Michael Eisermann

Slapenarski had knelt beside the limb body and was twisting the arms and legs into fantastic knots. He was, in fact, folding the Wisconsin topologist as he had folded his piece of paper! Suddenly there was a small explosion, like the backfire of a car, and under the Polish mathematician's hands lay the collapsed clothing of Dr. Simpson. Simpson had become a nonlateral surface.
Martin Gardner, No-sided Professor

Knotentheorie

Vorlesung im Wintersemester 2009/2010.

Vorlesung (Michael Eisermann) Mo 9:45 - 11:15 Raum V57.7.530
Mi 9:45 - 11:15 Raum V57.7.530
Übung (Michael Eisermann) Mo 11:30 - 13:00 Raum V57.7.527

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Aktuelles

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Aperitif

Zum Einstieg eine berühmte Knobelaufgabe: Sind die beiden folgenden Knoten isotop? Anders gesagt: Lassen sie sich durch eine stetige Bewegung ineinander überführen? Falls ja, so gebe man eine Bewegung an, andernfalls einen Beweis ihrer Nicht-Existenz.

A Perko's knot A Perko's knot B B

Einführung und Motivation

Das Studium der Mannigfaltigkeiten enthüllt in niedriger Dimension besondere Phänomene und nutzt maßgeschneiderte Techniken. Sie kennen aus Ihrer Topologie-Vorlesung bereits die Klassifikation der geschlossenen Flächen, also aller kompakten 2-dimensionalen Mannigfaltigkeiten ohne Rand. Diese Vorlesung widmet sich der Knotentheorie als einem zentralen Gegenstand der 3-dimensionalen Topologie und Werkzeug zum Studium von 3-Mannigfaltigkeiten.

Ganz anschaulich ist ein Knoten eine Einbettung der Kreislinie im Raum. Zwei Knoten betrachten wir als äquivalent wenn sie sich durch eine stetige Bewegung (Isotopie) ineinander überführen lassen. Wie lassen sich nun solche (Äquivalenzklassen von) Knoten mathematisch untersuchen? Wie können wir sie unterscheiden?

knots up to 7 crossings

Neben rein geometrischen Konstruktionen bieten sich zunächst die klassischen Invarianten der algebraischen Topologie an, vor allem die Fundamentalgruppe und die Homologie von Überlagerungsräumen, die seit Beginn des 20. Jahrhunderts sehr erfolgreich entwickelt wurden.

Seit den 1950er Jahren wurde das Wechselspiel zwischen Knoten, Flächen und 3-Mannigfaltigkeiten eingehend untersucht. Hierbei sind Knoten nicht nur Untersuchungsgegenstand sondern auch Werkzeug zur Konstruktion und Untersuchung von 3-Mannigfaltigkeiten.

1984 hat die Entdeckung des Jones-Polynoms eine explosionsartige Entwicklung der Knotentheorie ausgelöst, die bis heute anhält. Diese hat Invarianten ganz neuen Typs hervorgebracht, zunächst die sogenannten Quanteninvarianten und in den letzten zehn Jahren sogenannte Knotenhomologien, und damit Beziehungen zu entfernt geglaubten Gebieten der Mathematik und der Physik geknüpft.

Voraussetzungen

[Onkel Donald und die Knoten]

Benötigt werden die Kenntnisse des Grundstudiums und der Topologie (Grundvokabular, Fundamentalgruppe, Überlagerungen, Klassifikation kompakter Flächen).

Grundzüge der algebraischen Topologie sind nützlich, können aber nebenher erlernt werden. Hier benötigen wir vor allem die erste Homologiegruppe, und diese ist als Abelschmachung der Fundamentalgruppe unmittelbar zugänglich. (Anders gesagt, die Knotentheorie bietet einen guten Einstieg in die algebraische Topologie mittels einer Fülle anschaulicher und interessanter Anwendungsbeispiele.)

Allgemein gilt: Jede ernsthafte Beschäftigung mit Mathematik erfordert zunächst Interesse, Neugier und Offenheit für Probleme und sodann Kreativität, Sorgfalt und Hartnäckigkeit bei deren Lösung.

Literatur

Einführende Literatur zur Knotentheorie

Die Vorlesung folgt im Wesentlichen dem Buch von Lickorish, mit Abweichungen und Ergänzungen « selon l'humour du chef » und je nach Reaktion der Zuhörer.

celtic knot

Leichte aber lehrreiche Lektüre

Diese drei Bücher sind — auch ohne Vorlesung! — leicht zu lesen, spannend geschrieben, und — auch als Ergänzung der Vorlesung — sehr lehrreich!

celtic knot

Zum Nachlesen topologischer Hilfsmittel

Viele (differential-)topologische Argumente sind in niedriger Dimension intuitiv glaubwürdig. Das ersetzt natürlich keinen Beweis! Es rechtfertigt aber den Kompromiss, die wenigen benötigten Hilfsmittel zunächst ohne Beweis zu zitieren und direkt anzuwenden. Die obigen Bücher lohnen allemal das Nachlesen!

celtic knot

Als Ausblick auf algebraische Vertiefungen

Die Theorie der Quantengruppen hat viele faszinierende Facetten. In der algebraischen Topologie sind sie als Hopf-Algebren bekannt, zu Ehren von Heinz Hopf, der sie um 1940 eingeführt und untersucht hat. Wir interessieren uns hier für ihre Anwendungen in der Knotentheorie. Hinzu kommen Beispiele und Anwendungen aus der theoretischen Physik, der Darstellungstheorie, der Kombinatorik, der Zahlentheorie, ...

Am Ende der Vorlesung bleibt für Quantengruppen leider nicht viel Zeit. Wer sich auch nur in eines dieser Themen vertiefen möchte, wird nicht enttäuscht werden.

Themen der Vorlesung

  1. Mathematische Modellierung: Was ist ein Knoten?
  2. Der Satz von Reidemeister und erste Invarianten
  3. Verbundene Summe und Zerlegung in Primknoten
  4. Seifert-Form, Signatur und Alexander-Polynom
  5. Die Fundamentalgruppe des Knotenkomplements
  6. Unendlich zyklische Überlagerung und Alexander-Modul
  7. Das Jones-Polynom und Verallgemeinerungen
  8. Die Tait-Vermutungen über alternierende Diagramme
  9. Zopfgruppen: Erscheinungsformen und Eigenschaften
  10. Zopfgruppendarstellungen und Verschlingungsinvarianten
  11. Hopf-Algebren und Quantengruppen

Termine im WiSe 2009

Vorlesungsbeginn am 19.Okt.2009
V01 Mo 19.Okt[Kap.1] Topologische, glatte, polygonale Knoten und Äquivalenz
V02 Mi 21.Okt[Kap.2] Satz von Reidemeister und erste Invarianten
V03 Mo 26.Okt[Diese Vorlesung entfällt wegen einer Vortragsreise]
V04 Mi 28.OktVerschlingungszahl (auch in Überlagerungen), Färbungszahlen
V05 Mo 02.NovBrückenzahl, Entknotungszahl, [Kap.3] Verbundene Summe
V06 Mi 04.NovSatz von Schönflies für glatte Einbettungen S1R2 und S2R3
V07 Mo 09.NovSeifert-Flächen, Geschlecht, eindeutige Zerlegung in Primknoten
V08 Mi 11.Nov[Kap.4] erste Homologiegruppe, Seifert-Form eingebetteter Flächen
V09 Mo 16.NovS-Äquivalenz, Determinante, Signatur, Alexander-Polynom
V10 Mi 18.NovSchienenrelationen [Kap.5] Präsentationen von Gruppen
V11 Mo 23.Novausführliche Beispiele, Wortproblem, Isomorphieproblem
V12 Mi 25.NovWirtinger-Präsentation, Reidemeister-Invarianz, nochmal Färbungen
V13 Mo 30.NovFundamentalgruppe, Satz von Wirtinger, topologische Invarianz
V14 Mi 02.DezMeridian & Longitude, Symmetrien, Klassifikationssätze für Knoten
V15 Mo 07.DezFärbungszahlen und -Polynome, nicht-reversible Knoten
V16 Mi 09.Dez[Kap.6] algeb. & geom. Konstruktion des Alexander-Moduls
V17 Mo 14.DezAlexander-Polynom als charakteristisches Polynom, gefaserte Knoten
V18 Mi 16.DezTorusknoten und Milnor-Faserung [Kap.7] Kauffman-Klammer
V19 Mo 21.DezReidemeister-Invarianz, Jones-Polynom, Eigenschaften, Mutation
V20 Mi 23.DezVergleich Jones vs Alexander, Konstruktion des HOMFLYPT-Polynoms
Weihnachtsferien vom 24.Dez.2009 bis 06.Jan.2010
V21 Mo 11.Jan[Kap.8] Tait-Vermutungen, Kauffman-Klammer, adäquate Diagramme
V22 Mi 13.JanTait 1, Kabelung, R2/3-Äquivalenz und Drall, Whitney-Trick, Tait 2
V23 Mo 18.JanPerko-Paar, Rahmung [Kap.9] Zopfgruppen, Konfigurationsräume
V24 Mi 20.JanArtin-Präsentation, reine Zopfgruppen, Torsionsfreiheit, Zentrum
V25 Mo 25.JanDarstellung B3SL2Z, Zopfgruppen über Flächen, BnR2BnS2
V26 Mi 27.JanAlexander-Trick, Abbildungsklassengruppen, Darstellung BnAut(Fn)
V27 Mo 01.Feb[Kap.10] Geflechte, geschlossene Zöpfe, Satz von Alexander
V28 Mi 03.FebSatz von Markov, Markov-Invarianten, Färbungen, Burau-Darstellung
V29 Mo 08.FebAlexander-Polynom, Yang-Baxter-Darstellungen von Zopfgruppen
V30 Mi 10.FebExplizite Beispiele von Yang-Baxter-Darstellungen
V31 Mo 15.FebJones/HOMFLYPT-Polynom als Yang-Baxter-Invariante
V32 Mi 17.Feb[Kap.11] Quantengruppen: Beispiele und Ausblicke
Vorlesungsende am 19.Feb.2010

Am Aschermittwoch ist alles vorbei.

Zu guter Letzt

Hier die Lösung der eingangs gestellten Knobelaufgabe — es handelt sich um das berühmte Perko-Paar. In den Jahren 1876–1900 erstellten Tait, Kirkman und Little in mühevoller Handarbeit die ersten Knotentabellen: ihr Ziel war es, eine vollständige und redundanzfreie Liste aller Primknoten bis 10 Kreuzungen zu erstellen.

Seither glaubte man, dass die beiden fraglichen Knoten verschieden sind, da es nicht gelang, sie ineinander zu überführen. Bis in die 1970er Jahre wurden die beiden daher in allen Knotentabellen und Lehrbüchern als verschieden aufgeführt. Einen Beweis hierfür hatte man allerdings nicht finden können...

A Perko's knot A Perko's knot B B

1974 entdeckte der New-Yorker Rechtsanwalt und Topologe Kenneth Perko, dass es sich um isotope Darstellungen desselben Knotentyps handelt! (Dies war Teil seiner viel umfangreicheren Arbeit, mit der er die Klassifikation der Knoten bis zehn Kreuzungen vollendete.)

Als Beweis für A=B genügt es, eine Isotopie zu finden.
Hier ist eine solche Deformation in 16 Bildern:

Perko's knot Perko's knot Perko's knot Perko's knot Perko's knot Perko's knot Perko's knot Perko's knot Perko's knot Perko's knot Perko's knot Perko's knot Perko's knot Perko's knot Perko's knot Perko's knot

All diese schönen Grafiken stammen aus Bob Schareins KnotPlot. Einen geschichtlichen Überblick gibt William Menascos Circular History of Knot Theory. Historische Quellen wurden von Andrew Ranicki auf seiner Seite History of knot theory zusammengetragen. Zum Stand nach 100 Jahren Knotentabellierung siehe den Artikel von Hoste, Thistlethwaite, Weeks: The first 1,701,936 knots.

Perkos Beispiel lehrt, dass anschauliche oder empirische Argumente auch täuschen können. Glücklicherweise erlaubt die Entwicklung von immer feineren Invarianten, Knoten zu unterscheiden und solcherart Ungewissheiten zu beseitigen. Nach Perkos Korrektur ist Littles Knotentabelle bis 10 Kreuzungen tatsächlich redundanzfrei.