Asymptotische Analysis ist mehr Hilfsmittel als Theorie und stellt damit keine einheitliche und abgeschlossene Lerneinheit dar. Ich werde im folgenden versuchen, eine kurze Begriffsbestimmung und Ideensammlung zu geben. Für die Details sei auf die nachfolgenden Kapitel verwiesen.
Sei eine (komplexe) Zahlenfolge mit Gliedern . Über eine derartige Folge lassen sich verschiedenartige Aussagen treffen. So kann man zum Beispiel die Folge explizit angeben, was es (prinzipiell) einfach macht das -te Folgenglied auszurechnen. Darüberhinaus kann man Abschätzungen für die Größe von angeben. Hier gilt zum Beispiel für alle . Diese Ungleichungen werden mit zunehmenden schlechter; interessiert man sich nur für große so kann man nach asymptotischen Ungleichungen suchen. Ein Beispiel dafür ist die Stirlingsche Abschätzung gültig für hinreichend große . Diese schreibt man auch kurz als der relative Fehler der Abschätzung nimmt mit zunehmendem ab. Während die explizite Vorschrift zur Berechnung von stets das richtige Ergebnis (bei drastisch steigendem Aufwand) liefert, ist die asymptotische Formel auch für große einfach zu berechnen. Ein zweites für uns wichtiges Beispiel ist die Primzahlzählfunktion deren explizite Bestimmung für große schon am Testen der Primzahleigenschaft großer natürlicher Zahlen scheitert. Jedoch gilt der Primzahlsatz wie wir im Verlaufe des Semesters beweisen werden.
Asymptotische Aussagen sind auch oft einfacher zu beweisen als direkte Abschätzungen. Wir werden dies im Verlaufe der Vorlesung noch oft sehen. Ziel der Vorlesung ist es Methoden zu entwickeln, mit denen das asymptotische Verhalten von Folgen und Funktionen ausgehend von Rekursions-, Differenzen- und Differentialgleichungen sowie Integraldarstellungen bestimmt werden kann. Als Anwendungen werden Aussagen der analytischen Zahlentheorie sowie aus dem Bereich der speziellen Funktionen betrachtet.
Literatur
N.G. De Bruijn. Asymptotic Methods in Analysis (Dover 1981)
V.A. Zorich. Analysis II (Springer 2004) [Kapitel 19]
G.H. Hardy. Divergent Series (Oxford 1949)
E.C. Titchmarsh. The Theory of Functions (Cambridge UP 1939)
G.H. Hardy, M. Riesz. The general theory of Dirichlet’s series (Cambridge UP 1915)
G.H. Hardy, E.M. Wright. An Introduction to the Theory of Numbers (Oxford UP 1938)
E.T. Whittaker, G.N. Watson. A Course of Modern Analysis (Cambridge UP 1927)
M.A. Lavrentp1ev, B.V. Shabat. Metody Teorii Funkcii0 Kompleksnogo Peremennogo(Nauka 1965)1 [Kapitel V.3, VI]
F.W.J. Olver. Asymptotics and Special Functions (Academic Press 1974)
Die Phasenportraits sind mit MATLAB erstellt. Genutzt wurden dazu von Elias Wegert bereitgestellte m-Files. Für weitere Informationen zu Darstellungen holomorpher Funktionen und funktionentheoretischen Hintergründen sei auf das Buch
E. Wegert. Visual Complex Functions (Birkhäuser 2012)
verwiesen.
1 Asymptotisches Verhalten von Folgen
In diesem einleitenden Kapitel soll das asymptotische Verhalten von Zahlenfolgen im Mittelpunkt stehen. Die wichtigen Grundbegriffe der asymptotischen Analysis werden wir bei der Untersuchung von Zahlenfolgen kennenlernen und im Anschluß noch einmal in voller Allgemeinheit definieren.
Im weiteren bezeichne die Menge der komplexwertigen Zahlenfolgen sowie ihre Teilmenge der positiven Zahlenfolgen. Ist , so schreiben wir kurz für das -te Folgenglied . Ebenso bezeichnen wir zu und die Folge mit Gliedern kurz als . Weiter unterscheiden wir nicht zwischen Konstanten aus und konstanten Folgen, betrachten also .
1.1 Landausche -Notation
Definition 1.1. Sei eine Folge positiver Zahlen. Dann bezeichnet man nach Landau2 als Menge der durch dominierten Folgen. Für sagt man, sei ein groß- von .
Proposition 1.2. Die Menge besitzt die Struktur eines Vektorraumes über . Weiterhin gilt
und impliziert ;
und impliziert .
Definition 1.3. Seien . Dann heißen und asymptotisch vergleichbar , falls gilt. In diesem Falle schreiben wir .
Beispiel 1.4. Seien , und . Dann sind und es gilt . Weiter gilt sowie und damit .
Beispiel 1.5. Zu betrachten wir die Fakultät und ihren Logarithmus. Für letzteren gilt als Abschätzung des Integrals durch Untersummen sowie als Abschätzung durch Obersummen. Also gilt und somit Wenn man obige Abschätzungen in die Exponentialfunktion einsetzt erhält man die explizite Abschätzung während die asymptotische Formel nur mit unbestimmten Konstanten und für hinreichend großes bedeutet.
Definition 1.6. Zu sei Für sagt man auch, sein klein- von .
Proposition 1.7. Die Menge besitzt die Struktur eines Vektorraumes über . Weiterhin gilt
;
und impliziert ;
und impliziert .
Definition 1.8. Seien und für fast alle . Dann heißen und asymptotisch äquivalent , falls gilt. In diesem Falle schreiben wir .
Proposition 1.9. Seien . Dann sind äquivalent
;
;
;
.
Beispiel 1.10. Es gilt und . Wie oben schon gezeigt, gilt damit
1.2 Asymptotische Entwicklungen
1.11. Wir beginnen da, wo wir in obigen Beispielen aufgehört haben. Für haben wir gezeigt, daß gilt, und es stellt sich die Frage, ob sich weitere solche asymptotischen Verbesserungen finden lassen. Die Beantwortung dieser Frage verschieben wir in das nächste Unterkapitel, hier werden wir zuerst die allgemeinen Definitionen vorbereiten.
Definition 1.12. Sei . Eine Folge heißt asymptotische Entwicklung von , falls und für alle gilt. In diesem Falle schreiben wir und sprechen von einer asymptotischen Reihe.
Beispiel 1.13. Die direkt aus der Exponentialreihe folgende Darstellung ist eine asymptotische Reihe, da da die Summanden der Reihe das Leibnizkriterium erfüllen. Es gilt also
Asymptotische Entwicklungen werden uns noch einige begegnen, insbesondere wenn wir uns mit dem asymptotischen Verhalten von Funktionen beschäftigen. Man beachte, dass es für asymptotische Reihen keinen Konvergenzbegriff gibt. Sie bestimmen für kein den Wert , sie beschreiben nur das asymptotische Verhalten der Folge für .
1.3 Summenformeln
1.14. Wir benötigen noch ein Hilfsmittel. Im folgenden bezeichne die -te Bernoullizahl3, definiert durch und allgemeiner das -te Bernoullipolynom definiert als Die Folge der sind als Taylorkoeffizienten einer analytischen Funktion eindeutig bestimmt, die angegebenen Reihen konvergieren absolut und gleichmäßig in jedem kleineren Kreis bezüglich .
Lemma 1.1. Es gilt
;
für alle ;
für ;
;
für .
Insbesondere ist ein Polynom vom Grad in . Darüberhinaus gilt die Abschätzung für alle .
Proof.(1) folgt aus . folgt durch formales Differenzieren der Reihe und der Beobachtung, daß die abgeleitete Reihe absolut und gleichmäßig konvergiert, (3) folgt durch Integration und Koeffizientenvergleich. ergibt sich durch Einsetzen von in die Reihendarstellung, (5) folgt aus da damit mit einer geraden Funktion gilt. Es bleibt die Abschätzung zu zeigen. Dazu nutzen wir Induktion über . Für gilt und die Aussage folgt. Für den Induktionsschritt nutzen wir, daß reellwertig ist und damit wegen (3) eine Nullstelle im Intervall besitzen muß. Also gilt mit (2) und der Induktionsvoraussetzung ◻
Die nachfolgende Summenformel von Euler4 und Maclaurin5 verallgemeinert die Trapezregel.
Lemma 1.15 (Euler–Maclaurin-Formel). Sei und . Dann gilt
Proof. Der Fall folgt durch partielles Integrieren unter Beachtung von sowie sowie . Für größere nutzen wir Induktion. Es gilt wiederum und mit sowie folgt die Behauptung. ◻
Da die Bernoullipolynome gleichmäßig in erfüllen, kann man diese Formel zum Beweis von Reihenentwicklungen nutzen. Gilt zum Beispiel mit so strebt das Integral auf der linken Seite in für gegen Null und wir erhalten Zum Beweis asymptotischer Entwicklungen benötigen wir eine leichte Verschärfung der Formel und betrachten Integrale über Intervalle ganzzahliger Länge. Addieren wir dann Euler–Maclaurin-Formeln für jedes Teilintervall der Länge Eins, so erhalten wir die Euler–Maclaurinsche Summenformel.
Korollar 1.16 (Euler–Maclaurin-Summenformel). Sei . Dann gilt mit
Nutzt man, dass für alle sowie gilt, so kann man die Summenformel kompakter als schreiben. Hier haben wir die Notation für eine Stammfunktion von genutzt.
Beispiel 1.17 (Stirling6-Reihe). Als erstes Betrachten wir wieder die Folge . Wendet man die Euler–Maclaurinsche Summenformel auf die Darstellung an, so erhalten wir mit und für entsprechend In dieser Darstellung ist der letzte Summand kein Restterm, allerdings gilt und nun kann der Restterm abgeschätzt werden. Bis auf die noch zu bestimmenden Konstante haben wir also gezeigt. (Es gilt .)
Beispiel 1.18. Als zweites Beispiel betrachten wir die Partialsummen der harmonischen Reihe. Hier gilt entsprechend mit Weiter gilt und damit für alle Die Konstante wird als Euler–Mascheroni7-Konstante bezeichnet.
Beispiel 1.19 (Faulhabersche8 Formeln). Als drittes Beispiel betrachten wir die Potenzsummen zu beliebigem Exponenten . Da dann der Restterm identisch verschwindet liefert die Euler–Maclaurinsche Summenformel eine explizite Darstellung Für beliebige Exponenten liefert die Euler–Maclaurinsche Summenformel wiederum asymptotische Entwicklungen. Eine analoge Rechnung liefert für jedes Für die verallgemeinerten Binomialkoeffizienten siehe auch .
1.4 Die Methode von Laplace
1.20. Oft werden interessante Größen als Integrale dargestellt. Ein typisches Beispiel dafür ist die Fakultät die Gültigkeit dieser Formel erschließt sich durch partielles Integrieren zusammen mit Wir wollen die Integraldarstellung nutzen, um das asymptotische Verhalten von für große zu untersuchen. Die verwendete Methode geht auf Laplace9 zurück. Wir formulieren das Resultat möglichst allgemein, benötigen aber vorher zwei Hilfsaussagen.
Lemma 1.21. Es gilt sowie für alle und unter Ausnutzung des Pochhammersymbols10.
Proof. Gleichung folgt wegen Gleichung ist offensichtlich, da der Integrand ungerade ist. Gleichung folgt per Induktion. Bezeichne dazu das zu bestimmende Integral. Dann gilt mittels partieller Integration Mit folgt und damit die Behauptung. ◻
Lemma 1.22. Sei beschränkt. Dann gilt für jedes
Proof. Wir substituieren und erhalten und das verbleibende Integral ist durch beschränkt. ◻
Satz 1.23 (Laplace). Sei und beliebig oft differenzierbare Funktionen, so daß
ein Punkt mit , und existiert;
für jedes ein existiert, so daß für stets gilt;
die Integrierbarkeitsbedingung erfüllt ist.
Dann gilt die asymptotische Entwicklung für mit Konstanten , die durch für eine glatte Funktion mit gegeben sind.
Wichtig ist die Existenz einer asymptotischen Entwicklung und die Form der Terme. Die dabei auftretenden Koeffizienten sind durch Koeffizientenvergleich mitunter auch einfacher zu berechnen.
Proof. Es genügt, den Fall zu betrachten. Sei also im folgenden und glatt mit und , sowie für alle mit . Wir zerlegen das Integral in zwei Teile und integrieren einmal für und einmal über das Intervall .
Es gilt für jedes mit dem entsprechenden und damit strebt dieses Integral schneller gegen Null als alle Terme der zu zeigenden asymptotischen Entwicklung.
Für das verbleibende Integral substituieren wir. Das Integralrestglied des Taylorschen Satzes liefert Dabei ist beliebig oft differenzierbar und erfüllt Damit existiert ein , so daß für alle gilt und die Funktion ist für beliebig oft differenzierbar und erfüllt . Durch Verkleinern von kann man insbesondere erreichen, daß streng monoton ist und eine differenzierbare Umkehrfunktion besitzt. Substituiert man nun , so ergibt sich und es bleibt, das Verhalten dieses Integrals zu untersuchen. Wir setzen dazu die Funktion zu einer glatten und zusammen mit allen ihren Ableitungen beschränkten Funktion fort. Da damit wiederum und eine entsprechende Abschätzung für die untere Hälfte gilt, genügt es, die Behauptung für das Integral zu zeigen.
Wir nutzen die Taylorsche Formel für die Funktion . Es gilt für jedes mit den Koeffizienten Das Integral im Restterm ist nach Konstruktion gleichmäßig beschränkt, der Restterm also Produkt aus einem Polynom und einer beschränkten Funktion. Wir betrachten die Summanden einzeln. Lemma impliziert, daß der Restterm zu gehört. Für die Summanden des Taylorpolynoms substituieren wir und erhalten das verbleibende Integral berechnet sich mit Lemma . ◻
Beispiel 1.24 (Stirlingsche Formel). Wir nutzen die Substitution in Damit ist Satz anwendbar. Die Funktion besitzt ihr eindeutig bestimmtes Maximum in mit , und . Also gilt mit noch zu bestimmenden Konstanten die asymptotische Entwicklung für . Wir bestimmen die ersten auftretenden Konstanten. Wegen folgt und damit also Der erste Term der Entwicklung ist als Stirlingsche Formel bekannt.
Besitzt die Funktion mehrere Maxima zum selben Wert, so addieren sich die asymptotischen Terme einfach. Mit wenigen Änderungen im Beweis lassen sich auch Maxima höherer Ordnung der Funktion oder Situationen in denen die Maxima am Intervallende liegen behandeln. Wir betrachten nur die Hauptterme der Asymptotik und überlassen die detaillierten asymptotischen Entwicklungen dem interessierten Leser. Wir benötigen die Eulersche Gammafunktion
definiert für .
Lemma 1.25 (Watson11). Seien , und stetig mit für sowie der Integrabilitätsbedingung Dann gilt
Proof. Wir zerlegen das Integral in zwei Teile und integrieren über und für noch zu bestimmendes . Da auf einem Kompaktum stetig und damit beschränkt ist, folgt und dieser Term ist ein Restterm für die zu zeigende Abschätzung. Weiter gilt und die Definition der -Funktion impliziert mit der Substitution , Wegen folgt damit durch Addition der Terme die Behauptung. ◻
Beispiele 1.26. Wir beschränken uns auf die Hauptterme der Entwicklungen. Es gilt als direkte Konsequenz von Satz . Weiterhin ergibt sich je nach Wahl des reellen Parameters . Das Nachrechnen verbleibt als Übungsaufgabe.
1.5 Erzeugendenfunktionen
1.27. Es bezeichne die Menge aller mit Dann betrachten wir die zu assoziierte Erzeugendenfunktion
Diese ist nach Konstruktion analytisch in der Kreisscheibe und enthält alle Informationen über die Folge . So gilt sowie nach den Formeln von Cauchy12 für jeden im Innern der Kreisscheibe verlaufenden Weg mit Windungszahl um den Ursprung. Mitunter ist es möglich, die Erzeugendenfunktion einer interessanten (und nicht explizit bekannten) Folge direkt anzugeben.
Beispiel 1.28. Zur Vorbereitung ein Beispiel. Zu und bezeichne zusammen mit das Pochhammer-Symbol13. Offenbar gilt für alle und . Das Pochhammer-Symbol erlaubt es, verallgemeinerte Binomialkoeffizienten zu definieren. Die Erzeugendenfunktion zu dieser Folge ist durch gegeben und besitzt mindestens den Konvergenzradius 1. Wegen gilt der allgemeine binomische Satz. Er geht auf Newton14 für reelles und Abel15 für komplexes zurück.
Lemma 1.2 (Newton–Abel). Sei beliebig. Dann gilt Insbesondere gilt damit für jeden Weg in der Einheitskreisscheibe der den Ursprung einmal positiv umläuft.
Definition 1.29. Seien . Dann bezeichnet definiert durch das Cauchyprodukt der Folgen und .
Proposition 1.30. Seine . Dann gilt mit sowie
Proof. Der Beweis erfolgt durch direktes Nachrechnen. Es gilt unter Ausnutzung der absoluten und gleichmäßigen Konvergenz der Potenzreihen im Inneren des Konvergenzradius. Die Behauptung folgt. ◻
Sei im Folgenden die Folge mit und für . Dann gilt .
Korollar 1.31. Die Menge bildet zusammen mit der Multiplikation und der Skalarmultiplikation mit komplexen Zahlen eine -Algebra mit Eins . Ein Element ist genau dann bezüglich invertierbar, wenn gilt und die Inverse mit erfüllt also
Zur Berechnung von genügen die ersten Folgenglieder von .
Proposition 1.32. Seien definiert durch und für sowie . Sei weiter definiert durch . Dann gilt sowie
Beispiel 1.33 (Erzeugendenfunktion der Fibonacci16-Folge). Die Fibonacci-Folge ist durch die Rekursionsvorschrift zusammen mit den Anfangswerten und bestimmt. Offenbar gilt für alle und die Fibonacci-Folge besitzt eine Erzeugendenfunktion . Diese erfüllt aufgrund der Rekursion die Gleichung unter Ausnutzung von und . Das kann man nach umstellen und erhält
Beispiel 1.34 (Explizite Darstellung der Fibonacci-Folge). Man kann die soeben gewonnene Erzeugendenfunktion der Fibonacci-Folge nutzen, um eine explizite Darstellung zu erhalten. Dazu verschieben wir den Integrationsweg um den Pol im Ursprung in wie in Abbildung dargestellt ins Unendliche und nutzen den Residuensatz für die dabei überstrichenen Pole der Erzeugendenfunktion. Diese liegen bei den Punkten und haben die Residuen Damit gilt Diese explizite Formel geht auf Moivre17 und Binet18 zurück. Die Residuen werden subtrahiert, da die Pole im Uhrzeigersinn umlaufen werden.
1.35. Sei ein Gebiet in der komplexen Zahlenebene. Dann bezeichne den Ring der holomorphen Funktionen und seinen Quotientenkörper, also den Körper der meromorphen Funktionen . Sei weiter .
Die Zuordnung der Erzeugendenfunktion definiert damit eine Abbildung Betrachtet man zusätzlich asymptotisches Verhalten der Folge , so ergibt sich etwas mehr. Einerseits gilt und damit andererseits impliziert schon . Es besteht ein Zusammenhang zwischen gewissen asymptotischen Entwicklungen und einer meromorphen Fortsetzung der Erzeugendenfunktion über den Konvergenzkreis hinaus.
Satz 1.36. Sei . Dann sind die folgenden zwei Aussagen äquivalent.
Die Erzeugendenfunktion ist meromorph mit Polen in Punkten mit Ordnungen für und
Für die Folge gilt .
Man beachte, daß ein Polynom vom Grad in der Variablen ist, während sich exponentiell verhält.
Proof. Da für Folgen genau dann gilt, wenn ihre Erzeugendenfunktionen zu gehören, genügt es die Summanden beziehungsweise Pole einzeln zu betrachten. Es gilt mit der geometrischen Summenformel sowie wegen entsprechend Addition aller dieser Terme liefert die Behauptung. ◻
Beispiel 1.37. Wir wollen dies anwenden und das asymptotische Verhalten von Lösungen inhomogener Rekursionsgleichungen zu gegebener Folge und gegebenen Koeffizienten betrachten. Wir nehmen an, daß der Konvergenzradius hinreichend groß ist und betrachten die zugeordneten Erzeugendenfunktionen Für ist noch zu zeigen, daß diese existiert. Die Rekursionsgleichung impliziert nun und damit also mit Polynomen vom Grad sowie vom Grad in der Variablen . Wir können annehmen an, daß gilt (sonst ist die Rekursion von niedrigerer Ordnung) und folgern, daß dann in einer Umgebung von die Funktion holomorph ist und durch gegeben ist. Diese Funktion ist auf dem Konvergenzkreis von meromorph, das asymptotische Verhalten wird durch die im Inneren liegenden Pole (also die Nullstellen von ) bestimmt. Besitzt auch eine meromorphe Fortsetzung über den Konvergenzkreis, so ergeben sich weitere asymptotische Terme.
1.38. Erzeugendenfunktionen sind eng mit der additiven Struktur der natürlichen Zahlen verbunden. Das hat man bei Rekursionsgleichungen gesehen, wird aber insbesondere bei Problemen der additiven Zahlentheorie deutlich. Wir skizzieren nur eines und bezeichnen zu einer natürlichen Zahl die Anzahl der wesentlich verschiedenen Möglichkeiten, die Zahl als Summe natürlicher Zahlen zu schreiben, als Zerfällungszahl. So gilt und damit . Wir setzen ebenso . Zerfällungszahlen erfüllen keine offensichtliche Rekursionsgleichung, allerdings existiert eine explizite Formel für ihre Erzeugendenfunktion.
Lemma 1.3 (Euler). Es gilt
Proof. Wir bezeichnen mit die Anzahl der Zerlegungen in Summanden kleiner oder gleich . Dann gilt der -te Faktor zählt die Anzahl der Summanden in der Zerlegung. Offenbar gilt und alle auftretenden Reihen sind für absolut konvergent. Also ist Umordnen erlaubt. Darüberhinaus ist monoton wachsend und für . Weiter konvergiert das unendliche Produkt für alle reellen und es folgt und damit . Also konvergiert die Reihe für gegen . Da die Koeffizienten der Reihe positiv und monoton wachsend sind, impliziert der Satz über die majorisierte Konvergenz, daß lokal gleichmäßig in . ◻
Die Eulersche Produktformel für die Erzeugendenfunktion hat eine wesentliche Singularität in , ist also nicht analytisch über den Einheitskreis hinaus fortsetzbar. Damit hilft uns die Erzeugendenfunktion nicht zur Diskussion asymptotischen Verhaltens.
1.6 Erzeugendenfunktionen vom Exponentialtyp
1.39. Sei die Menge aller Folgen mit Dann betrachten wir die zu assoziierte Erzeugendenfunktion vom Exponentialtyp oder exponentiell erzeugende Funktion Wiederum bestimmt die Erzeugendenfunktion die Folge, es gilt aufgrund der Definition als Potenzreihe sowie des Residuensatzes.
Definition 1.40. Seien . Dann bezeichnet definiert durch die Kombination der Folgen und .
Proposition 1.41. Seien . Dann gilt mit sowie Damit wird mit der Multiplikation zu einer -Algebra mit Einselement . Weiter ist genau dann bezüglich invertierbar, wenn gilt.
Erzeugendenfunktionen vom Exponentialtyp sind interessant für kombinatorische Fragestellungen. Wir betrachten dazu einige Beispiele.
Beispiel 1.42 (Stirlingzahlen zweiter Art). Sei die Anzahl der Möglichkeiten eine -elementige Menge in nichtleere disjunkte Teile zu zerlegen. Dann gilt offenbar und für . Weiterhin gilt also da man zum Zerlegen in Teile zuerst Elemente auswählen und dann den Rest in Teile zerlegen kann. Dabei ist zu beachten, daß jedes der Teile als erstes ausgewählt werden kann, wir also alle Zerlegungen -fach gezählt haben. Also folgt für die exponentiell erzeugende Funktion der Folge Damit kann man die Zahlen explizit angeben, es gilt Man sieht deutlich, daß für alle .
Beispiel 1.43 (Bellsche19 Zahlen). Die Anzahl der Partitionen einer Menge von Elementen wird als die Bellsche Zahl bezeichnet. Wegen und gilt für die zugeordnete exponentielle erzeugende Funktion Also folgt für die Bellschen Zahlen
Beispiel 1.44 (Stirlingzahlen erster Art). Sei die Anzahl der Permutationen von Elementen, welche genau Zykel besitzen. Es gilt für und . Darüberhinaus gibt es genau Permutationen mit einem Zykel (da man ja die Reihenfolge der Zykelelemente permutieren kann, aber jeden Zykel dabei -fach zählt). Damit gilt für die exponentiell erzeugende Funktion von Weiter gilt also da wir Möglichkeiten haben ein -Tupel aus Elementen als ersten Zykel auszuwählen, diesen dabei aber -fach zählen und Möglichkeiten haben, die verbleibenden Elemente mit Zykeln zu permutieren. Da wir mögliche Wahlen erster Zykel haben, haben wir insgesamt jede Permutation fach gezählt. Also folgt für die exponentiell erzeugende Funktion der Folge und damit die explizite Darstellung der Stirlingzahlen erster Art
1.45 (Borelkorrespondenz). Erzeugendenfunktionen und exponentiell erzeugende Funktionen sind eng miteinander verbunden.
Da offenbar , kann man jeder Folge mit neben einer Erzeugendenfunktion eine (ganze!) exponentiell erzeugende Funktion zuordnen.
Satz 1.1 (Borel20). Sei und seien die zugeordnete Erzeugendenfunktion sowie die zugeordnete expenonentiell erzeugende Funktion. Dann gilt
Proof. Wir zerlegen den Beweis in drei Schritte. Schritt 1. Für gilt mit der Cauchyschen Formel die Abschätzung und damit und analog für alle Ableitungen Schritt 2. Abschätzung auftretender Integrale. Es gilt für alle . Damit konvergiert für jedes und jedes absolut.
Schritt 3. Partielles Integrieren liefert für jedes die Darstellung Die Resttermabschätzung mit liefert lokal gleichmäßig in . ◻
1.7 Die Methode des steilsten Abstiegs
Wir fragen uns, wie sich die Stirlingschen und die Bellschen Zahlen für verhalten. Dazu nutzen wir die Darstellungen als komplexe Kurvenintegrale und wählen optimale Integrationswege zur Abschätzung ihrer Größe. Die Methode geht in dieser (komplexen) Form auf Riemann21 und Debye22 zurück und verallgemeinert die reelle Methode von Laplace.
Analytische Landschaft für Phasenportrait für
1.46. Vorbereitend betrachten wir nochmals die Folge der Fakultäten und skizzieren die wichtigsten Schritte der Methode. Es gilt für jeden Weg , der den Ursprung einmal positiv umläuft. Mit der Substitution für ergibt sich daraus und es stellt sich die Frage nach dem optimal zu wählenden Integrationsweg. Die analytische Landschaft des Integranden besitzt einen Pol im Ursprung und wächst für große exponentiell, weiterhin besitzt sie auf der positiven reellen Achse genau einen Sattelpunkt und dieser liegt in , vgl. Abbildung23 . Wir wählen den Integrationsweg nun so, daß er aus dem negativ Unendlichen kommend über den Sattelpunkt und danach wieder ins negativ Unendliche verläuft. Weiter sollte er den Sattelpunkt möglichst steil ansteigend erreichen und steil abfallend wieder verlassen.
Es bietet sich also an, den Integrationsweg wie in Abbildung zu wählen. Sei also zum Beispiel der Weg parallel zur negativen reellen Achse aus dem Unendlichen kommend bis , danach ein Halbkreis mit Radius und parallel zur negativen Achse zurück von ins Unendliche. Bezeichne wiederum den Exponenten, so gilt damit in der Nähe des Sattelpunktes entlang und für alle Punkte auf und . Das erlaubt es, die reelle Methode von Laplace auf das Integral anzuwenden, und wir erhalten für sowie wegen und mit einer geeigneten Subsitution des Integranden, welche auf abbildet was zusammengefaßt wiederum die Stirlingsche Formel liefert.
Wir beginnen mit einem Lemma, welches die Struktur von Sattelpunkten genauer beschreibt.
Lemma 1.47. Sei holomorph und gelte für ein Dann existiert eine offene Menge mit und eine holomorphe Funktion mit sowie , .
Proof. Wir können zur Vereinfachung des Beweises annehmen, daß und gilt. Der allgemeine Fall folgt durch Verschieben der Funktionen und Addition von Konstanten. Dann gilt und somit mit , und holomorph in einer Umgebung von . Damit ist aber auch holomorph um und . Also existiert eine holomorphe Inverse und mit folgt die Behauptung. ◻
1.48. Wir betrachten nun allgemeiner Integrale der Form für holomorphe Funktionen und und geeignet gewählte Integrationswege in ihrem Definitionsbereich. Der Einfachheit halber nehmen wir an, daß der Betrag des Integranden am Rand des Definitionsbereichs gegen Unendlich strebt. Weiterhin sei nicht konstant.
Es stellt sich zuerst die Frage nach der Wahl geeigneter Wege. Dazu nehmen wir zuerst an, daß der Weg Punkte und verbindet, die in verschiedenen Komponenten von für ein liegen. Dann muß auf dem verbindenden Weg ein Maximum annehmen und wir wollen Wege so wählen, daß zumindest dieses minimal ist. Der Weg führt damit über Sattelpunkte.
Es stellt sich die Frage wie viele Möglichkeiten dafür bestehen. Die höchsten der zu passierenden Sattelpunkte sind durch die Homotopieklasse der Wege eindeutig bestimmt. Angenommen es gäbe zwei solcher Wege über verschiedene Sattelpunkte gleicher Höhe, dann wäre ihre Verkettung ein geschlossener Weg und nach dem Maximumprinzip wäre im Inneren niedriger als die beteiligten Sattelpunkte. Das aber widerspricht der Minimalität.
Wir betrachten nun einen solchen Weg und nehmen weiter ohne Beschränkung der Allgemeinheit an, daß es nur einen Sattelpunkt entlang des Weges gibt. Dann kann dieser zerlegt werden in eine kleine Umgebung des Sattelpunktes mit und Teile , auf denen mit kleinem (abhängig von der Umgebung des Sattelpunktes) gilt. Auf letzteren erhalten wir also während erstere je nach Ordnung des Sattelpunktes auf Integrale der Form führen. Diese sind aber nun von der Form, die mit der Methode von Laplace und insbesondere dem Watsonschen Lemma behandelt werden kann. Wählt man Wege stärksten An- und Abstiegs, also solche die zum Gradienten von parallel sind, so ist dort konstant (da ) und somit reell (und negativ) und die asymptotische Entwicklung ergibt sich durch gliedweise Integration der Potenzreihen von . Nach Konstruktion gilt und somit folgt für den Hauptterm der Entwicklung wobei und die Winkel der ein- und auslaufenden Wege in der -Ebene zur positiven reellen Achse bezeichnen. Im letzten Schritt haben wir die Formel aus Lemma verwendet.
Satz 1.2. Seien und holomorph und sei ein über genau einen Sattelpunkt der Ordnung verlaufender Weg steilsten Abstiegs für . Dann gilt für mit und den Winkeln der ein- und auslaufenden Wege und den Koeffizienten der Potenzreihe mit aus Lemma .
Speziell für einen nichtentarteten Sattelpunkt (also mit ) folgt aus mit dem Winkel des Weges in der -Ebene zur reellen Achse.
Korollar 1.1. Seien und holomorph und sei ein über genau einen nichtentarteten Sattelpunkt verlaufender Weg steilsten Abstiegs für . Dann gilt für mit dem Winkel des Weges durch den Sattelpunkt und den Koeffizienten der Potenzreihe mit aus Lemma .
Für mehrere gleich hohe Sattelpunkte addieren sich die asymptotischen Terme, niedrigere sind im Restterm enthalten und können vernachlässigt werden.
Beispiel 1.49 (Stirlingreihe). Speziell mit und folgt aus für den Weg aus Abbildung mit , , und sowie (d.h. man durchläuft den Sattelpunkt in Richtung der imaginären Achse) die asymptotische Reihe mit Koeffizienten , die sich aus zusammen mit ergeben.
Für die ersten Koeffizienten erhalten wir ausgehend von aus der ersten Gleichung und damit , und . Daraus ergibt sich , sowie und damit
2 Asymptotik im Allgemeinen
In diesem kurzen Kapitel soll Asymptotik in größerer Allgemeinheit diskutiert werden. Dazu betrachten wir Funktionen definiert auf einer Menge und wertig in einem (normierten) Vektorraum . Beispiele für zu betrachtende Mengen sind vielfältig, so kann gelten oder für holomorphe Funktionen ein Sektor oder oder ein Streifen in der komplexen Zahlenebene sein. Das Verhalten von Funktionen auf Sektoren wird insbesondere für durch komplexe Kurvenintegrale definierte spezielle Funktionen von Bedeutung sein.
Für andersgeartete Beispiele kann auch oder gelten und wir interessieren uns für das asymptotische Verhalten nicht in einem archimedischen sondern in einem -adischen Sinne.
2.1 Filter und Landausche Ordnungssymbolik
Definition 2.1. Ein Filter auf einer Menge ist ein Mengensystem , für welches
und ;
impliziert ; sowie
und impliziert
gilt. Ein nichtleeres Mengensystem, welches (1) und (2) erfüllt, heißt Filterbasis . Der kleinste Filter, der die gegebene Filterbasis enthält, wird als der von dieser erzeugte Filter bezeichnet.
Beispiele 2.2.
In einem nichtleeren metrischen Raum mit Metrik bestimmt zu gegebenem zusammen mit eine Filterbasis. Der erzeugte Filter wird als Umgebungsfilter von bezeichnet. Wir verwenden für diesen Filter die Schreibweise .
In einem unbeschränkten metrischen Raum (d.h., einem metrischen Raum in welchem zu gegebenem zwei Punkte mit existieren) bestimmt zu vorgegebenem eine Filterbasis. Der erzeugte Filter ist vom gewählten unabhängig und entspricht dem Umgebungsfilter des unendlich fernen Punktes . Wir verwenden die Schreibweise für diesen Filter.
Auf bezeichne den durch die Mengen , , erzeugten Filter. Ebenso bezeichnet den durch die Mengen , , erzeugten Filter. Der Filter wird durch die Mengen , , erzeugt und ist eher von untergeordnetem Interesse.
Beispiel 2.3. Sei ein Filter auf einer Menge und eine beliebige Menge. Dann erzeugt die Filterbasis einen Filter auf . Man sagt, man verwendet den Filter gleichmäßig bezüglich .
Beispiel 2.4. Auf bestimmt jede Primzahl durch die Filterbasis einen Filter. Dieser wird als -adischer Filter bezeichnet. Er ist für gewisse zahlentheoretische Anwendungen von Interesse. Auf betrachtet man entsprechend den von erzeugten Filter.
Asymptotisches Verhalten wird in Abhängigkeit von einem Filter definiert. Dazu sei eine Menge, versehen mit einem Filter , und ein normierter Vektorraum über oder . Betrachtet werden Funktionen .
Definition 2.5. Sei ein Filter auf einer Menge und ein normierter Vektorraum. Sei und gelte für alle .
Es bezeichne Für sagen wir sei ein groß- von .
Weiterhin bezeichne Für sagen wir sei ein klein- von .
Oft fordern wir stillschweigend weitere Voraussetzungen an (Meßbarkeit, Stetigkeit oder Holomorphie), die aber aus dem Kontext klar sein sollten. Die wesentlichen Eigenschaften sind analog zu denen in Abschnitt und sollen nur kurz zusammengefasst werden.
Proposition 2.6. Die Mengen und sind Vektorräume über beziehungsweise . Weiterhin gilt
;
und impliziert und ;
ebenso impliziert mit schon ;
und impliziert ;
ebenso impliziert und schon .
Wir definieren ebenso asymptotische Vergleichbarkeit und asymptotische Äquivalenz.
Definition 2.7. Seien mit . Dann heißen und asymptotisch vergleichbar bezüglich des Filters , falls gilt. Wir schreiben oder nur kurz .
Korollar 2.8. Angenommen, es gilt . Dann gilt .
Definition 2.9. Seien asymptotisch vergleichbar. Dann heißen und asymptotisch äquivalent bezüglich des Filters , falls und wir schreiben oder kurz .
2.2 Integrieren und Differenzieren
2.10. In diesem Abschnitt sei und Funktionen seien der Einfachheit halber als stetig (differenzierbar) und komplexwertig vorausgesetzt. Der verwendete Filter ist .
Wie zu vermuten, stimmen hier die Ordnungssymbole mit den schon bekannten Bezeichnungen überein. Sind stetig und gilt , so ergibt sich und ebenso
Proposition 2.11. Angenommen, es gilt mit . Seien weiter Dann gilt .
Proof. Da gilt, existiert insbesondere eine Konstante mit für alle . Also folgt für alle und die Aussage ist gezeigt. ◻
Proposition 2.12. Angenommen, es gilt mit . Seien weiter und gelte . Dann gilt .
Proof. Wir unterscheiden zwei Fälle. Ist unbeschränkt, so ist die Regel von l’Hôpital anwendbar und es folgt Ist andererseits beschränkt, so ist die Aussage trivial. ◻
Für absolut integrierbares ist die entsprechende Aussage im allgemeinen falsch.
Beispiel 2.13. Wir skizzieren eine einfache Anwendung. Angenommen, wir wissen daß für eine Funktion die Bedingung gilt. Nach Definition impliziert dies und damit (da die Stammfunktion von 1 unbeschränkt ist) nach Proposition
2.3 Asymptotische Entwicklungen
Beispiel 2.14. Nicht explizit berechenbare Integrale kann man oft asymptotisch berechnen. Dazu wieder ein einfaches Beispiel. Wir betrachten die Exponentialintegralfunktion
Mit einer partiellen Integration folgt Wir zeigen, dass der letzte Summand für in liegt. Dazu teilen wir das Integral in zwei Hälften und schätzen diese separat ab, Also gilt
Obige Argumentation kann man iterieren und mehrere Schritte partiell integrieren. Dies liefert jeweils bessere asymptotische Terme Letzteres gilt für jedes , also haben wir gezeigt. Allerdings divergiert die Reihe für alle , die Darstellung von über diese Reihe ist rein asymptotisch. Die Reihe beschreibt das asymptotische Verhalten der Funktion für .
Wir formulieren die Definition wiederum möglichst allgemein, beschränken uns aber auf eine vereinfachte Fassung des Begriffs asymptotische Entwicklung.
Definition 2.15. Sei ein Filter auf und ein normierter Rraum.
Eine Folge positiver Funktionen heißt asymptotische Folge bezüglich , falls für alle gilt.
Eine Funktion besitzt eine asymptotische Entwicklung im Sinne von Poincaré24 bezüglich der asymptotischen Folge , falls es Konstanten mit ü gibt. In diesem Fall schreiben wir kurz .
Eine Funktion besitzt eine asymptotische Entwicklung im Sinne von Erdélyi25 bezüglich der asymptotischen Folge , falls es Funktionen mit ü gibt. In diesem Fall schreiben wir kurz .
Beispiel 2.16. Interessante asymptotische Folgen auf für den Filter sind insbesondere für eine Folge mit und ebenso für mit . Beide werden uns noch einmal begegnen. Für wird insbesondere von Interesse sein.
Beispiele 2.17. Beispiele asymptotischer Entwicklungen sind uns schon begegnet.
Es ist eine asymptotische Entwicklung bezüglich der asymptotischen Folge
Für jedes gilt nach dem Taylorschen Satz Ist die Funktion holomorph, so konvergiert die Reihe insbesondere lokal gleichmäßig. Im Allgemeinen muß die Reihe nicht konvergent sein und auch falls sie konvergent ist nicht gegen die Funktion konvergieren.
Das Problem ist zu zeigen, daß Funktionen asymptotische Entwicklungen besitzen. Das Bestimmen der dabei auftretenden Koeffizienten ist dann in der Regel einfach. Wir beschränken uns nachfolgend auf Entwicklungen im Sinne von Poincaré.
Proposition 2.18.
Angenommen, zwei Funktionen und besitzen asymptotische Entwicklungen und . Dann besitzt für alle die Funktion eine asymptotische Entwicklung und es gilt
Angenommen, besitzt die asymptotische Entwicklung . Dann besitzt die Differenz die asymptotische Entwicklung .
Die Koeffizienten einer asymptotischen Entwicklung im Sinne von Poincaré sind eindeutig bestimmt.
Proof.(1) und (2) folgen direkt aus der Vektorraumstruktur von . (3) Angenommen, besitze zwei asymptotische Entwicklungen und . Dann gilt insbesondere und damit Da aber gilt, muß gelten. Damit ist der erste Koeffizient eindeutig bestimmt und die Behauptung folgt per Induktion, indem man jeweils die Entwicklung der Reste betrachtet und damit jeweils schließt. ◻
Betrachtet man speziell Funktionen auf und den Filter , so kann man asymptotische Reihen gliedweise integrieren und, so die Ableitung eine asymptotische Entwicklung besitzt, auch differenzieren. Es gilt
Proposition 2.19.
Sei eine asymptotische Folge stetiger Funktionen für den Filter . Angenommen, die Integrale konvergieren für alle . Dann ist ebenso asymptotische Folge .
Sei stetig und besitze eine asymptotische Entwicklung Dann konvergiert und besitzt die asymptotische Entwicklung
Proof.(1) folgt aus der Regel von l’Hôpital. Da nach Konstruktion für gilt, liefert diese (2) Es gilt mit einem Rest . Also folgt und damit also die Behauptung. ◻
2.20. Von besonderem Interesse ist das soeben gezeigte für asymptotische Reihen der Form oder asymptotische Potenzreihen Sind die Funktionen komplexwertig, so kann man solche asymptotischen Reihen addieren, multiplizieren und (falls der führende Koeffizient ungleich Null ist) auch dividieren. Asymptotische Potenzreihen kann man gliedweise integrieren und sobald die Ableitung der Funktion ebenso eine asymptotische Entwicklung besitzt auch differenzieren. Die Details seien als Übungsaufgabe überlassen.
Satz 2.21 (Borel26, Peano27). Sei eine beliebige komplexe Zahlenfolge. Dann existiert eine Funktion mit , also mit
Proof. Wir folgen dem Beweis von Borel und wählen uns eine Funktion mit , für und für . Für eine noch zu bestimmende monoton wachsende Folge sei Für hat die Reihe genau einen von Null verschiedenen Summanden und es gilt . Für jedes andere sind nur endlich viele der Summanden ungleich Null. Damit ist und es genügt, die Folge so zu konstruieren, daß gilt.
Für sei so groß gewählt, daß Für größere sei so groß, daß gilt. Dann konvergiert die Reihe wegen absolut in und der Grenzwert sowie die ersten Ableitungen verschwinden in . Also folgt und der erste Summand ist lokal um ein Polynom und besitzt bis zur Ordnung die vorgegebenen Ableitungen. ◻
Annahme: Es existiere eine Folge mit für jedes , welche erzeugt (d.h. für jedes existiere ein mit ), sowie eine Folge mit und .
Satz 2.22. Zu jeder asymptotischen Reihe im Sinne von Erdélyi existiert eine Funktion mit .
Proof. Wir folgen der Beweisidee von Borel und wählen eine hinreichend schnell wachsende Folge . Dann ist für jedes die Summe endlich und es bleibt, die Asymptotik der Reihenreste zu untersuchen. Wir wählen so groß, daß gilt. Dies kann erfüllt werden, da für alle gilt und dies für festes nur endlich viele Bedingungen sind. Damit folgt und der Satz ist bewiesen. ◻
Obige Annahme schränkt die Anwendbarkeit des Satzes natürlich ein. Sie ist allerdings klar erfüllt für Filter, die über die Metrik eines Raumes definiert sind, und Funktionen, welche als stetig vorausgesetzt werden. Die Existenz der Funktionen ist dann durch das Lemma von Urysohn garantiert. Ebenso funktioniert das Argument für asymptotische Entwicklungen von Folgen. Für asymptotische Entwicklungen holomorpher Funktionen ist die Situation eine Andere und die Summierbarkeit beliebiger asymptotischer Reihen zu holomorphen Funktionen auch allgemeinen falsch.
2.4 Holomorphe Funktionen
2.23. Für ganze Funktionen ist das asymptotische Verhalten bezüglich des Umgebungsfilters von eher uninteressant; besitzt eine asymptotische Entwicklung in (positive und negative) Potenzen von , so ist schon ein Polynom. Interessantere Funktionen, die in Entwicklungen auftauchen können, besitzen ein richtungsabhängiges asymptotisches Verhalten. Ein typisches erstes Beispiel dazu wäre die Funktion , welche in Richtung der reellen Achse beschränkt ist, in imaginärer Richtung aber jeweils exponentiell wächst.
Beispiel 2.24. Als zweites Beispiel betrachten wir die Eulersche Gammafunktion definiert für durch Zumindest für reelle haben wir das asymptotische Verhalten schon diskutiert. Die Methode von Laplace liefert eine asymptotische Reihe der Form mit und (explizit berechenbaren) Koeffizienten .
Betrachtet man nun ein mit , so kann man ebenso nach der Asymptotik für bei festem fragen. Diese bestimmt sich wiederum nach einer Variante der Sattelpunktmethode. Es gilt mit der Substitution . Wir wählen den Integrationsweg über den Sattelpunkt der Funktion in mit , und . Damit folgt mit Gleichung für festes in der Halbebene . Daß die hierbei auftretenden Konstanten von unabhängig sind ist leicht nachzurechnen und folgt ebenso aus Formel . Ob die punktweise Asymptotik gleichmäßig in ist, muß vorerst offenbleiben. Dies ergibt sich aus allgemeineren Sätzen, denen wir uns zuerst zuwenden wollen.
2.25. Für holomorphe Funktionen bietet es sich deshalb an, das asymptotische Verhalten in Sektoren für zu untersuchen. Wir fragen nach dem asymptotischen Verhalten gegebener Funktionen , welche auf stetig und im Inneren von holomorph sind.
Hierbei ist zu beachten, daß es im Sektor verschiedene Möglichkeiten gibt, sich dem Unendlichen anzunähern. Uns interessieren deshalb das asymptotische Verhalten für gleichmäßig im Argument, also bezüglich des durch erzeugten Filters. Für holomorphe Funktionen ergibt sich überraschenderweise, daß Asymptotik auf den begrenzenden Strahlen unter minimalen Voraussetzungen schon gleichmäßige Asymptotik im Sektor impliziert. Das folgt aus dem Satz von Phragmén28–Lindelöf29 in der nachfolgenden allgemeinen Fassung. Er verallgemeinert das bekannte Maximumprinzip.
Satz 2.26 (Phragmén–Lindelöf). Sei stetig und holomorph im Inneren von . Angenommen, es gilt mit , sowie ü Dann gilt ü
Proof.Schritt 1. Wir zeigen zuerst die schwächere Form des Theorems unter der Voraussetzung für ein . Wir betrachten die Menge . Die Funktion mit erfüllt auf den berandenden Strahlen die Abschätzung sowie auf dem Kreisbogensegment mit Radius die Abschätzung Damit impliziert das Maximumprinzip aber für hinreichend groß und, da beliebig war, folgt die Behauptung.
Wir zeigen die Aussage unter der Voraussetzung für . Dazu betrachten wir und nutzen, daß für reelles wegen , , die Existenz von folgt. Damit kann auf jedem der Teilsektoren die Abschätzung aus Schritt 1 genutzt werden. Es gilt also Es folgt wiederum in . Damit ist aber die schwächere Voraussetzung von Schritt 1 für erfüllt und die Behauptung folgt durch erneute Anwendung von Schritt 1, diesmal für den ganzen Sektor. ◻
Die Aussage gilt entsprechend für Gebiete der Form , wobei man zusätzlich auf dem Kreisbogensegment fordern muß.
Korollar 2.27. Sei holomorph im Inneren und stetig bis zum Rand von und beschränkt. Dann gilt
Angenommen, für entlang der Strahlen . Dann gilt für gleichmäßig im Sektor .
Angenommen, für entlang eines Strahles und für entlang eines weiteren Strahles mit . Dann gilt .
Proof.(i) Durch Substitution von durch kann man erreichen, daß gilt. Sei also im folgenden und für die Funktion definiert. Sei weiter und so groß, daß für und . Dann gilt insbesondere für diese . Da beschränkt ist, existiert weiter , sodaß für . Also folgt in und damit (ii) folgt mit der Wahl , da dann wegen (i) gleichmäßig auf dem Sektor gilt. ◻
Wir formulieren noch eine Folgerung aus dem Satz von Phragmén–Lindelöf. Wir nutzen dazu den Halbstreifen . Die komplexe Logarithmusfunktion liefert eine biholomorphe Abbildung des Sektors auf den Halbstreifen der Breite . Damit kann das gerade gezeigte Theorem direkt in eine Streifenvariante überführt werden.
Satz 2.28 (Phragmén–Lindelöf). Sei stetig auf und holomorph im Inneren von . Angenommen, es gilt mit , sowie ü Dann gilt ü
Proof. Anwenden von Satz auf die Funktion , die auf dem Sektor definiert ist. ◻
Beispiel 2.29 (Airyfunktionen). Als Beispiel untersuchen wir die Lösungen der Airyschen Differentialgleichung30 Zusammen mit den Bedingungen und besitzt diese eine eindeutig bestimmte ganze Funktion als Lösung. Um das zu sehen, nutzen wir den Ansatz als Potenzreihe welcher eingesetzt in die Differentialgleichung zu und damit zur Rekursion für die Koeffizienten zusammen mit der Bedingung führt. Also folgt für alle sowie Die absolute Konvergenz der Reihen auf ganz folgt mittels Quotientenkriterium für die beiden Teilreihen mit und als Koeffizienten.
Das hilft uns aber nicht, das Verhalten der Lösungen für große zu untersuchen. Dazu benötigen wir eine alternative Darstellung der Funktionen als komplexe Kurvenintegrale und nutzen den Ansatz für eine zu bestimmende (holomorphe) Funktion und einen geeigneten (geschlossenen oder unbeschränkten) Weg . Formales Einsetzen in die Differentialgleichung liefert nun mittels partieller Integration bei der Wahl des Integrationsweges haben wir später sicherzustellen, daß diese Rechnung korrekt war.
Das Integral verschwindet für jeden Integrationsweg, falls der Integrand identisch verschwindet. Dazu wählen wir als Lösung der Differentialgleichung Den Integrationsweg in wählen wir nichttrivial, indem wir damit zwei der Strahlen , , verbinden. Da entlang dieser Strahlen der Integrand zusammen mit seinen Ableitungen exponentiell fällt, war obige Rechnung korrekt und wir erhalten die gesuchte Lösungsdarstellung.
Für den Weg , der aus Richtung kommt und nach verläuft, ergibt sich die Airyfunktion erster Art
deren Phasenportrait in Abbildung dargestellt ist. Unser Ziel ist es, das Verhalten der Funktion für große genauer zu untersuchen. Dazu nutzen wir die Sattelpunktmethode und untersuchen das Verhalten für bei festem . Es gilt mit der Substitution mit . Der Weg wird so deformiert, daß er über die (eindeutig bestimmten) Sattelpunkte minimaler Höhe von in seiner Homotopieklasse verläuft. Aufgrund von sind die beiden Sattelpunkte bei und es gilt sowie Für sind beide Sattelpunkte gleich hoch, jedoch ist nur der Fall besonders. Hier wechselt der optimale Sattelpunkt in der Homotopieklasse, siehe Abbildung .
Für verläuft der Weg über beide Sattelpunkte. Das entspricht später einer Stokeslinie31 im asymptotischen Verhalten, sonst verläuft der Weg nur über einen Sattelpunkt und der gewählte Sattelpunkt ist stetig in der Richtung für . Mit Formel folgt für die Asymptotik bei festem und unter Beschränkung auf den Hauptterm der Asymptotik für . Es gilt also auf dem Strahl zusammengefaßt Diese Asymptotik ist gleichmäßig auf Sektoren für . Um das zu sehen nutzen wir den Satz von Phragmén–Lindelöf und benötigen zuerst noch eine grobe Abschätzung der Airyfunktionen. Dazu nutzen wir die Potenzreihendarstellung und schätzen grob die beiden Lösungen der Airygleichung mit und sowie und ab. Wegen gilt und somit folgt Damit ist aber in Sektoren mit Öffnungswinkel kleiner der Satz von Phragmén–Lindelöf anwendbar und Korollar liefert die Gleichmäßigkeit der Asymptotik. Also gilt, da man den Sektor mit endlich vielen solcher Sektoren überdecken kann, gleichmäßig in für beliebig kleines . Analog sieht man, dass die in jeder Richtung existierenden asymptotischen Entwicklungen konsistent sind (also dieselben Koeffizienten haben) und ebenso gleichmäßig in jedem Sektor mit Koeffizienten und (berechenbaren) gilt.
Analytische Landschaft der Funktion
Für verläuft der optimale Weg über beide Sattelpunkte und wir müssen die asymptotischen Terme beider Sattelpunkte addieren. Dies liefert die andersgeartete Asymptotik mit . Der Wechsel der Asymptotik (also das Wechseln zwischen den Sattelpunkten) wird als Stokesphänomen bezeichnet und findet hier entlang der Stokeslinie
statt.
Um eine zweite zu linear unabhängige Lösung der Airyschen Differentialgleichung zu erhalten wählen wir den Integrationsweg bestehend aus den zwei Wegen verlaufend von aus dem Unendlichen kommend zur reellen Achse nach Unendlich verlaufend sowie von kommend und entlang der reellen Achse ins Unendliche verlaufend und betrachten die Airyfunktion zweiter Art
Nach Substitution für und optimaler Wahl des Weges verläuft dieser wie in nachfolgender Tabelle dargestellt:
relevante Sattelpunkte
zweifach über den höheren Sattelpunkt in in Richtung
zweifach über den Sattelpunkt in Richtung
und einfach über in Richtung
zweifach über den Sattelpunkt in Richtung
und einfach über in Richtung
einfach über den höheren Sattelpunkt in in Richtung
über beide Sattelpunkte in Richtungen
Damit folgt wiederum gleichmäßig auf für , gleichmäßig auf für , gleichmäßig auf für , für , sowie im Falle
Beispiel 2.30. Als zweites Beispiel betrachten wir die Besselfunktionen32 der Ordnung . Diese besitzen die Erzeugendenfunktion und damit die Integraldarstellung für einen den Ursprung einmal positiv umlaufenden geschlossenen Integrationsweg. Die Besselfunktionen sind ganz, es stellt sich wiederum die Frage nach ihrem asymptotischen Verhalten für große . Offenbar gilt .
Phasenportrait der Besselfunktion für
Direkt aus der Definition und mit dem Einheitskreis als Integrationsweg ergibt sich die grobe Abschätzung Für das weitere gehen wir analog zum letzten Beispiel vor und betrachten für gegebenes und suchen eine Asymptotik für . Da dann gilt, stellt sich die Frage nach Sattelpunkten der Funktion . Diese liegen wegen in den Punkten mit . Wegen ist für der Sattelpunkt in höher, während für der Sattelpunkt in der Höhere ist. Für sind beide gleich hoch. Der geschlossene Integrationsweg verläuft jeweils über beide Sattelpunkte.
Also ist die reelle Achse eine Stokeslinie und das asymptotische Verhalten der Besselfunktionen in der oberen Halbebene unterscheidet sich vom asymptotischen Verhalten der Besselfunktionen in der unteren Halbebene. In der oberen Halbebene, also mit , impliziert und analog für die untere Halbebene, also sowie für als Summe beider Darstellungen Die asymptotischen Formeln sind wiederum gleichmäßig in Sektoren innerhalb der jeweiligen Halbebenen.
3 Integraltransformationen
In diesem Kapitel betrachten wir Integraltransformationen, welche Funktionen holomorphe Funktionen zuordnen. Diese verallgemeinern in gewissem Sinne die schon betrachteten Erzeugendenfunktionen für Folgen und uns interessiert wiederum der Zusammenhang zwischen asymptotischem Verhalten von und holomorphen beziehungsweise meromorphen Fortsetzungen von .
3.1 Die Laplacetransformation
Wir betrachten vorerst stetige Funktionen und diskutieren im Anschluß eine Verallgemeinerung auf Borelmaße.
Proposition 3.1. Sei für und bezeichne Dann ist holomorph in der Halbebene und erfüllt die Abschätzung mit einer von und abhängenden Konstanten . Die durch definierte Funktion wird als Laplacetransformierte von bezeichnet.
Proof. Sei . Dann gilt aufgrund der Definition von und somit die punktweise Abschätzung Also konvergiert das Integral absolut und lokal gleichmäßig und ist holomorph auf jeder Halbebene mit . ◻
Wir beginnen damit, die elementaren Eigenschaften der Laplacetransformation zusammenzufassen.
Proposition 3.2 (Linearität). Die Transformation ist linear; genauer es gilt sowie für beliebiges .
Proof. Folgt direkt aus der Linearität des Integrals. ◻
Definition 3.3. Seien zwei stetige (oder lokal integrierbare meßbare) Funktionen. Dann bezeichne ihre Laplacefaltung .
Proposition 3.4 (Faltungssatz). Es gilt sowie
Proof. Es gilt unter Ausnutzung des Satzes von Fubini solange . ◻
Proposition 3.5.
(Dämpfungssatz) Sei für ein . Dann gilt sowie
Sei . Dann gilt , sowie
Proof.(1) folgt direkt aus der Definition. folgt, da und die absolute Integrierbarkeit für das Vertauschen von Integral und Ableitung rechtfertigt. ◻
Proposition 3.6 (Differentiationssatz). Sei differenzierbar und gelte . Dann gilt sowie
Proof. Aus folgt und damit impliziert schon und damit . Das impliziert und somit liefert partielle Integration ◻
Beispiel 3.7. In der folgenden Tabelle sind einige elementare Funktionen und ihre Laplacetransformierten zusammengetragen. Sie wird für weitere Rechnungen wichtig sein. Die Transformierten ergeben sich durch direktes nachrechnen. So gilt und damit die erste Tabellenzeile. Weiter gilt damit unter Ausnutzung von Proposition (2) Dies erlaubt die Bestimmung der Laplacetransformierten aller trigonometrischen Polynome sowie aller Produkte aus Polynomen und trigonometrischen Funktionen. Ein weiteres Beispiel ergibt sich direkt aus der Definition der Gamma-Funktion. Es gilt unter Ausnutzung der Substitution und für . Für die Halbebene liefert holomorphe Fortsetzung die Laplacetransformierte.
Mitunter sind Differentiationssätze und Dämpfungssätze zur Berechnung der Transformation hilfreich. Um zu transformieren, nutzen wir, daß nach Multiplikation mit die Funktion mit der Transformierten entsteht. Da Multiplikation mit im Laplacebild der Ableitung entspricht, benötigen wir eine Stammfunktion. Diese ist und da wir das Laplacebild einer stetigen Funktion suchen ergibt sich aus der Abschätzung und damit durch Nullsetzen des Grenzwertes .
Funktion
Laplacetransformierte
Konvergenzabszisse
,
,
,
,
,
,
Die sinnvolle Nutzbarkeit einer solchen Tabelle hängt an der Injektivität der Transformation. Diese wird nachfolgend in Satz gezeigt. Nimmt man diese vorerst naiv an, so ergibt sich aus obiger Tabelle insbesondere die Inversion der Laplacetransformation auf rationalen Funktionen durch Partialbruchzerlegung. So liefert mit Koeffizienten und Polen für die Originalfunktion die Darstellung
Satz 3.8 (Eindeutigkeitssatz von Lerch33). Seien und stetig mit . Angenommen, es gilt mit für eine Menge , die mindestens einen ihrer Häufungspunkte enthält. Dann gilt .
Proof. Mit dem Verschiebungssatz können wir annehmen, daß gilt. Da nun sowohl als auch auf holomorph sind, liefert der Identitätssatz aus auf schon die Gleichheit auf der gesamten Menge . Weiter gilt , . Betrachtet man also die Funktionen und , so sind diese stetig auf und erfüllen . Wählt man nun speziell die Punkte , so folgt und, da nach dem Weierstraßschen Approximationssatz die Menge der Polynome dicht in ist, damit die Behauptung . ◻
Bemerkung: Der Eindeutigkeitssatz gilt ebenso für meßbare lokal essentiell beschränkte Funktionen und , sowie allgemeiner für die Laplacetransformierten von Radonmaßen. Die Aussage gilt auch für die Menge , wie gerade gezeigt, oder allgemeiner für eine Menge mit vorausgesetzt und sowohl als auch sind beschränkt in der rechten Halbebene (Satz von Müntz-Szasz).
Satz 3.9 (Laplace, Bromwichintegral34). Sei stetig mit . Dann gilt für jeden Punkt , in welchem hölderstetig ist
Proof. Es gilt für und jedes mit der Substitution . Wir setzen für und für . Dann ergibt obiges Integral und es bleibt, das den Grenzwert für zu untersuchen. Da gilt, liefert der zweite Summand den Wert . Wir zerlegen das erste Integral in drei Teile und betrachten diese einzeln. Wir betrachten zuerst die letzten beiden Terme. Aufgrund der Konvergenz des uneigentlichen Integrals gilt und (gleichmäßig in ) kann so groß gewählt werden, daß der dritte Term betragsmäßig kleiner ist. Weiter gilt aufgrund der exponentiellen Schranke für und der damit verbundenen absoluten Integrierbarkeit. Wir vergrößern bis auch der zweite Term kleiner als ist. Es bleibt der erste Term. Für diesen verwenden wir das bekannte Riemann–Lebesgue-Lemma, für jede absolut integrierbare Funktion gilt Da und damit auch als in hölderstetig angenommen wurde, existiert ein und eine Zahl , so daß für gilt. Damit ist die linke Seite aber absolut integrierbar über und mit dem Riemann–Lebesgue-Lemma strebt der erste Term in für gegen Null. Also kann so groß gewählt werden, daß dieser betragsmäßig kleiner ist. Also ist das gesamte Integral in betragsmäßig kleiner für hinreichend großes und, da beliebig war, folgt und der Satz ist gezeigt. ◻
Bemerkung. Die Voraussetzungen lassen sich leicht abschwächen. Ist von beschränkter Variation, ist also Differenz monotoner Funktionen, so gilt die Inversionsformel in allen Stetigkeitspunkten von und liefert in Sprungstellen den Mittelwert der Grenzwerte und .
Nachfolgendes Theorem hilft uns, zu zeigen, daß eine gegebene holomorphe Funktion im Bild der Laplacetransformation liegt und damit die Inversionsformel anwendbar ist. Zusammen mit dem Verschiebungssatz ergeben sich entsprechende Aussagen für andere Halbebenen.
Satz 3.10. Sei stetig und holomorph im Inneren der Halbebene . Angenommen, es gilt gleichmäßig im Sektor sowie Dann konvergiert gleichmäßig in und bestimmt eine stetige Funktion , für welche für alle gilt.
Proof. Daß stetig ist, folgt direkt aus also der gleichmäßigen Konvergenz des uneigentlichen Integrals. Weiter gilt für aufgrund der absoluten Konvergenz beider Integrale Andererseits gilt für mit der Cauchyschen Integralformel für den Weg bestehend aus dem Halbkreisbogen und dem Intervall für da nach Voraussetzung das Integral über den Halbkreisbogen für gegen Null strebt. ◻
Beispiel 3.11 (Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten). Zu lösen sei mit Konstanten und für eine gegebene rechte Seite , für . Weiterhin nehmen wir an, daß gilt. Dann kann das Problem durch Anwenden der Laplacetansformation gelöst werden. Wir nehmen an, daß für und alle gilt (was wir entweder a priori zeigen oder hinterher nachrechnen können) und erhalten aus den elementaren Rechenregeln der Laplacetransformation für und mit wenn man die Polynome einführt ergibt sich also Damit folgt mit rationalen Funktionen (die im Bild der Laplacetransformation liegen) und der Funktion (auf die zumindest für obige Bildcharakterisierung anwendbar ist). Zur Rücktransformation nutzen wir eine Partialbruchzerlegung der rationalen Funktionen und .
Wir skizzieren dies nur für den Fall, daß nur einfache Nullstellen besitzt. Dann gilt wegen mit und damit unter Ausnutzung des Faltungssatzes Der Fall mehrfacher Nullstellen verbleibt als Übung.
Beispiel 3.12 (Differentialgleichungen mit Gedächtnis). Nur ein Beispiel. Wir betrachten zu Anfangsdaten und und für einen gegebenen laplacetransformierbaren Kern . Die Laplacetransformierte erfüllt dann mit und besitzt damit die explizite Form Wählt man speziell so ergibt sich damit und Rücktransformation mittels Partialbruchzerlegung liefert die explizite Lösung.
3.2 Meromorphe Fortsetzbarkeit und Asymptotik
3.13. Asymptotisches Verhalten der Funktion spiegelt sich im Verhalten der Laplacetransformierten wieder. Einerseits impliziert jede Abschätzung der Form schon die Holomorphie der Laplacetransformierten in der Halbebene . Die Umkehrung gilt nicht notwendigerweise, da die Inversionsformel durch das Bromwichintegral oft nur in einer kleineren Halbebene (absolut) konvergiert.
Lemma 3.1.
Angenommen, für . Dann gilt .
Angenommen, für ein laplacetransformierbares gilt
;
ist beschränkt und strebt gegen Null entlang jeder vertikalen Linien; und
erfüllt für ein .
Dann gilt .
Proof.(1) klar. folgt durch direktes Nachrechnen. Da auf Streifen gleichmäßig gegen Null für strebt (Phragmén–Lindelöf), kann der Integrationsweg des Bromwichintegrals bis zur Linie verschoben werden. Aufgrund der absoluten Konvergenz gilt dann und die Behauptung folgt. ◻
Das gerade gezeigte Lemma kann direkt auf asymptotische Entwicklungen angewandt werden. Man beachte die Diskrepanz zwischen beiden Richtungen, in der einen erhalten wir nur eine Beschränktheit entlang vertikaler Linien (außerhalb der Pole), während für die Rückrichtung absolute Integrierbarkeit (zumindest entlang einer vertikalen Linie) benötigt wird.
Proposition 3.14.
Angenommen, die Funktion besitzt die asymptotische Entwicklung für eine Folge mit , Vielfachheiten und Koeffizienten . Dann besitzt die Laplacetransformierte eine meromorphe Fortsetzung auf mit Polen in der Vielfachheit . Genauer gilt für jedes und die Funktionen sind jeweils im Laplacebild.
Angenommen, besitzt eine meromorphe Fortsetzung auf die Halbebene für ein mit endlich vielen Polen, und es gilt für ein und gleichmäßig in sowie die absolute Integrierbarkeit der Fortsetzung entlang der Linien . Dann gilt
Proof.(1) folgt direkt aus obigem Lemma. bedarf des Nachrechnens. Wir verschieben den Integrationsweg des Bromwich-Integrals wie in Abbildung rechts skizziert und lassen danach die horizontalen Reststücken ins Unendliche laufen. Dann gilt für hinreichend großes und jedes und die Konvergenz für folgt aus der Konvergenz der vertikalen Integralreste (aus der Konvergenz als Hauptwertintegral über die Linie ) sowie aus der Konvergenz der horizontalen Integrale als Konsequenz von . Also folgt und damit die Behauptung. ◻
3.15. Die absolute Integrierbarkeit kann erzwungen werden, indem man statt der zu untersuchenden Funktion eine geglättete Funktion für einen geeigneten Kern betrachtet. Da dann gilt, erweist es sich dabei als günstig wenn entlang horizontaler Linien schnell fällt, höchstens schwach wächst und die Asymptotik von und in einem sinnvollen Zusammenhang stehen.
Eine mögliche Wahl für sind die Funktionen mit . Dann gilt und für ist als Betafunktion meromorph mit einfachen Nullstellen in den Punkten und einfachen Polstellen in den Punkten . Für ist die Darstellung einfacher und es gilt als rationale Funktion mit Polen in und keinen Nullstellen. Die Mittel werden oft als Riesz-Mittel35 bezeichnet. Sie werden uns bei der Mellintransformation und bei Dirichletreihen nochmals begegnen.
3.3 Randverhalten und Asymptotik
Mitunter ist es nur schwer möglich, eine holomorphe Fortsetzung der Laplacetransformierten zu konstruieren bzw. es interessiert nur der erste Term der Asymptotik. Nachfolgendes Theorem hilft diesen ersten Term zu rekonstruieren. Die Voraussetzung der Positivität von ist notwendig für die Rückrichtung (taubersches Theorem), für die Hinrichtung wird diese nicht benötigt (das zugehörige abelsches Theorem).
Satz 3.16 (Hardy36–Littlewood37, Karamata38). Sei . Dann gelten die folgenden beiden Aussagen:
Angenommen, es gilt dann folgt für die Laplacetransformierte
Angenommen, und die Laplacetransformierte erfüllt . Dann folgt .
Proof.(i) Sei . Dann gilt mit majorisierter Konvergenz für unter Ausnutzung der Majorante für , da nach Voraussetzung . Das ist der eigentliche taubersche Satz von Hardy und Littlewood, wir folgen dem Beweis von Karamata. Wegen gilt für und und damit auch für jedes Polynom also auch Da die Menge der Polynome dicht im Raum ist, gilt diese Aussage sogar für jedes . Um den Beweis zu führen, wählen wir passende stetige Funktionen. Sei für gegebenes die Funktion so gewählt, daß sowie erfüllt ist. Mit dieser Funktion folgt Analog gilt mit einer stetigen Funktion , für die sowie gilt, auch Da beliebig war, folgt und damit die Behauptung. ◻
Der Vollständigkeit halber sei noch das entsprechende Aussagenpaar für Erzeugendenfunktionen erwähnt. Das Modellbeispiel eines abelschen Theorems ist der abelsche Grenzwertsatz.
Satz 3.17 (Abel). Angenommen, die Reihe konvergiert. Dann gilt
Proof. Wir beschränken uns auf den Fall , der Rest ergibt sich durch Ändern des ersten Folgengliedes. Da die Reihe konvergiert, gilt und somit auch . Also ist die Erzeugendenfunktion auf holomorph und die absolute Konvergenz der Reihe impliziert mit . Sei nun beliebig und so groß, daß für . Dann folgt für alle und für nahe genug bei ist auch der erste Term kleiner . Da beliebig war, folgt die Behauptung. ◻
Eine erste teilweise Umkehrung des abelschen Grenzwertsatzes geht auf Tauber39 zurück. Er zeigte, daß für abelsummierbare Reihen mit der Zusatzbedingung stets Konvergenz folgt. Zum Beweis betrachten wir für und nutzen, daß aufgrund von und für , sowie da wiederum . Littlewood verbesserte dieses Theorem zu der wesentlich schwächeren Zusatzbedingung . Wir werden dies als Folgerung aus Satz erhalten.
Satz 3.18 (Littlewood). Angenommen, die Reihe ist abelsummierbar zum Grenzwert , d.h. es gilt Gilt dann zusätzlich , so folgt
Theorem entspringt einer Variante dieser Sätze, wir betrachten die Cesàro-Konvergenz einer Folge gegen den Grenzwert und setzen diese in Bezug zum asymptotischen Verhalten der Erzeugendenfunktion für . Als Hilfsaussage nutzen wir folgendes Lemma von Titchmarsh. Es ist wiederum ein abelsches Theorem.
Lemma 3.19 (Titchmarsh40). Angenommen zwei nichtnegative Folgen erfüllen und . Gilt dann , so folgt für .
Proof. Da gilt, existiert zu jedem ein mit und damit für und da für existiert ein , so daß für alle der erste Summand kleiner ist als . Damit folgt und da beliebig war auch die Behauptung. ◻
Es genügt, die Positivität für große zu fordern.
Satz 3.20 (Hardy–Littlewood).
Angenommen, es gilt Dann folgt
Angenommen, die Erzeugendenfunktion erfüllt und es gilt . Dann gilt .
Im Falle ist als für zu interpretieren.
Proof.(i) Dies folgt aus obigem Lemma. Sei dazu . Da nach Voraussetzung nun gilt, folgt und mit auch die Behauptung. Der Beweis folgt wiederum Karamata. Durch Addition einer konstanten Folge können wir den Beweis auf den Fall und reduzieren. Gilt nun , so folgt durch Ersetzen von durch für und damit Also gilt für jedes Polynom Die Dichtheit der Polynome in liefert dieses Resultat für jede stetige Funktion . Approximieren wir nun wiederum von oben und von unten durch stetige Funktionen und mit -Integralfehler, so ergibt sich speziell mit und entsprechend und da beliebig war folgt mit die Behauptung. ◻
Der oben erwähnte Satz von Littlewood folgt aus dem gerade gezeigten Satz von Hardy und Littlewood.
Beweis zu Littlewood’s -Satz, Satz . Sei also eine Folge, für die für strebt. Durch Ändern des ersten Folgengliedes können wir dies auf den Fall reduzieren, es gelte also , . Dann gilt für und mit Damit folgt aber41 Setzt man nun voraus, so ist beschränkt und nach Voraussetzung gilt und nach dem Hardy–Littlewood-Theorem folgt und damit . Dies impliziert die Behauptung, es gilt mit und da gilt, ist der erste Term für und da gilt, folgt auch Da nun aber die Koeffizienten in sind, folgt mit dem tauberschen -Satz und mit folgt die Behauptung. ◻
Während für die Sätze von Hardy–Littlewood und Karamata nur das reelle Verhalten der Laplacetransformierten oder der Erzeugendenfunktion eine Rolle spielt, ist nachfolgendes Theorem ein komplexes taubersches Theorem. Der Satz von Wiener–Ikehara beruht auf dem Verhalten der Laplacetransformierten auf der Konvergenzhalbebene und ihrem Randverhalten.
Satz 3.21 (Wiener42–Ikehara43). Sei monoton wachsend mit . Sei weiter die zugeordnete Laplacetransformierte. Angenommen, für eine Konstante ist die Funktion stetig auf die abgeschlossene Halbebene fortsetzbar. Dann gilt
Proof. Wir nutzen die Hilfsfunktionen für die mittels Fubini für und entsprechend für gilt. Also gilt unter Ausnutzung von Da nach Voraussetzung stetig auf die abgeschlossene Halbebene fortsetzbar ist, konvergiert gleichmäßig in und es folgt Da der letzte Summand aufgrund des Riemann–Lebesgue-Lemmas für gegen Null strebt, folgt Bisher haben wir die Monotonie von noch nicht genutzt, dies ist die eigentliche taubersche Bedingung. Es gilt und damit Speziell mit und für folgt . Andererseits gilt mit (was nach dem gerade gezeigten ja endlich ist) unter Ausnutzung der Abschätzung . Also folgt und mit und folgt und damit die Behauptung. ◻
3.4 Die Mellintransformation
3.22. Aus der Laplacetransformation entsteht durch Substitution die (einseitige) Mellintransformation44. Das erlaubt das direkte Übertragen der meisten Sätze. Für Funktionen betrachtet man dazu für Ersetzt man durch und betrachtet also Funktionen , so ergibt sich als Gegenstück die (einseitige) Mellintransformation
mit Diese ist ebenso linear und erfüllt entsprechende Eigenschaften. Ebenso von Interesse ist die Summe beider, vorausgesetzt erfüllt . Die dadurch entstehende Integraltransformation wird als die (zweiseitige) Mellintransformation bezeichnet.
Proposition 3.23.
Sei für und gelte Dann ist die einseitige Mellintransformation holomorph in der Halbebene und erfüllt für jedes die Abschätzung
Sei für und gelte Dann ist die einseitige Mellintransformation holomorph in der Halbebene und erfüllt für jedes die Abschätzung
Die einseitigen Mellintransformationen sind linear.
Es gilt der Faltungssatz für die Mellinfaltung
Es gilt der Faltungssatz für die Mellinfaltung
Es gilt der Faltungssatz für die zweiseitige Mellinfaltung
Es gilt für der Dämpfungssatz
Für gilt der Differentiationssatz und damit insbesondere
Für hölderstetiges gilt punktweise die Inversionsformel mit und entsprechend
Proof. Die meisten Aussagen ergeben sich aus denen für die Laplacetransformation oder ebenso durch direktes Nachrechnen. Der Beweis verbleibt als Übung. ◻
Beispiel 3.24 (Differentialgleichungen vom Fuchstyp45). Gegeben sei die Differentialgleichung mit Koeffizienten , einseitig mellintransformierbarer rechter Seite für und (End-) Werten in Die einseitige Mellintransformation liefert daraus also mit den Polynomen die Darstellung der Mellintransformierten in Abhängigkeit der Daten und der rechten Seite . Wir beschränken uns auf den Fall einfacher Nullstellen. Bezeichnet man diese mit , , so ergeben sich die Partialbruchzerlegungen für die auftretenden Terme und die Rücktransformation liefert Der auftretende Integralterm ist dabei eine Mellinfaltung. Der Fall mehrfacher Nullstellen ist entsprechend und enthält neben Potenzen noch logarithmische Terme.
Beispiel 3.25 (Besselsche Differentialgleichung). Gegeben sei die Differentialgleichung zum Parameter . Wir suchen Lösungen in der Nähe von bzw. das Verhalten von Lösungen für . Die einseitige Mellintransformation liefert ausgehend von die Gleichung zu Werten und . Weiß man für ein , so ist holomorph für . Die Funktionalgleichung liefert eine meromorphe Fortsetzung auf mit Polen in den Punkten und für , siehe Bild . Wir nehmen an, dass . Dann sind alle Pole einfach und die Residuen der Pole in bestimmen alle weiteren Residuen. Sei ( weil wir nutzen) Dann ist Je weiter wir nach rechts fortsetzen, desto schneller fällt die Funktion für größer werdende Imaginärteile. Dies folgt direkt aus der Rekursion . Damit liefern die Inversionsformel zusammen mit dem Integralsatz von Cauchy für jedes und unter Ausnutzung der Pochhammersymbole . Das auftretende Integral konvergiert absolut für hinreichend großes , die angegebenen Reihen sind also asymptotisch. Sie sind allerdings auch konvergent und bestimmen zwei linear unabhängige Lösungen der Besselschen Differentialgleichung. Mit ergeben sich auf diese Weise die Besselfunktionen für .
Für ganzzahliges ergibt sich die Situation von Bild und wir unterscheiden zwei Fälle. Besitzt einen einfachen Pol in , so ergeben sich auch einfache Pole in , (und Nullstellen für in ). Dies führt zur Besselfunktion . Besitzt andererseits einen einfachen Pol in , so folgt ein zweifacher Pol in und entsprechend in , . Bei entsprechender Wahl der beiden Residuen in erhält man auf diese Weise die Weberfunktion als Lösung der Besselschen Differentialgleichung.
Für gilt entsprechendes. Besitzt in einen einfachen Pol, so ergeben sich einfache Pole in , und damit die Lösung Besitzt einen zweifachen Pol in mit Residuum 0, so ergeben sich auch zweifache Pole in , und damit die Lösung mit entsprechenden . Das entspricht der auf Neumann zurückgehenden zweiten Lösung der Besselschen Differentialgleichung. Für die Webersche Funktion ist das Residuum in entsprechend anders zu wählen.
3.5 Dirichletreihen
3.26. In der multiplikativen Zahlentheorie nutzt man als Alternative zu Erzeugendenfunktionen sogenannte Dirichletreihen46. Diese sind für eine gegebene Folge mit polynomialer Schranke für definiert als wobei die Wachstumsschranke die Konvergenzhalbebene bestimmt. Für alle konvergiert die Dirichletreihe absolut und lokal gleichmäßig. Wir beginnen wieder mit elementaren Eigenschaften, bevor wir uns interessanteren Anwendungen zuwenden.
Proposition 3.27.
Es gilt zusammen mit der Abschätzung für jedes .
Die Dirichletreihe hängt linear von der Folge ab. Genauer, es gilt sowie
Bezeichne zu zwei Folgen ihre Dirichletfaltung , so gilt sowie
Proof.(1) Die Holomorphie folgt direkt aus der absoluten und lokal gleichmäßigen Konvergenz der Reihe, also der Abschätzung für alle . klar. folgt aus der absoluten Konvergenz der Reihen und der dadurch erlaubten Umordnung ◻
Phasenporträt der Riemannschen -Funktion für
Beispiel 3.28. Die bekannteste Dirichletreihe ist die Riemannsche -Funktion . Diese ist der Folge , also für alle , zugeordnet, also durch definiert. Aufgrund majorisierter Konvergenz sieht man, daß gilt.
Für weitere Anwendungen benötigen wir die meromorphe Fortsetzung der -Funktion. Dazu nutzen wir die Integraldarstellung der -Funktion in der Form welche nach Einsetzen in die Dirichletreihe und unter Nutzung der geometrischen Summenformel die Integraldarstellung der -Funktion liefert. Diese kann man in die linke Halbebene fortsetzen, indem man das Integral in einen Teil nahe Null und den Integralrest zerlegt. Der Integralrest ist offenbar ganz, der Teil nahe Null steht im Zusammenhang zu den Bernoullizahlen . Zusammen mit den einfachen Polen der -funktion in ergibt sich daraus die meromorphe Fortsetzung der -Funktion auf mit einem einfachen Pol in zum Residuum , und Nullstellen in den negativen geraden Zahlen (da die Bernoullizahlen , , erfüllen).
Beispiel 3.29. Sei die Folge mit und für . Dann gilt offenbar für jede Folge und ebenso für alle .
Proposition 3.30. Die Menge aller Folgen bildet zusammen mit der Addition, skalaren Vielfachen und der Dirichletfaltung als Multiplikation eine Algebra über mit Einselement . Eine Folge ist genau dann bezüglich der Dirichletfaltung invertierbar, wenn gilt. Gilt darüberhinaus , so folgt für die Dirichletinverse .
Proof. Es ist nur die Invertierbarkeit einer Folge mit zu zeigen. Die Inverse müsste zusammen mit erfüllen. Ersteres liefert und letzteres die Rekursion Besitzt die Folge eine zugeordnete Dirichletreihe, gilt also , so folgt aus für per Induktion für so groß, daß . Der Induktionsanfang ist klar, der Induktionsschritt folgt aus ◻
Korollar 3.31. Zu jeder Dirichletreihe mit existiert eine Zahl , so daß für alle gilt.
Beispiel 3.32. Mitunter weiß man mehr. Für die -Funktion gilt die Eulersche Produktdarstellung
als Produkt über alle Primzahlen . Da das Produkt für konvergiert, erfüllt die -Funktion für alle . Der Nachweis der Konvergenz der Produktdarstellung verbleibt als Übungsaufgabe.
Dirichletreihen stehen in engem Zusammenhang zur Mellintransformation. Betrachtet man zu einer gegebenen Folge mit die Funktion so folgt und es gilt für . Damit liefert die Inversionsformel der Mellintransformation automatisch auch eine Inversionsformel für Dirichletreihen. Da die Funktion stückweise konstant (und damit stückweise hölderstetig) ist, gilt
Satz 3.33 (Inversionsformel von Stieltjes47–Perron48). Sei mit . Dann gilt für und alle während für das Hauptwertintegral den Wert liefert.
3.6 Dirichletreihen der multiplikativen Zahlentheorie
Wir betrachten einige Beispiele, die wichtigsten Hilfsmittel sind Dirichletfaltungen und die schon gezeigten Eigenschaften der Riemannschen -Funktion.
Beispiel 3.34. Die Teilerzahl erfüllt offenbar und besitzt damit als zugeordnete Dirichletreihe die Funktion . Allgemeiner sei die Anzahl der Möglichkeiten, die Zahl als Produkt von Zahlen zu schreiben. Dann gilt
Wir nennen eine zahlentheoretische Funktion multiplikativ, falls für alle teilerfremden Zahlen und gilt.
Proposition 3.35. Sei multiplikativ mit . Dann gilt für die zugeordnete Dirichletreihe die Produktdarstellung Umgekehrt impliziert eine solche Produktdarstellung die Multiplikativität von .
Proof. Der Beweis ist analog zu dem der Eulerschen Produktdarstellung der -Funktion und folgt damit direkt aus der Eindeutigkeit der Primfaktorzerlegung natürlicher Zahlen. ◻
Beispiel 3.36. Als Anwendung konstruieren wir die Dirichletinverse . Da nach Definition gilt, erfüllt auch . Damit ist multiplikativ und erfüllt Somit erhält man , für alle Primzahlen , und für Produkte paarweise verschiedener Primzahlen. Für alle Zahlen mit quadratischen Teilern ist . Die so konstruierte Funktion heißt Möbiusfunktion49 und erfüllt (nach Konstruktion) die Möbiussche Umkehrformel
Korollar 3.1 (Möbius). Sei eine Folge und bezeichne Dann gilt
Beispiel 3.37. Für die Eulersche -Funktion
gilt nach dem Abzählprinzip dabei ist Also gilt letzteres nach der Möbiusschen Umkehrformel. Interessanter für uns ist die Dirichletreihe
Beispiel 3.38. Sei die Summe der Teiler der Zahl . Dann gilt und somit insbesondere .
Beispiel 3.39. Die von Mangoldt-Funktion50 ist durch , für prim und für alle Zahlen mit verschiedenen Primfaktoren definiert. Durch Logarithmieren der Produktdarstellung der -Funktion erhält man und damit als logarithmische Ableitung der -Funktion
3.7 Der Primzahlsatz
Dirichletreihen sind für die Untersuchung des asymptotischen Verhaltens zahlentheoretischer Funktionen von Interesse. Es liegt also nahe, die nun berechneten Dirichletreihen zu invertieren und damit Aussagen über die zugrundeliegenden Folgen zu gewinnen. Während die Dirichletreihen meromorph auf mit bekannten Polen und Residuen sind und nur von der schon konstruierten Polstruktur der meromorphen Fortsetzung der -Funktion abhängen, sind für die Dirichletreihen ebenso die Lage der (nichttrivialen) Nullstellen der -Funktion von Bedeutung. Die Riemannsche Vermutung besagt, daß diese sich alle auf der Linie befinden, bekannt ist bisher nur, dass sie im Inneren des Streifens und fast alle in der Nähe von liegen.
Vorbereitend benötigen wir einen tauberschen Satz um Rückschlüsse aus dem Randverhalten der Dirichletreihe auf die Asymptotik der Folge ziehen zu können.
Satz 3.40 (Landau, Ikehara).
Angenommen, eine Folge erfüllt . Dann impliziert für die zugeordnete Dichletreihe
Angenommen, für eine Folge mit und besitzt eine stetige Fortsetzung auf die abgeschlossene Halbebene , dann gilt
Proof. Nach Voraussetzung gilt und . Wir zeigen zuerst das abelsche Theorem (1). Es gilt und damit insbesondere mit partieller Summation. Da sich aber nun die Summanden wie verhalten, ergibt die Summe für . Dies ist der eigentliche Satz von Ikehara, Landau hat die Aussage nur unter stärkeren Voraussetzungen zeigen können. Er kann auf Satz zurückgeführt werden, es gilt mit als Laplacetransformierte der Funktion . Die Funktion ist monoton, also gilt und damit die Behauptung. ◻
Aufgrund der Eulerschen Produktdarstellung (Beispiel ) besitzt die -Funktion keine Nullstellen in der Halbebene . Daß sie ebenso keine Nullstellen auf der Linie besitzt, wurde von Hadamard51 gezeigt.
Lemma 3.41 (Hadamard). Es gilt für alle mit .
Proof. Angenommen, die -Funktion besitzt Nullstellen der Ordnung in und in für ein . (Dabei sei eine Nullstelle der Ordnung Null einfach keine Nullstelle.) Da gilt und die zweite Reihe für alle absolut und lokal gleichmäßig konvergiert, besitzt auch die erste Reihe einen Pol erster Ordnung in und sowie . Wir bezeichnen die erste Reihe kurz mit und nutzen die Residuen Dann gilt und es folgt nach Multiplikation mit und Grenzübergang , daß gelten muß. Also ist und es gibt keine (echten) Nullstellen. ◻
Satz 3.42 (Primzahlsatz). Es gilt
Proof. Wir nutzen den tauberschen Satz von Ikehara für die von Mangoldt-Funktion und ihre Dirichletreihe . Da die -Funktion meromorph auf mit einem Pol in und nullstellenfrei auf der Linie ist, besitzt einen Pol in mit Residuum und keine weiteren Pole auf der Linie . Also gilt mit Satz (2) Dies liefert die untere Schranke . Andererseits gilt aber für beliebiges und damit auch die obere Schranke Da beliebig war, ist der Satz bewiesen. ◻
4 Analytische Störungstheorie
In diesem letzten Kapitel soll es darum gehen, wie man aus explizit lösbaren Beispielproblemen asymptotische Resultate für (in gewissem Sinne) benachbarte Probleme erhalten kann. Uns interessieren algebraische Gleichungen und die Änderung ihrer Lösungen bei Variation der Koeffizienten, Eigenwertprobleme für Matrizen und die Abhängigkeit der Eigenwerte von der Matrix und Differentialgleichungen mit variablen Koeffizienten und asymptotische Entwicklungen von Lösungen in der Nähe singulärer Punkte.
4.1 Nullstellen von Polynomen
4.1. Wir betrachten als Modellsituation eine Polynomgleichungen in der Unbekannten deren Koeffizienten selbst holomorphe Funktionen auf einem Gebiet sind. Uns interessiert die Abhängigkeit der Nullstellen , , von der Variablen . Wir nehmen vorerst an, daß für alle . Ein erstes Resultat ergibt sich dann direkt aus dem Satz über implizite Funktionen (in seiner komplexen Fassung)
Lemma 4.1. Angenommen, für ein ist eine einfache Nullstelle des monischen Polynoms Dann existiert eine Umgebung von und eine holomorphe Funktion mit ü
Proof. Seien die komplexen Nullstellen des Polynoms . Da dann nach Voraussetzung für von Null verschieden ist, existiert nach dem Satz über die implizite Funktion eine Umgebung von und eine holomorphe auflösende Funktion in dieser Umgebung . ◻
Will man die auflösende Funktion in der Nähe von bestimmen, so hilft ein Potenzreihenansatz und Koeffizientenvergleich. Es interessieren also nur Umgebungen mehrfacher Nullstellen oder Punkte, an welchen der führende Koeffizient selbst eine Nullstelle besitzt. Dazu zerlegen wir zuerst das Polynom in irreduzible Faktoren im Polynomring über dem Quotientenkörper von . Zu einem Polynom sei die Menge aller in denen die Koeffizienten von regulär sind.
Lemma 4.2.
Angenommen, sind teilerfremd. Dann ist die Menge diskret.
Ist irreduzibel, so besitzt bis auf eine (höchstens) diskrete Ausnahmemenge nur einfache Nullstellen in .
Proof.(1) ergibt sich als Anwendung des erweiterten Euklidischen Algorithmus im Ring . Dieser liefert mit Polynomen und die Bezout-Darstellung und gemeinsame Nullstellen von und können damit nur in den Polstellen von und , also in Polstellen der Koeffizienten der Polynome oder auftreten. Diese sind aber für meromorphe Funktionen diskret (besitzen also höchstens auf dem Gebietsrand Häufungspunkte). folgt direkt aus (1). Ist mehrfache Nullstelle von , so gilt . Da aber kleineren Grad als besitzt, müssen die beiden Polynome teilferfremd sein und die Behauptung folgt. ◻
Korollar 4.3. Sei beliebig. Dann existiert eine diskrete Menge von Ausnahmepunkten , so daß die Vielfachheiten aller Nullstellen von auf konstant sind. Entweder gilt
alle Nullstellen von sind einfach für alle (nichtentartet); oder
es gibt Tupel von Nullstellen, welche auf ganz zusammenfallen (permanent entartet).
Proof. Die Aussage folgt durch Zerlegen des Polynoms in irreduzible Faktoren nach Division durch den führenden Koeffizienten. Der Fall (i) entspricht einfach vorkommenden irreduziblen Faktoren, während im Fall (ii) mindestens ein irreduzibler Faktor doppelt vorkommt. ◻
Beispiele 4.4.
Wir betrachten ein (triviales) Beispiel. Gegeben sei das Polynom für . Das Polynom ist irreduzibel in und seine Nullstellen sind auf einfach, die Ausnahmemenge also . Die Nullstellen leben auf einer Riemannschen Fläche über und bilden dort die beiden Zweige einer holomorphen Funktion.
Andererseits ist das Polynom reduzibel. Hier gilt ebenso , die Nullstellen sind aber holomorph auf ganz .
Um ein nichttriviales Beispiel zu untersuchen, betrachten wir das Polynom . Für dieses Polynom gilt mit durch Anwendung des erweiterten Euklidischen Algorithmus die Bezout-Darstellung Das Polynom ist irreduzibel und seine Ausnahmepunkte sind höchstens durch die Nullstellen von , also durch und gegeben. Auf ist der unendlich ferne Punkt ebenso als Ausnahmepunkt zu verstehen, dies werden wir noch sehen.
In der Umgebung der Ausnahmepunkte aus besitzen Nullstellen des Polynoms ebenso eine einfache Struktur. Wir betrachten dazu das Verhalten einer Nullstelle bei holomorpher Fortsetzung entlang einer geschlossenen Kurve um den Ausnahmepunkt .
Satz 4.5 (Puiseux52). Sei monisch und irreduzibel und eine Ausnahmestelle, in der eine -fache Nullstelle besitzt. Dann existiert eine Umgebung , eine Zerlegung und Folgen von Koeffizienten , so daß für für konvergiert und auf der Riemannschen Fläche der Wurzelfunktion verschiedene Nullstellen von liefert.
Proof. Als Konsequenz des Satzes von Rouché sind die Nullstellen eines Polynoms stetige Funktionen der Koeffizienten des Polynoms. Da irreduzibel ist, existieren also für eine hinreichend kleine Umgebungen von auch genau (für einfache) Nullstellen mit Wir betrachten die Menge dieser Nullstellen. Da diese stetig von abhängen, bleibt die Gesamtheit bei einem geschlossenen Umlauf von erhalten. Jedoch kann sich die Nummerierung der ändern. Es existiert also eine Permutation mit bei einem Umlauf von um . Wir zerlegen diese Permutation in Zykel und betrachten die zugehörigen Nullstellen einzeln. Seien diese wiederum mit bis (möglicherweise mit kleinerem ) bezeichnet. Subsituiert man nun , so läuft bei einem Umlauf von um den Ursprung jeweils -fach um den Ursprung und die gehen jeweils in sich über. Da damit aber die Funktionen auf einer punktierten Umgebung des Ursprungs beschränkt und holomorph sind, sind sie im Ursprung selbst holomorph und es gilt als konvergente Reihe mit entsprechenden Koeffizienten . Das ist aber gerade die Behauptung. ◻
Beispiel 4.6. Wir kommen auf das obige Beispiel mit und seinen Ausnahmepunkten zurück.
In Abbildung ist die Änderung des Polynoms bei einem Umlauf um den Ausnahmepunkt entlang eines Kreises vom Radius dargestellt. Wie man aus der Abbildung ablesen kann, zerfallen die drei Nullstellen in der Umgebung von in zwei Gruppen. Eine der Nullstellen gehört zu einem in holomorphen Zweig, die beiden anderen bilden zusammen eine -Gruppe und besitzen damit eine Darstellung als Puiseuxreihe. Im Ausnahmepunkt würde eine ähnliche Abbildung zeigen, daß eine der Nullstellen aus der Gruppe mit der in holomorphen Nullstelle permutiert wird und bei einem Umlauf um den unendlich fernen Punkt bilden alle drei Nullstellen einen Dreierzyklus.
Satz 4.7. Sei monisch und irreduzibel vom Grad und Polstelle eines Koeffizienten von . Sei die maximale Ordnung der Pole in und weiter . Dann gibt es eine Umgebung von und für existieren
genau Nullstellen , die für gegen einen endlichen Grenzwert streben und somit Darstellungen als Potenzreihe oder Puiseuxreihe besitzen; und
weitere Nullstellen , die für gegen streben und erfüllen. Die Funktionen besitzen wiederum Darstellungen als Potenz- oder Puiseuxreihen.
Proof.(i) Nach Multiplikation des Polynoms mit ergibt sich in einer Umgebung des Punktes mit einem monischen Polynom vom Grad , und einem weiteren Polynom vom Grad . Wir wählen so klein, daß der einzige Ausnahmepunkt dieses Polynoms in ist. Seien nun die Lösungen zu . Diese sind holomorph für mit möglichen Verzweigungspunkten in und insbesondere einfach.
Mit dem Satz von Rouché angewandt in der -Ebene folgt nun, daß für nahe genug an in der Nähe jedes eine Nullstelle des Polynoms liegt, insbesondere also auch gilt. Damit besitzt jedes dieser eine Darstellung als Potenz- oder Puiseuxreihe um .
(ii) Wir substituieren und erhalten nach Multiplikation mit das neue Polynom Nach erneuter Multiplikation mit entsteht daraus mit einem Polynom vom Grad und mit , sowie einem Polynom vom Grad . Damit hat der erste Summand in eine Nullstelle der Ordnung , während der zweite wiederum klein wird. Wir wählen eine kleine Umgebung von und ein , so daß auf und für . Wählt man nun klein genug, also für hinreichend kleines , so implizert wiederum der Satz von Rouché die Existenz von Nullstellen von mit . Damit besitzen diese eine Darstellung als Potenz- oder Puiseuxreihe im Entwicklungspunkt . ◻
4.2 Matrixwertige Funktionen
4.8. Sei nun matrixwertig und holomorph, das heißt alle Matrixeinträge seien holomorphe Funktionen. Wir interessieren uns für die Eigenwerte und die zugehörigen Eigenunterräume in Abhängigkeit von . Da die Eigenwerte Nullstellen des charakteristischen Polynoms sind, ist alles was wir bisher über Nullstellen von Polynomen mit holomorphen Koeffizienten gelernt haben, anwendbar. Das Polynom ist nach Konstruktion monisch und zerfällt wieder in irreduzible Faktoren in . Jeder Faktor besitzt, bis auf eine diskrete Ausnahmemenge, nur einfache Eigenwerte, und in den Punkten der Ausnahmemenge fallen entweder holomorphe Funktionen zusammen oder es ergeben sich Puiseuxreihen für entsprechende -Gruppen von Eigenwerten.
Beispiele 4.9. Zuerst einige Beispiele um zu zeigen, das alle oben aufgeführten Fälle für -Matrizen schon auftreten können.
ü(zweiblättrig)
(zwei Funktionen)
(permanent entartet)
ü (zweiblättrig)
(zwei Konstanten)
Für die Untersuchung der Eigenunterräume und verallgemeinerten Eigenunterräume betrachten wir zu einer gegebenen holomorphen matrixwertigen Funktion die Resolvente
Lemma 4.10. Die Resolvente ist holomorph in beiden Variablen für und .
Proof. Die Aussage folgt aus der Darstellung der Resolvente als Neumannreihe. Für und gilt als lokal gleichmäßig konvergente Reihe. In der Nähe von und gilt für alle und mit Lokal gleichmäßige Konvergenz impliziert Holomorphie. ◻
Wir nutzen die Resolvente, um das Verhalten der Eigenprojektoren zu untersuchen. Genauer nutzen wir
Lemma 4.11. Sei ein einfacher geschlossener Weg der -Ebene, der durch keinen Eigenwert von verläuft. Dann bestimmt einen Projektor, der lokal holomorph von abhängt.
Proof. Da die Eigenwerte von stetig von abhängen existiert um eine kleine Umgebung, so daß der (von unabhängige) Integrationsweg auf der Umgebung keinen Eigenwert von durchläuft. Damit folgt lokale Holomorphie mit dem Satz von Morera. Weiterhin hängt nur von der Homotopieklasse des Weges ab. Seien nun und homotope nicht durch verlaufende Wege, so daß ganz im Inneren von liegt. Dann gilt aufgrund der Resolventenidentität und unter Ausnutzung des Residuensatzes die Identität und damit die zu zeigende Behauptung. ◻
Worauf genau projiziert ? Wir betrachten vorerst den Spezialfall diagonalisierbarer Matrizen und ignorieren für die nachfolgende Rechnung die -Abhängigkeit. Ist die Matrix diagonalisierbar, so existiert
eine Kurve , die nur einen Punkt aus einfach positiv umläuft;
eine Basis bestehend aus Eigenvektoren aus ;
eine dazu duale Basis , so daß für jeden Vektor gilt.
Dann projiziert auf die lineare Hülle der , die zum Eigenwert gehören. Das ist leicht nachzurechnen, es gilt unter Ausnutzung von und der Dualitätsrelation . Der letzte Schritt folgt, da im ersten Fall Null integriert wird, im zweiten Fall die Singularität des Integranden außerhalb des Weges liegt und im dritten Fall der Residuensatz anwendbar ist. Damit haben wir gezeigt, daß neben insbesondere gilt. Ebenso folgt für Wege und um verschiedene Punkte und aus . Letzteres erlaubt es, für Wege , die mehrere Punkte des Spektrums umlaufen, die einzelnen Projektoren einfach zu addieren. Damit ist für eine diagonalisierbare Matrix also stets der Projektor auf die lineare Hülle der Eigenräume zu im Inneren von liegenden Eigenwerten entlang der Eigenräume zu außerhalb von liegenden Eigenwerten.
Für nicht diagonalisierbare Matrizen liefert den Projektor auf die zu im Inneren von liegenden Eigenwerten gehörenden Jordanblöcken. Dies werden wir nachfolgend noch sehen.
Mit der Integraldarstellung der Eigenprojektoren kann man Aussagen über das Verhalten der Eigenräume in Abhängigkeit von treffen. Dazu gilt in der Nähe eines Punktes unter Verwendung der Reihendarstellung und der Kurzschreibweise für die Resolvente im Punkt die Formel die zugeordnete Neumannreihe liefert eine Reihendarstellung der Resolvente im Entwicklungspunkt .
Satz 4.12.
Die Resolvente besitzt die Reihendarstellung mit Koeffizienten Diese konvergiert für mit lokal gleichmäßig.
Für jeden geschlossenen Weg der -Ebene, welcher keinen der Eigenwerte von durchläuft, ist analytisch um mit Koeffizienten
Ist einfacher Eigenwert von , dann ist analytisch um .
Ist Ausnahmepunkt, mehrfacher Eigenwert von und ein Weg, welcher umschließt, dann ist der Projektor analytisch um und es gilt für in einer Umgebung von und die dort holomorphen Eigenprojektoren für alle Eigenwerte mit .
Proof.(1) entspricht der Neumannreihe für . Diese ist absolut und lokal gleichmäßig konvergent in , falls gilt. Dies erlaubt insbesondere das Umsortieren der Reihenglieder und das Ordnen nach Potenzen von . folgt daraus durch gliedweise Integration, vorausgesetzt ist so nah bei , daß die gleichmäßige Konvergenz der Potenzreihe entlang sichert. Daß das Integral analytisch in ist, ergibt sich wiederum direkt aus dem Satz von Morera. folgen aus (2). ◻
4.13. Sei nun ein Ausnahmepunkt, ein mehrfacher Eigenwert von und seien die Eigenwerte von , welche für gegen streben. Bei einem Umlauf um den Ausnahmepunkt setzen sich diese holomorph fort. Da man die Eigenwerte nicht unterscheiden kann, werden diese in einem Umlauf um permutiert. Wir zerlegen diese Permutation in Zykeln und betrachten diese einzeln. Angenommen bilden einen solchen -Zyklus In Abschnitt haben wir gesehen, dass dann in einer Umgebung des Ursprungs in holomorph ist, also eine konvergente Reihe mit entsprechenden (von unabhängigen) Koeffizienten liefert. Das liefert die Darstellung der Eigenwerte als Puiseuxreihe auf der Riemannschen Fläche der Wurzelfunktion. Die Eigenprojektoren sind ebenso lokal holomorph in , man kann also analog vorgehen. Die Projektoren bilden bei einem Umlauf um den Zyklus die Funktion ist also holomorph in einem Kreisring um den Ursprung. Damit besitzt diese Funktion die Darstellung als Laurentreihe, also die Projektoren Puiseuxreihen mit entsprechenden Matrizen als Koeffizienten. Tatsächlich sind nur endlich viele der negativen Koeffizienten von Null verschieden.
4.14. Um die Projektoren für Eigenwerte höherer (algebraischer) Vielfachheit besser zu verstehen, betrachten wir zu einer gegebenen Matrix mit Eigenwert neben dem Eigenprojektor für einen (nur) den Eigenwert positiv umlaufenden Weg auch das Eigennilpotent53 Da mit kommutiert, kann auf das Bild eingeschränkt werden. Weiter impliziert zusammen mit für jedes und außerhalb schon und somit insbesondere . Also ist nilpotent und es gilt für .
Damit ergibt sich aus die Jordannormalform der Matrix als und daraus in der -Ebene eine Partialbruchzerlegung der Resolvente folgender Form:
Lemma 4.2 (Partialbruchzerlegung der Resolvente). Sei . Dann gilt für die Resolvente mit den (paarweise verschiedenen) Eigenwerte von , den zugehörigen Eigenprojektoren und den Eigennilpotenten .
Proof. Es gilt und da auf nach obiger Konstruktion gilt, folgt für mit (der Dimension des größten Jordanblocks zum Eigenwert ). Durch Multiplikation mit und Addition folgt die Behauptung.
Für Jordanblöcke zu einem Eigenwert ist obige Rechnung explizit durch gegeben, wobei auf der ersten Nebendiagonalen die Einträge und vorkommen und die Dimension des größten Jordanblocks zum Eigenwert ist. ◻
Die Darstellung von Lemma gilt für jeden Punkt und bestimmt die Eigenprojektoren und Eigennilpotenten als die Koeffizienten in der Partialbruchzerlegung der Resolvente. In Gebieten konstanter Vielfachheit sind Eigenprojektoren und Eigennilpotente lokal holomorph.
Beispiel 4.15. Sei eine Matrix mit paarweise verschiedenen (einfachen) Eigenwerten und zugehörigen Eigenprojektoren dargestellt durch entsprechend gewählte Eigenvektoren und duale Basisvektoren . Damit ergibt sich für die Resolvente die Partialbruchzerlegung Sei nun eine weitere Matrix. Wir fragen nach dem Verhalten der Eigenprojektoren von als Funktion von nahe . Dazu nutzen wir die Störungsreihe aus Satz (1) und (2) und bestimmen die ersten Terme der Potenzreihe für . Es gilt mit und den Matrizen und (und für ) und damit Analog ergibt sich für den zweiten Term und damit für den Projektor Die bestimmten Koeffizienten sind durch die Eigenvektoren und die dazu dualen Basisvektoren ausdrückbar. Es gilt für jedes und entsprechend für . Angewandt auf ergibt sich zumindest lokal um eine holomorphe Familie von Eigenvektoren von , die ersten Terme der entsprechenden Reihe sind
4.3 Differentialgleichungen mit regulären Singularitäten
4.16. Zuletzt wollen wir uns Differentialgleichungen zuwenden. Wir betrachten homogene Gleichungen auf einem Gebiet mit mit meromorphen Koeffizienten und für eine zu bestimmende Funktion . Der Einfachheit halber sei wieder vorerst auf und wir bezeichnen mit die Menge aller in der alle regulär sind. Die Menge ist diskret und besteht aus den singulären Punkten der Differentialgleichung. In der Nähe regulärer Punkte existieren linear unabhängige Lösungen, die wiederum selbst holomorph sind.
Satz 4.17. Sei regulärer Punkt. Dann existiert zu beliebig vorgegebenen Daten eine Umgebung von und eine eindeutig bestimmte Lösung zu .
Proof. Es genügt, den Potenzreihenansatz in die Gleichung einzusetzen und mittels Koeffizientenvergleich die noch unbekannten , , zu bestimmen. Dazu nutzen wir die Potenzreihen der um holomorphen Koeffizienten und erhalten aus der Differentialgleichung mit der Kombination aus und daraus rekursiv die Koeffizienten Es bleibt die Konvergenz der Reihe zu zeigen. Da alle Koeffizienten holomorph um sind, gilt , also für . Eingesetzt in die Rekursion folgt induktiv für und klein genug. Damit folgt und das Lemma ist gezeigt. ◻
Lemma 4.18.
Jede holomorphe Fortsetzung einer Lösung von ist wieder Lösung von .
Auf dem Rand des Konvergenzkreises einer Lösungsfunktion von liegt ein Pol eines Koeffizienten / eine Nullstelle des führenden Koeffizienten (oder eine wesentliche Singularität der holomorphen Fortsetzung eines Koeffizienten).
Jede Lösung von ist holomorph auf einer Riemannschen Fläche über .
Proof.(1) folgt direkt aus dem Identitätssatz holomorpher Funktionen. (2) folgt aus (1) und obigem Theorem. (3) ergibt sich aus (2). ◻
Auf diese Weise erhält man in einer kleinen Umgebung von ein System von linear unabhängigen Lösungen der Gleichung . Zur Untersuchung der Unabhängigkeit eines solchen Systems bietet sich die Wronskideterminante54 an. Wählt man speziell Funktionen mit für das Fundamentalsystem, so gilt . Ein System von Lösungen ist genau dann linear abhängig, wenn die Wronskideterminante verschwindet. Daß sich Fundamentalsysteme auch holomorph fortsetzen lassen, folgt aus
Lemma 4.19 (Abel, Liouville). Seien Lösungen zu . Dann gilt und somit wobei entlang des Weges integriert wird, auf dem die Lösungen analytisch fortgesetzt werden.
Proof. Der Beweis folgt durch Differenzieren. Direkt aus der Definition der Wronskideterminante folgt aufgrund der Linearität der Determinante. In allen bis auf der letzten der auftretenden Determinanten sind Zeilen doppelt. ◻
4.20. Sei nun einfach zusammenhängend und ein Fundamentalsystem von Lösungen zu in . Ein solches erhält man insbesondere dadurch, daß man es an einem Punkt in als Lösungen nach Satz konstruiert und die so konstruierten Lösungen entlang (beliebiger, da homotoper) Wege in jeden Punkt von fortsetzt. Sei nun ein geschlossener und in startender Weg, der einen singulären Punkt einmal umrundet. Nach Fortsetzung entlang erhält man also ein neues Fundamentalsystem in und damit insbesondere eine Matrix mit wobei auf der rechten Seite die holomorphen Fortsetzungen der Funktionen entlang dargestellt im Ausgangsfundamentalsystem stehen. Die dabei auftretende Matrix hängt nur vom Ausgangsfundamentalsystem in und von der Homotopieklasse des Weges ab. Aus praktischen Gründen sind Fundamentalsysteme mit besonders einfacher Matrix von Interesse. Wir unterscheiden dazu zwei Arten singulärer Punkte . Wir bezeichnen als regulär singulär , falls für alle ist. Ein singulärer Punkt, der nicht regulär singulär ist, wird als irregulär singulär bezeichnet.
In der Nähe regulär singulärer Punkte verhält sich die Differentialgleichung wie eine Gleichung vom Fuchstyp. Setzt man so liefert ein Modellproblem im singulären Punkt, dessen Lösungen durch die Nullstellen des zugeordneten Indikatorpolynoms bestimmt sind. Ist eine Nullstelle von , so löst das Hilfsproblem . Ist mehrfache Nullstelle der Ordnung , so ergeben sich allgemeiner Lösungen der Form für . Alle diese Lösungen sind für nichtganzzahliges beziehungsweise für als Funktionen auf einer sich in verzweigenden Riemannschen Fläche zu verstehen.
Die Lösung der Ausgangsgleichung hängt mit den Lösungen dieser Modellprobleme eng zusammen, allerdings spielen auch Nullstellen des Indikatorpolynoms mit ganzzahligen Differenzen eine besondere Rolle. Wir formulieren das Resultat in Form von zwei Theoremen.
Satz 4.21 (Frobenius55, Fuchs). Sei regulär singulärer Punkt der Differentialgleichung und das zugehörige Indikatorpolynom. Ist nun eine Nullstelle von , so daß für alle gilt. Dann existiert eine Umgebung von und ein Lösung der Form mit .
Proof. Durch eine lineare Substitution kann man annehmen, daß gilt. Wir machen den Ansatz zur Bestimmung der Lösung. Zusammen mit den Potenzreihen der Koeffizientenfunktionen erhalten wir durch Einsetzen in und Koeffizientenvergleich liefert Bestimmungsgleichungen für die Koeffizienten . Um diese kurz aufschreiben zu können, definieren wir neben dem Indikatorpolynom die Hilfspolynome Koeffizientenvergleich in liefert damit und damit für mit die mögliche Wahl und rekursiv Da für alle gilt, ist die Folge wohldefiniert und es bleibt und damit die lokal gleichmäßige Konvergenz der Reihe nachzuweisen. Dies überlassen wir als Übung. ◻
Mitunter reicht dieser Satz schon aus um ein Fundamentalsystem von Lösungen zu konstruieren. Besitzt das Indikatorpolynom allerdings mehrfache Nullstellen oder Nullstellenpaare mit ganzzahligen Differenzen, so muß man allgemeiner vorgehen. Sei dazu eine Folge rationaler Funktionen durch ein Polynom und die Rekursion definiert. Nach Konstruktion besitzt die rationale Funktion höchstens in Polstellen. Bei geeigneter Wahl des Ausgangspolynoms kann man nun sicherstellen, daß für gegebenes alle in definiert und regulär sind. Ist eine Nullstelle von und gilt für Zahlen auch , so setzt man im generischen Fall56 und Analog zum obigen Fall zeigt man, daß die Reihe lokal gleichmäßig in und in um den Ursprung konvergiert. Darüberhinaus liefert die Konstruktion, daß gilt. Ist nun Nullstelle von , so ist damit Lösung. Ist darüberhinaus Nullstelle, so kann man nun diese Gleichung nach differenzieren und erhält wegen und damit eine zweite Lösung . Ist weitere Lösung, so kann man nochmals Differenzieren und erhält wiederum eine Lösung. Etc. Wegen der auftretenden Logarithmusterme sind die so konstruierten Lösungen offenbar linear unabhängig. Weiter ist für und für .
Satz 4.22 (Frobenius57, Fuchs). Sei regulär singulärer Punkt der Differentialgleichung und das zugehörige Indikatorpolynom. Ist eine Nullstelle von und seien (mit Vielfachheit) derart, daß gilt und dies alle Nullstellen der Form58, , sind. Dann existiert eine Umgebung von und holomorphe Funktionen , so daß linear unabhängige Lösungen der Gleichung sind.
Beispiel 4.23. Die Besselsche Differentialgleichung
besitzt (nach Division durch ) im Punkt eine reguläre Singularität. Die Indikatorgleichung ist durch gegeben. Weiter gilt und für alle . Die Indikatorgleichung besitzt die Nullstellen und es treten drei interessante Fälle auf. Man beachte, daß der von den Nullstellen von geworfene ‘Schatten’ hier aus und besteht.
Sei . Dann ist doppelte Nullstelle und wir finden zwei Lösungen der Form mit geeigneten Koeffizientenfolgen und .
Sei . Hier egeben sich Lösungen der Form mit geeigneten Koeffizientenfolgen und .
Sei zuletzt . Dann sind unabhängige Lösungen durch Reihen mit geeigneten Koeffizientenfolgen gegeben.
4.24. Oft betrachtet man Differentialgleichungen nicht nur auf ganz sondern auf der Riemannschen Zahlenkugel . Letzteres bedarf einer Klarstellung. Wir bezeichnen mit die Menge der auf ganz meromorphen Funktionen, Diese besitzen nur endlich viele Polstellen und im Unendlichen ein höchstens polynomiales Wachstum. Damit handelt sich genau um den Körper der rationalen Funktionen. Sei nun die Differentialgleichung mit rationalen Koeffizienten und gegeben. Die Substitution liefert daraus eine neue Differentialgleichung in mit neuen (wiederum rationalen) Koeffizienten und . Wir sagen ist regulärer Punkt, falls regulärer Punkt für die transformierte Gleichung ist. Weiter heißt regulär singulär, falls nach Transformation regulär singulär ist.
Es ist leicht zu zeigen, daß der Punkt genau dann ein regulärer oder regulär singulärer Punkt ist, wenn für beschränkt bleibt. Eine Differentialgleichung auf mit nur regulären Singularitäten wird als Fuchssche Differentialgleichung bezeichnet.
Die einfachsten Fuchsschen Differentialgleichungen sind öü mit genau einer Singularität in (und einer regulären Stelle in ) und für Parameter mit Singularitäten in und . Die Lösungen der zweiten Gleichung ergeben sich aus den Nullstellen von . Sind diese einfach, so ergibt sich im Falle einer doppelten Nullstelle entsprechend Jede Differentialgleichung mit genau einer oder genau zwei regulären Singularitäten kann offenbar auf diese Form gebracht werden.
Beispiel 4.25. Die hypergeometrische Differentialgleichung
zu Parametern besitzt die regulären Singularitäten , und . Nach einem Satz von Riemann und Papperitz59 kann sogar jede Fuchssche Differentialgleichung mit genau drei regulären Singularitäten durch Möbiustransformation auf diese Form gebracht werden. Speziell am Punkt besitzt die Gleichung das Indikatorpolynom und damit die Nullstellen und . Für nicht ganzzahliges existiert damit um den Ursprung eine holomorphe Lösung sowie eine Lösung der Form mit holomorphem . Die holomorphen Lösungen besitzen mindestens den Konvergenzradius . Für ist doppelte Nullstelle und die zweite Lösung ist von der Form mit holomorphem und für ganzzahlige ist genauer hinzuschauen.
Die Lösungen für nichtganzzahlige haben die Form hypergeometrischer Reihen mit den (wachsenden) Pochhammersymbolen , sowie
Beispiel 4.26. Die Airysche Differentialgleichung
besitzt auf nur reguläre Punkte. Der Punkt ist irregulär singulär. Selbiges gilt für die Differentialgleichung der Exponentialfunktion .
4.4 Asymptotik der Lösungen in irregulären Singularitäten
4.27. Während für die Untersuchung von Lösungen von Differentialgleichungen in der Nähe regulärer und regulär singulärer Punkte eine allgemeine Theorie existiert, bleiben für die Diskussion irregulärer Singularitäten nur Einzelfalluntersuchungen. Wir beschränken uns hier auf Differentialgleichungen zweiter Ordnung auf ; ohne Beschränkung der Allgemeinheit betrachten wir den Fall eines irregulär singulären Punktes in . Beispiele sind uns mit der Airyschen Differentialgleichung und der Besselschen Differentialgleichung zum Parameter schon begegnet. Für Differentialgleichungen zweiter Ordnung existiert eine Normalform. Diese geht auf Liouville zurück und ist der Ausgangspunkt unserer Betrachtungen.
Lemma 4.28 (Liouville). Sei einfach zusammenhängend, holomorph und erfülle die Differentialgleichung Sei weiter für ein Dann gilt mit
Proof. Der Beweis erfolgt durch Einsetzen und Nachrechnen. Die Definition von liefert und damit ◻
Damit genügt es, Gleichungen der Form mit für eine Umgebung des unendlich fernen Punktes zu untersuchen. Damit irregulär singulär ist, muß unbeschränkt für sein, die Laurentreihe von für hinreichend groß also von der Form mit einem sein. Für das Verhalten von Lösungen in der Nähe des singulären Punktes spielt die Funktion eine Rolle, die Linien
Satz 4.29 (Liouville–Green-Approximation). Angenommen, mit Wir zerlegen die Umgebung von in Sektoren, in denen gilt. Dann existieren in jedem Sektor Lösungen zu mit gleichmäßig in jedem kleineren echt enthaltenen Sektor.
Proof.Schritt 1. Da nach Voraussetzung strebt, gilt für hinreichend groß. Wir betrachten ein System erster Ordnung in . Dann gilt Die Koeffizientenmatrix hat die Eigenwerte und die zugehörigen Eigenvektoren können genutzt werden, die Koeffizientenmatrix zu diagonalisieren. Sei also und bezeichne . Dann gilt Gilt nun , so ist und . Wichtig für das weitere ist ebenso, daß . Dies nutzen wir, um das System weiter zu transformieren. Dazu sei eine Lösung der Kommutatorgleichung also zum Beispiel die Matrix Dann ist für hinreichend großes invertierbar und die transformierte Funktion löst wegen der Identität die Gleichung Die neue Koeffizientenmatrix erfüllt und ist damit entlang von ins unendliche verlaufenden Strahlen absolut integrierbar.
Schritt 2. Wir schreiben das erhaltene System in eine Integralgleichung um und konstruieren daraus wachsende und fallende Lösungen. Dazu schränken wir auf einen Sektor ein, auf welchem nicht sein Vorzeichen wechselt. Wir wählen weiterhin den Zweig der Wurzelfunktion auf so, daß asymptotisch gilt.
Wir beginnen mit einer wachsenden Lösung und betrachten für ein fest gewähltes die Hilfsfunktion Diese erfüllt die modifizierte Gleichung und wir suchen eine Lösung über die aus der Duhameldarstellung folgenden Integralgleichung. Sei dazu die Fundamentalmatrix des Hauptteils der modifizierten Gleichung. Da gilt, ist in jedem echt enthaltenen Sektor Sucht man nun eine Lösung mit so liefert die Duhamelsche Formel die Integralgleichung60 Für hinreichend groß ist diese Gleichung eindeutig mit dem Banachschen Fixpunktsatz lösbar. Es gilt und das Integral strebt mit gegen Null. Also existiert eine eindeutig bestimmte (stetige) Lösung der Integralgleichung, damit eine Lösung der Differentialgleichung und die so konstruierte Funktion ist holomorph.
Für konvergiert die so konstruierte Lösung und bei geeigneter Wahl von liegt der Grenzwert nahe genug bei , ist also insbesondere von Null verschieden.
Zur Konstruktion einer fallenden Lösung nutzen wir analog die Hilfsfunktion Zusammen mit den Endbedingungen erhält man für diese die Integralgleichung unter Ausnutzung der Fundamentalmatrix Diese ist für auf beschränkt, und der Banachsche Fixpunktsatz liefert ausgehend von wiederum die Existenz einer entsprechenden Lösung.
Rücktransformation liefert damit die Existenz von Lösungen der Form im Sektor . ◻
4.30. Die gerade erhaltene Aufteilung der Umgebung des unendlich fernen Punktes in Sektoren entspricht dem schon bei der Diskussion von Airy- und Besselfunktionen beobachteten Stokesphänomen . In jedem der Sektoren gibt es eine eindeutig bestimmte fallende Lösung, diese wird oft als rezessiv bezeichnet. Die wachsenden Lösungen sind nicht eindeutig durch ihre Asymptotik bestimmt, hier sind die Anfangsbedingungen im wesentlichen frei wählbar.
Phasenportrait der Airyfunktion für . Deutlich zu sehen sind die Sektoren in denen die Asymptotik durch obiges Theorem bestimmt wird sowie die dazwischenliegenden Stokeslinien.Phasenportrait der Hankelfunktion für . Die Hankelfunktionen sind die rezessiven Lösungen der Besselschen Differentialgleichung. Man beachte den Schnitt entlang der negativen reellen Achse.
übersetzt als: M.A. Lawrentjew, B.V. Schabat. Methoden der komplexen Funktionentheorie (Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1967)↩︎
Die Faktoren sind so gewählt, daß sie Nullstellen liefern die irgendwann beim Dividieren durch gekürzt werden. Sollten die Hilfspolynome oft genug Null sein, so müssen eventuell Faktoren gestrichen werden und der ’Schatten’ den die Nullstellen werfen wird entsprechend dünner.↩︎