,
ließe zur Rede Raum das Geschick.
Die Stimme weicht, Wunden schwellen:
Wahres sprach ich; will nun enden.
Edda, das dritte Lied von Sigurd dem Fafnirstödter.

Die Vorlesung ist beendet, die Messe ist gelesen. Ziel war es, Ihr Interesse zu wecken, ja Ihre Begeisterung zu entfachen, damit Sie darüber hinaus gehen und selbstständig lernen. (Literatur hierzu finden Sie weiter unten auf dieser Webseite.) Zur Spieltheorie wäre noch viel schönes und spannendes zu sagen, immerhin ein Anfang ist gemacht, die Saat ist ausgebracht, möge sie nachhaltig gedeihen und reiche Früchte tragen!

Nun habe ich ein Semester lang zu Ihnen gesprochen und werde jetzt damit aufhören. Einerseits möchte ich mich entschuldigen und andererseits wieder nicht. Ich hoffe – ja, ich weiß – dass zwei oder drei Dutzend von Ihnen allem mit großer Spannung folgen konnten und eine angenehme Zeit damit verbracht haben. Aber ich weiß auch, dass die Kräfte der Lehre von sehr geringer Wirkung sind, außer unter jenen glücklichen Umständen, in denen sie praktisch überflüssig sind. Daher darf ich im Hinblick auf die zwei oder drei Dutzend, die alles verstanden haben, sagen, dass ich nichts anderes getan habe, als Ihnen die Dinge zu zeigen. Was die anderen betrifft, tut es mir leid, wenn ich Ihren Widerwillen gegen dieses Fachgebiet erregt habe. [...] Ich hoffe nur, dass ich Sie nicht ernsthaft verwirrt habe und dass Sie dieses interessante Geschäft nicht aufgeben. Ich hoffe, dass jemand anderes es Ihnen so beibringen kann, dass es Ihnen nicht im Magen liegt, und dass sie trotz allem eines Tages feststellen, dass es nicht so schrecklich ist, wie es aussieht.
nach Richard P. Feynman, 1918–1988, Epilog seiner Vorlesungen über Physik

Kuriositäten des Internets: Ich werde kopiert, also bin ich.

Eine weitere schöne Überraschung: Aus der Einleitung meines Skripts zur Vorlesung im Sommersemester 2018 konnte das Leibniz-Institut für interdisziplinäre Studien e.V. (LIFIS) bereits im Juli 2019 durch Copy & Paste ein wunderbar wohlklingendes Konferenzprogramm zusammenstellen. Freundlicherweise wurde ich sogar zu dieser Konferenz eingeladen. Ist das seriös? Nein. Ist es schmeichelhaft? Vielleicht. Urteilen Sie selbst: Snapshot vom 02.09.2019 und nach Abmahnung Snapshot vom 12.09.2019.

Stundenplan

Vorlesung (Michael Eisermann) Di 9:45 - 11:15 Raum V57.04
Vorlesung (Michael Eisermann) Mi 11:30 - 13:00 Raum V57.04
Übung 1 (Friederike Stoll) Mo 09:45 - 11:15 Raum V57-7.331
Übung 2 (Friederike Stoll) Mo 11:30 - 13:00 Raum V57-7.331

Doch vorerst dieses halbe Jahr
Nehmt ja der besten Ordnung wahr.
Fünf Stunden habt Ihr jeden Tag;
Seid drinnen mit dem Glockenschlag!
Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832), Faust

Was ist ein Spiel?

Das ganze Leben ist ein Spiel,
und wir sind nur die Kandidaten.
Hape Kerkeling (1964–)

Wir alle haben als Kinder gespielt, viele spielen auch als Erwachsene mit Begeisterung. Bei Ein-Personen-Spielen geht es meist um Geschick, manuell oder mental. Die SpielerIn versucht eine Aufgabe zu lösen und zwar möglichst effizient (Optimierungsproblem), oder unter mehreren Alternativen die beste Wahl zu treffen (Entscheidungsproblem).

Auch bei ökonomischem Handeln muss jede AkteurIn Probleme von folgendem Typ lösen: Was ist möglich? Was ist erstrebenswert? Wie wähle ich die beste Möglichkeit? Das führt sofort zu klassischen Fragen der Optimierung und ihren mathematischen Methoden.

Sobald zwei oder mehr Spieler interagieren, entsteht zudem eine besondere Situation: Das Ergebnis jedes einzelnen hängt nicht nur von seinen eigenen Aktionen ab, sondern auch von den Aktionen der anderen Spieler; ihre Ergebnisse sind gekoppelt. Hierdurch kann es zu Konflikten kommen, sowohl zu Konkurrenz als auch zu Kooperation. Damit stellt sich die Frage, wie ein Spieler sein Ergebnis verbessern kann, im Idealfall gar optimieren.

Die Optimierung wird dadurch wesentlich komplizierter und auch interessanter! Genau dies ist die Ausgangssituation der Spieltheorie. Oft ist es keineswegs offensichtlich, wie wir die Konflikte lösen können oder sollen. Ein sehr einfaches Spiel ist Schere, Stein, Papier (engl. Rock-paper-scissors). Erstaunlich viel Statistik, Taktik und Psychologie spielen beim Elfmeter im Fußball eine Rolle, ebenso beim Endspiel der letzten 20 Sekunden im Basketball.

Wie verzwickt selbst einfachste Entscheidungen sein können, zeigt das Gefangendilemma (engl. Prisoner's dilemma). Es ist das Paradebeispiel eines sozialen Dilemmas: In zahllosen Varianten begegnet es uns nahezu überall als Tragik der Allmende. Mit spieltheoretischen Modellen können wir die Struktur des Konflikts präzise beschreiben. Nicht immer können wir ein verfahrendes Problem in Wohlgefallen auflösen, doch immerhin naive Pseudolösungen erkennen und vermeiden, und manchmal auch nach besseren Mechanismen suchen.

Bemerkenswerterweise lassen sich die meisten Konfliktsituationen als ein Spiel beschreiben. Dies gelingt, da wir den Begriff ausreichend weit und allgemein fassen. In diesem Sinne ist ein Spiel ein Mehr-Personen-Entscheidungsproblem. Wir könnten etwas provokativ auch sagen: Das ganze Leben ist ein Spiel!

"He just kept talking about Life being a game and all. You know."
— "Life is a game, boy. Life is a game that one plays according to the rules."
— "Yes, sir. I know it is. I know it." Game, my ass. Some game. If you get on the side
where all the hot-shots are, then it's a game, all right — I'll admit that.
But if you get on the other side, where there aren't any hot-shots,
what's a game about it? Nothing. No game.

J.D.Salinger (1919–2010), The Catcher in the Rye (1951)

Warum spielt der Mensch?

Es ist eine bemerkenswerte Grunderfahrung: Der Mensch spielt gerne und häufig! Das unterscheidet ihn von vielen anderen Lebewesen. Homo ludens, der spielende Mensch: Im Spiel entdeckt und übt der Mensch seine Fähigkeiten, macht Erfahrungen und entwickelt seine Persönlichkeit, er erprobt Handlungsfreiheit und eigenes Denken, er erkennt und antizipiert die Konsequenzen seines Handelns.

Warum ist das so? Alles Leben ist Problemlösen, schrieb Karl Popper. Das Leben besteht zu einem großen Teil aus Konfliktsituationen. Daher ist es überaus sinnvoll, Probleme vorher durchzuspielen. Die Evolution hat uns hierzu Neugier und Spielfreude geschenkt.

Spielen und Evolution

Spiele und Evolution haben enge Verbindungen: In einer Population von Individuen (Lebewesen, Spielern, Akteuren) treffen diese immer wieder aufeinander und interagieren. Dabei gilt, wie oben erklärt: Das Ergebnis jedes einzelnen hängt nicht nur von seinen eigenen Aktionen ab, sondern auch von den Aktionen der anderen Spieler; ihre Ergebnisse sind gekoppelt. Die Evolution fügt nun Reproduktion und Selektion hinzu: Eine Strategie vermehrt sich umso stärker, je erfolgreicher sie ist relativ zur aktuell vorgefundenen Umwelt und Population. So entwickelt sich die Population ständig fort. (Mutation variiert bestehende Strategien und lässt so neue Strategien entstehen.)

Das Ergebnis einer solchen Evolution kann eine Art rationales Verhalten sein, selbst wenn die Individuen über wenig oder keine eigene Intelligenz verfügen. Diese fundamentale Idee wird wunderbar erklärt und illustriert auf der interaktiven Webseite von Nicky Case: The Evolution of Trust. Spielen Sie es einmal durch, die Zeit ist gut investiert!

Evolution of Trust

Was ist und was soll die Spieltheorie?

Spiele beschreiben Konflikte, sowohl Konkurrenz als auch Kooperation:

Die Spieltheorie untersucht allgemein solche strategischen Interaktionen. Soweit möglich stellt sie Methoden zur Analyse und zur Lösung bereit, in den bald 80 Jahren ihres Bestehens zunehmend realistisch und umfassend. Die möglichen Anwendungen sind vielfältig, von klassischen Spielen bis zu ökonomischem Verhalten, von Versteigerungen im Internet bis zu politischen Verhandlungen.

Dem Anwenden muss das Erkennen vorausgehen.
Max Planck (1858–1947)

Grundlegend ist der Begriff des Nash-Gleichgewichts (engl. Nash equilibrium). Für seine bahnbrechenden Arbeiten aus den 1950er Jahren bekam Nash 1994 den Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften. Dieser Preis wird seit 1969 vergeben, darunter immer wieder für Arbeiten in der Spieltheorie. Einen wunderschönen Überblick gibt John Milnor in seiner Ehrung A Nobel Prize for John Nash (zugänglich dank Uni-Stuttgart-Campuslizenz) und seiner Buchbesprechung John Nash and "A Beautiful Mind".

Ein typisches Ziel der Spieltheorie ist es, rationales Verhalten in (ökonomischen, sozialen, politischen) Konfliktsituationen zu beschreiben und zu erklären. In der empirischen Ökonomie wird umgekehrt das reale Verhalten beobachtet und mit der Theorie verglichen. Sehr häufig ist unser Verhalten gar nicht so rational, wie wir annehmen möchten! Die so gewonnenen empirischen Daten dienen dazu, die Theorie zu testen und zu kalibrieren.

In der Theorie gibt es keinen Unterschied
zwischen Theorie und Praxis.
In der Praxis schon.

Wer interessiert sich für Spieltheorie?

Die Spieltheorie liefert sehr flexible Modelle und erfolgreiche Analysemethoden, daher wird sie nahezu überall angewendet. Anregungen und Anwendungen finden sich unter anderem in folgenden Bereichen:

Die Wechselwirkung zwischen Mathematik und Naturwissenschaften ist seit jeher extrem stark, die Wechselwirkung mit den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften dagegen vergleichsweise schwach; wichtigste Ausnahme sind statistische Methoden zur Erhebung und Auswertung von Daten, in jüngster Zeit unter dem Banner Data Science und Big Data. Als zweite mathematische Disziplin hat die Spieltheorie seit den 1950er Jahren die Sichtweisen und Denkmuster in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften nachhaltig geprägt. Sie gehört heute zum unverzichtbaren Standardwerkzeug der Mikroökonomie.

Förderung durch die RAND Corporation

Die Jahre nach dem zweiten Weltkrieg waren geprägt vom kalten Krieg. Die noch junge Spieltheorie wurde von einzelnen Forschern betrieben, meist an US-amerikanischen Universitäten. Die US Regierung gründete 1948 die RAND Corporation in Santa Monica als think tank zur strategischen Forschung. Für viele Jahre war RAND das Zentrum der Spieltheorie, bündelte und finanzierte die Bemühungen zur Lösung milärischer Probleme durch spieltheoretische Methoden. (Zwei-Personen Nullsummenspiele sind gerade hierzu ein geeignetes Modell, während sie in sozialen und ökonomischen Interaktionen meist zu restriktiv sind.) Die RAND Corporation entwickelte über die Jahrzehnte eine überaus erfolgreiche Forschungstätigkeit zu zahlreichen interdisziplinären Fragestellungen, meist mit quantitativen, mathematischen Methoden. Über 30 Nobelpreisträger waren im Laufe ihrer Karriere mit der RAND-Corporation verbunden, darunter auch John Nash.

Inhalt dieser Vorlesung

To be literate in the modern age you need to have
a general understanding of game theory.
Paul Samuelson (1915–2009)

Diese Vorlesung präsentiert grundlegende Beispiele und Modelle, Begriffe und Techniken der Spieltheorie: statische und dynamische Spiele, Normalform und extensive Form, vollständige und unvollständige Information, Rationalität, Nash-Gleichgewichte und verfeinerte Lösungskonzepte, Lösungsmethoden, Anwendungen der Mikroökonomie, kollektive Entscheidungen, Verhandlungstheorie, Auktionstheorie. Wir werden dabei zahlreiche konkrete (Bei)Spiele analysieren, einige zur Erprobung auch (online/live) gegeneinander spielen, und das dabei beobachtete ir/rationale Verhalten untersuchen.

Blödem Volke unverständlich // treiben wir des Lebens Spiel.
Gerade das, was unabwendlich // fruchtet unserm Spott als Ziel.
Magst es Kinder-Rache nennen // an des Daseins tiefem Ernst;
wirst das Leben besser kennen, // wenn du uns verstehen lernst.
Christian Morgenstern (1871–1914), Galgenberg

Voraussetzungen

Die Voraussetzungen sind kurz gesagt Neugier und Fleiß:

Jede ernsthafte Beschäftigung mit Mathematik erfordert zunächst Interesse, Neugier und Offenheit für Probleme und sodann Kreativität, Sorgfalt und Hartnäckigkeit bei deren Lösung. Das gilt auch und besonders für die Spieltheorie! Sie benötigen hierzu:

Die Spieltheorie mobilisiert und nutzt nahezu alle mathematischen Teildisziplinen, sie verläuft quer zu den üblichen traditionell-willkürlichen Grenzziehungen, oft führt eine konkrete Problemstellung zu einer abstrakt-mathematischen Struktur und umgekehrt allgemeine Lösungemethoden zu konkreten Anwendungen. Diese Vorlesung bietet und fordert daher eine große Spannweite von Abstraktion und Formalisierung zur Lösung konkreter Fragen und Anwendungen. Technisch benötigen wir unbedingt die solide Basis des Grundstudiums:

Kurzum: Diese Vorlesung zur Spieltheorie ist oft problemorientiert und nicht stur methodenzentriert. Manche lieben es, andere hassen es. Sie sollten es daher im Voraus wissen. Ich finde es die realistische Sichtweise, daher will ich ehrlich darauf hinweisen.

Es gibt nichts Gutes,
außer man tut es.
Erich Kästner (1899–1974)

Was bedeutet problemorientiert vs methodenzentriert?

Die Spieltheorie arbeitet häufig problemorientiert und nicht stur methodenzentriert. Natürlich gibt es auch hier die bewährte mathematische Organisationsform: Beispiele und Definitionen, Sätze und Beweise, Algorithmen und Anwendungen. Doch oft genug stehen konkrete Anwendungsfragen im Mittelpunkt. Der Übergang beider Sichtweisen ist meist fließend, aber die beiden Extreme können Sie sich leicht vorstellen:

Methodenzentriert bedeutet, Sie lernen die Methode A und rechnen ein Dutzend Aufgaben zu genau dieser Methode A, dann lernen Sie die nächste Methode B und rechnen ein Dutzend Aufgaben zu Methode B, usw. Gut ausgewogen und getaktet ist diese Lehr-und-Lern-Methode sehr erfolgreich, so lernen Sie zum Beispiel in den ersten Semestern Ihres Mathematikstudiums ganz wunderbar lineare Gleichungssysteme zu lösen, Determinanten zu berechnen, reelle Funktionen zu differenzieren und zu integrieren. Übung macht den Meister!

Problemorientiert hingegen bedeutet, Sie untersuchen das Problem X und probieren ein Dutzend Methoden zur Lösung dieses konkreten Problems X, dann untersuchen Sie das nächste Problem Y und probieren ein Dutzend Methoden zur Lösung von Y, usw. Das ist die realistische Herangehensweise, so wie sich Probleme im Leben nun mal stellen. Genau darauf bereiten Sie sich in den ersten Semestern Ihres Studiums vor, indem Sie einen möglichst vielfältigen Werkzeugkasten mathematischer Methoden erwerben!

Beide Arbeitsweisen ergänzen sich in der offensichtlichen Weise: Lösungsmethoden müssen trainiert werden, ausgiebig und fokussiert, doch dabei sollte es nicht bleiben. Viele verschiedene Anwendungsprobleme können mit mathematischen Methoden bearbeitet und gelöst werden, doch selbstverständlich müssen Sie die hierzu nötigen Grundlagen erst einmal erwerben. Das passende Werkzeug zu (er)kennen und anwenden zu können, ist nicht einfach, auch das sollten Sie üben und dürfen dann stolz und glücklich darüber sein.

Da Sie die Spieltheorie (vermutlich) ab Ihrem 5. Studiensemester hören, halte ich hier den sanften Übergang zwischen beiden Arbeitsweisen für gut positioniert.

Warum benötigen wir so viele Grundlagen?

Wenn Sie sich diese Frage stellen, dann halte ich das für unglücklich verdreht. Freuen Sie sich lieber, dass Sie hier so viele wunderbare Methoden in Aktion sehen und sogar selbst anwenden können. Wenn Ihnen dazu noch mathematische Grundlagen fehlen, dann ist es jetzt die beste Gelegenheit, diese endlich zu erlernen! Damit Sie wissen, worauf Sie sich hier einlassen, versuche ist die obige Skizze der benutzten mathematischen Methoden.

Bitte sehen Sie daher die Aufzählung der verwendeten Methoden nicht als Beschwernis oder Schikane sondern als Erfüllung und Auszeichnung: Sie studieren Mathematik, hier können Sie aus dem Vollen schöpfen! Wir nutzen glücklich und dankbar alle mathematischen Begriffe und Techniken, wo sie uns begegnen, zum Beispiel: algebraische Strukturen wie Gruppen und Vektorräume, lineare Abbildungen und Gleichungssysteme, quadratische Formen und Quadriken, Stetigkeit und Kompaktheit, metrische Vollständigkeit und Banachs Fixpunktsatz, etc.

Was bedeutet "mathematische Reife"?

Wer sich unter "mathematischer Reife" noch nichts vorstellen kann, dem fehlt sie vermutlich, daher will ich diese sibyllinische Weissagung etwas ausführlicher auslegen. Wie jedes ernsthaft wissenschaftliche Thema erfordert auch die Spieltheorie die Ihnen aus dem Studium vertrauten mathematischen Grundtugenden: Sorgfalt und Ehrlichkeit.

Was zeichnet mathematische Arbeit aus? Ehrlich sein zu sich selbst und zu allen anderen, präzise formulieren, sorgfältig argumentieren, nachvollziehbar, nach logischen Regeln, alle Fälle berücksichtigen, nichts verschweigen. Sorgfalt und Ehrlichkeit sind mühsam, viele mögen das nicht, manche spotten gar darüber, doch beides ist bitter nötig, und die Mühe lohnt sich!

Diese Vorlesung erfordert (und fördert, so hoffe ich) Ihre mathematische Reife sowie Ihr Verständnis und Ihre Begeisterung für Anwendungen und Abstraktion. Wer nichts weiß, muss alles glauben; wer mehr weiß, kann kritisch mitreden und eigenständig urteilen.

Wo liegen die technisch-mathematischen Schwierigkeiten?

Die technischen Herausforderungen der Spieltheorie entstehen in drei Bereichen:

  1. Modellbildung: Wie gelangen wir von einer zunächst außermathematischen Fragestellung zu einem mathematischen Modell?
  2. Analyse: Wie lösen wir die Fragestellung im gewählten Modell, also in der zuvor erarbeiteten mathematischen Formulierung?
  3. Anwendung: Wie interpretieren / kalibrieren / testen wir unsere theoretischen Ergebnissein der Wirklichkeit?

Je nach Anwendung und Anspruch kann jeder dieser drei Bereiche leicht oder beliebig schwer ausfallen. In dieser Einführung werden wir einigen schwierigen Themen begegnen, aber dann doch vorerst ausweichen (müssen), das heißt, wir verschieben mögliche Vertiefungen zugunsten eines breiteren Überblicks.

Brauchen wir Lineare Optimierung / Lineare Programmierung?

Die Lineare Optimierung dient uns in der Spieltheorie zur Berechnung optimal gemischter Strategien. Sie ist darüber hinaus ein eigenständiges Gebiet und verbindet Algorithmik, Numerik und Geometrie. Ich werde in dieser Vorlesung darauf verweisen, aber nicht länger darauf eingehen (können). Es wäre allerdings zu schade, diese schöne Verbindung zur Optimierung nicht zu nutzen! Daher kann ich nicht widerstehen, wenigstens das Grundprinzip zu erklären und einige Beispiele zu rechnen: Un/Gleichungssysteme, Zeilenoperationen à la Gauß-Algorithmus, voilà das Simplex-Verfahren. Wer hierzu Kenntnisse aus Optimierungsvorlesungen hat, darf stolz darauf sein und sich freuen; wer nicht, darf diese Querverbindung als Motivation und Ausblick auf die Optimierung nutzen.

We are all familiar with methods for solving linear equation systems [...]
On the other hand, the study of linear inequality systems excited virtually no interest
until the advent of game theory in 1944 and linear programming in 1947.

George Bernard Dantzig (1914–2005),
Linear Programming and Extensions, RAND 1963

Lernziele

Die Studierenden beherrschen die grundlegenden Begriffe und Techniken der Spieltheorie. Sie besitzen die mathematischen Grundlagen für das Verständnis spieltheoretischer Modelle in den angrenzenden Wissenschaften und können sich mit Spezialisten darüber verständigen. Sie sind in der Lage, die behandelten Methoden selbstständig, sicher, kritisch, korrekt und kreativ anzuwenden, ähnlich strukturierte Probleme zu erkennen, mathematisch zu modellieren und rechnerisch zu lösen.

Es gibt drei Möglichkeiten, klug zu handeln:
1. Durch Nachahmen — Das ist die leichteste.
2. Durch Nachdenken — Das ist die edelste.
3. Durch Erfahrung — Das ist die bitterste.
Konfuzius (551–497 v.Chr.)

Bei allem Spielspaß erfordert diese Zielsetzung auch Fleiß und Disziplin.

Übungen

Die Spieltheorie soll für Sie nicht bloß Theorie bleiben, Sie sollen sie selbst erfahren und dadurch verstehen. Um sich damit vertraut zu machen, sollen Sie regelmäßig spielen, also spieltheoretische Fragen mathematisch modellieren und lösen.

Wir sind dieses Semester glücklich (und auch ein wenig stolz), Ihnen zu dieser Vorlesung Übungen anbieten zu können. Das ist angesichts knapper Ressourcen leider keineswegs selbstverständlich. Wenn Sie sich ernsthaft darauf einlassen, werden Sie viel Freude daran haben und so manches Aha-Erlebnis. Möge es nützen!

Erkläre es mir, und ich werde es vergessen.
Zeige es mir, und ich werde mich erinnern.
Lass es mich tun, und ich werde es verstehen.
Konfuzius (551–497 v.Chr.)

Die Übungsblätter werden hier wöchentlich zur Verfügung gestellt. Die Vorlesung erklärt Ihnen wie es geht, anschließend sollen Sie diese Techniken hier anwenden und einüben.

Lustiges und lehrreiches

Vielleicht vergeuden Sie gerne etwas Zeit im Internet. (Seien wir ehrlich: Wir alle tun es, und auch Sie sind ja gerade dabei.) Dann möchten Sie vielleicht Ihre Zeitvergeudung optimieren und in lustige und lehrreiche Spiele investieren:

Scheinbedingungen

Für die Zulassung zur Klausur (aka Erwerb des Übungsscheins) erwarten wir regelmäßige aktive Teilnahme an den wöchentlichen Übungsgruppen (Anwesenheit und Vorrechnen). Genaueres wird zu Beginn des Semesters in der Vorlesung und der Übung bekanntgegeben.

Arbeitsaufwand

Dieser Kurs wird mit 9 Leistungspunkten (also 270 Arbeitsstunden) veranschlagt:

Die Bemessung der nötigen eigenen Arbeitszeit beruht auf jahrzehntelanger Erfahrung. Individuelle Werte können und werden davon abweichen, nichtsdestotrotz sollen beide Seiten – Lehrende und Lernende – sich ehrlicherweise an dieser Bemessung orientieren. Sie spiegelt eine Grunderfahrung wieder, die sich alle zu Herzen nehmen müssen:

Mathematik lernt man nicht nur durch Zuschauen,
sondern durch eigene Arbeit und regelmäßige Übung!

Das Verhältnis 1:2 ist dabei durchaus realistisch: Jede Präsenzstunde erfordert zusätzlich zwei Stunden eigene Arbeit. Das ist keine Übertreibung sondern regelmäßige Erfahrung. Wenn Sie glauben, dass dies auf Sie nicht zutrifft, dann sind Sie entweder ein Genie, oder (was wahrscheinlicher ist) ein Opfer des Dunning-Kruger-Effekts.

Wer nur einen Teil der nötigen Zeit investiert, wird auch nur einen Teil des Inhalts verstehen. Gehen Sie also den ganzen Weg und planen Sie diese Zeit bereits während des Semesters parallel zur Vorlesung fest ein, um kontinuierlich mitzuarbeiten. Nur bei intensiver Vor- und Nachbereitung und regelmäßiger aktiver Mitarbeit werden Ihnen Vorlesung und Übung wirklich etwas nützen. Anders wird es nicht gehen.

Literatur

Die Lehrbuchliteratur zur Spieltheorie wächst rapide und ist inzwischen sehr umfangreich. Die grundlegenden Themen sind weitgehend kanonisch, die Darstellung variiert jedoch abhängig von der Zielgruppe und dem Grad der mathematischen Formalisierung, von verbos-verspielt zu wortkarg-formal.

Am besten Sie schmökern ein wenig und suchen sich das für Sie passende heraus.

Unsere Universitäts-Bibliothek bietet einige (deutschsprachige) Lehrbücher auch online:

Für Freude am Lesen und an schönen Illustrationen:

Der Klassiker von John von Neumann und Oskar Morgenstern begründete die moderne Spieltheorie. Dieses Lehrbuch wird bis heute verehrt und zitiert, aber selten gelesen. Es ist immer noch interessant, wenn auch nicht als Einstieg:

Die kombinatorische Spieltheorie ist ein riesiges Gebiet, das in dieser Vorlesung nur gestreift aber nicht ernsthaft behandelt wird. Wer in diese Richtung abbiegen möchte, findet sein Glück in folgendem epischen Klassiker:

Wenn Sie gerne Biographien lesen und zudem mathematisch interessiert sind, dann wird Ihnen die folgende Lektüre gefallen (und vielleicht auch die oskarprämierte Verfilmung):

Chuck Norris liest keine Bücher:
Er starrt sie so lange an, bis sie ihm
freiwillig sagen, was er wissen will.

Termine und Themen

Quidquid agis, prudenter agas et respice finem!
— Was immer du tust, handele klug und bedenke das Ende!

Vorlesungsbeginn am 09. April 2018
V01 Di 10.Apr§A1 Einführung und Überblick, erste Beispiele. Wir spielen und diskutieren das Spiel Hin-und-Rück. Organisatorisches zum Ablauf der Veranstaltung.
V02 Mi 11.Apr§A2 Stufen der Rationalität: Kuchen, Erbe, Strand, Welt. §B1 Strategische Spiele in Normalform, Nash-Gleichgewichte (NE), gemischte Strategien.
V03 Di 17.AprSimplizes, Bimatrixspiele, Kartenduell. Satz von Brouwer, Satz von Nash, Fixpunkte und Gleichgewichte, Interpretation als Populationsdynamik.
V04 Mi 18.Apr§B2 Nullsummenspiele, Hauptsatz: Minimax=Maximin, Rechenregeln. Beliebige Spielermengen. Strikte/schwache Dominanz, Reduktionsregeln, Beispiele.
V05 Di 24.AprRationalisierbare Strategien, Bezug zur Dominanz. Symmetrien und Isomorphismen von Spielen. Existenz symmetrischer Gleichgewichte.
V06 Mi 25.Apr§C1 Restaurant, Sozialbetrug, die Tragik der Allmende. Paradoxer Verkehrsfluss nach Braess, Diskussion. Korrelierte Strategien in Beispielen.
--- Di 01.MaiAm Tag der Arbeit haben wir natürlich frei.
V07 Mi 02.MaiDefinition, universeller Signalgeber, lineare Ungleichungen, NE und CE und Konvexität. §C2 Ponzi-Betrug, Hotel Infinity, Wie funktioniert Geld?
V08 Di 08.MaiAm Tag der Befreiung arbeiten wir hingegen. Evolutionär stabile Gleichgewichte. §C3 Generationenvertrag zur Altersversorgung.
V09 Mi 09.MaiGenerationenmodell zur Nachhaltigkeit, ausführliche Diskussion, Checks and Balances, Egonomics nach Thomas Schelling. §D1 Motivation zur LP.
V10 Di 15.MaiErste Beispiele, graphische Lösung in zwei Dimensionen. §D2 Ausführliches Beispiel zur algebraischen Lösung durch den Simplex-Algorithmus.
V11 Mi 16.MaiAllgemeine Problemstellung, Optimierung durch Basiswechsel, Äquivarianz unter Transnegation, Lineare Programmierung und Dualität.
Pfingstferien vom 20. bis 26. Mai 2018
V12 Di 29.MaiNochmal Dualität und Transnegation. zertifizierte Lösung eines linearen Programms. §D3 Lösung von Zwei-Personen-Nullsummen-Spielen.
V13 Mi 30.MaiBerechnung von korrelierten Gleichgewichten. §E Dynamische Spiele. §E1 Erste Beispiele zur Illustration: Kuchen teilen, Erbe teilen, Investition und Rendite.
V14 Di 05.Jun§E2 Dynamische Spiele in diskreter Zeit, Steuerung, Zufall, Information, kybernetische Form, teilspielperfekte Gleichgewichte, Beispiele.
V15 Mi 06.JunRückwärtsinduktion und Filtrierungen, Satz von Zermelo: rekursive Konstruktion von teilspielperfekten Gleichgewichten, Gegen/Beispiele.
V16 Di 12.Jun§E3 Wörter über einem Alphabet, Trajektorien und Spielbäume, Beispiele, unendliche Trajektorien als Kompaktifizierung.
V17 Mi 13.JunDynamische Spiele in extensiver Form, Beispiele und Illustrationen, un/vollständige Information und Erinnerung.
V18 Di 19.Jun§F1 Wiederholte Spiele, Beispiel Gefangenendilemma, Grim-Trigger, Verkettung von Spielen und Strategien. Prinzip der einmaligen Abweichung.
V19 Mi 20.JunMehr zum unendlich wiederholten Gefangenendilemma, teilspielperfekte Strategien, ausführliche Rechnung zu Gegen/Beispielen.
V20 Di 26.Jun§F2 Nash Folk Theorem: Grundidee, Prinzip der Abschreckung, Existenzaussage mit expliziten Geduldsschwellen. Anwendungsbeispiele.
V21 Mi 27.Jun§G1 Motivierende Beispiele, Verhandlungsprobleme und Verhandlungslösungen, die vier Nash-Axiome: INV, SYM, PAR, UIA. Existenz der Nash-Lösung.
V22 Di 03.JulEindeutigkeit. Können wir Axiome abschwächen? Asymmetrische und monotone Verhandlungslösung. §G2 Verhandeln durch alternierende Angebote.
V23 Mi 04.JulRubinstein-Modell einer Verhandlung, Verhandlungsergebnis im teispielperfekten Gleichgewicht, Konvergenz gegen die Nash-Lösung.
V24 Di 10.Jul§H1 Präferenzen, Wahlverfahren, Beispiele abzählen. §H2 Arrows Axiome, zwei Alternativen. §H3 Paradox von Condorcet, Arrows Satz vom Diktator.
V25 Mi 11.JulBeispiele, Demarchie, Ultrafilter. §I1 Auswahlverfahren, Manipulierbarkeit, Gibbard-Satterthwaite, Einhelligkeit und Monotonie, Muller-Satterthwaite.
V26 Di 17.Jul§J1 Auktionen, prominente Beispiele, Offenbarungseigenschaft der Zweitpreisauktion, optimale Strategie und Erlös bei Erstpreisauktion.
V27 Mi 18.JulSatz von Vickrey zur Erlösäquivalenz. Interpretation und empirische Überprüfung: Versteigerung eines Euros. Danke für Ihr Engagement!
Vorlesungsende am 21. Juli 2018
25.SepAbschlussklausur / Modulprüfung.
Was immer du tust, handele klug und bedenke das Ende!
Spiel-nicht-bis-zur-Sucht

Spieltheorie kann süchtig machen.
Teilnahme erst ab 18 Jahren.
Bundeszentrale für
gesundheitliche
Aufklärung

(BZgA)