"Mathematik-Noten an Schule und Universität"
Es gibt das Phänomen, dass Abiturienten mit guten oder sehr guten
schulischen Mathematik-Noten an die Universität kommen und dann
in der Anfänger-Veranstaltung etwa für Ingenieure oder für das
Lehramt Mathematik große Schwierigkeiten haben, überhaupt zu bestehen.
Denn die Note richtet sich im Wesentlichen nach dem Ergebnis von Klausuren.
Hohe Abbruchquoten
werden von den Hochschulleitungen den Professoren angelastet mit dem Hinweis,
die Erstsemester hätten doch gute Schulnoten in Mathematik mitgebracht.
Die Ursache könnte aber ganz wesentlich in den unterschiedlichen
Beurteilungsprinzipien und in jenen Schulreformen liegen,
die man in den letzten 10--20 Jahren etabliert hat,
nämlich der vielzitierte "Paradigmenwechsel"
mit der sog. "Kompetenzorientierung",
besonders auch beim Fach Mathematik.
Denn hier dürfen die Noten gerade nicht primär nach dem Ergebnis
von Klausuren (früher: Klassenarbeiten) gegeben werden. Dies wird zumindest
im Bundesland Hamburg explizit so vorgeschrieben (und dank der KMK ist
das in anderen Bundesländern ähnlich),
| | siehe Seite 25 hier. |
Wörtlich heißt es:
"Die für ein Semester vergebenen Gesamtnoten dürfen
sich nicht überwiegend auf die Ergebnisse der Klausuren und der
ihnen gleichgestellten Leistungen beziehen."
Nebenbemerkung:
Bei der Erstellung dieses Bildungsplans hat übrigens Frau Prof G. Kaiser
(Mathematikdidaktikerin an der Uni Hamburg) maßgeblich mitgewirkt.
Hier gibt es also eine Allianz zwischen den politischen Instanzen,
der Schulbürokratie, den Landesinstituten für Schulentwicklung und der
"wissenschaftlichen Mathematikdidaktik".
Da fragt man sich erstaunt: Ja was denn sonst?
Nun, einen "mündlichen Teil" der Mathematiknote gab es schon seit
vielen Jahrzehnten, aber dieser bezog sich meist nicht nur
auf die mündliche Mitarbeit schlechthin, sondern auch darauf, ob
das Gesagte dann mathematisch korrekt war oder nicht. Mit geschickter
"Zeitplanung", "Präsentation" und "Kommunikation" alleine konnte man
jedenfalls in früheren Zeiten keinen Blumentopf gewinnen.
Heutzutage ist dies ganz anders geregelt. Auf S. 26 des obigen Links
stehen die folgenden Kriterien, nach denen die Note zu ermitteln ist.
Es sind enorm
viele "soft skills" darunter, die im Zweifelsfall immer eine bessere Note
möglich machen, sofern jemand nur brav, nett, kommunikativ
und kooperativ ist
(alles "Kompetenzen", die auch von Personalchefs
der Unternehmen
geschätzt werden),
und das auch ohne mathematischen Durchblick
und korrekte Lösungen.
Wer zuviel widerspricht, Gruppenarbeit nicht mag
oder sonst abweichende Eigenschaften zeigt, wird dann
vermutlich in der Note herabgestuft, selbst bei Vorliegen eines sehr guten
mathematischen Durchblicks und korrekter Lösungen.
Mit anderen Worten:
Aufgrund dieser
"kompetenzorientierten Bewertungskriterien" mit den vielen "soft skills"
besagt die schulische Mathematiknote heutzutage
etwas über viele Eigenschaften
und allgemeine Anpassungsfähigkeit,
aber leider wenig über die Mathematik-Kenntnisse und über
mathematische Fähigkeiten. Auch die Abitur-Klausur geht nur zu einem
relativ kleinen Teil ein.
Bewertungskriterien
(zitiert von S. 26 des obigen Links)
Unterrichtsgespräch
situationsgerechte Einhaltung der Gesprächsregeln,
Anknüpfung von Vorerfahrungen an den erreichten Sachstand,
sachliche, begriffliche und sprachliche Korrektheit,
Verständnis anderer Gesprächsteilnehmer und Bezug zu ihren Beiträgen,
Ziel- und Ergebnisorientierung.
Phasen individueller Arbeit
Einhaltung verbindlicher Absprachen und Regeln,
Anspruchsniveau der Aufgabenauswahl,
Zeitplanung und Arbeitsökonomie, konzentriertes und zügiges Arbeiten,
Übernahme der Verantwortung für den eigenen Lern- und Arbeitsprozess,
Einsatz und Erfolg bei der Informationsbeschaffung,
Flexibilität und Sicherheit im Umgang mit Werkzeugen,
Aufgeschlossenheit und Selbstständigkeit,
Alternativen zu betrachten und Lösungen für Probleme zu finden.
Gruppenarbeit
Initiativen und Impulse für die gemeinsame Arbeit,
Planung, Strukturierung und Aufteilung der gemeinsamen Arbeit,
Kommunikation und Kooperation,
Abstimmung, Weiterentwicklung und Lösung der eigenen Teilaufgaben,
Integration der eigenen Arbeit in das gemeinsame Ziel.
Arbeitsprodukte
Eingrenzung des Themas und Entwicklung einer eigenen Fragestellung,
Umfang, Strukturierung und Gliederung der Darstellung,
methodische Zugangsweisen, Informationsbeschaffung und -auswertung,
sachliche, begriffliche und sprachliche Korrektheit,
Schwierigkeitsgrad und Eigenständigkeit der Erstellung,
kritische Bewertung und Einordnung der Ergebnisse,
Ästhetik und Kreativität der Darstellung.
Kursarbeit, Facharbeit, Portfolio
Identifikation der relevanten Informationen, relevanter
Variablen und Einschränkungen,
angemessene Analyse der gegebenen Informationen und Daten,
mathematisches Verständnis,
korrekte und angemessene mathematische Formulierung des Problems,
Interpretation und Evaluation der Resultate,
Synthese der Ergebnisse, Tiefe der Untersuchung, Kommunikation der Lösung.
Dabei steht der Problemlöseweg im Vordergrund und nicht das Ergebnis bzw.
das korrekte Abarbeiten eines Algorithmus.
Lerntagebuch
Darstellung der eigenen Ausgangslage, der Themenfindung und -eingrenzung, der
Veränderung von Fragestellungen,
Darstellung der Zeit- und Arbeitsplanung, der Vorgehensweise, der Informations- und Materialbeschaffung,
Fähigkeit, Recherchen und Untersuchungen zu beschreiben, in Vorerfahrungen
einzuordnen, zu bewerten und Neues zu erkennen,
konstruktiver Umgang mit Fehlern und Schwierigkeiten,
selbstkritische Bewertung von Arbeitsprozess und Arbeitsergebnis.
Hausarbeit, Test, Klausur
sachliche, begriffliche und sprachliche Korrektheit,
Übersichtlichkeit und Verständlichkeit,
Reichhaltigkeit und Vollständigkeit,
Eigenständigkeit und Originalität der Bearbeitung und Darstellung.