Was vielleicht nicht alle wissen und was
auch nicht laut gesagt wird:
Nach den Plänen des Kultuministeriums in Baden-Württemberg
soll die Gemeinschaftsschule alle vorhandenen Schultypen
(auch das Gymnasium) mit einbeziehen).
Klassen werden durch
Lerngruppen ersetzt, aber es heißt wörtlich:
"Die Gemeinschaftsschulen arbeiten zunächst in den Jahrgangsstufen
5 und 6 nach dem Bildungsplan der Realschule 2004 unter Einbeziehung
gymnasialer Standards."
(steht unter: 'Nach welchen Bildungsplänen
arbeitet die Gemeischaftsschule?')
"In keinem Fall gibt es eine Aufteilung in leistungsorientierte A,
B, C-Kurse oder ähnliches."
(steht unter: 'Was unterscheidet eine
Lerngruppe von einer Klasse?')
und weiter
"In der Gemeinschaftsschule müssen keine Noten gegeben werden; allerdings können Eltern die 'Übersetzung' des Leistungsstands ihrer Kinder in Noten verlangen."
Diese "neue Gemütlichkeit" (keine Noten, kein Sitzenbleiben,
kein Leistungsdruck) wird bestätigt in einem sehr freundlichen
| | Bericht des "Schwäbischen Tagblatts".
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Von Realschulniveau wird auch dort gesprochen, nicht jedoch von
gymnasialen Standards.
Vielmehr heißt es, etwa ein Viertel (!) der Schülerinnen und Schüler hätte
auch eine Realschule besuchen können, einige sogar (!) das Gymnasium.
Zu den politischen Zielen der Gemeinschaftsschule passt der
viel zitierte Satz des Göttinger Pädagogikprofessors
Hermann Giesecke (geb. 1932):
"Nahezu alles, was die moderne Schulpädagogik für
fortschrittlich hält, benachteiligt die Kinder aus bildungsfernem Milieu."
Andere gehen noch weiter. So will der Verein
"eine Schule für alle" in Bayern erreichen, dass man
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Schulnoten abschafft und durch "Lerntagebücher" oder
"Kompetenzraster" ersetzt. |
In Hamburg heißen die Gemeinschaftsschulen "Stadtteilschulen".
Aber selbst die
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ZEIT, |
die bekanntlich gegenüber dieser Idee sehr aufgeschlossen
ist, findet, dass das bislang kein Erfolgmodell ist:
"Auf ihnen landet, grob gesagt, die leistungsschwächere Hälfte der Schüler
nach der Grundschule. Darunter die komplette "Risikogruppe",
wie Bildungsforscher jene Jugendlichen bezeichnen,
die mit 15 Jahren nicht richtig lesen und rechnen können.
In Hamburg gehört dazu jeder dritte Schüler;
also mehr als die Hälfte der Stadtteilschüler."
...
"Problematisch für die Lehrkräfte sind dabei vor allem
die vielen verhaltensauffälligen Kinder.
Es gibt sie eben, und nicht zu knapp, ..."
Bemerkenswert ist auch der diesbezügliche Leserkommentar eines Schulpraktikanten
unter der Überschrift "5. Sparmodell Schule":
"Leistungsstarke SchülerInnen langweilen sich oft und sind chronisch
unterfordert, ... Das Lernniveau war in allen bisher hospitierten
Klassen sehr niedrig."
Eine Lehrerin an einer solchen Stadtteilschule
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spricht hier aus Erfahrung. |
Ein Zitat daraus:
"Denn die Heterogenität dieser Klassen ist bis zur Klasse zehn derartig groß, dass das niedrige Niveau der Schwächsten das Niveau bestimmt, so dass die Leistungen der Schüler, die das Abitur machen wollen, die ganze Zeit gebremst werden."...
"Die Klientel hat sich vom Niveau her nach unten entwickelt, wir haben viel mehr schwächere Schüler. Wir haben mehr Kinder ohne Bildungswillen dabei. Die Zahl der Verhaltensauffälligen hat enorm zugenommen."
... "Momentan kommen die besten und erfahrensten Lehrer aus dem Unterricht und brechen fast zusammen, so anstrengend ist das, vergleichbar mit Dompteursarbeit im Zirkus, wenn gleichzeitig Löwen, Kaninchen, Krokodile und Kätzchen in der Manege sind."
In einem späteren Artikel beschreibt die
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ZEIT |
das Hauptproblem eines einheitlichen Schulsystems: In den "guten" Stadtteilen
haben die Schulen ein gutes Niveau, in den "schlechten" eben nicht:
"Schulforscher Ulrich Vieluf hat die KESS 13 - Daten nach Stadtteilen
ausgewertet. Ergebnis: Die Schüler in den schwächeren Stadtteilen hinken
denen in besseren Stadtteilen ein bis zwei Jahre hinterher - unabhängig davon,
ob sie am Gymnasium oder an der Stadtteilschule unterrichtet werden.
Die Schüler können, sagt Vieluf, auf einem Gymnasium in einem Problemviertel
so viel wie an einer Stadtteilschule in einem besseren Viertel."
Bezogen auf die "Sekundarschulen" in Berlin schreibt die
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ZEIT: |
"Der Grundgedanke der ISS [integrierte Sekundarschule] ist eigentlich,
dass sich die Schüler gegenseitig helfen. Die starken sollen die schwachen
mitziehen -- und dabei selbst Lernstoff wiederholen. Viele Lehrer erzählen
jedoch, dass es umgekehrt läuft: dass die schwachen Schüler die starken
herunterziehen. Schüler, die kein Interesse am Unterricht haben und stören,
würden die anderen ablenken."
Um die Schwierigkeiten zu kaschieren und die Zahl der Absolventen zu erhöhen,
senkt man schon gelegentlich die Anforderungen,
selbst für den mittleren Schulabschluss (MSA) sowie den
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Übergang auf die gymnasiale Oberstufe.
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Es bleibt die große FRAGE:
Welche Perspektiven ergeben sich wohl daraus für den
Mathematikunterricht ?
Ein Muster-Stundenplan mit 2 Wochenstunden Mathematik und
2 Wochenstunden Religion steht
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hier nach Anklicken von "zur Präsentation" auf Seite 29. |
Somit scheint Mathematik als Schulfach hinsichtlich der Bedeutung
mit Religion als Schulfach gleichgesetzt zu werden. Zudem liegt in dem
Beispiel Mathematik auch noch in der letzten Stunde der Woche,
was der Aufmerksamkeit bestimmt nicht gut bekommt.
Vermutlich gibt es einen Neudefinition der sog. "gymnasialen
Standards",
die dann mit den Lehrplänen und "Standards" des bisherigen Gymnasiums
nicht mehr zur Deckung zu bringen sind.
Der neue Bildungsplan 2016 sieht gymnasiale Standards
in der Sekundarstufe I nicht mehr explizit vor.
Es gibt bei den fachlichen Anforderungen
drei Niveaus, die sich aber nur sehr wenig voneinander unterscheiden.
Man könnte vermuten, dass es sich letztlich um die bisherigen
Standards
der Realschule handelt, mit eher winzigen Modifizierungen.
Explizit heißt es in den Erläuterungen zur Sekundarstufe I:
"Der gemeinsame Bildungsplan für die
Sekundarstufe I 2015/16 wird abschlussbezogen, d.h.
auf den MSA und den HSA bezogen sein."
Hier steht
| | Bildungsplan 2016. |
Auf jeden Fall soll es - trotz Gemeinschaftsschule - weiterhin drei
Schulabschlüsse geben: den Hauptschulabschluss (HSA), den mittleren
Schulabschluss (MSA) und das Abitur. Im neuen Bildungsplan 2016 zeichnet sich
ab, dass es den HSA und MSA jeweils auf drei unterschiedlichen Niveaus
geben soll (G, M und E).
Das Gymnasium dagegen wird im Bildungsplan 2016 durch "politische Vorgaben"
eher bis zur Unkenntlichkeit den Gemeinschaftsschulen angepasst.
Diese grundsätzliche Tendenz wird auch in diesem
| |
FAZ-Artikel |
kommentiert.
Nebenbei: Eine sehr kritische Gegenposition (allerdings mehr auf NRW bezogen),
wird | |
hier |
vertreten.
Zu der vor knapp 40 Jahren eingeführten, aber
nicht besonders erfolgreichen Gemeinschaftsschule in Frankreich
gibt es einen Bericht der
| | |
Friedrich-Ebert-Stiftung. |
Ein Zitat daraus:
"Die Einführung dieser Einheitsschule ... hatte das Ziel,
die Chancengleichheit zu fördern. 80 Prozent jedes Jahrgangs sollten
das Abitur ablegen, ...
Das gemeinsame Lernen hatte aber einen gegenteiligen Effekt.
Schwache Schüler sind frustriert und fühlen sich ausgegrenzt.
Die Schule als Integrationsmittel für Kinder aus sozial schwachen
Haushalten und für Kinder mit Migrationshintergrund
funktioniert immer weniger."
Ähnlich äußert sich ein Bericht der
| | Bundeszentrale für Politische Bildung.
|
Darin steht klar, dass die Einheitsschule in Frankreich eine soziale Segregation
nicht verhindern kann. Grund ist einerseits das Wohnortprinzip (carte scolaire)
mit guten (niveauvollen) Schulen in den guten
Wohnbezirken und weniger guten in den
Problembezirken und andererseits die Verbreitung der Privatschulen,
in denen sich gutsituierte
Leute vom Wohnortprinzip sozusagen "freikaufen" können
und dann "privilegiertere Unterrichtsbedingungen" vorfinden.
Wörtlich heißt es:
"Die Studie [PISA 2009] zeigt auf, dass in Frankreich
(wie auch in Deutschland) das Bildungsniveau stark von der
sozialen Herkunft bestimmt ist. Die Kluft zwischen den Ergebnissen
von guten und schlechten Schülern hat sich weiter vertieft."
| | Hier |
wird inhaltlich dasselbe von einem Bildungsforscher
in etwas verklausulierter Wissenschaftssprache
für die USA formuliert (s. 231 unten):
"Am Beispiel der USA wird deutlich, dass egalitäre
Schulstrukturen (Gesamtschule bis zum 18. Lebensjahr) wenig bewirken,
wenn sie mit großer Ungleichheit in den Wohngebieten, welche
die Einzugsgebiete dieser Gesamtschulen sind, einhergehen."
Besonders kritisch äußert sich
| |
dieser 6-seitige Zeitungsartikel |
zu diesem Aspekt der Gemeinschaftsschule in Frankreich.
Auch in England sieht es nicht so aus, als sei die dortige vor ebenfalls
ca. 40 Jahren eingeführte Gemeinschaftsschule ("comprehensive school")
in dem Sinne erfolgreich, der ursprünglich angekündigt worden war.
In Längsschnittstudien wurde der soziale Aspekt der Herkunft im
Verhältnis zum Schulerfolg untersucht.
| |
Dieser Bericht der
Konrad-Adenauer-Stiftung |
warnt vor überhöhten Erwartungen an Schulreformen und
schreibt auf Seite 61 folgendes:
"Für England lässt sich beispielsweise durch Längsschnittstudien sehr
gut belegen, dass die schulreformerischen Anstrengungen der vergangenen
Jahrzehnte auf die Auswirkung der sozialen Herkunft kaum Einfluss
genommen haben. Wenn sich überhaupt etwas sagen ließe, dann nur dies: Gerade
die egalitär beseelten Schulreformen der 1970er-Jahre waren nicht in der Lage,
die Herkunftseffekte auf soziale Aufstiegschancen abzumildern."
Der Schlusssatz lautet in diesem Bericht:
Der Glaube an Bildungsgerechtigkeit durch Schulstrukturreform trügt.