"Ist eine integrierte Schule dem dreigliedrigen System vorzuziehen?"
Es wird vielfach behauptet, empirische Studien wie TIMSS und PISA hätten
ergeben, dass die Länder mit einem integrierten Schulsystem
besser abschneiden als Deutschland mit seinem traditionellen
dreigliedrigen Schulsystem, das auch als "Standesschule" bezeichnet wird
und angeblich zu sozialer Ungerechtigkeit bei der Bildung schlechthin führt.
Das wird in der Politik dazu benutzt, einschneidende Veränderungen
beim Schulsystem vorzunehmen oder zumindest anzustreben
("eine Schule für alle").
Die wichtigsten Empiriker der Bildungsforschung sind die Professoren
J.Baumert und O.Köller.
Sie haben gemeinsam einen Aufsatz verfasst, in dem dieser Standpunkt
nicht nur nicht gestützt, sondern geradezu widerlegt wird.
Dieser Aufsatz wurde 1998 in der Zeitschrift "Pädagogik" veröffentlicht,
hier steht
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eine Zusammenfassung. |
In dem Aufsatz von Baumert und Köller heißt es zum Beispiel:
"Aus den Befunden von TIMSS läßt sich kein strukturelles Argument
für oder gegen integrierte Schulformen gewinnen. Dies gilt für beide
Argumentationsrichtungen gleichermaßen (...).
Strukturdebatten verfehlen die zentrale Problemstellung
der Optimierung vorhandener Bildungsgänge."
Die BIJU-Studie hat - wie auch TIMSS - insbesondere
die Gesamtschulen in NRW
und in Berlin mit einbezogen und mit den anderen Schulformen verglichen.
Wörtlich heißt es unter der Überschrift
"Schulformen als unterschiedliche Entwicklungsmilieus":
"Sowohl anhand von TIMSS als auch von BIJU läßt sich zeigen, daß die Leistungsentwicklung an den einzelnen Schulformen unterschiedlich verläuft. Die stärksten Leistungszuwächse zeigen sich auf dem Gymnasium, gefolgt von der Realschule, dann der Gesamtschule und schließlich der Hauptschule."
Die erstaunlichste Erkenntnis wird weiter unten formuliert:
"
Für den Vergleich von Haupt- und Gesamtschule ergeben sich nach Kontrolle des Vorwissens sowie der kognitiven und sozialen Variablen keine unterschiedlichen Leistungseffekte zwischen beiden Schulformen: Bei gleichen Eingangsbedingungen wird am Ende der 10. Jahrgangsstufe ein identischer Wissensstand erreicht. Die wichtigsten Einflüsse auf die Leistungsentwicklung üben die kognitiven Variablen Vorwissen und kognitive Grundfähigkeiten aus. Der Einfluß des sozialen Status ist schwach. Ethnische Herkunft und familiäre Situation üben nach Kontrolle der kognitiven Voraussetzungen keinen nachweisbaren Einfluß aus."
"Beim Vergleich zwischen Real- und Gesamtschule zeigt sich, daß in der Realschule auch nach Kontrolle kognitiver und sozialer Eingangsvariablen die Leistungsentwicklung günstiger als an der Gesamtschule verläuft. Bei gleichen intellektuellen und sozialen Eingangsbedingungen erreichen Realschüler am Ende der Sekundarstufe I etwa in Mathematik einen Wissensvorsprung von etwa zwei Schuljahren. Noch stärker sind diese Effekte, wenn man Gesamtschule und Gymnasium vergleicht. Bei gleichen intellektuellen und sozialen Bedingungen beträgt der Leistungsvorsprung in Mathematik am Gymnasium mehr als zwei Schuljahre. Es gibt keine Hinweise, daß die ungünstige Leistungsentwicklung durch besondere überfachliche Leistungen kompensiert werden könnte."
"In allen Analysen ist der Einfluß der Sozialschicht nach Kontrolle der kognitiven Voraussetzungen relativ gering oder statistisch nicht nachweisbar. Dies weist darauf hin, daß der Einfluß der sozialen Herkunft auf die Leistungsentwicklung innerhalb von Schulformen im Vergleich zu ihrer Bedeutung bei der Übergangsauslese in der Regel überschätzt wird."
Also: Die Realschüler waren den Gesamtschülern im Fach
Mathematik um etwa zwei Schuljahre (!) voraus, die Gymnasiasten erst recht,
und das auch dann, wenn man die intellektuellen und sozialen
Bedingungen berücksichtigte und
entsprechend kontrollierte (d.h. in der Statistik herausrechnete).
Da erscheint es als eine politische Merkwürdigkeit - gerade im Bundesland
Baden-Württemberg - , die Realschulen tendenziell abzuschaffen
und durch Gemeinschaftsschulen (sehr ähnlich den Gesamtschulen) zu ersetzen.