Asymptotische Analysis ist mehr Hilfsmittel als Theorie und stellt damit keine einheitliche und abgeschlossene Lerneinheit dar. Ich werde im folgenden versuchen, eine kurze Begriffsbestimmung und Ideensammlung zu geben. Für die Details sei auf die nachfolgenden Kapitel verwiesen.
Sei \(a:{\mathbb N}\to{\mathbb C}\) eine (komplexe) Zahlenfolge mit Gliedern \(a_k=a(k)\). Über eine derartige Folge lassen sich verschiedenartige Aussagen treffen. So kann man zum Beispiel die Folge explizit angeben, \[a_k = k! = \prod_{j=1}^k j,\] was es (prinzipiell) einfach macht das \(k\)-te Folgenglied auszurechnen. Darüberhinaus kann man Abschätzungen für die Größe von \(a_k\) angeben. Hier gilt zum Beispiel \[2^{k-1}\le k! \le k^{k-1}\] für alle \(k\in{\mathbb N}\). Diese Ungleichungen werden mit zunehmenden \(k\) schlechter; interessiert man sich nur für große \(k\) so kann man nach asymptotischen Ungleichungen suchen. Ein Beispiel dafür ist die Stirlingsche Abschätzung \[1-\epsilon \le \frac{ k!} { \sqrt{2\pi k}\left(\frac{k}{{\mathrm e}}\right)^k} \le 1+\epsilon \,\qquad k\ge N_\epsilon,\] gültig für hinreichend große \(k\). Diese schreibt man auch kurz als \[k! \sim \sqrt{2\pi k}\left(\frac{k}{{\mathrm e}}\right)^k,\qquad k\to\infty,\] der relative Fehler der Abschätzung nimmt mit zunehmendem \(k\) ab. Während die explizite Vorschrift zur Berechnung von \(k!\) stets das richtige Ergebnis (bei drastisch steigendem Aufwand) liefert, ist die asymptotische Formel auch für große \(k\) einfach zu berechnen. Ein zweites für uns wichtiges Beispiel ist die Primzahlzählfunktion \[a_k = \#\{ p \text{\, prim}\,:\, p\le k\},\] deren explizite Bestimmung für große \(k\) schon am Testen der Primzahleigenschaft großer natürlicher Zahlen scheitert. Jedoch gilt der Primzahlsatz \[a_k \sim \frac k{\ln k},\qquad k\to\infty,\] wie wir im Verlaufe des Semesters beweisen werden.
Asymptotische Aussagen sind auch oft einfacher zu beweisen als direkte Abschätzungen. Wir werden dies im Verlaufe der Vorlesung noch oft sehen. Ziel der Vorlesung ist es Methoden zu entwickeln, mit denen das asymptotische Verhalten von Folgen und Funktionen ausgehend von Rekursions-, Differenzen- und Differentialgleichungen sowie Integraldarstellungen bestimmt werden kann. Als Anwendungen werden Aussagen der analytischen Zahlentheorie sowie aus dem Bereich der speziellen Funktionen betrachtet.
N.G. De Bruijn. Asymptotic Methods in Analysis (Dover 1981)
V.A. Zorich. Analysis II (Springer 2004) [Kapitel 19]
G.H. Hardy. Divergent Series (Oxford 1949)
E.C. Titchmarsh. The Theory of Functions (Cambridge UP 1939)
G.H. Hardy, M. Riesz. The general theory of Dirichlet’s series (Cambridge UP 1915)
G.H. Hardy, E.M. Wright. An Introduction to the Theory of Numbers (Oxford UP 1938)
E.T. Whittaker, G.N. Watson. A Course of Modern Analysis (Cambridge UP 1927)
M.A. Lavrentp1ev, B.V. Shabat. Metody Teorii Funkcii0 Kompleksnogo Peremennogo (Nauka 1965)1 [Kapitel V.3, VI]
F.W.J. Olver. Asymptotics and Special Functions (Academic Press 1974)
Die Phasenportraits sind mit MATLAB erstellt. Genutzt wurden dazu von Elias Wegert bereitgestellte m
-Files. Für weitere Informationen zu Darstellungen holomorpher Funktionen und funktionentheoretischen Hintergründen sei auf das Buch
E. Wegert. Visual Complex Functions (Birkhäuser 2012)
verwiesen.
In diesem einleitenden Kapitel soll das asymptotische Verhalten von Zahlenfolgen im Mittelpunkt stehen. Die wichtigen Grundbegriffe der asymptotischen Analysis werden wir bei der Untersuchung von Zahlenfolgen kennenlernen und im Anschluß noch einmal in voller Allgemeinheit definieren.
Im weiteren bezeichne \({\mathbb F}= \{ a : {\mathbb N}_0 \to {\mathbb C}\}\) die Menge der komplexwertigen Zahlenfolgen sowie \({\mathbb F}_+ = \{ a : {\mathbb N}_0 \to {\mathbb R}_+\}\) ihre Teilmenge der positiven Zahlenfolgen. Ist \(a\in{\mathbb F}\), so schreiben wir \(a_n\) kurz für das \(n\)-te Folgenglied \(a(n)\). Ebenso bezeichnen wir zu \(a,b\in{\mathbb F}\) und \(\boxtimes\in\{+,-,\cdot,/\}\) die Folge mit Gliedern \(a_n\boxtimes b_n\) kurz als \(a\boxtimes b\). Weiter unterscheiden wir nicht zwischen Konstanten aus \({\mathbb C}\) und konstanten Folgen, betrachten also \({\mathbb C}\subset{\mathbb F}\).
Definition 1.1. Sei \(a\in{\mathbb F}_+\) eine Folge positiver Zahlen. Dann bezeichnet man nach Landau2 \[\mathcal O(a) = \left\{ b\in{\mathbb F}\;:\; \limsup_{n\to\infty}\frac{|b_n|}{a_n} < \infty\right\}\] als Menge der durch \(a\) dominierten Folgen. Für \(b\in\mathcal O(a)\) sagt man, \(b\) sei ein groß-\(\mathcal O\) von \(a\).
Proposition 1.2. Die Menge \(\mathcal O(a)\) besitzt die Struktur eines Vektorraumes über \({\mathbb C}\). Weiterhin gilt
\(b\in{\mathbb F}_+\) und \(b\in \mathcal O(a)\) impliziert \(\mathcal O(b)\subset\mathcal O(a)\);
\(b\in\mathcal O(a)\) und \(d\in\mathcal O(c)\) impliziert \(bd \in \mathcal O(ac)\).
Definition 1.3. Seien \(a,b\in{\mathbb F}_+\). Dann heißen \(a\) und \(b\) asymptotisch vergleichbar , falls \(\mathcal O(a)=\mathcal O(b)\) gilt. In diesem Falle schreiben wir \(a\asymp b\).
Beispiel 1.4. Seien \(a_n = 2^n\), \(b_n=n^2\) und \(c_n = (n+\sin n)^2\). Dann sind \(a,b,c\in{\mathbb F}_+\) und es gilt \(b,c\in\mathcal O(a)\). Weiter gilt \(c\in \mathcal O(b)\) sowie \(b\in\mathcal O(c)\) und damit \(b\asymp c\).
Beispiel 1.5. Zu \(n\in{\mathbb N}\) betrachten wir die Fakultät \(n!=\prod_{k=1}^n k\) und ihren Logarithmus. Für letzteren gilt \[\ln n! = \sum_{k=1}^n \ln k \le \ln n+ \int_1^{n} \ln x {\,\mathrm d}x =\ln n+ \big[x\ln x - x\big]_{x=1}^{n} = n\ln n - n +\ln n+ 1\] als Abschätzung des Integrals durch Untersummen sowie \[n\ln n - n +1 = \int_1^n \ln x {\,\mathrm d}x \le \sum_{k=1}^n \ln k = \ln n!\] als Abschätzung durch Obersummen. Also gilt \(\ln n!\asymp n\ln n\) und somit \[\label{eq:1.1.4} \ln n! = n \ln n - n + \mathcal O(\ln n).\] Wenn man obige Abschätzungen in die Exponentialfunktion einsetzt erhält man die explizite Abschätzung \[{\mathrm e}\left(\frac{ n}{{\mathrm e}}\right)^n \le n! \le n{\mathrm e}\left(\frac{ n}{e}\right)^n,\] während die asymptotische Formel nur \(n^{c_1}\le n! / (n/{\mathrm e})^n\le n^{c_2}\) mit unbestimmten Konstanten \(c_1,c_2\in{\mathbb R}\) und für hinreichend großes \(n\) bedeutet.
Definition 1.6. Zu \(a\in{\mathbb F}_+\) sei \[\mathbf o(a) = \left\{ b\in{\mathbb F}\;:\; \lim_{n\to\infty}\frac{b_n}{a_n} =0\right\}.\] Für \(b\in\mathbf o(a)\) sagt man auch, \(b\) sein klein-\(\mathbf o\) von \(a\).
Proposition 1.7. Die Menge \(\mathbf o(a)\) besitzt die Struktur eines Vektorraumes über \({\mathbb C}\). Weiterhin gilt
\(\mathbf o(a)\subset\mathcal O(a)\);
\(b\in{\mathbb F}_+\) und \(b\in \mathbf o(a)\) impliziert \(\mathbf o(b)\subset\mathbf o(a)\);
\(b\in\mathbf o(a)\) und \(d\in\mathcal O(c)\) impliziert \(bd \in \mathbf o(ac)\).
Definition 1.8. Seien \(a,b\in{\mathbb F}\) und \(b_n\ne0\) für fast alle \(n\). Dann heißen \(a\) und \(b\) asymptotisch äquivalent , falls \[\lim_{n\to\infty} \frac{a_n}{b_n} = 1\] gilt. In diesem Falle schreiben wir \(a\sim b\).
Proposition 1.9. Seien \(a,b\in{\mathbb F}_+\). Dann sind äquivalent
\(a\sim b\);
\(a/b -1 \in \mathbf o(1)\);
\(a-b \in \mathbf o(b)\);
\(a-b \in \mathbf o(a)\).
Beispiel 1.10. Es gilt \(n \in \mathbf o(n\ln n)\) und \(\ln n\in\mathbf o(n)\). Wie oben schon gezeigt, gilt damit \[\ln n! \sim n\ln n - n.\]
1.11. Wir beginnen da, wo wir in obigen Beispielen aufgehört haben. Für \(\ln n!\) haben wir gezeigt, daß \[\begin{split} \ln n! &\in n\ln n + \mathbf o(n\ln n)\\ \ln n! &\in n\ln n -n +\mathbf o(n)\\ \end{split}\] gilt, und es stellt sich die Frage, ob sich weitere solche asymptotischen Verbesserungen finden lassen. Die Beantwortung dieser Frage verschieben wir in das nächste Unterkapitel, hier werden wir zuerst die allgemeinen Definitionen vorbereiten.
Definition 1.12. Sei \(a\in{\mathbb F}\). Eine Folge \(a^{(k)}\in{\mathbb F}\) heißt asymptotische Entwicklung von \(a\), falls \[a^{(k)}\ne0 \text{\; f.\"u.} \qquad \text{und} \qquad a^{(k+1)} \in \mathbf o(|a^{(k)}|)\] und \[a - \sum_{j=1}^k a^{(j)} \in \mathbf o(|a^{(k)}|)\] für alle \(k\in{\mathbb N}\) gilt. In diesem Falle schreiben wir \(a \sim \sum_{k} a^{(k)}\) und sprechen von einer asymptotischen Reihe.
Beispiel 1.13. Die direkt aus der Exponentialreihe folgende Darstellung \[{\mathrm e}^{-1/n} = \sum_{k=0}^\infty \frac{(-1)^k}{k! n^k}\] ist eine asymptotische Reihe, da \[\left|{\mathrm e}^{-1/n} - \sum_{j=0}^k \frac{(-1)^j}{j! n^j}\right| = \left|\sum_{j=k+1}^\infty \frac{(-1)^j}{j! n^j}\right| \le \frac1{(k+1)! n^{k+1}} \in \mathbf o(n^{-k}),\qquad n\to\infty,\] da die Summanden der Reihe das Leibnizkriterium erfüllen. Es gilt also \[{\mathrm e}^{-1/n} \sim 1 - \frac1{n} + \frac1{2n^2} - \frac1{6n^3} \pm \cdots\]
Asymptotische Entwicklungen werden uns noch einige begegnen, insbesondere wenn wir uns mit dem asymptotischen Verhalten von Funktionen beschäftigen. Man beachte, dass es für asymptotische Reihen keinen Konvergenzbegriff gibt. Sie bestimmen für kein \(n\in{\mathbb N}\) den Wert \(a_n\), sie beschreiben nur das asymptotische Verhalten der Folge \(a=(a_n)\) für \(n\to\infty\).
1.14. Wir benötigen noch ein Hilfsmittel. Im folgenden bezeichne \(B_k\) die \(k\)-te Bernoullizahl 3, definiert durch \[\label{eq:1:Bernoulli} \frac{z}{{\mathrm e}^z-1} = \sum_{k=0}^\infty B_k \frac{z^k}{k!},\qquad |z|<2\pi,\] und allgemeiner \(B_k(t)\) das \(k\)-te Bernoullipolynom definiert als \[\frac{z}{{\mathrm e}^z-1} {\mathrm e}^{tz} = \sum_{k=0}^\infty B_k(t) \frac{z^k}{k!},\qquad |z|<2\pi.\] Die Folge der \(B_k(t)\) sind als Taylorkoeffizienten einer analytischen Funktion eindeutig bestimmt, die angegebenen Reihen konvergieren absolut und gleichmäßig in jedem kleineren Kreis bezüglich \(z\).
Lemma 1.1. Es gilt
\(B_0(t)=1\);
\(\partial_t B_k(t) = k B_{k-1}(t)\) für alle \(t\in{\mathbb C}\);
\(\int_0^1 B_k(t){\,\mathrm d}t=0\) für \(k\ge 1\);
\(B_k(1)=(-1)^k B_k(0)\);
\(B_{2k+1}(0)=0\) für \(k\ge 1\).
Insbesondere ist \(B_k(t)\) ein Polynom vom Grad \(k\) in \(t\). Darüberhinaus gilt die Abschätzung \[|B_k(t)|\le k!\] für alle \(t\in[0,1]\).
Proof. (1) folgt aus \(B_0(t) = \lim_{z\to0} \frac{z}{{\mathrm e}^z-1} {\mathrm e}^{tz} = 1\). \(\bullet\) folgt durch formales Differenzieren der Reihe und der Beobachtung, daß die abgeleitete Reihe absolut und gleichmäßig konvergiert, \[\sum_{k=0}^\infty \partial_t B_k(t) \frac{z^k}{k!} = \partial_t \frac{z}{{\mathrm e}^z-1} {\mathrm e}^{tz} = \frac{z^2}{{\mathrm e}^z-1} {\mathrm e}^{tz} = \sum_{k=0}^\infty B_k(t) \frac{z^{k+1}}{k!}= \sum_{k=1}^\infty k B_{k-1}(t) \frac{z^{k}}{k!}.\] (3) folgt durch Integration \[1 = \frac{z}{{\mathrm e}^z-1}\int_0^1 {\mathrm e}^{tz} {\,\mathrm d}t = \sum_{k=0}^\infty \left(\int_0^1 B_k(t){\,\mathrm d}t \right)\frac{z^k}{k!}\] und Koeffizientenvergleich. \(\bullet\) ergibt sich durch Einsetzen von \(-z\) in die Reihendarstellung, \[\sum_{k=0}^\infty B_k(1) \frac{z^k}{k!} = \frac{z}{{\mathrm e}^z-1} {\mathrm e}^{z} = \frac{z}{1-{\mathrm e}^{-z}} = \sum_{k=0}^\infty (-1)^k B_k(0) \frac{z^k}{k!}.\] (5) folgt aus \[\frac{1}{{\mathrm e}^z -1 } - \frac{1}{1-{\mathrm e}^{-z}} = \frac{1-{\mathrm e}^{-z}-{\mathrm e}^z+1}{({\mathrm e}^z-1)(1-{\mathrm e}^{-z})} = -1,\] da damit \(z/({\mathrm e}^z-1) = 1 - z/2 + f(z)\) mit einer geraden Funktion \(f(z)\) gilt. Es bleibt die Abschätzung zu zeigen. Dazu nutzen wir Induktion über \(k\). Für \(k=1\) gilt \(B_1(t)=t-1/2\) und die Aussage folgt. Für den Induktionsschritt nutzen wir, daß \(B_{k}(t)\) reellwertig ist und damit wegen (3) eine Nullstelle \(t_0\) im Intervall \([0,1]\) besitzen muß. Also gilt mit (2) und der Induktionsvoraussetzung \[B_k(t) = k \int_{t_0}^t B_{k-1}(s){\,\mathrm d}s,\qquad |B_k(t)| \le k |t-t_0| (k-1)! \le k!.\] ◻
Die nachfolgende Summenformel von Euler4 und Maclaurin5 verallgemeinert die Trapezregel.
Lemma 1.15 (Euler–Maclaurin-Formel). Sei \(k\ge 1\) und \(g\in\mathrm C^{2k}[0,1]\). Dann gilt \[\label{eq:EulerMaclaurin1} \int_0^1 \frac{ B_{2k}(t)}{(2k)!} g^{(2k)}(t) {\,\mathrm d}t = \sum_{j=1}^k \frac{B_{2j}}{(2j)!} \left(g^{(2j-1)}(1)-g^{(2j-1)}(0)\right) -\frac{g(1)+g(0)}{2} +\int_0^1 g(t){\,\mathrm d}t\]
Proof. Der Fall \(k=1\) folgt durch partielles Integrieren \[\begin{split} \int_0^1 B_2(t) g''(t){\,\mathrm d}t &= B_2(t) g'(t)\big|_{t=0}^1 - 2\int_0^1 B_1(t) g'(t) {\,\mathrm d}t \\ &= B_2(t) g'(t)\big|_{t=0}^1 - 2 B_1(t) g(t) \big|_{t=0}^1 + 2 \int_0^1 g(t) {\,\mathrm d}t \\ &= B_2 \,\big(g'(1)- g'(0)\big) - \big(g(1)+g(0)\big) + 2 \int_0^1 g(t){\,\mathrm d}t \end{split}\] unter Beachtung von \(B_0(t)=1\) sowie \(B_1(0)=-B_1(1)=-1/2\) sowie \(B_2(0)=B_2(1)=B_2\). Für größere \(k\) nutzen wir Induktion. Es gilt wiederum \[\begin{split} \int_0^1 B_{2k}(t) g^{(2k)}(t){\,\mathrm d}t &= B_{2k}(t) g^{(2k-1)}(t) \big|_{t=0}^1 - (2k) \int_0^1 B_{2k-1}(t) g^{(2k-1)}(t){\,\mathrm d}t \\ &=B_{2k}(t) g^{(2k-1)}(t) \big|_{t=0}^1 - (2k) B_{2k-1}(t) g^{(2k-2)}(t)\big|_{t=0}^1 \\&\qquad\qquad\qquad+ (2k)(2k-1) \int_0^1 B_{2k-2}(t) g^{(2k-2)}(t){\,\mathrm d}t \\ &=B_{2k} \,\big(g^{(2k-1)}(1)-g^{(2k-1)}(0)\big)\\&\qquad\qquad\qquad+ (2k)(2k-1) \int_0^1 B_{2k-2}(t) g^{(2k-2)}(t){\,\mathrm d}t \end{split}\] und mit \(B_{2k-1}(0)=B_{2k-1}(1)=0\) sowie \(B_{2k}(1)= B_{2k}(0)=B_{2k}\) folgt die Behauptung. ◻
Da die Bernoullipolynome \(B_k(t)\in\mathcal O(k!)\) gleichmäßig in \(t\in[0,1]\) erfüllen, kann man diese Formel zum Beweis von Reihenentwicklungen nutzen. Gilt zum Beispiel \(g\in\mathrm C^\infty[0,1]\) mit \[\sup_{t\in[0,1]} |g^{(k)}(t)| \to 0,\qquad k\to\infty,\] so strebt das Integral auf der linken Seite in für \(k\to\infty\) gegen Null und wir erhalten \[\frac{g(1)+g(0)}{2} = \sum_{j=1}^\infty \frac{B_{2j}}{(2j)!} \left(g^{(2j-1)}(1)-g^{(2j-1)}(0)\right) +\int_0^1 g(t){\,\mathrm d}t\] Zum Beweis asymptotischer Entwicklungen benötigen wir eine leichte Verschärfung der Formel und betrachten Integrale über Intervalle ganzzahliger Länge. Addieren wir dann Euler–Maclaurin-Formeln für jedes Teilintervall der Länge Eins, so erhalten wir die Euler–Maclaurinsche Summenformel.
Korollar 1.16 (Euler–Maclaurin-Summenformel). Sei \(f\in \mathrm C^{2k}[m,n]\). Dann gilt \[\begin{gathered} \sum_{j=m}^n f(j) = \int_m^n f(t){\,\mathrm d}t + \frac{f(m)+f(n)}2 \\+ \sum_{j=1}^k \frac{B_{2j}}{(2j)!}\left(f^{(2j-1)}(n)-f^{(2j-1)}(m)\right) + R_{2k}(m,n)\end{gathered}\] mit \[R_{2k}(m,n) = - \int_m^n \frac{B_{2k}(t-\lfloor t\rfloor)}{(2k)!} f^{(2k)}(t) {\,\mathrm d}t.\]
Nutzt man, dass \(B_{2k+1}=B_{2k+1}(0)=B_{2k+1}(1)=0\) für alle \(k\in{\mathbb N}\) sowie \(B_1(1)=-B_1(0)=1/2\) gilt, so kann man die Summenformel kompakter als \[\sum_{j=m}^n f(j) = \sum_{j=0}^{2k} \frac{{B_j(1)} f^{(j-1)}(n)- B_j(0) f^{(j-1)}(m)}{j!} - \int_m^n \frac{B_{2k}(t-\lfloor t\rfloor)}{(2k)!} f^{(2k)}(t) {\,\mathrm d}t.\] schreiben. Hier haben wir die Notation \(f^{(-1)}\) für eine Stammfunktion von \(f\) genutzt.
Beispiel 1.17 (Stirling6-Reihe). Als erstes Betrachten wir wieder die Folge \(\ln n!\). Wendet man die Euler–Maclaurinsche Summenformel auf die Darstellung \[\ln n! = \sum_{\ell=1}^n \ln \ell\] an, so erhalten wir mit \(f(t)=\ln t\) und \(f^{(j)}(t) = (-1)^{j-1} (j-1)! t^{-j}\) für \(j\ge1\) entsprechend \[\ln n! = \int_1^n \ln t{\,\mathrm d}t + \frac12\ln n + \sum_{j=1}^k \frac{B_{2j}}{(2j)(2j-1)} \left( n^{1-2j} - 1\right)+ \int_1^n \frac{B_{2k}(t-\lfloor t\rfloor)}{(2k) t^{2k}} {\,\mathrm d}t.\] In dieser Darstellung ist der letzte Summand kein Restterm, allerdings gilt \[\begin{split} \int_1^n \frac{B_{2k}(t-\lfloor t\rfloor)}{(2k) t^{2k}} {\,\mathrm d}t = \int_1^\infty \frac{B_{2k}(t-\lfloor t\rfloor)}{(2k) t^{2k}} {\,\mathrm d}t - \int_n^\infty \frac{B_{2k}(t-\lfloor t\rfloor)}{(2k) t^{2k}} {\,\mathrm d}t \\ \end{split}\] und nun kann der Restterm \[\left| \int_n^\infty \frac{B_{2k}(t-\lfloor t\rfloor)}{(2k) t^{2k}} {\,\mathrm d}t \right| \le (2k-2)! n^{1-2k}\] abgeschätzt werden. Bis auf die noch zu bestimmenden Konstante \[c= 1-\sum_{j=1}^{k} \frac{B_{2j}}{2j(2j-1)} + \int_1^\infty \frac{B_{2k}(t-\lfloor t\rfloor)}{(2k) t^{2k}} {\,\mathrm d}t\] haben wir also \[\ln n! = n\ln n - n + \frac12 \ln n + c + \sum_{j=1}^k \frac{B_{2j}}{(2j)(2j-1) n^{2j-1}} + \mathcal O(n^{1-2k})\] gezeigt. (Es gilt \(c=\ln\sqrt{2\pi}\).)
Beispiel 1.18. Als zweites Beispiel betrachten wir die Partialsummen der harmonischen Reihe. Hier gilt entsprechend \[\begin{split} \sum_{\ell=1}^n \frac1\ell &= \int_1^n \frac1t {\,\mathrm d}t + \frac12\frac{n+1}{n} +\frac{B_2}{2} \left(1-\frac1{n^2} \right) - \int_1^n \frac{B_2(t-\lfloor t\rfloor)}{t^3}{\,\mathrm d}t \\& = \ln n + \gamma + \frac{1}{2 n} - \frac{B_2}{2n^2} + \int_n^\infty \frac{B_2(t-\lfloor t\rfloor)}{t^3}{\,\mathrm d}t \end{split}\] mit \[\gamma = \frac{1+B_2}2 - \int_1^\infty \frac{B_2(t-\lfloor t\rfloor)}{t^3}{\,\mathrm d}t.\] Weiter gilt \[-\frac{B_2}{2n^2} + \int_n^\infty \frac{B_2(t-\lfloor t\rfloor)}{t^3}{\,\mathrm d}t = - \sum_{j=1}^k \frac{B_{2j}}{2j(2j-1) n^{2j}} + \int_n^\infty \frac{B_{2k}(t-\lfloor t\rfloor)}{t^{2k+1}}{\,\mathrm d}t\] und damit für alle \(k\) \[\sum_{\ell=1}^n \frac 1\ell = \ln n + \gamma + \frac{1}{2n} - \sum_{j=1}^k \frac{B_{2j}}{2j(2j-1) n^{2j}} + \mathcal O(n^{-1-2k}).\] Die Konstante \(\gamma\) wird als Euler–Mascheroni7-Konstante bezeichnet.
Beispiel 1.19 (Faulhabersche8 Formeln). Als drittes Beispiel betrachten wir die Potenzsummen \[n\mapsto \sum_{\ell=0}^n \ell^q\] zu beliebigem Exponenten \(q\in{\mathbb N}\). Da dann der Restterm identisch verschwindet liefert die Euler–Maclaurinsche Summenformel eine explizite Darstellung \[\begin{split} \sum_{\ell=0}^n \ell^q &= \int_0^n t^q {\,\mathrm d}t + \frac{n^q}2 + \sum_{j=1}^{\lfloor q/2\rfloor} \frac{B_{2j}}{(2j)!} \frac{q!}{(q+1-2j)!} n^{q+1-2j} \\ &= \frac1{q+1} n^{q+1}+ \frac12 n^q + \frac1{q+1} \sum_{j=1}^{\lfloor q/2\rfloor}B_{2j} \binom{q+1}{2j} n^{q+1-2j} \\ &=\frac{n^q}2 + \frac1{q+1} \sum_{j=0}^{\lfloor q/2\rfloor}B_{2j} \binom{q+1}{2j} n^{q+1-2j}. \end{split}\] Für beliebige Exponenten \(q\in{\mathbb C}\) liefert die Euler–Maclaurinsche Summenformel wiederum asymptotische Entwicklungen. Eine analoge Rechnung liefert für jedes \(k\in{\mathbb N}\) \[\sum_{\ell=0}^n \ell^q =\frac{n^q}2 + \frac1{q+1} \sum_{j=0}^{k}B_{2j} \binom{q+1}{2j} n^{q+1-2j} + \mathcal O(n^{\Re q - 2k}).\] Für die verallgemeinerten Binomialkoeffizienten siehe auch .
1.20. Oft werden interessante Größen als Integrale dargestellt. Ein typisches Beispiel dafür ist die Fakultät \[\label{eq:1:Euler1} n! = \int_0^\infty {\mathrm e}^{-t} t^{n} {\,\mathrm d}t,\] die Gültigkeit dieser Formel erschließt sich durch partielles Integrieren \[\int_0^\infty {\mathrm e}^{-t} t^{n} {\,\mathrm d}t = - t^{n} {\mathrm e}^{-t} \bigg|_{t=0}^\infty + n\int_0^\infty {\mathrm e}^{-t} t^{n-1} {\,\mathrm d}t = n\int_0^\infty {\mathrm e}^{-t} t^{n-1}{\,\mathrm d}t\] zusammen mit \[\int_0^\infty {\mathrm e}^{-t} {\,\mathrm d}t =1.\] Wir wollen die Integraldarstellung nutzen, um das asymptotische Verhalten von \(n!\) für große \(n\) zu untersuchen. Die verwendete Methode geht auf Laplace9 zurück. Wir formulieren das Resultat möglichst allgemein, benötigen aber vorher zwei Hilfsaussagen.
Lemma 1.21. Es gilt \[\label{eq:1:Int1} \int_{-\infty}^\infty {\mathrm e}^{-s^2}{\,\mathrm d}s=\sqrt{\pi},\] sowie für alle \(k\in\mathbb{N}_0\) \[\label{eq:1:Int2} \int_{-\infty}^\infty s^{2k+1}{\mathrm e}^{-s^2}{\,\mathrm d}s=0\] und \[\label{eq:1:Int3} \int_{-\infty}^\infty s^{2k}{\mathrm e}^{-s^2}{\,\mathrm d}s = \frac{(2k)!}{4^kk!}\sqrt{\pi}=\sqrt{\pi}\bigg(k-\frac{1}{2}\bigg)_k\] unter Ausnutzung des Pochhammersymbols10 \((a)_k=a(a-1)\cdots(a-k+1)\).
Proof. Gleichung folgt wegen \[\begin{split} \left(\int_{-\infty}^\infty {\mathrm e}^{-s^2}{\,\mathrm d}s\right)^2 &= \int_{-\infty}^\infty\int_{-\infty}^\infty {\mathrm e}^{-(x^2+y^2)}{\,\mathrm d}x{\,\mathrm d}y = \int_0^{2\pi}\int_0^\infty r{\mathrm e}^{-r^2} {\,\mathrm d}r{\,\mathrm d}\varphi \\ &= \pi\int_0^\infty {\mathrm e}^{-r^2}2r {\,\mathrm d}r = \pi. \end{split}\] Gleichung ist offensichtlich, da der Integrand ungerade ist. Gleichung folgt per Induktion. Bezeichne dazu \(E_k\) das zu bestimmende Integral. Dann gilt mittels partieller Integration \[\begin{split} E_k&=\frac{1}{2}\int_{-\infty}^\infty s^{2k-1} {\mathrm e}^{-s^2}2s {\,\mathrm d}s = -\frac{1}{2}s^{2k-1}{\mathrm e}^{-s^2}\bigg|_{s=-\infty}^\infty +\frac{2k-1}{2}\int_{-\infty}^\infty s^{2k-2}{\mathrm e}^{-s^2}{\,\mathrm d}s \\ &=\frac{2k-1}{2}E_{k-1}=\left(k-\frac{1}{2}\right)_kE_{0}. \end{split}\] Mit folgt \(E_0=\sqrt{\pi}\) und damit die Behauptung. ◻
Lemma 1.22. Sei \(g : {\mathbb R}\to {\mathbb R}\) beschränkt. Dann gilt für jedes \(k\in{\mathbb N}\) \[\int_{-\infty}^\infty {\mathrm e}^{-n s^2} s^{2k} g(s) {\,\mathrm d}s \in \mathcal O(n^{-k-\frac12}).\]
Proof. Wir substituieren \(\sqrt n s\) und erhalten \[\int_{-\infty}^\infty {\mathrm e}^{-n s^2} s^{2k} g(s) {\,\mathrm d}s = n^{-k-\frac12} \int_{-\infty}^\infty {\mathrm e}^{-s^2} s^{2k} g(s/\sqrt n) {\,\mathrm d}s\] und das verbleibende Integral ist durch \[\left|\int_{-\infty}^\infty {\mathrm e}^{-s^2} s^{2k} g(s/\sqrt n) {\,\mathrm d}s \right| \le M \int_{-\infty}^\infty {\mathrm e}^{-s^2} s^{2k}{\,\mathrm d}s,\qquad M=\sup_{s\in{\mathbb R}} |g(s)|,\] beschränkt. ◻
Satz 1.23 (Laplace). Sei \(-\infty\le a<b\le \infty\) und \(f, h : (a,b)\to{\mathbb R}\) beliebig oft differenzierbare Funktionen, so daß
ein Punkt \(t_0\in(a,b)\) mit \(h(t_0)=\mu\), \(h'(t_0)=0\) und \(h''(t_0) < 0\) existiert;
für jedes \(\epsilon>0\) ein \(\delta>0\) existiert, so daß für \(|t-t_0|\ge \epsilon\) stets \(h(t) \le \mu-\delta\) gilt;
die Integrierbarkeitsbedingung \[\int_a^b |f(t)| {\mathrm e}^{h(t)} {\,\mathrm d}t < \infty\] erfüllt ist.
Dann gilt die asymptotische Entwicklung \[{\mathrm e}^{-n\mu} \int_a^b f(t) {\mathrm e}^{n h(t)} {\,\mathrm d}t \;\sim\; \sqrt\pi \sum_{k=0}^\infty \frac{\alpha_{2k}}{4^k k!} n^{-k-\frac12}\] für \(n\to\infty\) mit Konstanten \(\alpha_k\in{\mathbb R}\), die durch \[\alpha_k = \frac{{\,\mathrm d}^k}{{\,\mathrm d}s^k} \frac{f(\phi^{-1}(s)) }{\phi'(\phi^{-1}(s))}\bigg|_{s=0} = \left(\frac1{ \phi'(t) } \frac{{\,\mathrm d}}{{\,\mathrm d}t} \right)^k \frac{f(t)}{\phi'(t)} \bigg|_{t=t_0}\] für eine glatte Funktion \(\phi\) mit \(h(t) = \mu- (\phi(t))^2\) gegeben sind.
Wichtig ist die Existenz einer asymptotischen Entwicklung und die Form der Terme. Die dabei auftretenden Koeffizienten sind durch Koeffizientenvergleich mitunter auch einfacher zu berechnen.
Proof. Es genügt, den Fall \(\mu=t_0=0\) zu betrachten. Sei also im folgenden \(a<0<b\) und \(h:(a,b)\to(-\infty,0]\) glatt mit \(h(0)=h'(0)=0\) und \(h''(0)<0\), sowie \(h(t)<-\delta\) für alle \(t\) mit \(|t|\ge \epsilon\). Wir zerlegen das Integral in zwei Teile und integrieren einmal für \(|t|\ge \epsilon\) und einmal über das Intervall \(|t|\le\epsilon\).
Es gilt für jedes \(\epsilon>0\) mit dem entsprechenden \(\delta>0\) \[\left| \int_{|t|\ge \epsilon} f(t) {\mathrm e}^{n h(t)} {\,\mathrm d}t \right| \le \int_{|t|\ge \epsilon} |f(t)| {\mathrm e}^{h(t)} {\mathrm e}^{(n-1) h(t) }{\,\mathrm d}t \le {\mathrm e}^{-(n-1)\delta} \int_a^b |f(t)| {\mathrm e}^{h(t)} {\,\mathrm d}t\] und damit strebt dieses Integral schneller gegen Null als alle Terme der zu zeigenden asymptotischen Entwicklung.
Für das verbleibende Integral substituieren wir. Das Integralrestglied des Taylorschen Satzes liefert \[h(t) = t^2 \int_0^1 h''(\vartheta t) (1-\vartheta) {\,\mathrm d}\vartheta = - t^2 \psi(t).\] Dabei ist \(\psi : (a,b) \to {\mathbb R}\) beliebig oft differenzierbar und erfüllt \[\psi(0) = - h''(0) \int_0^1 (1-\vartheta){\,\mathrm d}\theta = - \frac{h''(0)}2 > 0.\] Damit existiert ein \(\epsilon>0\), so daß \(\psi(t)>0\) für alle \(|t|<\epsilon\) gilt und die Funktion \(\phi(t) = t \sqrt{\psi(t)}\) ist für \(|t|<\epsilon\) beliebig oft differenzierbar und erfüllt \(h(t) = - ( \phi(t) )^2\). Durch Verkleinern von \(\epsilon\) kann man insbesondere erreichen, daß \(\phi\) streng monoton ist und eine differenzierbare Umkehrfunktion besitzt. Substituiert man nun \(s=\phi(t)\), so ergibt sich \[\int_{|t|<\epsilon} f(t) {\mathrm e}^{n h(t)} {\,\mathrm d}t = \int_{\phi(-\epsilon)}^{\phi(\epsilon)} \frac{f(\phi^{-1}(s)) }{\phi'(\phi^{-1}(s))} {\mathrm e}^{ - n s^2 } {\,\mathrm d}s = \int_{\phi(-\epsilon)}^{\phi(\epsilon)} \tilde f(s) {\mathrm e}^{ - n s^2 } {\,\mathrm d}s\] und es bleibt, das Verhalten dieses Integrals zu untersuchen. Wir setzen dazu die Funktion \(\tilde f\) zu einer glatten und zusammen mit allen ihren Ableitungen beschränkten Funktion \(\tilde f : {\mathbb R}\to{\mathbb R}\) fort. Da damit wiederum \[\left| \int_{\phi(\epsilon)}^{\infty} \tilde f(s) {\mathrm e}^{-n s^2} {\,\mathrm d}s \right| \le M \int_{\phi(\epsilon)}^{\infty} 2s {\mathrm e}^{-n s^2} {\,\mathrm d}s = \frac {M}{n} {\mathrm e}^{-n \phi(\epsilon)^2 }\] und eine entsprechende Abschätzung für die untere Hälfte gilt, genügt es, die Behauptung für das Integral \[\int_{-\infty}^{\infty} \tilde f(s) {\mathrm e}^{ - n s^2 } {\,\mathrm d}s\] zu zeigen.
Wir nutzen die Taylorsche Formel für die Funktion \(\tilde f\). Es gilt für jedes \(N\in{\mathbb N}\) \[\tilde f(s) = \sum_{k=0}^{N-1} \frac{\alpha_k}{k!} s^k + \frac{s^N}{(N-1)!} \int_0^1 \tilde f^{(N)}(\vartheta s) \, (1-\vartheta)^{N-1} {\,\mathrm d}\vartheta\] mit den Koeffizienten \[\alpha_k = \tilde f^{(k)}(0)= \frac{{\,\mathrm d}^k}{{\,\mathrm d}s^k} \tilde f(s)\bigg|_{s=0}.\] Das Integral im Restterm ist nach Konstruktion gleichmäßig beschränkt, der Restterm also Produkt aus einem Polynom und einer beschränkten Funktion. Wir betrachten die Summanden einzeln. Lemma impliziert, daß der Restterm zu \(\mathcal O(n^{-(N+1)/2})\) gehört. Für die Summanden des Taylorpolynoms substituieren wir \(\sqrt ns\) und erhalten \[\int_{-\infty}^\infty s^k {\mathrm e}^{-ns^2} {\,\mathrm d}s = n^{-\frac12-\frac k2} \int_{-\infty}^\infty s^{k} {\mathrm e}^{-s^2} {\,\mathrm d}s,\] das verbleibende Integral berechnet sich mit Lemma . ◻
Beispiel 1.24 (Stirlingsche Formel). Wir nutzen die Substitution \(t=ns\) in \[n! = \int_0^\infty {\mathrm e}^{-t} t^{n} {\,\mathrm d}t =\int_0^\infty {\mathrm e}^{-t + n\ln t} {\,\mathrm d}t = n \int_0^\infty {\mathrm e}^{-n s + n\ln s + n\ln n} {\,\mathrm d}s.\] Damit ist Satz anwendbar. Die Funktion \(h(s)=\ln s-s\) besitzt ihr eindeutig bestimmtes Maximum in \(s=1\) mit \(h(1) = -1\), \(h'(1)=0\) und \(h''(1)=-1<0\). Also gilt mit noch zu bestimmenden Konstanten \(\beta_k\) die asymptotische Entwicklung \[n! \sim \sqrt{n} \left(\frac n e\right)^n \sum_{k=0}^\infty \beta_k n^{-k}\] für \(n\to\infty\). Wir bestimmen die ersten auftretenden Konstanten. Wegen \[h(s) + 1 = - \sum_{k=2}^\infty \frac{(-1)^k}{k} (s-1)^k = - \frac12(s-1)^2 + \frac13(s-1)^3 - \frac14 (s-1)^4+\mathcal O(|s-1|^5)\] folgt \[\phi(s) = \sqrt{-h(s)-1} = \frac1{\sqrt2} (s-1) - \frac1{3\sqrt2} (s-1)^2+\frac{7}{36 \sqrt2}(s-1)^3+\mathcal O(|s-1|^4)\] und damit \[\begin{split} & \frac1{\phi'(s)} \bigg|_{s=1} = \frac1{\phi'(1)} = \sqrt2,\\ & \frac1{\phi'(s)} \frac{{\,\mathrm d}}{{\,\mathrm d}s} \frac1{\phi'(s)} \bigg|_{s=1} = -\frac{\phi''(1)}{\phi'(1)^3 } = \frac{2}{3}\\ & \frac1{\phi'(s)} \frac{{\,\mathrm d}}{{\,\mathrm d}s} \left( \frac1{\phi'(s)} \frac{{\,\mathrm d}}{{\,\mathrm d}s} \frac1{\phi'(s)}\right) \bigg|_{s=1} = - \frac1{\phi'(s)} \frac{{\,\mathrm d}}{{\,\mathrm d}s} \frac{\phi''(s)}{\phi'(s)^3} \bigg|_{s=1} \\ &\qquad\qquad = \frac{3\phi''(1)^2 -\phi'''(1)\phi'(1)}{\phi'(1)^5} =\frac{ \sqrt2 }3 \end{split}\] also \[\label{eq:StirlingFormel} n! \sim \sqrt{2\pi n} \left(\frac n{{\mathrm e}}\right)^n \left( 1 +\frac1{12} n^{-1} + \mathcal O(n^{-2}) \right).\] Der erste Term der Entwicklung ist als Stirlingsche Formel bekannt.
Besitzt die Funktion \(h\) mehrere Maxima zum selben Wert, so addieren sich die asymptotischen Terme einfach. Mit wenigen Änderungen im Beweis lassen sich auch Maxima höherer Ordnung der Funktion \(h\) oder Situationen in denen die Maxima am Intervallende liegen behandeln. Wir betrachten nur die Hauptterme der Asymptotik und überlassen die detaillierten asymptotischen Entwicklungen dem interessierten Leser. Wir benötigen die Eulersche Gammafunktion
\[\Gamma(z) = \int_0^\infty t^{z-1} {\mathrm e}^{-t} {\,\mathrm d}t\] definiert für \(\Re z>0\).
Lemma 1.25 (Watson11). Seien \(\alpha,\beta>0\), \(0<a\le\infty\) und \(f\in\mathrm C([0,a);{\mathbb C})\) stetig mit \(f(s) = f(0)+\mathcal O(s)\) für \(s\to0\) sowie der Integrabilitätsbedingung \[\int_0^a s^{\beta-1} |f(s)| {\mathrm e}^{-s^\alpha}{\,\mathrm d}s < \infty.\] Dann gilt \[\int_0^a s^{\beta-1} f(s) {\mathrm e}^{-n s^\alpha} {\,\mathrm d}s = \frac{f(0)}{\alpha} \Gamma\left(\frac\beta\alpha\right) n^{-\frac\beta\alpha} + \mathcal O(n^{-\frac{\beta+1}\alpha})\]
Proof. Wir zerlegen das Integral in zwei Teile und integrieren über \((0,\epsilon]\) und \([\epsilon,a)\) für noch zu bestimmendes \(\epsilon>0\). Da \(f\) auf einem Kompaktum stetig und damit beschränkt ist, folgt \[\left|\int_\epsilon^a s^{\beta-1} f(s) {\mathrm e}^{-n s^\alpha} {\,\mathrm d}s \right|\le {\mathrm e}^{-(n-1) \epsilon^\alpha} \int_0^a s^{\beta-1} |f(s)| {\mathrm e}^{-s^\alpha} {\,\mathrm d}s \in\mathcal O({\mathrm e}^{-n\epsilon^\alpha})\] und dieser Term ist ein Restterm für die zu zeigende Abschätzung. Weiter gilt \[\int_0^\epsilon s^{\beta-1} {\mathrm e}^{-n s^\alpha} {\,\mathrm d}s = \int_0^\infty s^{\beta-1} {\mathrm e}^{-n s^\alpha} {\,\mathrm d}s + \mathcal O({\mathrm e}^{-n \epsilon^{\alpha}}),\] und die Definition der \(\Gamma\)-Funktion impliziert mit der Substitution \(t=ns^{\alpha}\), \({\,\mathrm d}t = n\alpha s^{\alpha-1}{\,\mathrm d}s\) \[\int_0^\infty s^{\beta-1} {\mathrm e}^{-n s^\alpha} {\,\mathrm d}s =\frac{ n^{-\frac\beta\alpha}}{\alpha} \int_0^\infty t^{\frac\beta\alpha-1} {\mathrm e}^{- t}{\,\mathrm d}t = \frac{n^{-\frac\beta\alpha} }{\alpha} \Gamma\left(\frac\beta\alpha\right).\] Wegen \[\left|\int_0^\epsilon s^{\beta-1} (f(s)-f(0)) {\mathrm e}^{-n s^\alpha} \right| \le C \int_0^\epsilon s^{\beta} {\mathrm e}^{-n s^\alpha} {\,\mathrm d}s \in \mathcal O(n^{-\frac{\beta+1}\alpha})\] folgt damit durch Addition der Terme die Behauptung. ◻
Beispiele 1.26. Wir beschränken uns auf die Hauptterme der Entwicklungen. Es gilt \[\int_0^\pi \sin^n t{\,\mathrm d}t \in \sqrt{\frac{2\pi}n} + \mathcal O(n^{-3/2})\] als direkte Konsequenz von Satz . Weiterhin ergibt sich \[\int_0^\infty (t+a)^n {\mathrm e}^{-nt} {\,\mathrm d}t \in \begin{cases} {\mathrm e}^{(a-1)n} \big(\sqrt{\frac{2\pi}{n}} +\mathcal O(n^{-3/2})\big) , \qquad &a<1,\\ \sqrt{\frac{\pi}{2n}}+\mathcal O(n^{-1}), \qquad & a=1,\\ a^{n} \big(\frac{a-1}{an} +\mathcal O(n^{-2})\big),\qquad & a>1, \\ \end{cases}\] je nach Wahl des reellen Parameters \(a\in{\mathbb R}\). Das Nachrechnen verbleibt als Übungsaufgabe.
1.27. Es bezeichne \({\mathbb F}^{\rm pot}\subset{\mathbb F}\) die Menge aller \(a:{\mathbb N}_0 \to {\mathbb C}\) mit \[\frac1{\rho(a)} = \limsup_{n\to\infty} \sqrt[n]{|a_n|} < \infty.\] Dann betrachten wir die zu \(a\) assoziierte Erzeugendenfunktion
\[G_a(z) = \sum_{n=0}^\infty a_n z^n, \qquad |z|< \rho(a).\] Diese ist nach Konstruktion analytisch in der Kreisscheibe \(B_{\rho(a)} = \{ z\in{\mathbb C}\;:\; |z|<\rho(a)\}\) und enthält alle Informationen über die Folge \(a_n\). So gilt \[a_n = \frac1{n!} \frac{{\,\mathrm d}^n}{{\,\mathrm d}z^n} G_a(z) \bigg|_{z=0},\] sowie nach den Formeln von Cauchy12 \[a_n = \frac{1}{2\pi{\mathrm i}} \oint_\Gamma \frac{G_a(z)}{z^{n+1}} {\,\mathrm d}z\] für jeden im Innern der Kreisscheibe \(B_{\rho(a)}\) verlaufenden Weg \(\Gamma\) mit Windungszahl \(1\) um den Ursprung. Mitunter ist es möglich, die Erzeugendenfunktion einer interessanten (und nicht explizit bekannten) Folge direkt anzugeben.
Beispiel 1.28. Zur Vorbereitung ein Beispiel. Zu \(\alpha\in{\mathbb C}\) und \(k\in{\mathbb N}_0\) bezeichne \[(\alpha)_k = \prod_{j=0}^{k-1} (\alpha-j) = \alpha(\alpha-1)\cdots(\alpha-k+1)\] zusammen mit \((\alpha)_{0}=1\) das Pochhammer-Symbol 13. Offenbar gilt \[\label{eq:Pochhammer2} (\alpha)_k = \lim_{z\to0} \frac{{\,\mathrm d}^k}{{\,\mathrm d}z^k} (1+z)^\alpha\] für alle \(\alpha\in{\mathbb C}\) und \(k\in{\mathbb N}\). Das Pochhammer-Symbol erlaubt es, verallgemeinerte Binomialkoeffizienten \[\label{eq:binkoeff} \binom{\alpha}{k} = \frac{(\alpha)_k}{k!}\] zu definieren. Die Erzeugendenfunktion zu dieser Folge ist durch \[G(z) = \sum_{k=0}^\infty \binom{\alpha}{k} z^k\] gegeben und besitzt mindestens den Konvergenzradius 1. Wegen gilt der allgemeine binomische Satz. Er geht auf Newton14 für reelles \(\alpha\) und Abel15 für komplexes \(\alpha\) zurück.
Lemma 1.2 (Newton–Abel). Sei \(\alpha\in{\mathbb C}\) beliebig. Dann gilt \[\sum_{k=0}^\infty \binom{\alpha}{k} z^k = (1+z)^\alpha,\qquad |z|<1.\] Insbesondere gilt damit \[\binom{\alpha}{k} = \frac1{2\pi{\mathrm i}} \oint_\Gamma \frac{(1+z)^\alpha}{z^{k+1}} {\,\mathrm d}z\] für jeden Weg \(\Gamma\) in der Einheitskreisscheibe der den Ursprung einmal positiv umläuft.
Definition 1.29. Seien \(a,b\in{\mathbb F}\). Dann bezeichnet \(a\bullet b\) definiert durch \[(a\bullet b)_n = \sum_{k=0}^n a_k b_{n-k}\] das Cauchyprodukt der Folgen \(a\) und \(b\).
Proposition 1.30. Seine \(a,b\in{\mathbb F}^{\rm pot}\). Dann gilt \(a\bullet b\in{\mathbb F}^{\rm pot}\) mit \(\rho(a\bullet b) \ge \min \{\rho(a),\rho(b)\}\) sowie \[G_{a\bullet b}(z) = G_a(z) G_b(z),\qquad |z|\le \min \{\rho(a),\rho(b)\}.\]
Proof. Der Beweis erfolgt durch direktes Nachrechnen. Es gilt \[\begin{split} G_a(z) G_b(z) = \left(\sum_{k=0}^\infty a_k z^k\right) \left(\sum_{\ell=0}^\infty b_\ell z^\ell\right) = \sum_{n=0}^\infty z^n \left(\sum_{k+\ell=n} a_k b_{\ell}\right) = G_{a\bullet b}(z) \end{split}\] unter Ausnutzung der absoluten und gleichmäßigen Konvergenz der Potenzreihen im Inneren des Konvergenzradius. Die Behauptung folgt. ◻
Sei im Folgenden \(\boldsymbol\epsilon\) die Folge mit \(\boldsymbol\epsilon_0=1\) und \(\boldsymbol\epsilon_n=0\) für \(n\in{\mathbb N}\). Dann gilt \(G_{\boldsymbol\epsilon}(z)=1\).
Korollar 1.31. Die Menge \({\mathbb F}^{\rm pot}\) bildet zusammen mit der Multiplikation \(\bullet\) und der Skalarmultiplikation mit komplexen Zahlen eine \({\mathbb C}\)-Algebra mit Eins \(\boldsymbol\epsilon\). Ein Element \(a\in{\mathbb F}^{\rm pot}\) ist genau dann bezüglich \(\bullet\) invertierbar, wenn \(a_0\ne0\) gilt und die Inverse \(b\) mit \(a\bullet b=\boldsymbol\epsilon=b\bullet a\) erfüllt \[G_b(z) = \frac1{G_a(z)},\] also \[b_n = \frac1{2\pi{\mathrm i}} \oint_\Gamma \frac1{z^{n+1} G_a(z)} {\,\mathrm d}z = \frac1{a_0 n!} \lim_{z\to 0} \frac{{\,\mathrm d}^n}{{\,\mathrm d}z^n} \sum_{k=0}^n \left( - \sum_{j=1}^{n} \frac{a_j}{a_0} z^j \right)^k.\]
Zur Berechnung von \(b_n\) genügen die ersten \(n\) Folgenglieder von \(a\).
Proposition 1.32. Seien \(S_-: {\mathbb F}^{\rm pot}\to {\mathbb F}^{\rm pot}\) definiert durch \((S_-a)_n = a_{n+1}\) und \((S_+a)_n=a_{n-1}\) für \(n\ge1\) sowie \((S_+a)_0=0\). Sei weiter \(D:{\mathbb F}^{\rm pot}\to{\mathbb F}^{\rm pot}\) definiert durch \((Da)_n = na_{n}\). Dann gilt \(\rho(S_\pm a)=\rho(Da)=\rho(a)\) sowie \[\begin{split} G_{S_-a}(z) &= \sum_{n=0}^\infty a_{n+1} z^n = \frac{G_a(z)-G_a(0)}{z}, \\ G_{S_+a}(z) &= \sum_{n=1}^\infty a_{n-1} z^n = z G_a(z),\\ G_{Da}(z) &= \sum_{n=0}^\infty n a_{n} z^n = z \frac{{\,\mathrm d}}{{\,\mathrm d}z} G_a(z). \end{split}\]
Beispiel 1.33 (Erzeugendenfunktion der Fibonacci16-Folge). Die Fibonacci-Folge \(f_n\) ist durch die Rekursionsvorschrift \[f_{n+2} = f_{n+1} + f_{n},\] zusammen mit den Anfangswerten \(f_0=0\) und \(f_1=1\) bestimmt. Offenbar gilt \(f_n\le 2^n\) für alle \(n\) und die Fibonacci-Folge besitzt eine Erzeugendenfunktion \(G(z)\). Diese erfüllt aufgrund der Rekursion \(S_-S_-f=S_-f+f\) die Gleichung \[\frac{ \frac{G(z)}{z} -1}z =\frac{G(z)}z + G(z)\] unter Ausnutzung von \(G(0)=0\) und \(G'(0)=1\). Das kann man nach \(G(z)\) umstellen und erhält \[( z^2 +z-1 )G(z) = -z,\qquad G(z) = \frac{z}{1-z-z^2}.\]
Beispiel 1.34 (Explizite Darstellung der Fibonacci-Folge). Man kann die soeben gewonnene Erzeugendenfunktion der Fibonacci-Folge nutzen, um eine explizite Darstellung zu erhalten. Dazu verschieben wir den Integrationsweg \(\Gamma\) um den Pol im Ursprung in \[f_n = \frac{1}{2\pi{\mathrm i}}\oint_\Gamma \frac{G(z)}{z^{n+1}}{\,\mathrm d}z = \frac{1}{2\pi{\mathrm i}}\oint_\Gamma \frac{1}{z^{n} (1-z-z^2)}{\,\mathrm d}z\] wie in Abbildung dargestellt ins Unendliche und nutzen den Residuensatz für die dabei überstrichenen Pole der Erzeugendenfunktion. Diese liegen bei den Punkten \(z_\pm\) \[z^2+z-1=(z-z_+)(z-z_-),\qquad z_\pm = -\frac12 \pm \frac{\sqrt{5}}2\] und haben die Residuen \[\frac1{z_-^n (z_+-z_-)} = \frac{ (1+z_-)^n}{z_+-z_-},\qquad \frac1{z_+^n (z_--z_+)} = \frac{ (1+z_+)^n}{z_--z_+}.\] Damit gilt \[\begin{split} f_n &=\frac{1}{2\pi{\mathrm i}}\oint_{\Gamma} \frac{1}{z^n(1-z-z^2)}{\,\mathrm d}z \\ &= -\mathop{\mathrm{Res}}\left(\frac{1}{z^n(1-z-z^2)};\; z=z_+\right) -\mathop{\mathrm{Res}}\left(\frac{1}{z^n(1-z-z^2)};\; z=z_-\right) \\ &= \frac1{z_+-z_-} \left((1+z_+)^n - (1+z_-)^n\right) = \frac{1}{\sqrt{5}} \left(\left(\frac{1+\sqrt{5}}{2}\right)^n-\left(\frac{1-\sqrt{5}}{2}\right)^n\right) \end{split}\] Diese explizite Formel geht auf Moivre17 und Binet18 zurück. Die Residuen werden subtrahiert, da die Pole im Uhrzeigersinn umlaufen werden.
1.35. Sei \(\Omega\subset{\mathbb C}\) ein Gebiet in der komplexen Zahlenebene. Dann bezeichne \(\mathfrak A(\Omega)\) den Ring der holomorphen Funktionen \(\Omega\to{\mathbb C}\) und \(\mathfrak M(\Omega)\) seinen Quotientenkörper, also den Körper der meromorphen Funktionen \(\Omega\to\widehat{\mathbb C}= {\mathbb C}\cup\{\infty\}\). Sei weiter \(B_\rho = \{ z\in{\mathbb C}\;:\; |z|\le \rho\}\).
Die Zuordnung der Erzeugendenfunktion definiert damit eine Abbildung \[{\mathbb F}^{\rm pot}\ni a \mapsto G_a \in \bigcup_{\rho>0} \mathfrak A(B_\rho).\] Betrachtet man zusätzlich asymptotisches Verhalten der Folge \(a\), so ergibt sich etwas mehr. Einerseits gilt \(\rho((\rho^{-n})_{n\in{\mathbb N}})=\rho\) und damit \[\mathcal O((\rho^{-n})_{n\in{\mathbb N}_0} ) \ni a \mapsto G_a \in \mathfrak A(B_\rho),\] andererseits impliziert \(\rho(a)>\rho\) schon \(a\in\mathcal O((\rho^{-n})_{n\in{\mathbb N}_0} )\). Es besteht ein Zusammenhang zwischen gewissen asymptotischen Entwicklungen und einer meromorphen Fortsetzung der Erzeugendenfunktion über den Konvergenzkreis \(B_{\rho(a)}\) hinaus.
Satz 1.36. Sei \(a\in{\mathbb F}^{\rm pot}\). Dann sind die folgenden zwei Aussagen äquivalent.
Die Erzeugendenfunktion \(G_a \in \mathfrak M(B_\rho)\) ist meromorph mit Polen in Punkten \(z_j\in B_\rho\) mit Ordnungen \(\nu_j\ge 1\) für \(j=1,\ldots, k\) und \[G_a(z) = \sum_{j=1}^k \sum_{\ell=1}^{\nu_j} (-1)^\ell \frac{\alpha_{j,\ell}}{(z-z_j)^\ell} \mod \mathfrak A(B_\rho).\]
Für die Folge \[\tilde a = \left( a_n + \sum_{j=1}^k z_j^{-n} \sum_{\ell=1}^{\nu_j} \binom{n+\ell-1}{\ell-1}\frac{ \alpha_{j,\ell}}{z_j^{\ell}} \right)_{n\in{\mathbb N}}\] gilt \(\rho(\tilde a)\ge \rho\).
Man beachte, daß \[\binom{n+\ell-1}{\ell-1}\] ein Polynom vom Grad \(\ell\) in der Variablen \(n\) ist, während sich \(z_j^{-n}\) exponentiell verhält.
Proof. Da für Folgen \(\tilde a\) genau dann \(\rho(\tilde a)\ge \rho\) gilt, wenn ihre Erzeugendenfunktionen zu \(\mathfrak A(B_\rho)\) gehören, genügt es die Summanden beziehungsweise Pole einzeln zu betrachten. Es gilt mit der geometrischen Summenformel \[\frac1{z-z_j} = - \frac{1/z_j}{1-z/z_j} = - \frac1{z_j} \sum_{n=0}^\infty \frac{z^n}{z_j^n},\] sowie wegen \[(-1)^\ell \frac{(\ell-1)! }{(z-z_j)^\ell} = \frac{{\,\mathrm d}^{\ell-1}}{{\,\mathrm d}z^{\ell-1}}\frac1{z-z_j}\] entsprechend \[\begin{split} \frac{(-1)^\ell}{(z-z_j)^\ell}& = - \frac{1}{(\ell-1)!} \frac1{z_j} \sum_{n=0}^\infty \frac{{\,\mathrm d}^{\ell-1}}{{\,\mathrm d}z^{\ell-1}} \frac{z^n}{z_j^n} = - \frac{1}{(\ell-1)!} \frac1{z_j} \sum_{n=\ell-1}^\infty (n)_{\ell-1} \frac{z^{n-\ell+1}}{z_j^n}\\ & = - \sum_{n=0}^\infty \binom{n+\ell-1}{\ell-1} \frac{z^n}{z_j^{n+\ell}}. \end{split}\] Addition aller dieser Terme liefert die Behauptung. ◻
Beispiel 1.37. Wir wollen dies anwenden und das asymptotische Verhalten von Lösungen inhomogener Rekursionsgleichungen \[\sum_{\ell=0}^k \mu_\ell a_{n+\ell} = b_n\] zu gegebener Folge \(b=(b_n)_{n\in{\mathbb N}_0}\in\mathbb F_{\rm pot}\) und gegebenen Koeffizienten \(\mu_\ell\in{\mathbb C}\) betrachten. Wir nehmen an, daß der Konvergenzradius \(\rho(b)\) hinreichend groß ist und betrachten die zugeordneten Erzeugendenfunktionen \[F(z) = \sum_{n=0}^\infty a_n z^n,\qquad G(z) = \sum_{n=0}^\infty b_n z^n.\] Für \(F\) ist noch zu zeigen, daß diese existiert. Die Rekursionsgleichung impliziert nun \[G(z) = \sum_{n=0}^\infty b_n z^n = \sum_{\ell=0}^k \mu_\ell z^{-\ell} \sum_{n=0}^\infty z^{n+\ell} a_{n+\ell} = \sum_{\ell=0}^k \mu_\ell z^{-\ell} \big(F(z) - \sum_{n=0}^{\ell-1} z^n a_n \big)\] und damit \[\left(\sum_{\ell=0}^k \mu_\ell z^{k-\ell} \right) F(z) = z^k G(z) + \sum_{n=0}^{k-1} a_n \sum_{\ell=n+1}^k \mu_\ell z^{n+k-\ell},\] also \[p(z) F(z) = z^k G(z) + \sum_{n=0}^{k-1} a_n q_n(z)\] mit Polynomen \(p(z)\) vom Grad \(k\) sowie \(q_n(z)\) vom Grad \(k-1\) in der Variablen \(z\). Wir können annehmen an, daß \(p(0)\ne0\) gilt (sonst ist die Rekursion von niedrigerer Ordnung) und folgern, daß dann in einer Umgebung von \(z=0\) die Funktion \(F(z)\) holomorph ist und durch \[F(z) = \frac{z^k G(z)}{p(z)} + \sum_{n=0}^{k-1} a_n \frac{q_n(z)}{p(z)}.\] gegeben ist. Diese Funktion ist auf dem Konvergenzkreis von \(G\) meromorph, das asymptotische Verhalten wird durch die im Inneren liegenden Pole (also die Nullstellen von \(p(z)\)) bestimmt. Besitzt auch \(G\) eine meromorphe Fortsetzung über den Konvergenzkreis, so ergeben sich weitere asymptotische Terme.
1.38. Erzeugendenfunktionen sind eng mit der additiven Struktur der natürlichen Zahlen verbunden. Das hat man bei Rekursionsgleichungen gesehen, wird aber insbesondere bei Problemen der additiven Zahlentheorie deutlich. Wir skizzieren nur eines und bezeichnen zu einer natürlichen Zahl \(n\in{\mathbb N}\) die Anzahl der wesentlich verschiedenen Möglichkeiten, die Zahl als Summe natürlicher Zahlen zu schreiben, als Zerfällungszahl \(p_n\). So gilt \[5 = 4+1 = 3+2 = 3+1+1 = 2+2+1 = 2 + 1+1+1 = 1+ 1+1+1+1+1\] und damit \(p_5=7\). Wir setzen ebenso \(p_0=1\). Zerfällungszahlen erfüllen keine offensichtliche Rekursionsgleichung, allerdings existiert eine explizite Formel für ihre Erzeugendenfunktion.
Lemma 1.3 (Euler). Es gilt \[P(z) = \sum_{n=0}^\infty p_n z^n = \prod_{k=1}^\infty \frac1{1-z^k} = \prod_{k=1}^\infty \sum_{\ell=0}^\infty z^{k\ell},\qquad |z|<1.\]
Proof. Wir bezeichnen mit \(p_{m,n}\) die Anzahl der Zerlegungen in Summanden kleiner oder gleich \(m\). Dann gilt \[\begin{split} P_m(z) &= \sum_{n=0}^\infty p_{m,n} z^n \\ & = (1+z+z^2+\cdots) (1+z^2+z^4+\cdots)\cdots (1+z^m+z^{2m}+\cdots) \\&= \prod_{k=1}^m \sum_{\ell=0}^\infty z^{k\ell} , \end{split}\] der \(k\)-te Faktor zählt die Anzahl der Summanden \(k\) in der Zerlegung. Offenbar gilt \(p_{m,n}\le p_n\) und alle auftretenden Reihen sind für \(|z|<1\) absolut konvergent. Also ist Umordnen erlaubt. Darüberhinaus ist \(p_{m,n} \nearrow p_n\) monoton wachsend und \(p_{m,n}=p_n\) für \(m\ge n\). Weiter konvergiert das unendliche Produkt \(P(z)= \prod_{k=1}^\infty \frac1{1-z^k}\) für alle reellen \(z\in[0,1)\) und es folgt \[\sum_{n=0}^m p_n z^n \le \sum_{n=0}^m p_n z^n+\sum_{n=m+1}^\infty p_{m,n} z^n = P_m(z) \le P(z)\] und damit \(P_m(z) \to P(z)\). Also konvergiert die Reihe \(\sum_{n=1}^\infty p_n z^n\) für \(z\in[0,1)\) gegen \(P(z)\). Da die Koeffizienten der Reihe positiv und monoton wachsend sind, impliziert der Satz über die majorisierte Konvergenz, daß \(P_m(z)\to P(z)\) lokal gleichmäßig in \(|z|<1\). ◻
Die Eulersche Produktformel für die Erzeugendenfunktion \(P(z)\) hat eine wesentliche Singularität in \(|z|=1\), ist also nicht analytisch über den Einheitskreis hinaus fortsetzbar. Damit hilft uns die Erzeugendenfunktion nicht zur Diskussion asymptotischen Verhaltens.
1.39. Sei \({\mathbb F}^{\rm exp}\) die Menge aller Folgen \(a\in{\mathbb F}\) mit \[\frac1{\rho_E(a)} = \limsup_{n\to\infty} \sqrt[n]{|a_n| / n!} < \infty.\] Dann betrachten wir die zu \(a\) assoziierte Erzeugendenfunktion vom Exponentialtyp oder exponentiell erzeugende Funktion \[E_a(z) = \sum_{n=0}^\infty {a_n} \frac{z^n}{n!}, \qquad |z|< \rho_E(a).\] Wiederum bestimmt die Erzeugendenfunktion die Folge, es gilt \[a_n = \lim_{z\to0} \frac{{\,\mathrm d}^n}{{\,\mathrm d}z^n} E_a(z) = \frac{n!}{2\pi{\mathrm i}} \oint \frac{E_a(z)}{z^{n+1}} {\,\mathrm d}z\] aufgrund der Definition als Potenzreihe sowie des Residuensatzes.
Definition 1.40. Seien \(a,b\in{\mathbb F}\). Dann bezeichnet \(a\lozenge b\) definiert durch \[\label{eq:1:Combination} (a\lozenge b)_n = \sum_{k=0}^n \binom{n}{k} a_k b_{n-k}\] die Kombination der Folgen \(a\) und \(b\).
Proposition 1.41. Seien \(a,b\in{\mathbb F}^{\rm exp}\). Dann gilt \(a\lozenge b\in{\mathbb F}^{\rm exp}\) mit \[\rho_E(a\lozenge b) \ge \min \{\rho_E(a),\rho_E(b)\}\] sowie \[E_{a\lozenge b}(z) = E_a(z) E_b(z),\qquad |z|\le \rho_E(a\lozenge b).\] Damit wird \({\mathbb F}^{\rm exp}\) mit der Multiplikation \(\lozenge\) zu einer \({\mathbb C}\)-Algebra mit Einselement \(\boldsymbol\epsilon\). Weiter ist \(a\in{\mathbb F}^{\rm exp}\) genau dann bezüglich \(\lozenge\) invertierbar, wenn \(a_0\ne0\) gilt.
Erzeugendenfunktionen vom Exponentialtyp sind interessant für kombinatorische Fragestellungen. Wir betrachten dazu einige Beispiele.
Beispiel 1.42 (Stirlingzahlen zweiter Art). Sei \(S_{n,k}\) die Anzahl der Möglichkeiten eine \(n\)-elementige Menge in \(k\) nichtleere disjunkte Teile zu zerlegen. Dann gilt offenbar \(S_{0,1}=0\) und \(S_{n,1}=1\) für \(n\ge1\). Weiterhin gilt \[(S_{n,k+1})_{n\in{\mathbb N}_0} = \frac1{k+1} (S_{n,1})_{n\in{\mathbb N}_0} \lozenge (S_{n,k})_{n\in{\mathbb N}_0},\] also \[S_{n,k+1} = \frac{1}{k+1} \sum_{\ell=1}^n \binom{n}{\ell} S_{\ell,k},\] da man zum Zerlegen in \(k+1\) Teile zuerst \(\ell\) Elemente auswählen und dann den Rest in \(k\) Teile zerlegen kann. Dabei ist zu beachten, daß jedes der \(k+1\) Teile als erstes ausgewählt werden kann, wir also alle Zerlegungen \((k+1)\)-fach gezählt haben. Also folgt für die exponentiell erzeugende Funktion \(E_k(z)\) der Folge \((S_{n,k})_{n\in{\mathbb N}_0}\) \[E_1(z)={\mathrm e}^z-1,\qquad\qquad E_k(z)=\frac1{k!} \left({\mathrm e}^z-1\right)^k.\] Damit kann man die Zahlen \(S_{n,k}\) explizit angeben, es gilt \[S_{n,k} = \frac1{k!} \lim_{z\to0}\frac{{\,\mathrm d}^n}{{\,\mathrm d}z^n} \left({\mathrm e}^z-1\right)^k = \frac{n!}{k!} \frac1{2\pi{\mathrm i}} \oint_\Gamma \frac{({\mathrm e}^z-1)^k}{z^{n+1}}{\,\mathrm d}z.\] Man sieht deutlich, daß \(S_{n,k}=0\) für alle \(k>n\).
Beispiel 1.43 (Bellsche19 Zahlen). Die Anzahl der Partitionen einer Menge von \(n\) Elementen wird als die Bellsche Zahl \(B_n\) bezeichnet. Wegen \(B_0=1\) und \[B_n = \sum_{k=1}^n S_{n,k} = \sum_{k=1}^\infty S_{n,k},\qquad n\ge1,\] gilt für die zugeordnete exponentielle erzeugende Funktion \[E(z) = \sum_{n=0}^\infty B_n\frac{ z^n}{n!} =1+ \sum_{k=1}^\infty \sum_{n=1}^\infty S_{n,k}\frac{ z^n}{n!} = \sum_{k=0}^\infty \frac1{k!} \left({\mathrm e}^z-1\right)^k = {\mathrm e}^{{\mathrm e}^z-1}.\] Also folgt für die Bellschen Zahlen \[B_n = \lim_{z\to0}\frac{{\,\mathrm d}^n}{{\,\mathrm d}z^n} {\mathrm e}^{{\mathrm e}^z-1} = \frac{n!}{2\pi{\mathrm i}} \oint_\Gamma \frac{{\mathrm e}^{{\mathrm e}^z-1}}{z^{n+1}}{\,\mathrm d}z.\]
Beispiel 1.44 (Stirlingzahlen erster Art). Sei \(s_{n,k}\) die Anzahl der Permutationen von \(n\) Elementen, welche genau \(k\) Zykel besitzen. Es gilt \(s_{n,k}=0\) für \(k>n\) und \(s_{n,n}=1\). Darüberhinaus gibt es genau \((n-1)!\) Permutationen mit einem Zykel (da man ja die Reihenfolge der Zykelelemente permutieren kann, aber jeden Zykel dabei \(n\)-fach zählt). Damit gilt für die exponentiell erzeugende Funktion \(\tilde E_1(z)\) von \(s_{n,1}=(n-1)!\) \[\tilde E_1(z) = \sum_{n=0}^\infty s_{n,1} \frac{z^n}{n!} = \sum_{n=1}^\infty \frac{z^n}{n} = - \ln(1-z),\qquad |z|<1.\] Weiter gilt \[(s_{n,k+1})_{n\in{\mathbb N}_0} = \frac1{k+1} (s_{n,1})_{n\in{\mathbb N}_0} \lozenge (s_{n,k})_{n\in{\mathbb N}_0},\] also \[s_{n,k+1} = \frac1{k+1}\sum_{\ell=1}^n \binom{n}{\ell} (\ell-1)! \,s_{n-\ell,k} = \frac1{k+1} \sum_{\ell=1}^n \frac1\ell \frac{n!}{(n-\ell)!} {s_{n-\ell,k}},\] da wir \(n! / (n-\ell)!\) Möglichkeiten haben ein \(\ell\)-Tupel aus \(n\) Elementen als ersten Zykel auszuwählen, diesen dabei aber \(\ell\)-fach zählen und \(s_{n-\ell,k}\) Möglichkeiten haben, die verbleibenden \(n-\ell\) Elemente mit \(k\) Zykeln zu permutieren. Da wir \(k+1\) mögliche Wahlen erster Zykel haben, haben wir insgesamt jede Permutation \(k+1\) fach gezählt. Also folgt für die exponentiell erzeugende Funktion \(\tilde E_k(z)\) der Folge \((s_{n,k})_{n\in{\mathbb N}_0}\) \[\tilde E_k(z) = \frac1{k!} \left( \ln\left(\frac1{1-z}\right)\right)^k,\qquad |z|<1,\] und damit die explizite Darstellung der Stirlingzahlen erster Art \[s_{n,k} = \frac1{k!} \lim_{z\to0} \frac{{\,\mathrm d}^n}{{\,\mathrm d}z^n} \left( \ln\left(\frac1{1-z}\right)\right)^k = \frac{n!}{k!} \frac1{2\pi{\mathrm i}} \oint_\Gamma \frac{(-\ln(1-z))^k}{z^{n+1}}{\,\mathrm d}z.\]
1.45 (Borelkorrespondenz). Erzeugendenfunktionen und exponentiell erzeugende Funktionen sind eng miteinander verbunden.
Da offenbar \({\mathbb F}^{\rm pot}\subset{\mathbb F}^{\rm exp}\), kann man jeder Folge \(a\in{\mathbb F}\) mit \(\rho=\rho(a)<\infty\) neben einer Erzeugendenfunktion \(G_a\in\mathfrak A(B_\rho)\) eine (ganze!) exponentiell erzeugende Funktion \(E_a\in\mathfrak A({\mathbb C})\) zuordnen.
Satz 1.1 (Borel20). Sei \(a\in{\mathbb F}^{\rm pot}\) und seien \(G_a\in\mathfrak A(B_{\rho(a)})\) die zugeordnete Erzeugendenfunktion sowie \(E_a\in\mathfrak A({\mathbb C})\) die zugeordnete expenonentiell erzeugende Funktion. Dann gilt \[G_a(z) = \int_0^\infty {\mathrm e}^{-t} E_a(zt){\,\mathrm d}t,\qquad |z|\le \rho(a).\]
Proof. Wir zerlegen den Beweis in drei Schritte. Schritt 1. Für \(0<r<\rho(a)\) gilt mit der Cauchyschen Formel \[a_n =\frac1{2\pi{\mathrm i}} \int_{|z|=r} \frac{G_a(z)}{z^{n+1}} {\,\mathrm d}z\] die Abschätzung \[|a_n| \le \frac1{r^{n}} \max_{|z|=r} |G_a(z)| = \frac{M_r}{r^{n}}\] und damit \[|E_a(z)| = \left| \sum_{n=0}^\infty a_n \frac{z^n}{n!} \right| \le {M_r} \sum_{n=0}^\infty \frac1{n!} \left(\frac{|z|}r\right)^n = {M_r} \exp\left(\frac{|z|}r\right)\] und analog für alle Ableitungen \[| E_a^{(k)} (z)| = \left| \sum_{n=0}^\infty a_{n+k} \frac{z^n}{n!} \right| \le \frac{M_r}{r^k} \exp\left(\frac{|z|}r\right) .\] Schritt 2. Abschätzung auftretender Integrale. Es gilt \[\label{eq:1.6.23} \begin{split} \left| \int_0^\infty {\mathrm e}^{-t} E_a^{(k)}(zt){\,\mathrm d}t\right| &\le \int_0^\infty {\mathrm e}^{-t} |E_a^{(k)}(zt)|{\,\mathrm d}t \\ &\le \frac{M_r}{r^{k}} \int_0^\infty {\mathrm e}^{-(1-|z|/r)t} {\,\mathrm d}t = \frac{M_r}{r^{k}} \frac{ r}{r-|z|} \end{split}\] für alle \(|z|<r\). Damit konvergiert \[\int_0^\infty {\mathrm e}^{-t} E_a^{(k)}(zt){\,\mathrm d}t\] für jedes \(|z|<\rho(a)\) und jedes \(k\in{\mathbb N}_0\) absolut.
Schritt 3. Partielles Integrieren liefert für jedes \(N\in{\mathbb N}_0\) die Darstellung \[\begin{split} \int_0^\infty {\mathrm e}^{-t} E_a(zt){\,\mathrm d}t &= - {\mathrm e}^{-t} E_a(zt)\bigg|_{t=0}^\infty + z \int_0^\infty {\mathrm e}^{-t} E_a'(zt){\,\mathrm d}t \\&\;\;\vdots\\ &= \sum_{n=0}^{N-1} a_n z^n + z^N \int_0^\infty {\mathrm e}^{-t} E_a^{(N)}(zt){\,\mathrm d}t. \end{split}\] Die Resttermabschätzung mit liefert \[\left| \int_0^\infty {\mathrm e}^{-t} E_a(zt){\,\mathrm d}t - \sum_{n=0}^{N-1} a_n z^n \right| \le \left(\frac{|z|}{r}\right)^N \frac{M_r r}{r-|z|} \to 0, \qquad N\to\infty,\] lokal gleichmäßig in \(|z|<r\). ◻
Wir fragen uns, wie sich die Stirlingschen und die Bellschen Zahlen für \(n\to\infty\) verhalten. Dazu nutzen wir die Darstellungen als komplexe Kurvenintegrale und wählen optimale Integrationswege zur Abschätzung ihrer Größe. Die Methode geht in dieser (komplexen) Form auf Riemann21 und Debye22 zurück und verallgemeinert die reelle Methode von Laplace.
1.46. Vorbereitend betrachten wir nochmals die Folge der Fakultäten \(n!\) und skizzieren die wichtigsten Schritte der Methode. Es gilt \[\frac1{n!} = \frac1{2\pi{\mathrm i}}\oint_\Gamma \frac{{\mathrm e}^z}{z^{n+1}}{\,\mathrm d}z\] für jeden Weg \(\Gamma\), der den Ursprung einmal positiv umläuft. Mit der Substitution \(nz\) für \(z\) ergibt sich daraus \[\frac1{n!} = \frac{n^{-n}}{2\pi{\mathrm i}}\oint_\Gamma {\mathrm e}^{n\left( z - \ln z\right)} \frac{{\,\mathrm d}z}z\] und es stellt sich die Frage nach dem optimal zu wählenden Integrationsweg. Die analytische Landschaft des Integranden besitzt einen Pol im Ursprung und wächst für große \(\Re z\) exponentiell, weiterhin besitzt sie auf der positiven reellen Achse genau einen Sattelpunkt und dieser liegt in \(z=1\), vgl. Abbildung23 . Wir wählen den Integrationsweg nun so, daß er aus dem negativ Unendlichen kommend über den Sattelpunkt \(z=1\) und danach wieder ins negativ Unendliche verläuft. Weiter sollte er den Sattelpunkt möglichst steil ansteigend erreichen und steil abfallend wieder verlassen.
Es bietet sich also an, den Integrationsweg wie in Abbildung zu wählen. Sei also zum Beispiel \(\Gamma = \Gamma_1\cup\Gamma_2\cup\Gamma_3\) der Weg parallel zur negativen reellen Achse aus dem Unendlichen kommend bis \(-{\mathrm i}\), danach ein Halbkreis mit Radius \(1\) und parallel zur negativen Achse zurück von \({\mathrm i}\) ins Unendliche. Bezeichne wiederum \(h(z) = z-\ln z\) den Exponenten, so gilt damit in der Nähe des Sattelpunktes \(\Im h(z) =0\) entlang \(\Gamma_2\) und \(\Re h(z) \le 1-\delta\) für alle Punkte auf \(\Gamma_1\) und \(\Gamma_3\). Das erlaubt es, die reelle Methode von Laplace auf das Integral anzuwenden, und wir erhalten \[\begin{gathered} \left| \int_{\Gamma_i} {\mathrm e}^{n h(z)} \frac{{\,\mathrm d}z}z \right| \le \int_{\Gamma_i} {\mathrm e}^{(n-1)\Re h(z)} {\mathrm e}^{\Re h(z)} \frac{|\!{\,\mathrm d}z|}{|z|} \\ \le {\mathrm e}^{(n-1)(1-\delta)} \int_{\Gamma_i} {\mathrm e}^{\Re h(z)}\frac{|\!{\,\mathrm d}z|}{|z|} \in\mathcal O\left({\mathrm e}^{(1-\delta)n}\right)\end{gathered}\] für \(i=1,3\) sowie wegen \(h''(1)=1\) und mit einer geeigneten Subsitution des Integranden, welche \(h(z)-h(1)\) auf \(\frac{h''(1)}2 \theta^2\) abbildet \[\frac1{2\pi{\mathrm i}} \int_{\Gamma_2} {\mathrm e}^{nh(z)} \frac{{\,\mathrm d}z}z = {\mathrm e}^n \int_{-\epsilon}^\epsilon {\mathrm e}^{- \frac{n}2 \theta^2} f(\theta) {\,\mathrm d}\theta\sim \frac{{\mathrm e}^n}{\sqrt{2\pi n}},\] was zusammengefaßt wiederum die Stirlingsche Formel liefert.
Wir beginnen mit einem Lemma, welches die Struktur von Sattelpunkten genauer beschreibt.
Lemma 1.47. Sei \(h\in\mathfrak A(\Omega)\) holomorph und gelte für ein \(z_0\in \Omega\) \[h'(z_0)=\cdots= h^{(k-1)}(z_0)=0\quad\text{und}\quad h^{(k)}(z_0)\neq 0.\] Dann existiert eine offene Menge \(U\subset{\mathbb C}\) mit \(0\in U\) und eine holomorphe Funktion \(\varphi : U\rightarrow \Omega\) mit \[h(\varphi(\zeta))=h(z_0)+\frac{h^{(k)}(z_0)}{k!} \zeta^k, \qquad \zeta\in U,\] sowie \(\varphi(0)=z_0\), \(\varphi'(0)=1\).
Proof. Wir können zur Vereinfachung des Beweises annehmen, daß \(z_0=0\) und \(h(0)=0\) gilt. Der allgemeine Fall folgt durch Verschieben der Funktionen und Addition von Konstanten. Dann gilt \(0=h(0)=h'(0)=\cdots=h^{(k-1)}(0)\) und somit \[h(z)= h^{(k)}(0) \frac{z^k}{k!} g(z)\] mit \(h^{(k)}(0)\ne0\), \(g(0)=1\) und \(g\) holomorph in einer Umgebung von \(z=0\). Damit ist aber auch \[\psi(z)=z\sqrt[k]{g(z)}\] holomorph um \(z=0\) und \(\psi'(0)=\sqrt[k]{g(0)}=1\). Also existiert eine holomorphe Inverse und mit \[\varphi(\zeta)=\psi^{-1}(\zeta)\] folgt die Behauptung. ◻
1.48. Wir betrachten nun allgemeiner Integrale der Form \[\int_\Gamma {\mathrm e}^{n h(z)} f(z) {\,\mathrm d}z\] für holomorphe Funktionen \(h\) und \(f\) und geeignet gewählte Integrationswege \(\Gamma\) in ihrem Definitionsbereich. Der Einfachheit halber nehmen wir an, daß der Betrag des Integranden am Rand des Definitionsbereichs gegen Unendlich strebt. Weiterhin sei \(h\) nicht konstant.
Es stellt sich zuerst die Frage nach der Wahl geeigneter Wege. Dazu nehmen wir zuerst an, daß der Weg \(\Gamma\) Punkte \(A\) und \(B\) verbindet, die in verschiedenen Komponenten von \(\{ z : \Re h(z)< c\}\) für ein \(c\in{\mathbb R}\) liegen. Dann muß \(|\exp(h(z))| = \exp\Re h(z)\) auf dem verbindenden Weg ein Maximum annehmen und wir wollen Wege so wählen, daß zumindest dieses minimal ist. Der Weg führt damit über Sattelpunkte.
Es stellt sich die Frage wie viele Möglichkeiten dafür bestehen. Die höchsten der zu passierenden Sattelpunkte sind durch die Homotopieklasse der Wege eindeutig bestimmt. Angenommen es gäbe zwei solcher Wege über verschiedene Sattelpunkte gleicher Höhe, dann wäre ihre Verkettung ein geschlossener Weg und nach dem Maximumprinzip wäre \(|\exp(h(z))|\) im Inneren niedriger als die beteiligten Sattelpunkte. Das aber widerspricht der Minimalität.
Wir betrachten nun einen solchen Weg und nehmen weiter ohne Beschränkung der Allgemeinheit an, daß es nur einen Sattelpunkt entlang des Weges gibt. Dann kann dieser zerlegt werden in eine kleine Umgebung \(\Gamma_1\) des Sattelpunktes mit \(h(z_*)=\mu\) und Teile \(\Gamma_2\), auf denen \[\Re h(z) \le \Re \mu - \delta\] mit kleinem \(\delta>0\) (abhängig von der Umgebung des Sattelpunktes) gilt. Auf letzteren erhalten wir also \[\left| \int_{\Gamma_2} {\mathrm e}^{nh(z)} f(z) {\,\mathrm d}z \right| \le {\mathrm e}^{(n-1)(\mu-\delta)} \int_{\Gamma_2} {\mathrm e}^{\Re h(z)} |f(z)| |\!{\,\mathrm d}z| = \mathcal O\left({\mathrm e}^{(\Re \mu-\delta) n}\right),\] während erstere je nach Ordnung des Sattelpunktes auf Integrale der Form \[\int_{\Gamma_1} {\mathrm e}^{nh(z)} f(z) {\,\mathrm d}z ={\mathrm e}^{\mu n} \int_{\tilde\Gamma_1} {\mathrm e}^{n\frac{h^{(k)}(z_*)}{k!} \zeta^k} f(\varphi(\zeta)) \varphi'(\zeta){\,\mathrm d}\zeta\] führen. Diese sind aber nun von der Form, die mit der Methode von Laplace und insbesondere dem Watsonschen Lemma behandelt werden kann. Wählt man Wege stärksten An- und Abstiegs, also solche die zum Gradienten von \(\Re h(z)\) parallel sind, so ist dort \(\Im h(z)\) konstant (da \(\nabla\Re h\perp\nabla\Im h\)) und somit \(h^{(k)}(z_*)\zeta^k\) reell (und negativ) und die asymptotische Entwicklung ergibt sich durch gliedweise Integration der Potenzreihen von \(f(\varphi(\zeta)) \varphi'(\zeta)\). Nach Konstruktion gilt \(f(\varphi(0))\varphi'(0)=f(z_*)\) und somit folgt für den Hauptterm der Entwicklung \[\begin{split} \int_{\Gamma} {\mathrm e}^{nh(z)} f(z) {\,\mathrm d}z & \sim \int_{\Gamma_1} {\mathrm e}^{nh(z)} f(z) {\,\mathrm d}z \sim {\mathrm e}^{ nh(z_*)} f(z_*) \int_{\tilde\Gamma_1} {\mathrm e}^{\frac{n h^{(k)}(z_*)}{k!} \zeta^k} {\,\mathrm d}\zeta \\ & \sim {\mathrm e}^{n h(z_*)} f(z_*) \big({\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta_{\rm aus}}-{\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta_{\rm ein}}\big) \int_0^\infty {\mathrm e}^{-n \frac{|h^{(k)}(z_*)|}{k!} t^k} {\,\mathrm d}t\\ & \sim {\mathrm e}^{n h(z_*)} f(z_*) \big({\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta_{\rm aus}}-{\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta_{\rm ein}}\big) \frac1{k} \Gamma\left(\frac1k\right) \frac{\sqrt[k]{k!} }{\sqrt[k]{n |h^{(k)}(z_*)|}} \end{split}\] wobei \(\theta_{\rm ein}\) und \(\theta_{\rm aus}\) die Winkel der ein- und auslaufenden Wege in der \(\zeta\)-Ebene zur positiven reellen Achse bezeichnen. Im letzten Schritt haben wir die Formel aus Lemma verwendet.
Satz 1.2. Seien \(h\) und \(f\) holomorph und sei \(\Gamma\) ein über genau einen Sattelpunkt \(z_*\) der Ordnung \(k\) verlaufender Weg steilsten Abstiegs für \(\exp(h(z))\). Dann gilt \[\begin{gathered} \int_{\Gamma} {\mathrm e}^{nh(z)} f(z) {\,\mathrm d}z \\ \sim {\mathrm e}^{n h(z_*)} \sum_{\ell=0}^\infty \alpha_\ell \left({\mathrm e}^{{\mathrm i}(1+\ell)\theta_{\rm aus}} - {\mathrm e}^{-{\mathrm i}(1+\ell)\theta_{\rm ein}}\right) \frac1k \Gamma\left(\frac{\ell+1} k\right) \left(\frac{\sqrt[k]{k!} }{\sqrt[k]{n |h^{(k)}(z_*)|}}\right)^{\ell+1}\end{gathered}\] für \(n\to\infty\) mit \(\theta_{\rm ein}\) und \(\theta_{\rm aus}\) den Winkeln der ein- und auslaufenden Wege und \(\alpha_\ell\) den Koeffizienten der Potenzreihe \[f(\varphi(\zeta))\varphi'(\zeta)=\sum_{\ell=0}^\infty \alpha_\ell\zeta^\ell\] mit \(\varphi\) aus Lemma .
Speziell für einen nichtentarteten Sattelpunkt (also mit \(k=2\)) folgt aus \(\Gamma(1/2)=\sqrt\pi\) \[\int_{\Gamma} {\mathrm e}^{nh(z)} f(z) {\,\mathrm d}z \sim {\mathrm e}^{n h(z_*)} f(z_*) {\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta} \frac{\sqrt{2\pi}}{\sqrt{n|h''(z_*)|}}\] mit \(\theta\) dem Winkel des Weges in der \(\zeta\)-Ebene zur reellen Achse.
Korollar 1.1. Seien \(h\) und \(f\) holomorph und sei \(\Gamma\) ein über genau einen nichtentarteten Sattelpunkt \(z_*\) verlaufender Weg steilsten Abstiegs für \(\exp(h(z))\). Dann gilt \[\label{eq:cor:1.7.3} \int_{\Gamma} {\mathrm e}^{nh(z)} f(z) {\,\mathrm d}z \sim \sqrt{2\pi} {\mathrm e}^{n h(z_*)} \sum_{\ell=0}^\infty \alpha_{2\ell}\, {\mathrm e}^{{\mathrm i}(1+2\ell)\theta} \frac{(2\ell)!}{2^\ell\ell!} % \Gamma\left(\ell+\frac12\right) \left(\frac{1 }{\sqrt{n |h''(z_*)|}}\right)^{2\ell+1}\] für \(n\to\infty\) mit \(\theta\) dem Winkel des Weges durch den Sattelpunkt und \(\alpha_\ell\) den Koeffizienten der Potenzreihe \[f(\varphi(\zeta))\varphi'(\zeta)=\sum_{\ell=0}^\infty \alpha_\ell\zeta^\ell\] mit \(\varphi\) aus Lemma .
Für mehrere gleich hohe Sattelpunkte addieren sich die asymptotischen Terme, niedrigere sind im Restterm enthalten und können vernachlässigt werden.
Beispiel 1.49 (Stirlingreihe). Speziell mit \(h(z) = z-\ln z\) und \(f(z)=1/z\) folgt aus \[\frac1{n!} = \frac1{2\pi{\mathrm i}} \oint \frac{{\mathrm e}^z}{z^{n+1}} {\,\mathrm d}z= \frac{n^{-n}} {2\pi{\mathrm i}} \int_\Gamma {\mathrm e}^{n z - n\ln z} \frac{{\,\mathrm d}z}{z}\] für den Weg \(\Gamma\) aus Abbildung mit \(z_*=1\), \(h(z_*)=1\), \(h'(z_*)=0\) und \(h''(z_*)=1\) sowie \(\theta=\pi/2\) (d.h. man durchläuft den Sattelpunkt in Richtung der imaginären Achse) die asymptotische Reihe \[\frac1{n!} \sim \frac1{\sqrt{2\pi n}} \left(\frac{\mathrm e}n\right)^n \sum_{\ell=0}^\infty (-1)^\ell \alpha_{2\ell} \frac{ (2\ell)!}{2^\ell \ell!} n^{-\ell}\] mit Koeffizienten \(\alpha_\ell\), die sich aus \[\varphi(\zeta) -\ln \varphi(\zeta) =1+\frac12\zeta^2,\qquad \frac{\varphi'(\zeta)}{\varphi(\zeta)} =\frac{{\,\mathrm d}}{{\,\mathrm d}\zeta}\ln\varphi(\zeta)= \sum_{\ell=0}^\infty \alpha_\ell \zeta^\ell\] zusammen mit \(\varphi(0)=1\) ergeben.
Für die ersten Koeffizienten erhalten wir ausgehend von \[\ln\varphi(\zeta) = \beta_1\zeta+\beta_2\zeta^2 +\beta_3\zeta^3 + \beta_4 \zeta^4+\mathcal O(|\zeta|^5)\] aus der ersten Gleichung \[\begin{split} \varphi(\zeta)-\ln\varphi(\zeta) &= 1 + \frac12 \left( \beta_1^2\zeta^2 + \beta_2^2\zeta^4 +2 \beta_1\beta_2\zeta^3 + 2\beta_1\beta_3\zeta^4\right) \\ &\qquad+ \frac1{3!} \left(\beta_1^3 \zeta^3 + 3\beta_1^2\beta_2 \zeta^4 \right) + \frac1{4!} \beta_1^4 \zeta^4 + \mathcal O(|\zeta|^5)\\&= 1+\frac12\zeta^2 \end{split}\] und damit \(\beta_1=1\), \(\beta_2=-1/6\) und \(\beta_3=1/36\). Daraus ergibt sich \(\alpha_0=\beta_1=1\), sowie \(\alpha_2=3\beta_3=1/12\) und damit \[\frac1{n!} = \frac1{\sqrt{2\pi n}} \left(\frac{\mathrm e}n\right)^n \left( 1-\frac1{12n} + \mathcal O\left(\frac1{n^2}\right)\right).\]
In diesem kurzen Kapitel soll Asymptotik in größerer Allgemeinheit diskutiert werden. Dazu betrachten wir Funktionen \(f: X \to V\) definiert auf einer Menge \(X\) und wertig in einem (normierten) Vektorraum \(V\). Beispiele für zu betrachtende Mengen sind vielfältig, so kann \(X={\mathbb R}_+\) gelten oder für holomorphe Funktionen \(X=\Sigma_\theta\) ein Sektor \[\Sigma_{\theta} = \{ z\in{\mathbb C}\;:\; |\arg z| \le \theta\}\] oder oder \(X=S_b\) ein Streifen \[S_b = \{ z\in{\mathbb C}\; :\; |\Im z| \le b \}\] in der komplexen Zahlenebene sein. Das Verhalten von Funktionen auf Sektoren wird insbesondere für durch komplexe Kurvenintegrale definierte spezielle Funktionen von Bedeutung sein.
Für andersgeartete Beispiele kann auch \(X={\mathbb N}\) oder \(X=\mathbb Q\) gelten und wir interessieren uns für das asymptotische Verhalten nicht in einem archimedischen sondern in einem \(p\)-adischen Sinne.
Definition 2.1. Ein Filter auf einer Menge \(X\) ist ein Mengensystem \(\mathcal F \subset \mathcal P(X)\), für welches
\(X\in\mathcal F\) und \(\varnothing\not\in\mathcal F\);
\(F,G\in\mathcal F\) impliziert \(F\cap G\in\mathcal F\); sowie
\(F\in \mathcal F\) und \(F\subset G\) impliziert \(G\in\mathcal F\)
gilt. Ein nichtleeres Mengensystem, welches (1) und (2) erfüllt, heißt Filterbasis . Der kleinste Filter, der die gegebene Filterbasis enthält, wird als der von dieser erzeugte Filter bezeichnet.
Beispiele 2.2.
In einem nichtleeren metrischen Raum \(X\) mit Metrik \(d: X\times X\to {\mathbb R}_+\) bestimmt zu gegebenem \(x_*\in X\) \[B_r(x_*) = \{ x\in X\; : \; d(x_*,x) < r \},\qquad r>0,\] zusammen mit \(X\) eine Filterbasis. Der erzeugte Filter wird als Umgebungsfilter von \(x_*\) bezeichnet. Wir verwenden für diesen Filter die Schreibweise \(x\to x_*\).
In einem unbeschränkten metrischen Raum (d.h., einem metrischen Raum in welchem zu gegebenem \(R>0\) zwei Punkte \(x,y\in X\) mit \(d(x,y)>R\) existieren) bestimmt \[\{ x\in X \; : \; d(x_*,x) > R \},\qquad R\in{\mathbb R},\] zu vorgegebenem \(x_*\in X\) eine Filterbasis. Der erzeugte Filter ist vom gewählten \(x_*\in X\) unabhängig und entspricht dem Umgebungsfilter des unendlich fernen Punktes . Wir verwenden die Schreibweise \(x\to\infty\) für diesen Filter.
Auf \({\mathbb R}\) bezeichne \(x\to+\infty\) den durch die Mengen \((R,\infty)\), \(R>0\), erzeugten Filter. Ebenso bezeichnet \(x\to0\) den durch die Mengen \((-\epsilon,\epsilon)\), \(\epsilon>0\), erzeugten Filter. Der Filter \(x\to\infty\) wird durch die Mengen \((-\infty,R)\cup(R,\infty)\), \(R>0\), erzeugt und ist eher von untergeordnetem Interesse.
Beispiel 2.3. Sei \(\mathcal F\) ein Filter auf einer Menge \(X\) und \(Y\) eine beliebige Menge. Dann erzeugt die Filterbasis \[F\times Y, \; F\in\mathcal F,\] einen Filter auf \(X\times Y\). Man sagt, man verwendet den Filter \(\mathcal F\) gleichmäßig bezüglich \(Y\).
Beispiel 2.4. Auf \({\mathbb N}\) bestimmt jede Primzahl \(p\) durch die Filterbasis \[\{a\in {\mathbb N}\;:\; \text{$ p^N$ teilt $a$} \} ,\qquad N\in{\mathbb N}_0,\] einen Filter. Dieser wird als \(p\)-adischer Filter bezeichnet. Er ist für gewisse zahlentheoretische Anwendungen von Interesse. Auf \(\mathbb Q\) betrachtet man entsprechend den von \[\left\{\frac{a}{b}\in \mathbb Q \;:\; \text{$ p^N$ teilt $a$, aber nicht $b$} \right\} ,\qquad N\in{\mathbb N}_0,\] erzeugten Filter.
Asymptotisches Verhalten wird in Abhängigkeit von einem Filter definiert. Dazu sei \(X\) eine Menge, versehen mit einem Filter \(\mathcal F\), und \(V\) ein normierter Vektorraum über \({\mathbb R}\) oder \({\mathbb C}\). Betrachtet werden Funktionen \(X\to V\).
Definition 2.5. Sei \(\mathcal F\) ein Filter auf einer Menge \(X\) und \(V\) ein normierter Vektorraum. Sei \(g : X \to V\) und gelte \(g(x)\ne0\) für alle \(x\in X\).
Es bezeichne \[\mathcal O_{\mathcal F} (g) = \left\{ f: X\to V\;:\; \exists_{F\in\mathcal F}\;\;\; \sup_{x\in F} \frac{\|f(x)\|}{\|g(x)\|} < \infty\right\}.\] Für \(f\in \mathcal O_{\mathcal F} (g)\) sagen wir \(f\) sei ein groß-\(\mathcal O\) von \(g\).
Weiterhin bezeichne \[\mathbf o_{\mathcal F} (g) = \left\{ f: X\to V\;:\; \inf_{F\in \mathcal F} \sup_{x\in F} \frac{\|f(x)\|}{\|g(x)\|} = 0 \right\}.\] Für \(f\in \mathbf o_{\mathcal F} (g)\) sagen wir \(f\) sei ein klein-\(\mathbf o\) von \(g\).
Oft fordern wir stillschweigend weitere Voraussetzungen an \(f\) (Meßbarkeit, Stetigkeit oder Holomorphie), die aber aus dem Kontext klar sein sollten. Die wesentlichen Eigenschaften sind analog zu denen in Abschnitt und sollen nur kurz zusammengefasst werden.
Proposition 2.6. Die Mengen \(\mathcal O_{\mathcal F} (g)\) und \(\mathbf o_{\mathcal F} (g)\) sind Vektorräume über \({\mathbb R}\) beziehungsweise \({\mathbb C}\). Weiterhin gilt
\(\mathbf o_{\mathcal F}(g) \subset \mathcal O_{\mathcal F}(g)\);
\(f\in \mathcal O_{\mathcal F} (g)\) und \(f(x)\ne0\) impliziert \(\mathcal O_{\mathcal F}(f) \subset \mathcal O_{\mathcal F}(g)\) und \(\mathbf o_{\mathcal F}(f) \subset \mathbf o_{\mathcal F}(g)\);
ebenso impliziert \(f\in \mathbf o_{\mathcal F} (g)\) mit \(f\ne0\) schon \(\mathcal O_{\mathcal F}(f) \subset \mathbf o_{\mathcal F}(g)\);
\(f_1\in \mathcal O_{\mathcal F}(g_1)\) und \(f_2 \in\mathcal O_{\mathcal F}(g_2)\) impliziert \(f_1\otimes f_2 \in \mathcal O_{\mathcal F} (g_1\otimes g_2)\);
ebenso impliziert \(f_1\in \mathbf o_{\mathcal F}(g_1)\) und \(f_2 \in\mathcal O_{\mathcal F}(g_2)\) schon \(f_1\otimes f_2 \in \mathbf o_{\mathcal F} (g_1\otimes g_2)\).
Wir definieren ebenso asymptotische Vergleichbarkeit und asymptotische Äquivalenz.
Definition 2.7. Seien \(g_1,g_2 : X\to V\) mit \(g_i(x)\ne0\). Dann heißen \(g_1\) und \(g_2\) asymptotisch vergleichbar bezüglich des Filters \(\mathcal F\), falls \(\mathcal O_{\mathcal F}(g_1)=\mathcal O_{\mathcal F}(g_2)\) gilt. Wir schreiben \(g_1 \asymp_{\mathcal F} g_2\) oder nur kurz \(g_1\asymp g_2\).
Korollar 2.8. Angenommen, es gilt \(g_1\asymp_{\mathcal F} g_2\). Dann gilt \(\mathbf o_{\mathcal F}(g_1)=\mathbf o_{\mathcal F}(g_2)\).
Definition 2.9. Seien \(g_1,g_2 : X\to V\) asymptotisch vergleichbar. Dann heißen \(g_1\) und \(g_2\) asymptotisch äquivalent bezüglich des Filters \(\mathcal F\), falls \[g_1 - g_2 \in \mathbf o_{\mathcal F}(g_1)\] und wir schreiben \(g_1\sim_{\mathcal F} g_2\) oder kurz \(g_1\sim g_2\).
2.10. In diesem Abschnitt sei \(X=[1,\infty)\) und Funktionen seien der Einfachheit halber als stetig (differenzierbar) und komplexwertig vorausgesetzt. Der verwendete Filter ist \(\to\infty\).
Wie zu vermuten, stimmen hier die Ordnungssymbole mit den schon bekannten Bezeichnungen überein. Sind \(f,g : [1,\infty)\to {\mathbb C}\) stetig und gilt \(g(t)\ne0\), so ergibt sich \[f \in \mathcal O(g) \qquad \Leftrightarrow \qquad \limsup_{t\to\infty} \frac{|f(t)|}{|g(t)|} < \infty\] und ebenso \[f \in \mathbf o(g) \qquad \Leftrightarrow \qquad \lim_{t\to\infty} \frac{|f(t)|}{|g(t)|} = 0.\]
Proposition 2.11. Angenommen, es gilt \(f\in\mathcal O(g)\) mit \(g(t)>0\). Seien weiter \[F(t) = \int_1^t f(s){\,\mathrm d}s, \qquad G(t) = \int_1^t g(s){\,\mathrm d}s.\] Dann gilt \(F \in \mathcal O(G)\).
Proof. Da \(f\in\mathcal O(g)\) gilt, existiert insbesondere eine Konstante \(C\) mit \(|f(s)|\le Cg(s)\) für alle \(s\in[1,\infty)\). Also folgt \[|F(t)| \le \int_1^t |f(s)|{\,\mathrm d}s \le C \int_1^t g(s){\,\mathrm d}s = C G(t)\] für alle \(t\ge 1\) und die Aussage ist gezeigt. ◻
Proposition 2.12. Angenommen, es gilt \(f\in\mathbf o(g)\) mit \(g(t)>0\). Seien weiter \[F(t) = \int_1^t f(s){\,\mathrm d}s,\qquad G(t) = \int_1^t g(s){\,\mathrm d}s\] und gelte \(\lim_{t\to\infty}G(t)=\infty\). Dann gilt \(F \in \mathbf o(G)\).
Proof. Wir unterscheiden zwei Fälle. Ist \(F\) unbeschränkt, so ist die Regel von l’Hôpital anwendbar und es folgt \[\lim_{t\to\infty} \frac{F(t)}{G(t)} = \lim_{t\to\infty} \frac{F'(t)}{G'(t)} = \lim_{t\to\infty} \frac{f(t)}{g(t)}=0.\] Ist andererseits \(F\) beschränkt, so ist die Aussage trivial. ◻
Für absolut integrierbares \(g\) ist die entsprechende Aussage im allgemeinen falsch.
Beispiel 2.13. Wir skizzieren eine einfache Anwendung. Angenommen, wir wissen daß für eine Funktion \(f : {\mathbb R}_+ \to {\mathbb R}_+\) die Bedingung \(f'\in\mathbf o(f)\) gilt. Nach Definition impliziert dies \[\left(\ln f\right)' = \frac{f'}{f} \in \mathbf o(1)\] und damit (da die Stammfunktion von 1 unbeschränkt ist) nach Proposition \[\ln f(t) \in \mathbf o(t), \qquad t\to\infty.\]
Beispiel 2.14. Nicht explizit berechenbare Integrale kann man oft asymptotisch berechnen. Dazu wieder ein einfaches Beispiel. Wir betrachten die Exponentialintegralfunktion
\[E(t)=\int_1^t \frac{{\mathrm e}^s}{s}{\,\mathrm d}s,\qquad t>1.\] Mit einer partiellen Integration folgt \[E(t) =\int_1^t \frac{{\mathrm e}^s}{s}{\,\mathrm d}s = \frac{{\mathrm e}^s}{s} \bigg|_{s=1}^t + \int_1^t \frac{{\mathrm e}^s}{s^2}{\,\mathrm d}s = \frac{{\mathrm e}^t}{t}-{\mathrm e}+ \int_1^t \frac{{\mathrm e}^s}{s^2}{\,\mathrm d}s.\] Wir zeigen, dass der letzte Summand für \(t\to\infty\) in \(\mathbf o(E)\) liegt. Dazu teilen wir das Integral in zwei Hälften und schätzen diese separat ab, \[\begin{aligned} \int_1^t \frac{{\mathrm e}^s}{s^2}{\,\mathrm d}s= \int_1^\frac{t}{2}\frac{{\mathrm e}^s}{s^2}{\,\mathrm d}s + \int_\frac{t}{2}^t \frac{{\mathrm e}^s}{s^2}{\,\mathrm d}s < \underbrace{\int_1^\frac{t}{2} {\mathrm e}^s{\,\mathrm d}s}_{\le {\mathrm e}^{t/2}} + \underbrace{\frac{1}{\left({t/2}\right)^2}\int_\frac{t}{2}^t {\mathrm e}^s{\,\mathrm d}s}_{\le 4t^{-2}{\mathrm e}^t}.\end{aligned}\] Also gilt \[E(t)=\int_1^t \frac{{\mathrm e}^s}{s}{\,\mathrm d}s = \frac{{\mathrm e}^t}{t}+ \mathbf o\left(\frac{{\mathrm e}^t}{t}\right),\qquad t\rightarrow\infty.\]
Obige Argumentation kann man iterieren und mehrere Schritte partiell integrieren. Dies liefert jeweils bessere asymptotische Terme \[\begin{split} E(t) &= \frac{{\mathrm e}^s}{s}\bigg|_{s=1}^t+\int_1^t \frac{{\mathrm e}^s}{s^2}{\,\mathrm d}s \\ &= \frac{{\mathrm e}^s}{s}\bigg|_{s=1}^t+ \frac{{\mathrm e}^s}{s^2}\bigg|_{s=1}^t+ 2\int_1^t \frac{{\mathrm e}^s}{s^3}{\,\mathrm d}s \\ &=\cdots \\ &= {\mathrm e}^s\left(\frac{1}{s}+\frac{1!}{s^2}+\frac{2!}{s^3}+ \frac{3!}{s^4}+\dots +\frac{(n-1)!}{s^n}\right) \bigg|_{s=1}^t +n!\,\int_1^t \frac{{\mathrm e}^s}{s^{n+1}}{\,\mathrm d}s \\ &={\mathrm e}^t\sum_{k=1}^n \frac{(k-1)!}{t^k} + \mathbf o\left(\frac{{\mathrm e}^t}{t^n}\right), \qquad t\to\infty. \end{split}\] Letzteres gilt für jedes \(n\in\mathbb{N}\), also haben wir \[\lim\limits_{t\rightarrow\infty} t^n\left( {\mathrm e}^{-t}E(t)-\sum_{k=1}^n \frac{(k-1)!}{t^k} \right) = 0\] gezeigt. Allerdings divergiert die Reihe \[\sum_{k=1}^n \frac{(k-1)!}{t^k}\] für alle \(t\neq 0\), die Darstellung von \(E(t)\) über diese Reihe ist rein asymptotisch. Die Reihe beschreibt das asymptotische Verhalten der Funktion \(E(t)\) für \(t\to\infty\).
Wir formulieren die Definition wiederum möglichst allgemein, beschränken uns aber auf eine vereinfachte Fassung des Begriffs asymptotische Entwicklung.
Definition 2.15. Sei \(\mathcal F\) ein Filter auf \(X\) und \(V\) ein normierter Rraum.
Eine Folge positiver Funktionen \(\varphi_n : X \to {\mathbb R}_+\) heißt asymptotische Folge bezüglich \(\mathcal F\), falls \(\varphi_{n+1}\in \mathbf o_{\mathcal F}( \varphi_n )\) für alle \(n\in{\mathbb N}_0\) gilt.
Eine Funktion \(f: X \to V\) besitzt eine asymptotische Entwicklung im Sinne von Poincaré24 bezüglich der asymptotischen Folge \((\varphi_n)_{n\in{\mathbb N}_0}\), falls es Konstanten \(\alpha_n \in V\) mit \[f-\sum_{n=0}^{N-1} \alpha_n \varphi_n \in {\mathcal O}_{\mathcal F}(\varphi_{N})\otimes V\qquad \text{für alle $N\in{\mathbb N}$}\] gibt. In diesem Fall schreiben wir kurz \(f\sim \sum_n \alpha_n\varphi_n\).
Eine Funktion \(f: X \to V\) besitzt eine asymptotische Entwicklung im Sinne von Erdélyi25 bezüglich der asymptotischen Folge \((\varphi_n)_{n\in{\mathbb N}_0}\), falls es Funktionen \(\psi_n \in \mathcal O_{\mathcal F}(\varphi_n)\otimes V\) mit \[f-\sum_{n=0}^{N-1} \psi_n \in {\mathcal O}_{\mathcal F}(\varphi_{N})\otimes V\qquad \text{für alle $N\in{\mathbb N}$}\] gibt. In diesem Fall schreiben wir kurz \(f\sim \sum_n \psi_n\).
Beispiel 2.16. Interessante asymptotische Folgen auf \({\mathbb R}_+\) für den Filter \(t\to\infty\) sind insbesondere \[\varphi_n (t) = t^{\nu_n}\] für eine Folge \(\nu_n\in{\mathbb R}\) mit \(\nu_n\searrow {-\infty}\) und \[\varphi_n(t) = {\mathrm e}^{\nu_n t}\] ebenso für \(\nu_n\in{\mathbb R}\) mit \(\nu_n\searrow-\infty\). Beide werden uns noch einmal begegnen. Für \(t\to0\) wird insbesondere \[\varphi_n(t) = t^n\] von Interesse sein.
Beispiele 2.17. Beispiele asymptotischer Entwicklungen sind uns schon begegnet.
Es ist \[E(t)=\int_1^t \frac{{\mathrm e}^s}{s}{\,\mathrm d}s \quad \sim \quad \sum_{k=1}^\infty \frac{(k-1)!}{t^k}{\mathrm e}^t ,\qquad t\rightarrow\infty,\] eine asymptotische Entwicklung bezüglich der asymptotischen Folge \[{\mathrm e}^t,\frac{{\mathrm e}^t}{t},\ldots,\frac{{\mathrm e}^t}{t^n},\ldots\]
Für jedes \(f\in \mathrm C^\infty(\mathbb{R})\) gilt nach dem Taylorschen Satz \[f(t)\quad\sim\quad \sum_{n=0}^\infty f^{(n)}(0) \frac{t^n}{n!},\qquad t\rightarrow 0.\] Ist die Funktion \(f\) holomorph, so konvergiert die Reihe insbesondere lokal gleichmäßig. Im Allgemeinen muß die Reihe nicht konvergent sein und auch falls sie konvergent ist nicht gegen die Funktion \(f\) konvergieren.
Das Problem ist zu zeigen, daß Funktionen asymptotische Entwicklungen besitzen. Das Bestimmen der dabei auftretenden Koeffizienten ist dann in der Regel einfach. Wir beschränken uns nachfolgend auf Entwicklungen im Sinne von Poincaré.
Proposition 2.18.
Angenommen, zwei Funktionen \(f\) und \(g\) besitzen asymptotische Entwicklungen \(f\sim\sum_n \alpha_n\varphi_n\) und \(g\sim\sum_n \beta_n \varphi_n\). Dann besitzt für alle \(\lambda\in{\mathbb C}\) die Funktion \(f+\lambda g\) eine asymptotische Entwicklung und es gilt \[f+\lambda g \sim \sum_n (\alpha_n+\lambda \beta_n) \varphi_n.\]
Angenommen, \(f\) besitzt die asymptotische Entwicklung \(f\sim\sum_n \alpha_n \varphi_n\). Dann besitzt die Differenz \(f-\alpha_0\varphi_0\) die asymptotische Entwicklung \(f-\alpha_0\varphi_0 \sim \sum_{n\ge1} \alpha_n \varphi_n\).
Die Koeffizienten einer asymptotischen Entwicklung im Sinne von Poincaré sind eindeutig bestimmt.
Proof. (1) und (2) folgen direkt aus der Vektorraumstruktur von \(\mathbf o_{\mathcal F}(\varphi_n)\). \(\bullet\) (3) Angenommen, \(f\) besitze zwei asymptotische Entwicklungen \(f\sim\sum_n \alpha_n \varphi_n\) und \(f\sim \sum_n \tilde \alpha_n\varphi_n\). Dann gilt insbesondere \[f - \alpha_0 \varphi_0 , f-\tilde\alpha_0 \varphi_0 \in \mathcal O_{\mathcal F}(\varphi_1) \subset \mathbf o_{\mathcal F}(\varphi_0)\] und damit \[(\alpha_0-\tilde \alpha_0) \varphi_0 \in \mathbf o_{\mathcal F}(\varphi_0).\] Da aber \(\varphi_0\not\in\mathbf o_{\mathcal F}(\varphi_0)\) gilt, muß \(\alpha_0=\tilde \alpha_0\) gelten. Damit ist der erste Koeffizient eindeutig bestimmt und die Behauptung folgt per Induktion, indem man jeweils die Entwicklung der Reste \(f-\sum_{n<N} \alpha_n \varphi_n\) betrachtet und damit jeweils \(\alpha_N=\tilde \alpha_N\) schließt. ◻
Betrachtet man speziell Funktionen auf \([1,\infty)\) und den Filter \(\to\infty\), so kann man asymptotische Reihen gliedweise integrieren und, so die Ableitung eine asymptotische Entwicklung besitzt, auch differenzieren. Es gilt
Proposition 2.19.
Sei \(\varphi_n : [1,\infty)\to{\mathbb R}_+\) eine asymptotische Folge stetiger Funktionen für den Filter \(\to\infty\). Angenommen, die Integrale \[\Phi_n(t) = \int_t^{\infty} \varphi_n(s) {\,\mathrm d}s\] konvergieren für alle \(t\). Dann ist \(\Phi_n\) ebenso asymptotische Folge \(\to\infty\).
Sei \(f : [1,\infty) \to V\) stetig und besitze eine asymptotische Entwicklung \[f(t) \sim \sum_{n} \alpha_n \varphi_n(t) ,\qquad t\to\infty.\] Dann konvergiert \[F(t) = \int_t^{\infty} f(s){\,\mathrm d}s\] und besitzt die asymptotische Entwicklung \[F(t) \sim \sum_{n} \alpha_n \Phi_n(t) ,\qquad t\to\infty.\]
Proof. (1) folgt aus der Regel von l’Hôpital. Da nach Konstruktion \(\Phi_n(t)\to0\) für \(t\to\infty\) gilt, liefert diese \[\lim_{t\to\infty} \frac{\Phi_{n+1}(t)}{\Phi_{n}(t)} = \lim_{t\to\infty} \frac{-\phi_{n+1}(t)}{-\phi_{n}(t)} = 0.\] (2) Es gilt \[f(t) = \alpha_0\varphi_0(t) + \cdots + \alpha_{n-1} \varphi_{n-1}(t) + r_n(t)\] mit einem Rest \(r_n\in\mathcal O(\varphi_n)\otimes V\). Also folgt \[\left \| \int_t^{ \infty} r_n(s) {\,\mathrm d}s \right \| \le C \int_t^\infty \varphi_n(s){\,\mathrm d}s \in\mathcal O(\Phi_n)\] und damit \[F(t) - \alpha_0\Phi_0(t) - \cdots - \alpha_{n-1} \Phi_{n-1}(t) = \int_t^\infty r_n(s){\,\mathrm d}s \in \mathcal O(\Phi_n)\otimes V,\] also die Behauptung. ◻
2.20. Von besonderem Interesse ist das soeben gezeigte für asymptotische Reihen der Form \[f(t) \sim \alpha_0 + \frac{\alpha_1}{t} + \frac{\alpha_2}{t^2} + \cdots \sim \sum_n \alpha_n t^{-n},\qquad t\to\infty,\] oder asymptotische Potenzreihen \[f(t) \sim \alpha_0 + \alpha_1 t + \alpha_2 t^2 + \cdots \sim \sum_n \alpha_n t^n,\qquad t\to0.\] Sind die Funktionen komplexwertig, so kann man solche asymptotischen Reihen addieren, multiplizieren und (falls der führende Koeffizient ungleich Null ist) auch dividieren. Asymptotische Potenzreihen kann man gliedweise integrieren und sobald die Ableitung der Funktion ebenso eine asymptotische Entwicklung besitzt auch differenzieren. Die Details seien als Übungsaufgabe überlassen.
Satz 2.21 (Borel26, Peano27). Sei \((\alpha_n)_{n\in{\mathbb N}_0}\) eine beliebige komplexe Zahlenfolge. Dann existiert eine Funktion \(f\in\mathrm C^\infty({\mathbb R})\) mit \(f^{(n)}(0)=\alpha_n\), also mit \[f(t) \sim \sum_{n=0}^\infty \frac{\alpha_n}{n!} t^n.\]
Proof. Wir folgen dem Beweis von Borel und wählen uns eine Funktion \(\chi\in\mathrm C^\infty({\mathbb R})\) mit \(|\chi(t)|\le 1\), \(\chi(t)=0\) für \(|t|>1\) und \(\chi(t)=1\) für \(|t|<1/2\). Für eine noch zu bestimmende monoton wachsende Folge \(M_n\) sei \[f(t) = \sum_{n=0}^\infty \frac{\alpha_n}{n!} t^n \chi(M_n t).\] Für \(t=0\) hat die Reihe genau einen von Null verschiedenen Summanden und es gilt \(f(0)=\alpha_0\). Für jedes andere \(t\ne0\) sind nur endlich viele der Summanden ungleich Null. Damit ist \(f\in \mathrm C^\infty({\mathbb R}\setminus\{0\})\) und es genügt, die Folge \(M_n\) so zu konstruieren, daß \(f^{(n)}(0)=\alpha_n\) gilt.
Für \(n=1\) sei \(M_1\) so groß gewählt, daß \[\sup_t \left| \alpha_1 t \chi(M_1 t) \right| \le |\alpha_1| M_1^{-1} \le 2^{-1}.\] Für größere \(n\) sei \(M_n\) so groß, daß \[\begin{split} \sum_{k=0}^{n-1} &\sup_t \left| \frac{\alpha_n}{n!} \frac{{\,\mathrm d}^k}{{\,\mathrm d}t^k} t^n \chi(M_n t) \right| \\ &\le \sum_{k=0}^{n-1} \frac{|\alpha_n|}{n!} \sum_{\ell=0}^k \binom{k}{\ell} \frac{n!}{(n-\ell)!} \sup_ t \left| t^{n-\ell} M_n^{k-\ell} \chi^{(k-\ell)} (M_n t) \right| \\ & \sum_{k=0}^{n-1} |\alpha_n| \sum_{\ell=0}^{k} \frac1{(n-\ell)!} \binom{k}{\ell} M_n^{k-n} \sup_ s \left| s^{n-\ell} \chi^{(k-\ell)} (s)\right| \le 2^{-n} \end{split}\] gilt. Dann konvergiert die Reihe \[\sum_{n=N}^\infty \frac{\alpha_n}{n!} t^n \chi(M_n t)\] wegen \[\left\| \sum_{n=N}^\infty \frac{\alpha_n}{n!} t^n \chi(M_n t)\right\|_{\rm C^{N-1}} \le \sum_{n=N}^\infty \left\| \frac{\alpha_n}{n!} t^n \chi(M_n t) \right\|_{\rm C^{n-1}} \le \sum_{n=N}^\infty 2^{-n}\le 1\] absolut in \(\mathrm C^{N-1}({\mathbb R})\) und der Grenzwert sowie die ersten \(N-1\) Ableitungen verschwinden in \(t=0\). Also folgt \[f(t) = \sum_{n=0}^{N-1} \frac{\alpha_n}{n!} t^n \chi(M_n t) + \sum_{n=N}^\infty \frac{\alpha_n}{n!} t^n \chi(M_n t)\] und der erste Summand ist lokal um \(t=0\) ein Polynom und besitzt bis zur Ordnung \(N-1\) die vorgegebenen Ableitungen. ◻
Annahme: Es existiere eine Folge \(F_n\in\mathcal F\) mit \(\#\{ n\;:\; x\in F_n\}<\aleph_0\) für jedes \(x\in X\), welche \(\mathcal F\) erzeugt (d.h. für jedes \(F\in\mathcal F\) existiere ein \(n\) mit \(F_n\subset F\)), sowie eine Folge \(\chi_n : X\to [0,1]\) mit \(\{x \;:\; \chi_n(x)\ne0\}\subset F_n\) und \(F_{n+1}\subset \{ x\;:\;\chi_n(x)=1\}\).
Satz 2.22. Zu jeder asymptotischen Reihe \(\sum_n \psi_n\) im Sinne von Erdélyi existiert eine Funktion \(f\) mit \(f\sim\sum_n \psi_n\).
Proof. Wir folgen der Beweisidee von Borel und wählen eine hinreichend schnell wachsende Folge \(m_n\). Dann ist für jedes \(x\in X\) die Summe \[f(x) = \sum_n \chi_{m_n}(x) \psi_n(x)\] endlich und es bleibt, die Asymptotik der Reihenreste zu untersuchen. Wir wählen \(m_n\) so groß, daß \[\| \chi_{m_n} (x) \psi_n(x) \| \le 2^{-n} \varphi_{k}(x),\qquad k<n,\] gilt. Dies kann erfüllt werden, da \(\psi_n\in\mathbf o_{\mathcal F}(\varphi_k)\) für alle \(k<n\) gilt und dies für festes \(n\) nur endlich viele Bedingungen sind. Damit folgt \[\begin{split} \left\| f(x) - \sum_{n=0}^{N-1} \chi_{m_n}(x) \psi_n(x) \right\| &\le \|\psi_N(x)\| + \sum_{n>N} \| \chi_{m_n} (x) \psi_n(x) \| \\ &\le \|\psi_N(x) \| + \sum_{n>N} 2^{-n} \varphi_N(x) \in \mathcal O_{\mathcal F}(\varphi_N) \end{split}\] und der Satz ist bewiesen. ◻
Obige Annahme schränkt die Anwendbarkeit des Satzes natürlich ein. Sie ist allerdings klar erfüllt für Filter, die über die Metrik eines Raumes definiert sind, und Funktionen, welche als stetig vorausgesetzt werden. Die Existenz der Funktionen \(\chi_n\) ist dann durch das Lemma von Urysohn garantiert. Ebenso funktioniert das Argument für asymptotische Entwicklungen von Folgen. Für asymptotische Entwicklungen holomorpher Funktionen ist die Situation eine Andere und die Summierbarkeit beliebiger asymptotischer Reihen zu holomorphen Funktionen auch allgemeinen falsch.
2.23. Für ganze Funktionen \(f\in\mathfrak A({\mathbb C})\) ist das asymptotische Verhalten bezüglich des Umgebungsfilters von \(\infty\) eher uninteressant; besitzt \(f\) eine asymptotische Entwicklung in (positive und negative) Potenzen von \(z\), so ist \(f\) schon ein Polynom. Interessantere Funktionen, die in Entwicklungen auftauchen können, besitzen ein richtungsabhängiges asymptotisches Verhalten. Ein typisches erstes Beispiel dazu wäre die Funktion \(f(z)=\sin z\), welche in Richtung der reellen Achse beschränkt ist, in imaginärer Richtung aber jeweils exponentiell wächst.
Beispiel 2.24. Als zweites Beispiel betrachten wir die Eulersche Gammafunktion definiert für \(\Re z>0\) durch \[\Gamma(z) = \int_0^\infty {\mathrm e}^{-t} t^{z-1} {\,\mathrm d}t.\] Zumindest für reelle \(z\) haben wir das asymptotische Verhalten schon diskutiert. Die Methode von Laplace liefert eine asymptotische Reihe der Form \[\Gamma(z) \sim {\mathrm e}^{z\ln z-z} \sqrt{\frac{2\pi}z} \sum_{k=0}^\infty \alpha_k z^{-k},\qquad z\to +\infty,\] mit \(\alpha_0=1\) und (explizit berechenbaren) Koeffizienten \(\alpha_k\in{\mathbb R}\).
Betrachtet man nun ein \(z = r{\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta} \in {\mathbb C}\) mit \(|\theta|<\frac\pi2\), so kann man ebenso nach der Asymptotik für \(r\to\infty\) bei festem \(\theta\) fragen. Diese bestimmt sich wiederum nach einer Variante der Sattelpunktmethode. Es gilt \[\begin{split} \Gamma(z) &= \int_0^\infty \exp(z\ln t-t) \frac{ {\,\mathrm d}t}{t} = \int_0^{\infty{\mathrm e}^{-{\mathrm i}\theta}} \exp(z\ln z + z\ln\zeta -z \zeta) \frac{ {\,\mathrm d}\zeta}{\zeta} \\ & = {\mathrm e}^{z\ln z} \int_0^{\infty{\mathrm e}^{-{\mathrm i}\theta}} \exp(r{\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta} (\ln\zeta - \zeta) ) \frac{{\,\mathrm d}\zeta}{\zeta} . \end{split}\] mit der Substitution \(t = z\zeta\). Wir wählen den Integrationsweg über den Sattelpunkt der Funktion \(h(\zeta)={\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta} (\ln\zeta - \zeta)\) in \(\zeta=1\) mit \(h(1)=-{\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta}\), \(h'(\zeta)=0\) und \(h''(\zeta) = -{\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta}\). Damit folgt mit Gleichung \[\begin{split} \Gamma(z) &\sim {\mathrm e}^{z\ln z} {\mathrm e}^{-{\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta} r} {\mathrm e}^{-{\mathrm i}\theta/2} \sqrt{\frac{2\pi}{r}} \sum_{k=0}^\infty \alpha_k(\theta) r^{-k}, \qquad r=|z|\to\infty\\ & \sim {\mathrm e}^{z\ln z- z} \sqrt{\frac{2\pi}{z}} \sum_{k=0}^\infty \alpha_k z^{-k}, \qquad z\to\infty\\ \end{split}\] für festes \(\arg z=\theta\) in der Halbebene \(\Re z>0\). Daß die hierbei auftretenden Konstanten \(\alpha_k\) von \(\theta\) unabhängig sind ist leicht nachzurechnen und folgt ebenso aus Formel . Ob die punktweise Asymptotik gleichmäßig in \(\arg z\) ist, muß vorerst offenbleiben. Dies ergibt sich aus allgemeineren Sätzen, denen wir uns zuerst zuwenden wollen.
2.25. Für holomorphe Funktionen bietet es sich deshalb an, das asymptotische Verhalten in Sektoren \[\Sigma_\theta = \{0\}\cup \{ z\in{\mathbb C}\;:\; |\arg z|\le \theta \} \subset{\mathbb C}\] für \(\theta\in(0,\pi)\) zu untersuchen. Wir fragen nach dem asymptotischen Verhalten gegebener Funktionen \(f : \Sigma_\theta\to{\mathbb C}\), welche auf \(\Sigma_\theta\) stetig und im Inneren von \(\Sigma_\theta\) holomorph sind.
Hierbei ist zu beachten, daß es im Sektor verschiedene Möglichkeiten gibt, sich dem Unendlichen anzunähern. Uns interessieren deshalb das asymptotische Verhalten für \(|z|\to\infty\) gleichmäßig im Argument, also bezüglich des durch \[\{ z\in\Sigma_\theta : |z|>R\},\quad R>0,\] erzeugten Filters. Für holomorphe Funktionen ergibt sich überraschenderweise, daß Asymptotik auf den begrenzenden Strahlen unter minimalen Voraussetzungen schon gleichmäßige Asymptotik im Sektor impliziert. Das folgt aus dem Satz von Phragmén28–Lindelöf29 in der nachfolgenden allgemeinen Fassung. Er verallgemeinert das bekannte Maximumprinzip.
Satz 2.26 (Phragmén–Lindelöf). Sei \(f:\Sigma_\theta \to {\mathbb C}\) stetig und holomorph im Inneren von \(\Sigma_\theta\). Angenommen, es gilt \[\ln(1 +|f(z)|) \in \mathbf o (|z|^\alpha ),\qquad |z|\to\infty,\] mit \(\alpha = \frac{\pi}{2\theta}\), sowie \[|f(z)|\le 1\qquad \text{für $\arg z = \pm \theta$}.\] Dann gilt \[|f(z)|\le 1\qquad \text{für alle $z\in \Sigma_\theta$}.\]
Proof. Schritt 1. Wir zeigen zuerst die schwächere Form des Theorems unter der Voraussetzung \(\ln(1+ |f(z)|) \in \mathcal O (|z|^\alpha )\) für ein \(\alpha<\frac \pi{2\theta}\). Wir betrachten die Menge \(\Sigma_\theta\cap B_R\). Die Funktion \[F(z) = f(z) {\mathrm e}^{-\epsilon z^\beta}\] mit \(\alpha<\beta< \frac \pi{2\theta}\) erfüllt auf den berandenden Strahlen \(\arg z =\pm\theta\) die Abschätzung \[|F(z)| = {\mathrm e}^{-\epsilon|z|^\beta \cos\beta\theta} |f(z)|\le 1\] sowie auf dem Kreisbogensegment mit Radius \(R\) die Abschätzung \[|F(z)| \le {\mathrm e}^{-\epsilon R^\beta\cos\beta\theta}|f(z)| \le {\mathrm e}^{C R^\alpha - \epsilon R^\beta\cos\beta\theta}\to0,\qquad R\to\infty.\] Damit impliziert das Maximumprinzip aber \[\max_{z\in \Sigma_\theta\cap B_R} |F(z)| \le 1\] für \(R\) hinreichend groß und, da \(\epsilon>0\) beliebig war, folgt die Behauptung.
Wir zeigen die Aussage unter der Voraussetzung \(\ln (1+|f(z)|) \in \mathbf o (|z|^\alpha )\) für \(\alpha=\frac \pi{2\theta}\). Dazu betrachten wir \[F(z) = f(z) {\mathrm e}^{-\epsilon z^\alpha}\] und nutzen, daß für reelles \(z\) wegen \(|F(z)| = {\mathrm e}^{-\epsilon z^\alpha} |f(z)| \to0\), \(z\to\infty\), die Existenz von \(M=\sup_{z\in{\mathbb R}_+} |F(z)|\) folgt. Damit kann auf jedem der Teilsektoren \(0\le\arg z\le \theta\) die Abschätzung aus Schritt 1 genutzt werden. Es gilt also \[|F(z)| \le \max\{1, M\},\qquad z\in\Sigma_\theta.\] Es folgt wiederum \(|f(z)|\le M\) in \(\Sigma_\theta\). Damit ist aber die schwächere Voraussetzung von Schritt 1 für \(f\) erfüllt und die Behauptung folgt durch erneute Anwendung von Schritt 1, diesmal für den ganzen Sektor. ◻
Die Aussage gilt entsprechend für Gebiete der Form \(\Sigma_\theta \cap \{z \;:\; |z|>R\}\), wobei man zusätzlich \(|f(z)|\le1\) auf dem Kreisbogensegment fordern muß.
Korollar 2.27. Sei \(f :\Sigma_\theta\to{\mathbb C}\) holomorph im Inneren und stetig bis zum Rand von \(\Sigma_\theta\) und beschränkt. Dann gilt
Angenommen, \(f(z)\to a\) für \(|z|\to\infty\) entlang der Strahlen \(\arg z = \pm\theta\). Dann gilt \(f(z)\to a\) für \(|z|\to\infty\) gleichmäßig im Sektor \(\Sigma_\theta\).
Angenommen, \(f(z)\to a\) für \(|z|\to\infty\) entlang eines Strahles \(\arg z= \alpha\) und \(f(z)\to b\) für \(|z|\to\infty\) entlang eines weiteren Strahles \(\arg z= \beta\) mit \(-\theta \le \alpha < \beta \le \theta\). Dann gilt \(a=b\).
Proof. (i) Durch Substitution von \(z\) durch \(z^\gamma\) kann man erreichen, daß \(\theta<\pi/2\) gilt. Sei also im folgenden \(\theta<\pi/2\) und für \(\lambda>0\) die Funktion \[F_\lambda(z) = \frac z{\lambda+z} (f(z)-a)\] definiert. Sei weiter \(\epsilon>0\) und \(R\) so groß, daß \(|f(z)-a|<\epsilon\) für \(\arg z=\pm\theta\) und \(|z|>R\). Dann gilt insbesondere \(|F_\lambda(z)|\le\epsilon\) für diese \(z\). Da \(f\) beschränkt ist, existiert weiter \(\lambda>0\), sodaß \(|F_\lambda(z)| \le M R /\lambda = \epsilon\) für \(|z|\le R\). Also folgt \(|F_\lambda(z)| \le\epsilon\) in \(\Sigma_\theta\) und damit \[|f(z)-a| \le (1+\lambda/{|z|}) \epsilon < 2\epsilon,\qquad |z|\ge \lambda.\] (ii) folgt mit der Wahl \(F(z)=(f(z)-\frac12(a+b))^2\), da dann wegen (i) \[F(z) - \frac14(a-b)^2 = (f(z)-a)(f(z)-b)\to0\] gleichmäßig auf dem Sektor \(\alpha\le \arg z\le \beta\) gilt. ◻
Wir formulieren noch eine Folgerung aus dem Satz von Phragmén–Lindelöf. Wir nutzen dazu den Halbstreifen \(S_b^+ = \{z \in{\mathbb C}\;:\; \Re z\ge0, \; |\Im z|\le b\}\). Die komplexe Logarithmusfunktion liefert eine biholomorphe Abbildung \(\ln : \Sigma_\theta\cap\{|z|\ge1\}\to S_\theta^+\) des Sektors \(\Sigma_\theta\cap\{|z|\ge1\}\) auf den Halbstreifen \(S_\theta^+\) der Breite \(2\theta\). Damit kann das gerade gezeigte Theorem direkt in eine Streifenvariante überführt werden.
Satz 2.28 (Phragmén–Lindelöf). Sei \(f:S_b^+ \to {\mathbb C}\) stetig auf \(S_b^+\) und holomorph im Inneren von \(S_b^+\). Angenommen, es gilt \[\ln (1+|f(z)|) \in \mathbf o ({\mathrm e}^{\alpha \Re z} ),\qquad \Re z\to+ \infty,\] mit \(\alpha = \frac{\pi}{2b}\), sowie \[|f(z)|\le 1\qquad \text{für $z\in S_b^+$ mit $\Im z = \pm b$ oder $\Re z=0$.}\] Dann gilt \[|f(z)|\le 1\qquad \text{für alle $z\in S_b^+$}.\]
Proof. Anwenden von Satz auf die Funktion \(f(\ln\zeta)\), die auf dem Sektor \(\Sigma_b\cap\{|\zeta|\ge 1\}\) definiert ist. ◻
Beispiel 2.29 (Airyfunktionen). Als Beispiel untersuchen wir die Lösungen der Airyschen Differentialgleichung30 \[f''(z) - z f(z) = 0.\] Zusammen mit den Bedingungen \(f(0)=\alpha\) und \(f'(0)=\beta\) besitzt diese eine eindeutig bestimmte ganze Funktion als Lösung. Um das zu sehen, nutzen wir den Ansatz als Potenzreihe \[f(z) = \sum_{n=0}^\infty c_n z^n,\] welcher eingesetzt in die Differentialgleichung zu \[\sum_{n=2}^\infty n(n-1)c_n z^{n-2} - z \sum_{n=0}^\infty c_n z^n = 0,\] und damit zur Rekursion \[c_{n+2} = \frac{c_{n-1}}{(n+2)(n+1)},\; n\ge 1,\] für die Koeffizienten zusammen mit der Bedingung \(c_2=0\) führt. Also folgt \(c_{3k+2}=0\) für alle \(k\) sowie \[c_{3k} = \alpha \frac{1}{\prod_{j=1}^k 3j (3j-1)},\qquad c_{3k+1} = \beta \frac{1}{\prod_{j=1}^k (3j+1)3j}.\] Die absolute Konvergenz der Reihen auf ganz \({\mathbb C}\) folgt mittels Quotientenkriterium für die beiden Teilreihen mit \(c_{3k}\) und \(c_{3k+1}\) als Koeffizienten.
Das hilft uns aber nicht, das Verhalten der Lösungen für große \(z\) zu untersuchen. Dazu benötigen wir eine alternative Darstellung der Funktionen als komplexe Kurvenintegrale und nutzen den Ansatz \[f(z) = \frac1{2\pi{\mathrm i}} \int_\Gamma {\mathrm e}^{z\zeta} W(\zeta) {\,\mathrm d}\zeta\] für eine zu bestimmende (holomorphe) Funktion \(W(\zeta)\) und einen geeigneten (geschlossenen oder unbeschränkten) Weg \(\Gamma\). Formales Einsetzen in die Differentialgleichung liefert nun mittels partieller Integration \[\begin{split} 0 &= f''(z) - zf(z) = \frac1{2\pi{\mathrm i}} \int_\Gamma {\mathrm e}^{z\zeta}\left( \zeta^2 W(\zeta) - zW(\zeta) \right) {\,\mathrm d}\zeta\\ &= \frac1{2\pi{\mathrm i}} \int_\Gamma {\mathrm e}^{z\zeta}\left( \zeta^2 W(\zeta) + W'(\zeta) \right) {\,\mathrm d}\zeta, \end{split}\] bei der Wahl des Integrationsweges haben wir später sicherzustellen, daß diese Rechnung korrekt war.
Das Integral verschwindet für jeden Integrationsweg, falls der Integrand identisch verschwindet. Dazu wählen wir \(W\) als Lösung der Differentialgleichung \[W'(\zeta) = -\zeta^2 W(\zeta),\qquad\text{d.h.}\quad W(\zeta) = {\mathrm e}^{-\frac13 \zeta^3}.\] Den Integrationsweg in \[f(z) = \frac1{2\pi{\mathrm i}} \int_\Gamma {\mathrm e}^{z\zeta-\frac{\zeta^3}3}{\,\mathrm d}\zeta\] wählen wir nichttrivial, indem wir damit zwei der Strahlen \({\mathrm e}^{\frac23 \pi k {\mathrm i}} {\mathbb R}_+\), \(k\in\{0,1,2\}\), verbinden. Da entlang dieser Strahlen der Integrand zusammen mit seinen Ableitungen exponentiell fällt, war obige Rechnung korrekt und wir erhalten die gesuchte Lösungsdarstellung.
Für den Weg \(\Gamma_{\rm Ai}\), der aus Richtung \({\mathrm e}^{\frac43\pi{\mathrm i}}\) kommt und nach \({\mathrm e}^{\frac23\pi{\mathrm i}}\) verläuft, ergibt sich die Airyfunktion erster Art
\[\mathrm{Ai}(z) = \frac1{2\pi{\mathrm i}} \int_{\Gamma_{\rm Ai}} {\mathrm e}^{z\zeta-\frac13\zeta^3}{\,\mathrm d}\zeta,\] deren Phasenportrait in Abbildung dargestellt ist. Unser Ziel ist es, das Verhalten der Funktion \(\mathrm{Ai}(z)\) für große \(z\) genauer zu untersuchen. Dazu nutzen wir die Sattelpunktmethode und untersuchen das Verhalten für \(z=r{\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta}\) bei festem \(\theta\). Es gilt mit der Substitution \(\zeta = \sqrt r \xi\) \[\mathrm{Ai}(r{\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta}) = \frac{\sqrt r}{2\pi{\mathrm i}} \int_{\Gamma_{\rm Ai}} {\mathrm e}^{r^{3/2} ({\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta} \xi-\frac13\xi^3)} {\,\mathrm d}\xi = \frac{\sqrt r}{2\pi{\mathrm i}} \int_{\Gamma_{\rm Ai}} {\mathrm e}^{r^{3/2} h(\xi)}{\,\mathrm d}\xi\] mit \(h(\xi) = {\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta} \xi-\frac13\xi^3\). Der Weg \(\Gamma_{\rm Ai}\) wird so deformiert, daß er über die (eindeutig bestimmten) Sattelpunkte minimaler Höhe von \(\Re h(\xi)\) in seiner Homotopieklasse verläuft. Aufgrund von \(h'(\xi) = {\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta} -\xi^2\) sind die beiden Sattelpunkte bei \(\pm{\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta/2}\) und es gilt \[h(\pm {\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta/2}) = \pm \frac23 {\mathrm e}^{{\mathrm i}{3\theta}/2},\qquad \Re h(\pm {\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta/2}) = \pm \frac23 \cos({3\theta}/2)\] sowie \[h''(\pm {\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta/2}) = \mp 2 {\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta/2}.\] Für \(\theta\in \{ -\pi/3, \pi/3, \pi\}\) sind beide Sattelpunkte gleich hoch, jedoch ist nur der Fall \(\theta=\pi\) besonders. Hier wechselt der optimale Sattelpunkt in der Homotopieklasse, siehe Abbildung .
Für \(\theta=\pi\) verläuft der Weg über beide Sattelpunkte. Das entspricht später einer Stokeslinie 31 im asymptotischen Verhalten, sonst verläuft der Weg nur über einen Sattelpunkt und der gewählte Sattelpunkt ist stetig in der Richtung \(\theta\) für \(\theta\ne\pi\). Mit Formel folgt für die Asymptotik \(r\to\infty\) bei festem \(\theta\) und unter Beschränkung auf den Hauptterm der Asymptotik \[\begin{split} \mathrm{Ai}(r{\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta}) &= \frac{\sqrt r}{2\pi{\mathrm i}} \int_{\Gamma_{\rm Ai}} {\mathrm e}^{r^{3/2} h(\xi)}{\,\mathrm d}\xi \sim\frac{\sqrt r}{2\pi{\mathrm i}} \sqrt{2\pi} {\mathrm e}^{r^{3/2} h(-{\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta/2})} {\mathrm e}^{{\mathrm i}(\pi/2 - \theta/4)} \frac1{ r^{3/4}\sqrt{|h''(-{\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta/2})|}}\\ & \sim \frac1{2 \sqrt \pi r^{1/4 } {\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta/4}} {\mathrm e}^{-\frac23 r^{3/2} {\mathrm e}^{{\mathrm i}3\theta/2}} \end{split}\] für \(r\to\infty\). Es gilt also auf dem Strahl \(\arg z=\theta\) zusammengefaßt \[\mathrm{Ai}(z) \sim \frac{{\mathrm e}^{-\frac23 z^{3/2}}}{2\sqrt\pi z^{1/4}}, \qquad |z|\to\infty.\] Diese Asymptotik ist gleichmäßig auf Sektoren \(\Sigma_\theta\) für \(\theta<\pi\). Um das zu sehen nutzen wir den Satz von Phragmén–Lindelöf und benötigen zuerst noch eine grobe Abschätzung der Airyfunktionen. Dazu nutzen wir die Potenzreihendarstellung und schätzen grob die beiden Lösungen der Airygleichung mit \(f(0)=1\) und \(f'(0)=0\) sowie \(f(0)=0\) und \(f'(0)=1\) ab. Wegen \[\begin{split} c_{3k} &= \frac{3^k (k-2/3)_k}{(3k)!} \le \frac{3^k k!}{(3k)!} \le \frac{3^k}{(2k)!} ,\\ c_{3k+1} &= \frac{3^k (k-2/3)_k}{(3k+1)!} \le \frac{3^k k!}{(3k+1)!} \le \frac{3^k}{(2k)!} \end{split}\] gilt \[\begin{split} \left|\sum_{k=0}^\infty c_{3k} z^{3k} \right|&\le \sum_{k=0}^\infty \frac1{(2k)!} 3^k |z|^{3k} \le \exp(\sqrt 3 |z|^{3/2} ),\\ \left|\sum_{k=0}^\infty c_{3k+1} z^{3k+1} \right|&\le \sum_{k=0}^\infty \frac1{(2k)!} 3^k |z|^{3k+1} \le |z| \exp(\sqrt 3 |z|^{3/2} ) \end{split}\] und somit folgt \[\mathrm{Ai}(z) \,{\mathrm e}^{\frac23 z^{3/2}} \, z^{1/4} \in \mathcal O ( {\mathrm e}^{3 |z|^{3/2}} ).\] Damit ist aber in Sektoren \(\Sigma\subset \Sigma_{\pi-\epsilon}\) mit Öffnungswinkel kleiner \(\pi / 3\) der Satz von Phragmén–Lindelöf anwendbar und Korollar liefert die Gleichmäßigkeit der Asymptotik. Also gilt, da man den Sektor \(\Sigma_{\pi-\epsilon}\) mit endlich vielen solcher Sektoren überdecken kann, \[\mathrm{Ai}(z) \sim \frac{{\mathrm e}^{-\frac23 z^{3/2}}}{2\sqrt\pi z^{1/4}}, \qquad |z|\to\infty.\] gleichmäßig in \(\Sigma_{\pi-\epsilon}\) für beliebig kleines \(\epsilon>0\). Analog sieht man, dass die in jeder Richtung existierenden asymptotischen Entwicklungen konsistent sind (also dieselben Koeffizienten haben) und ebenso gleichmäßig in jedem Sektor \(\Sigma_{\pi-\epsilon}\) \[\mathrm{Ai}(z) \sim \frac{{\mathrm e}^{-\frac23 z^{3/2}}}{2\sqrt\pi z^{1/4}} \sum_{k=0}^\infty \alpha_k z^{-k}, \qquad |z|\to\infty,\] mit Koeffizienten \(\alpha_0=1\) und (berechenbaren) \(\alpha_k\in{\mathbb R}\) gilt.
Für \(\theta=\pi\) verläuft der optimale Weg über beide Sattelpunkte und wir müssen die asymptotischen Terme beider Sattelpunkte addieren. Dies liefert die andersgeartete Asymptotik \[\begin{split} \mathrm{Ai}(z)&\sim \frac{\sqrt r}{2\pi{\mathrm i}} \sqrt{2\pi} {\mathrm e}^{r^{3/2} h(-{\mathrm e}^{{\mathrm i}\pi/2})} {\mathrm e}^{{\mathrm i}\pi/4} \frac1{ r^{3/4}\sqrt{|h''(-{\mathrm e}^{{\mathrm i}\pi/2})|}}\\&\qquad + \frac{\sqrt r}{2\pi{\mathrm i}} \sqrt{2\pi} {\mathrm e}^{r^{3/2} h({\mathrm e}^{{\mathrm i}\pi/2})} {\mathrm e}^{{\mathrm i}3 \pi/4} \frac1{ r^{3/4}\sqrt{|h''({\mathrm e}^{{\mathrm i}\pi/2})|}}\\ & \sim \frac{1}{\sqrt\pi r^{1/4}} \frac{{\mathrm e}^{{\mathrm i}\pi/4} {\mathrm e}^{{\mathrm i}\frac23 r^{3/2}} + {\mathrm e}^{{\mathrm i}3\pi/4} {\mathrm e}^{-{\mathrm i}\frac23 r^{3/2}}}{2{\mathrm i}} \\ & \sim \frac{1}{\sqrt\pi |z|^{1/4}} \sin\left(\frac23 |z|^{3/2}+\frac\pi4\right),\qquad z\to-\infty. \end{split}\] mit \(r=|z|\). Der Wechsel der Asymptotik (also das Wechseln zwischen den Sattelpunkten) wird als Stokesphänomen bezeichnet und findet hier entlang der Stokeslinie
\(\arg z=\pi\) statt.
Um eine zweite zu \(\mathrm{Ai}(z)\) linear unabhängige Lösung der Airyschen Differentialgleichung zu erhalten wählen wir den Integrationsweg \(\Gamma_{\rm Bi}\) bestehend aus den zwei Wegen verlaufend von \({\mathrm e}^{\frac43\pi{\mathrm i}}\) aus dem Unendlichen kommend zur reellen Achse nach Unendlich verlaufend sowie von \({\mathrm e}^{\frac23\pi{\mathrm i}}\) kommend und entlang der reellen Achse ins Unendliche verlaufend und betrachten die Airyfunktion zweiter Art
\[\mathrm{Bi}(z) = \frac1{2\pi} \int_{\Gamma_{\rm Bi}} {\mathrm e}^{z\zeta-\frac13\zeta^3}{\,\mathrm d}\zeta.\] Nach Substitution \(\zeta=\sqrt r \xi\) für \(z=r{\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta}\) und optimaler Wahl des Weges verläuft dieser wie in nachfolgender Tabelle dargestellt:
\(\theta\) | relevante Sattelpunkte |
---|---|
\(|\theta|<\pi/3\) | zweifach über den höheren Sattelpunkt in \({\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta/2}\) in Richtung \({\mathrm e}^{- {\mathrm i}\theta/4}\) |
\(\theta= \pi/3\) | zweifach über den Sattelpunkt \({\mathrm e}^{{\mathrm i}\pi /6}\) in Richtung \({\mathrm e}^{-{\mathrm i}\pi /12 }\) |
und einfach über \(-{\mathrm e}^{{\mathrm i}\pi /6}\) in Richtung \({\mathrm e}^{{\mathrm i}5\pi/12 }\) | |
\(\theta= -\pi/3\) | zweifach über den Sattelpunkt \({\mathrm e}^{-{\mathrm i}\pi /6}\) in Richtung \({\mathrm e}^{{\mathrm i}\pi/12}\) |
und einfach über \(-{\mathrm e}^{-{\mathrm i}\pi/6}\) in Richtung \({\mathrm e}^{-{\mathrm i}5\pi/12}\) | |
\(\pi/3 < \pm \theta < \pi\) | einfach über den höheren Sattelpunkt in \(-{\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta/2}\) in Richtung \(\pm{\mathrm e}^{ {\mathrm i}(\pi/2 - \theta/4) }\) |
\(\theta = \pi\) | über beide Sattelpunkte \(\pm {\mathrm i}= {\mathrm e}^{\pm{\mathrm i}\pi/2}\) in Richtungen \({\mathrm e}^{\mp {\mathrm i}3\pi/4}\) |
Damit folgt \[\mathrm{Bi}(z) = \frac{\sqrt r}{2\pi} \int_{\Gamma_{\rm Bi}} {\mathrm e}^{r^{3/2} h(\xi) }{\,\mathrm d}\xi \sim \frac{1}{\sqrt \pi r^{1/4 } {\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta/4}} {\mathrm e}^{\frac23 r^{3/2} {\mathrm e}^{{\mathrm i}3\theta/2}} \sim \frac{{\mathrm e}^{\frac23 z^{3/2}}}{\sqrt\pi z^{1/4}},\qquad |z|\to\infty,\] wiederum gleichmäßig auf \(\Sigma_{\pi/3-\epsilon}\) für \(\epsilon>0\), \[\mathrm{Bi}(z) = \frac{\sqrt r}{2\pi} \int_{\Gamma_{\rm Bi}} {\mathrm e}^{r^{3/2} h(\xi) }{\,\mathrm d}\xi \sim \frac{{\mathrm i}}{2\sqrt \pi r^{1/4 } {\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta/4}} {\mathrm e}^{\frac23 r^{3/2} {\mathrm e}^{-{\mathrm i}3\theta/2}} \sim {\mathrm i}\frac{{\mathrm e}^{-\frac23 z^{3/2}}}{2\sqrt\pi z^{1/4}},\qquad |z|\to\infty,\] gleichmäßig auf \({\mathrm e}^{{\mathrm i}2\pi/3} \Sigma_{\pi/3-\epsilon}\) für \(\epsilon>0\), \[\mathrm{Bi}(z) = \frac{\sqrt r}{2\pi} \int_{\Gamma_{\rm Bi}} {\mathrm e}^{r^{3/2} h(\xi) }{\,\mathrm d}\xi \sim \frac{-{\mathrm i}}{2\sqrt \pi r^{1/4 } {\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta/4}} {\mathrm e}^{\frac23 r^{3/2} {\mathrm e}^{-{\mathrm i}3\theta/2}} \sim -{\mathrm i}\frac{{\mathrm e}^{-\frac23 z^{3/2}}}{2\sqrt\pi z^{1/4}},\qquad |z|\to\infty,\] gleichmäßig auf \({\mathrm e}^{-{\mathrm i}2\pi/3} \Sigma_{\pi/3-\epsilon}\) für \(\epsilon>0\), \[\begin{split} \mathrm{Bi}(r{\mathrm e}^{\pm {\mathrm i}\pi/3}) & \sim \frac{1}{ \sqrt\pi r^{1/4}} \left( {\mathrm e}^{ \mp {\mathrm i}\pi/12} {\mathrm e}^{{\mathrm i}\frac23 r^{3/2}} + \frac{{\mathrm e}^{\pm {\mathrm i}\pi/3}}2 {\mathrm e}^{ \pm {\mathrm i}\pi/12} {\mathrm e}^{-{\mathrm i}\frac23 r^{3/2}}\right),\qquad r\to\infty \end{split}\] für \(\theta=\pm\frac\pi3\), sowie im Falle \(\theta=\pi\) \[\begin{split} \mathrm{Bi}(z) & \sim \frac{1}{\sqrt\pi r^{1/4}} \frac{{\mathrm e}^{{\mathrm i}\pi/4} {\mathrm e}^{{\mathrm i}\frac23 r^{3/2}} - {\mathrm e}^{-{\mathrm i}3\pi/4} {\mathrm e}^{-{\mathrm i}\frac23 r^{3/2}}}{2{\mathrm i}} \\ &\sim \frac{1}{\sqrt\pi |z|^{1/4}} \cos\left(\frac23 |z|^{3/2}+\frac\pi4\right),\qquad z\to-\infty. \end{split}\]
Beispiel 2.30. Als zweites Beispiel betrachten wir die Besselfunktionen 32 \(\mathcal J_n\) der Ordnung \(n\). Diese besitzen die Erzeugendenfunktion \[\sum_{n=-\infty}^\infty \mathcal J_n(z) \zeta^{n} = {\mathrm e}^{\frac z2 \left(\zeta-\frac1\zeta\right)}\] und damit die Integraldarstellung \[\mathcal J_n(z) = \frac1{2\pi{\mathrm i}} \oint \frac{{\mathrm e}^{\frac z2 \left(\zeta-\frac1\zeta\right)}}{\zeta^{n+1}}{ {\,\mathrm d}\zeta}\] für einen den Ursprung einmal positiv umlaufenden geschlossenen Integrationsweg. Die Besselfunktionen \(\mathcal J_n\) sind ganz, es stellt sich wiederum die Frage nach ihrem asymptotischen Verhalten für große \(z\). Offenbar gilt \(\mathcal J_n(-z) =( -1)^n \mathcal J_n(z)\).
Direkt aus der Definition und mit dem Einheitskreis als Integrationsweg ergibt sich die grobe Abschätzung \[|\mathcal J_n(z)| \le \frac1{2\pi} \oint | {\mathrm e}^{ z {\mathrm i}\Im \zeta }| \, |{\,\mathrm d}\zeta| \le {\mathrm e}^{|\Im z|}.\] Für das weitere gehen wir analog zum letzten Beispiel vor und betrachten \(z=r{\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta}\) für gegebenes \(\theta\) und suchen eine Asymptotik für \(r\to\infty\). Da dann \[\mathcal J_n(r{\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta}) = \frac1{2\pi{\mathrm i}} \oint \frac{{\mathrm e}^{\frac r2 {\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta} \left(\zeta-\frac1\zeta\right)}}{\zeta^{n+1}}{ {\,\mathrm d}\zeta}\] gilt, stellt sich die Frage nach Sattelpunkten der Funktion \(h(\zeta) = {\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta} \frac12 (\zeta - \frac 1\zeta)\). Diese liegen wegen \(h'(\zeta) = {\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta} \frac12 ( 1+ \frac 1{\zeta^2})\) in den Punkten \(\zeta=\pm{\mathrm i}\) mit \(h''(\pm{\mathrm i}) = \mp {\mathrm e}^{{\mathrm i}(\theta + \pi/2)}\). Wegen \[\Re h(\pm {\mathrm i}) = \mp \sin\theta\] ist für \(\theta\in (0,\pi)\) der Sattelpunkt in \(-{\mathrm i}\) höher, während für \(\theta\in(-\pi,0)\) der Sattelpunkt in \({\mathrm i}\) der Höhere ist. Für \(\theta\in\{0,\pi\}\) sind beide gleich hoch. Der geschlossene Integrationsweg verläuft jeweils über beide Sattelpunkte.
Also ist die reelle Achse eine Stokeslinie und das asymptotische Verhalten der Besselfunktionen in der oberen Halbebene unterscheidet sich vom asymptotischen Verhalten der Besselfunktionen in der unteren Halbebene. In der oberen Halbebene, also mit \(\theta\in(0,\pi)\), impliziert \[\begin{split} \mathcal J_n(r{\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta}) &= \frac1{2\pi{\mathrm i}} \oint \frac{{\mathrm e}^{ r h(\zeta) }}{\zeta^{n+1}}{ {\,\mathrm d}\zeta} \sim \frac1{2\pi{\mathrm i}} {\mathrm e}^{ r h(-{\mathrm i})} {\mathrm e}^{{\mathrm i}(\frac\pi4 - \frac\theta2)} {\mathrm e}^{{\mathrm i}(n+1)\frac\pi2} \frac{\sqrt{2\pi}}{\sqrt r}\\ & \sim \frac1{\sqrt{2\pi r}\, {\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta/2}} {\mathrm e}^{-{\mathrm i}r {\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta}} {\mathrm e}^{{\mathrm i}(\frac\pi4 + n\frac\pi2)}\\ \mathcal J_n(z) &\sim \frac1{\sqrt{2\pi z}} {\mathrm e}^{-{\mathrm i}z} {\mathrm e}^{{\mathrm i}(\frac\pi4 + n\frac\pi2)}, \qquad |z|\to\infty, \end{split}\] und analog für die untere Halbebene, also \(\theta\in(-\pi,0)\) \[\begin{split} \mathcal J_n(r{\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta}) &%= \frac1{2\pi\i} \oint \frac{\e^{ r h(\zeta) }}{\zeta^{n+1}}{ \d \zeta} \sim \frac1{2\pi{\mathrm i}} {\mathrm e}^{ r h({\mathrm i})} {\mathrm e}^{-{\mathrm i}(\frac\pi4 + \frac\theta2)} {\mathrm e}^{-{\mathrm i}(n+1)\frac\pi2} \frac{\sqrt{2\pi}}{\sqrt r} \sim \frac1{\sqrt{2\pi r}\,{\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta/2}} {\mathrm e}^{{\mathrm i}r {\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta}} {\mathrm e}^{-{\mathrm i}(\frac\pi4+n\frac\pi2)}\\ \mathcal J_n(z) &\sim \frac1{\sqrt{2\pi z}} {\mathrm e}^{{\mathrm i}z} {\mathrm e}^{-{\mathrm i}(\frac\pi4 + n\frac\pi2)},\qquad |z|\to\infty, \end{split}\] sowie für \(z>0\) als Summe beider Darstellungen \[\mathcal J_n(z) \sim \sqrt{\frac{2}{\pi z}} \cos\left(z -\frac{\pi n}2 - \frac\pi4 \right) ,\qquad z\to+\infty.\] Die asymptotischen Formeln sind wiederum gleichmäßig in Sektoren innerhalb der jeweiligen Halbebenen.
In diesem Kapitel betrachten wir Integraltransformationen, welche Funktionen \(f : [0,\infty)\to{\mathbb C}\) holomorphe Funktionen \(\mathcal T[f]\) zuordnen. Diese verallgemeinern in gewissem Sinne die schon betrachteten Erzeugendenfunktionen für Folgen und uns interessiert wiederum der Zusammenhang zwischen asymptotischem Verhalten von \(f\) und holomorphen beziehungsweise meromorphen Fortsetzungen von \(\mathcal T[f]\).
Wir betrachten vorerst stetige Funktionen \(f:[0,\infty)\to{\mathbb C}\) und diskutieren im Anschluß eine Verallgemeinerung auf Borelmaße.
Proposition 3.1. Sei \(\ln (1+|f(t)|) \in\mathcal O(t)\) für \(t\to\infty\) und bezeichne \[\delta_{\cal L}(f) = \limsup_{t\to\infty} \frac{\ln |f(t)|}{t}.\] Dann ist \[\label{eq:3:Lapl-Def} \mathcal L[f] (z) = \int_0^\infty {\mathrm e}^{-zt} f(t){\,\mathrm d}t, \qquad \Re z>\delta_{\cal L} (f),\] holomorph in der Halbebene \(\{ z\in{\mathbb C}\;:\; \Re z>\delta_{\cal L}(f)\}\) und erfüllt die Abschätzung \[\label{eq:3:elem-Abkl} |\mathcal L[f](z)| \le \frac{C}{\Re z - \delta},\qquad \Re z>\delta>\delta_{\cal L}(f)\] mit einer von \(f\) und \(\delta\) abhängenden Konstanten \(C\). Die durch definierte Funktion \(\mathcal L[f]\in\mathfrak A(\{\Re z>\delta_{\cal L}(f)\})\) wird als Laplacetransformierte von \(f\) bezeichnet.
Proof. Sei \(\Re z> \delta> \delta_{\cal L}(f)\). Dann gilt aufgrund der Definition von \(\delta_{\cal L}(t)\) \[|f(t)| \le C {\mathrm e}^{\delta t}\] und somit die punktweise Abschätzung \[| \mathcal L[f](z) | \le \int_0^\infty {\mathrm e}^{-t \Re z} |f(t)|{\,\mathrm d}t\le C \int_0^\infty {\mathrm e}^{(\delta -\Re z)t} {\,\mathrm d}t = \frac{C}{\Re z-\delta}.\] Also konvergiert das Integral absolut und lokal gleichmäßig und \(\mathcal L[f]\) ist holomorph auf jeder Halbebene \(\{z\;:\;\Re z>\delta\}\) mit \(\delta>\delta_{\cal L}(f)\). ◻
Wir beginnen damit, die elementaren Eigenschaften der Laplacetransformation zusammenzufassen.
Proposition 3.2 (Linearität). Die Transformation \(\mathcal L\) ist linear; genauer es gilt \[\delta_{\cal L}(f+g) \le \max\{ \delta_{\cal L}(f),\delta_{\cal L}(g)\},\] sowie \[\mathcal L[f+\alpha g] (z) = \mathcal L[f](z) + \alpha \mathcal L[g](z),\qquad \Re z> \max\{ \delta_{\cal L}(f),\delta_{\cal L}(g)\},\] für beliebiges \(\alpha\in{\mathbb C}\).
Proof. Folgt direkt aus der Linearität des Integrals. ◻
Definition 3.3. Seien \(f,g:[0,\infty)\to{\mathbb C}\) zwei stetige (oder lokal integrierbare meßbare) Funktionen. Dann bezeichne \[f\star g (t) = \int_0^t f(t-s) g(s) {\,\mathrm d}s\] ihre Laplacefaltung .
Proposition 3.4 (Faltungssatz). Es gilt \(\delta_{\cal L}(f\star g) \le \max \{ \delta_{\cal L}(f), \delta_{\cal L}(g)\}\) sowie \[\mathcal L[f\star g](z) = \mathcal L[f](z)\; \mathcal L[g](z),\qquad \Re z > \max \{ \delta_{\cal L}(f), \delta_{\cal L}(g)\}.\]
Proof. Es gilt unter Ausnutzung des Satzes von Fubini \[\begin{split} \mathcal L[f\star g](z) &= \int_0^\infty {\mathrm e}^{-zt} \int_0^t f(t-s) g(s){\,\mathrm d}s{\,\mathrm d}t\\ & = \int_0^\infty {\mathrm e}^{-zs} \int_s^\infty {\mathrm e}^{-z(t-s)} f(t-s) {\,\mathrm d}t g(s) {\,\mathrm d}s\\ & = \mathcal L[f](z) \, \mathcal L[g](z) \end{split}\] solange \(\Re z > \max \{\delta_{\cal L}(f), \delta_{\cal L}(g)\}\). ◻
Proposition 3.5.
(Dämpfungssatz) Sei \(g(t) = {\mathrm e}^{-\mu t} f(t)\) für ein \(\mu\in{\mathbb C}\). Dann gilt \(\delta_{\cal L}(g) = \delta_{\cal L}(f) - \Re\mu\) sowie \[\mathcal L[g](z) = \mathcal L[f](z+\mu),\qquad \Re z > \delta_{\cal L}(f)-\Re\mu.\]
Sei \(g(t) = t f(t)\). Dann gilt \(\delta_{\cal L}(g)=\delta_{\cal L}(f)\), sowie \[\frac{{\,\mathrm d}}{{\,\mathrm d}z} \mathcal L[f](z) = - \mathcal L[g](z), \qquad \Re z> \delta_{\cal L}(f).\]
Proof. (1) folgt direkt aus der Definition. \(\bullet\) folgt, da \(t{\mathrm e}^{-zt} = - \partial_z {\mathrm e}^{-zt}\) und die absolute Integrierbarkeit für \(\Re z>\delta_{\cal L} (f)\) das Vertauschen von Integral und Ableitung rechtfertigt. ◻
Proposition 3.6 (Differentiationssatz). Sei \(f\) differenzierbar und gelte \(\delta_{\cal L}(f')<\infty\). Dann gilt \(\delta_{\cal L}(f) \le \max\{\delta_{\cal L}(f'),0\}\) sowie \[\mathcal L[f'](z) = z\mathcal L[f](z) - f(0).\]
Proof. Aus \(\delta > \mathcal \delta_{\cal L}(f')\) folgt \(|f'(t)| \le C{\mathrm e}^{\delta t}\) und damit impliziert \[f(t) = f(0) + \int_0^t f'(s){\,\mathrm d}s\] schon \[|f(t)| \le |f(0)| + C \int_0^t {\mathrm e}^{\delta s}{\,\mathrm d}s = |f(0)| + \frac{ C}{\delta} {\mathrm e}^{\delta t} - \frac{C}{\delta}\] und damit \(\delta_{\cal L}(f)\le \max\{\delta,0\}\). Das impliziert \(\delta_{\cal L}(f) \le \max\{\delta_{\cal L}(f'),0\}\) und somit liefert partielle Integration \[\mathcal L[f'](z) = \int_0^\infty {\mathrm e}^{-zt} f'(t) {\,\mathrm d}t = {\mathrm e}^{-zt}f(t) \bigg|_{t=0}^\infty + z \int_0^\infty {\mathrm e}^{-zt} f(t) {\,\mathrm d}t = z \mathcal L[f](z) -f(0).\] ◻
Beispiel 3.7. In der folgenden Tabelle sind einige elementare Funktionen und ihre Laplacetransformierten zusammengetragen. Sie wird für weitere Rechnungen wichtig sein. Die Transformierten ergeben sich durch direktes nachrechnen. So gilt \[\int_0^\infty {\mathrm e}^{-zt} {\mathrm e}^{\lambda t} {\,\mathrm d}t = \int_0^\infty {\mathrm e}^{-(z-\lambda)t}{\,\mathrm d}t = \frac1{z-\lambda}\] und damit die erste Tabellenzeile. Weiter gilt damit unter Ausnutzung von Proposition (2) \[\int_0^\infty {\mathrm e}^{-zt} t^k {\mathrm e}^{\lambda t} {\,\mathrm d}t = \left(-\frac{{\,\mathrm d}}{{\,\mathrm d}z}\right)^k \int_0^\infty {\mathrm e}^{-(z-\lambda)t}{\,\mathrm d}t = \frac{k!}{(z-\lambda)^{k+1}}.\] Dies erlaubt die Bestimmung der Laplacetransformierten aller trigonometrischen Polynome sowie aller Produkte aus Polynomen und trigonometrischen Funktionen. Ein weiteres Beispiel ergibt sich direkt aus der Definition der Gamma-Funktion. Es gilt \[\int_0^\infty {\mathrm e}^{-zt} t^\lambda {\,\mathrm d}t = \int_0^\infty {\mathrm e}^{-s} \left(\frac sz\right)^{\lambda+1} \frac{{\,\mathrm d}s}{s} = \frac{\Gamma(\lambda+1)}{z^{\lambda+1}}\] unter Ausnutzung der Substitution \(s=zt\) und für \(z\in{\mathbb R}\). Für die Halbebene \(\Re z>0\) liefert holomorphe Fortsetzung die Laplacetransformierte.
Mitunter sind Differentiationssätze und Dämpfungssätze zur Berechnung der Transformation hilfreich. Um \(({\mathrm e}^{\lambda t}-{\mathrm e}^{\mu t})/t\) zu transformieren, nutzen wir, daß nach Multiplikation mit \(t\) die Funktion \({\mathrm e}^{\lambda t}-{\mathrm e}^{\mu t}\) mit der Transformierten \(1/(z-\lambda) - 1/(z-\mu)\) entsteht. Da Multiplikation mit \(t\) im Laplacebild der Ableitung \(-{\,\mathrm d}/{\,\mathrm d}z\) entspricht, benötigen wir eine Stammfunktion. Diese ist \[- \int \frac{1}{z-\lambda} - \frac1{z-\mu} {\,\mathrm d}z = - \ln (z-\lambda) +\ln (z-\mu) + C = \ln\frac{z-\mu}{z-\lambda} + C\] und da wir das Laplacebild einer stetigen Funktion suchen ergibt sich \(C\) aus der Abschätzung und damit durch Nullsetzen des Grenzwertes \(z\to+\infty\).
Funktion | Laplacetransformierte | Konvergenzabszisse |
---|---|---|
\({\mathrm e}^{\lambda t}\), \(\lambda\in {\mathbb C}\) | \(\frac1{z-\lambda}\) | \(\delta_{\cal L} = \Re \lambda\) |
\(t^k {\mathrm e}^{\lambda t}\), \(\lambda\in {\mathbb C}, \; k\in{\mathbb N}\) | \(\left(-\frac{{\,\mathrm d}}{{\,\mathrm d}z}\right)^k\frac1{z-\lambda} = \frac{k!}{(z-\lambda)^{k+1}}\) | \(\delta_{\cal L} = \Re \lambda\) |
\(\cos(\lambda t)\), \(\lambda\in {\mathbb R}\) | \(\frac{z}{z^2+\lambda^2}\) | \(\delta_{\cal L} = 0\) |
\(\sin(\lambda t)\), \(\lambda\in {\mathbb R}\) | \(\frac{\lambda}{z^2+\lambda^2}\) | \(\delta_{\cal L} = 0\) |
\(t^{\lambda}\), \(\Re\lambda>-1\) | \(\frac{\Gamma(\lambda+1)}{z^{\lambda+1}}\) | \(\delta_{\cal L} = 0\) |
\(\frac{{\mathrm e}^{\lambda t}-{\mathrm e}^{\mu t}}t\), \(\lambda,\mu\in{\mathbb C}\) | \(\ln\frac{z-\mu}{z-\lambda}\) | \(\delta_{\cal L} = \min\{\Re\lambda,\Re\mu\}\) |
Die sinnvolle Nutzbarkeit einer solchen Tabelle hängt an der Injektivität der Transformation. Diese wird nachfolgend in Satz gezeigt. Nimmt man diese vorerst naiv an, so ergibt sich aus obiger Tabelle insbesondere die Inversion der Laplacetransformation auf rationalen Funktionen durch Partialbruchzerlegung. So liefert \[\mathcal L[f](z) = \sum_{k=1}^n \sum_{\ell=0}^{\nu_k-1} \alpha_{k,\ell} \frac{\ell!}{(z-z_k)^{\ell+1}}\] mit Koeffizienten \(\alpha_{k,\ell}\in{\mathbb C}\) und Polen \(z_k\in{\mathbb C}\) für die Originalfunktion die Darstellung \[f(t) = \sum_{k=1}^n \sum_{\ell=0}^{\nu_k-1} \alpha_{k,\ell} \,t^\ell {\mathrm e}^{z_k t}.\]
Satz 3.8 (Eindeutigkeitssatz von Lerch33). Seien \(f\) und \(g\) stetig mit \(\delta_{\cal L}(f),\delta_{\cal L}(g)<\infty\). Angenommen, es gilt mit \(\delta= \max\{\delta_{\cal L}(f),\delta_{\cal L}(g)\}\) \[\mathcal L[f](z) = \mathcal L[g](z),\qquad z\in S \subset \{z\;:\; \Re z > \delta \}\] für eine Menge \(S\), die mindestens einen ihrer Häufungspunkte enthält. Dann gilt \(f=g\).
Proof. Mit dem Verschiebungssatz können wir annehmen, daß \(\delta<-1\) gilt. Da nun sowohl \(\mathcal L[f]\) als auch \(\mathcal L[g]\) auf \(\{\Re z>-1\}\) holomorph sind, liefert der Identitätssatz aus \(\mathcal L[f](z)=\mathcal L[g](z)\) auf \(S\) schon die Gleichheit auf der gesamten Menge \(\{\Re z>-1\}\). Weiter gilt \(f, g \in \mathbf o({\mathrm e}^{-t})\), \(t\to\infty\). Betrachtet man also die Funktionen \(\tilde f(s) = f(-\ln s)\) und \(\tilde g(s)=g(-\ln s)\), so sind diese stetig auf \((0,1]\) und erfüllen \(\lim_{s\to0} \tilde f(s) / s= \lim_{s\to0}\tilde g(s) / s=0\). Wählt man nun speziell die Punkte \(z=n\in{\mathbb N}_0\), so folgt \[\begin{split} \int_0^1 s^n \tilde f(s) \frac{{\,\mathrm d}s}s= \int_0^\infty {\mathrm e}^{-nt}f(t) {\,\mathrm d}t &= \mathcal L[f](n)\\ &= \mathcal L[g](n) = \int_0^\infty {\mathrm e}^{-nt}g(t) {\,\mathrm d}t = \int_0^1 s^n \tilde g(s) \frac{{\,\mathrm d}s}{s} \end{split}\] und, da nach dem Weierstraßschen Approximationssatz die Menge der Polynome dicht in \(\mathrm C[0,1]\) ist, damit die Behauptung \(\tilde f=\tilde g\). ◻
Bemerkung: Der Eindeutigkeitssatz gilt ebenso für meßbare lokal essentiell beschränkte Funktionen \(f\) und \(g\), sowie allgemeiner für die Laplacetransformierten von Radonmaßen. Die Aussage gilt auch für die Menge \(S={\mathbb N}\), wie gerade gezeigt, oder allgemeiner für eine Menge \(S=\{z_k\;:\; k\in{\mathbb N}_0\} \subset \{z\;:\; \Re z > 0 \}\) mit \[\sum_{k=0}^\infty\left( 1- \left|\frac{z_k-1}{ z_k+1}\right|\right) =\infty,\] vorausgesetzt \(\delta\le0\) und sowohl \(\mathcal L[f]\) als auch \(\mathcal L[g]\) sind beschränkt in der rechten Halbebene (Satz von Müntz-Szasz).
Satz 3.9 (Laplace, Bromwichintegral34). Sei \(f\) stetig mit \(\delta_{\cal L}(f)<\gamma\). Dann gilt für jeden Punkt \(t>0\), in welchem \(f\) hölderstetig ist \[\label{eq:3:BromwichInt} f(t) = \frac1{2\pi{\mathrm i}} \;\mathrm{v.p.} \int_{\gamma-{\mathrm i}\infty}^{\gamma+{\mathrm i}\infty} {\mathrm e}^{tz} \mathcal L[f](z) {\,\mathrm d}z = \lim_{R\to\infty} \frac1{2\pi{\mathrm i}} \int_{\gamma-{\mathrm i}R}^{\gamma+{\mathrm i}R} {\mathrm e}^{tz} \mathcal L[f](z) {\,\mathrm d}z.\]
Proof. Es gilt für \(\gamma>\delta_{\cal L}(f)\) und jedes \(t>0\) \[\begin{split} &\frac1{2\pi{\mathrm i}} \int_{\gamma-{\mathrm i}R}^{\gamma+{\mathrm i}R} {\mathrm e}^{tz} \int_0^\infty {\mathrm e}^{-zs} f(s){\,\mathrm d}s{\,\mathrm d}z = \frac1{2\pi{\mathrm i}} \int_0^\infty \left( \int_{\gamma-{\mathrm i}R}^{\gamma+{\mathrm i}R} {\mathrm e}^{(t-s)z}{\,\mathrm d}z \right) f(s){\,\mathrm d}s\\ & = \frac1\pi \int_0^\infty \frac{{\mathrm e}^{{\mathrm i}R(t-s)}- {\mathrm e}^{-{\mathrm i}R(t-s)}}{2{\mathrm i}} \frac{{\mathrm e}^{(t-s)\gamma}}{t-s} f(s){\,\mathrm d}s\\ & = \frac1\pi \int_0^\infty \frac{\sin((t-s)R)}{(t-s)} {{\mathrm e}^{(t-s)\gamma}} f(s) {\,\mathrm d}s = \frac1\pi \int_{-t}^\infty \frac{\sin (R\tau)}{\tau} {{\mathrm e}^{-\gamma \tau }} f\left(t+\tau\right) {\,\mathrm d}\tau \end{split}\] mit der Substitution \(\tau=s-t\). Wir setzen \(g(t) = {\mathrm e}^{-\gamma t}f(t)\) für \(t\ge0\) und \(g(t)=0\) für \(t<0\). Dann ergibt obiges Integral \[\begin{split} &= {\mathrm e}^{\gamma t} \frac1\pi \int_{-\infty}^\infty \frac{\sin (R\tau)}{\tau} g(t+\tau) {\,\mathrm d}\tau\\ &= {\mathrm e}^{\gamma t} \frac1\pi \int_{-\infty}^\infty \frac{\sin (R\tau)}{\tau}\left( g\left(t+\tau \right) - g(t) \right){\,\mathrm d}\tau + f(t) \frac1\pi \int_{-\infty}^\infty \frac{\sin\tau}{\tau} {\,\mathrm d}\tau, \end{split}\] und es bleibt, das den Grenzwert für \(R\to\infty\) zu untersuchen. Da \[\label{eq:3:euler-int} \int_{-\infty}^\infty \frac{\sin\tau}{\tau} {\,\mathrm d}\tau = \pi\] gilt, liefert der zweite Summand den Wert \(f(t)\). Wir zerlegen das erste Integral in drei Teile \[\label{eq:3:Brom-teile} \begin{split} \int_{-\infty}^\infty \frac{\sin( R\tau)}{\tau} & \left( g(t+\tau ) - g(t) \right){\,\mathrm d}\tau \\ =& \int_{-B}^B \frac{ g(t+\tau ) - g(t) }\tau \sin( R\tau) {\,\mathrm d}\tau\\& + \int_{|\tau|>B} \frac{g(t+\tau)}{\tau} \sin (R\tau) {\,\mathrm d}\tau - g(t) \int_{|\tau|>B} \frac{\sin (R\tau)}{\tau}{\,\mathrm d}\tau \end{split}\] und betrachten diese einzeln. Wir betrachten zuerst die letzten beiden Terme. Aufgrund der Konvergenz des uneigentlichen Integrals gilt \[\lim_{B\to\infty} \int_{|\tau|>B} \frac{\sin( R\tau)}{\tau}{\,\mathrm d}\tau = \lim_{B\to\infty} \int_{|\tau|>RB} \frac{\sin \tau}{\tau}{\,\mathrm d}\tau = 0\] und (gleichmäßig in \(R>1\)) kann \(B\) so groß gewählt werden, daß der dritte Term betragsmäßig kleiner \(\epsilon/3\) ist. Weiter gilt \[\lim_{B\to\infty} \int_{|\tau|>B} \left| \frac{g(t+\tau)}{\tau} \sin( R\tau) {\,\mathrm d}\tau \right| \le \lim_{B\to\infty} \int_{|\tau|>B} \frac{|g(t+\tau)|}{\tau} {\,\mathrm d}\tau =0\] aufgrund der exponentiellen Schranke \(g(t)\le \mathcal O( {\mathrm e}^{-(\delta-\gamma)t})\) für \(\delta_{\cal L}(f)<\delta<\gamma\) und der damit verbundenen absoluten Integrierbarkeit. Wir vergrößern \(B\) bis auch der zweite Term kleiner als \(\epsilon/3\) ist. Es bleibt der erste Term. Für diesen verwenden wir das bekannte Riemann–Lebesgue-Lemma, für jede absolut integrierbare Funktion \(h : [a,b]\to {\mathbb C}\) gilt \[\lim_{R\to\infty} \int_a^b h(\tau) \sin( R\tau) {\,\mathrm d}\tau = 0.\] Da \(f\) und damit auch \(g\) als in \(t\) hölderstetig angenommen wurde, existiert ein \(\alpha>0\) und eine Zahl \(A\), so daß \[\left| \frac{g(t+\tau) - g(t)}{\tau} \right| \le \frac{A}{|\tau|^{1-\alpha}}\] für \(\tau\in [-B,B]\) gilt. Damit ist die linke Seite aber absolut integrierbar über \([-B,B]\) und mit dem Riemann–Lebesgue-Lemma strebt der erste Term in für \(R\to\infty\) gegen Null. Also kann \(R\) so groß gewählt werden, daß dieser betragsmäßig kleiner \(\epsilon/3\) ist. Also ist das gesamte Integral in betragsmäßig kleiner \(\epsilon\) für hinreichend großes \(R\) und, da \(\epsilon\) beliebig war, folgt \[\lim_{R\to\infty} \frac1{2\pi{\mathrm i}} \int_{\gamma-{\mathrm i}R}^{\gamma+{\mathrm i}R} {\mathrm e}^{tz} \mathcal L[f](z) {\,\mathrm d}z = f(t)\] und der Satz ist gezeigt. ◻
Bemerkung. Die Voraussetzungen lassen sich leicht abschwächen. Ist \(f\) von beschränkter Variation, ist also Differenz monotoner Funktionen, so gilt die Inversionsformel in allen Stetigkeitspunkten von \(f\) und liefert in Sprungstellen den Mittelwert \[\frac1{2\pi{\mathrm i}} \;\mathrm{v.p.} \int_{\gamma-{\mathrm i}\infty}^{\gamma+{\mathrm i}\infty} {\mathrm e}^{tz} \mathcal L[f](z) {\,\mathrm d}z = \frac{f(t+0)-f(t-0)}{2}\] der Grenzwerte \(f(t-0)=\lim_{s\nearrow t} f(s)\) und \(f(t+0)=\lim_{s\searrow t} f(s)\).
Nachfolgendes Theorem hilft uns, zu zeigen, daß eine gegebene holomorphe Funktion im Bild der Laplacetransformation liegt und damit die Inversionsformel anwendbar ist. Zusammen mit dem Verschiebungssatz ergeben sich entsprechende Aussagen für andere Halbebenen.
Satz 3.10. Sei \(F:\Sigma_{\pi/2}\to {\mathbb C}\) stetig und holomorph im Inneren der Halbebene \(\Re z>0\). Angenommen, es gilt \(F\in\mathbf o(1)\) gleichmäßig im Sektor \(\Sigma_{\pi/2}\) sowie \[\int_{-\infty}^\infty |F({\mathrm i}z)|{\,\mathrm d}z <\infty.\] Dann konvergiert \[f(t) = \frac1{2\pi{\mathrm i}} \int_{-{\mathrm i}\infty}^{{\mathrm i}\infty} {\mathrm e}^{tz} F(z) {\,\mathrm d}z\] gleichmäßig in \(t\ge 0\) und bestimmt eine stetige Funktion \(f:{\mathbb R}_+\to{\mathbb C}\), für welche \[F(z) = \mathcal L[f](z) = \int_0^\infty {\mathrm e}^{-tz} f(t) {\,\mathrm d}t\] für alle \(\Re z > 0\) gilt.
Proof. Daß \(f(t)\) stetig ist, folgt direkt aus \[\left| f(t) - \frac1{2\pi{\mathrm i}} \int_{-{\mathrm i}R}^{{\mathrm i}R} {\mathrm e}^{zt} F(z) {\,\mathrm d}z \right| \le \frac1{2\pi} \int_{{\mathbb R}\setminus[-R,R]} |F({\mathrm i}z)| {\,\mathrm d}z \to 0,\qquad R\to\infty ,\] also der gleichmäßigen Konvergenz des uneigentlichen Integrals. Weiter gilt für \(\Re z>0\) aufgrund der absoluten Konvergenz beider Integrale \[\begin{split} \frac1{2\pi{\mathrm i}} \int_0^\infty {\mathrm e}^{-t z} \int_{-{\mathrm i}\infty}^{{\mathrm i}\infty} {\mathrm e}^{t\zeta} F(\zeta) {\,\mathrm d}\zeta {\,\mathrm d}t &= \frac1{2\pi{\mathrm i}} \int_{-{\mathrm i}\infty}^{{\mathrm i}\infty} F(\zeta) \int_0^\infty {\mathrm e}^{-t(z-\zeta)} {\,\mathrm d}t {\,\mathrm d}\zeta \\ &= \frac1{2\pi{\mathrm i}} \int_{-{\mathrm i}\infty}^{{\mathrm i}\infty} \frac{F(\zeta)}{z-\zeta}{\,\mathrm d}\zeta. \end{split}\] Andererseits gilt für \(\Re z>0\) mit der Cauchyschen Integralformel für den Weg \(\Gamma_R\) bestehend aus dem Halbkreisbogen \(|\zeta|=R\) und dem Intervall \({\mathrm i}[- R,R]\) für \(R>|z|\) \[F(z) = \frac1{2\pi{\mathrm i}} \oint_{\Gamma_R} \frac{F(\zeta)}{z-\zeta}{\,\mathrm d}\zeta \quad \longrightarrow\quad \frac1{2\pi{\mathrm i}} \int_{-{\mathrm i}\infty}^{{\mathrm i}\infty} \frac{F(\zeta)}{z-\zeta}{\,\mathrm d}\zeta,\] da nach Voraussetzung das Integral über den Halbkreisbogen für \(R\to\infty\) gegen Null strebt. ◻
Beispiel 3.11 (Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten). Zu lösen sei \[\sum_{k=0}^m \alpha_k f^{(k)}(t) = g(t)\] mit Konstanten \(\alpha_k\in{\mathbb C}\) und für eine gegebene rechte Seite \(g:{\mathbb R}\to{\mathbb C}\), \(\ln(1+ |g|)\in\mathcal O(t)\) für \(t\to\infty\). Weiterhin nehmen wir an, daß \[f^{(k)}(0) = \beta_k\in{\mathbb C},\qquad k=0,1,\ldots m-1\] gilt. Dann kann das Problem durch Anwenden der Laplacetansformation gelöst werden. Wir nehmen an, daß \(\ln(1+ |f^{(k)}|) \in \mathcal O(t)\) für \(t\to\infty\) und alle \(k\in\{0,1,\ldots,m\}\) gilt (was wir entweder a priori zeigen oder hinterher nachrechnen können) und erhalten aus den elementaren Rechenregeln der Laplacetransformation für \(F = \mathcal L[f]\) und mit \(G= \mathcal L[g]\) \[\left( \sum_{k=0}^m \alpha_k z^k \right) F(z) = \sum_{k=0}^m \alpha_k \sum_{\ell=0}^{k-1} z^{k-1-\ell} f^{(\ell)}(0) + G(z),\] wenn man die Polynome \[p(z) = \sum_{k=0}^m \alpha_k z^k\qquad\text{und}\qquad q_\ell(z) = \sum_{k=\ell+1}^{m} \alpha_k z^{k-1-\ell}\] einführt ergibt sich also \[p(z) F(z) = \sum_{\ell=0}^{m-1} \beta_\ell q_\ell(z) + G(z).\] Damit folgt \[F(z) = \sum_{\ell=0}^{m-1} \beta_\ell \frac{q_\ell(z)}{p(z)} + \frac{G(z)}{p(z)}.\] mit rationalen Funktionen \(q_\ell(z)/p(z)\) (die im Bild der Laplacetransformation liegen) und der Funktion \(G(z)/p(z)\) (auf die zumindest für \(m\ge2\) obige Bildcharakterisierung anwendbar ist). Zur Rücktransformation nutzen wir eine Partialbruchzerlegung der rationalen Funktionen \(q_\ell(z)/p(z)\) und \(1/p(z)\).
Wir skizzieren dies nur für den Fall, daß \(p(z)\) nur einfache Nullstellen \(\lambda_1,\ldots, \lambda_m\) besitzt. Dann gilt wegen \(\deg q_\ell<\deg p\) \[\frac1{p(z)} = \sum_{k=1}^m \frac{\gamma_k}{z-\lambda_k}\qquad\text{und}\qquad \frac{q_\ell(z)}{p(z)} = \sum_{k=1}^m q_\ell(\lambda_k) \frac{\gamma_k }{z-\lambda_k}\] mit \[\gamma_k = \lim_{z\to \lambda_k} \frac{z-\lambda_k}{p(z)}\] und damit unter Ausnutzung des Faltungssatzes \[f(t) = \sum_{\ell=0}^{m-1} \beta_\ell \sum_{k=1}^{m} q_\ell(\lambda_k) \gamma_k {\mathrm e}^{\lambda_k t} + \sum_{k=1}^m \gamma_k \int_0^t {\mathrm e}^{\lambda_k (t-s)} g(s) {\,\mathrm d}s.\] Der Fall mehrfacher Nullstellen verbleibt als Übung.
Beispiel 3.12 (Differentialgleichungen mit Gedächtnis). Nur ein Beispiel. Wir betrachten \[f''(t) - 2 f'(t) + f(t) = f\star g(t) = \int_0^t g(t-s) f(s){\,\mathrm d}s\] zu Anfangsdaten \(f(0)=a\) und \(f'(0)=b\) und für einen gegebenen laplacetransformierbaren Kern \(g\). Die Laplacetransformierte \(F=\mathcal L[f]\) erfüllt dann \[(z^2-2z+1) F(z) - (z-2)f(0) - f'(0) = F(z) G(z)\] mit \(G=\mathcal L[g]\) und besitzt damit die explizite Form \[F(z) = \frac{a(z-2)+b}{(z-1)^2-G(z)}.\] Wählt man speziell \(g(t) = {\mathrm e}^{-\lambda t}\) so ergibt sich damit \(G(z) = 1/(z+\lambda)\) \[F(z) = \frac{a(z-2)(z+\lambda)+b(z+\lambda)}{(z-1)^2(z+\lambda)-1}\] und Rücktransformation mittels Partialbruchzerlegung liefert die explizite Lösung.
3.13. Asymptotisches Verhalten der Funktion \(f:{\mathbb R}_+\to{\mathbb C}\) spiegelt sich im Verhalten der Laplacetransformierten wieder. Einerseits impliziert jede Abschätzung der Form \(|f(t)|\le C {\mathrm e}^{\delta t}\) schon die Holomorphie der Laplacetransformierten in der Halbebene \(\{z : \Re z>\delta\}\). Die Umkehrung gilt nicht notwendigerweise, da die Inversionsformel durch das Bromwichintegral oft nur in einer kleineren Halbebene (absolut) konvergiert.
Lemma 3.1.
Angenommen, \(f\in\mathcal O({\mathrm e}^{\delta t})\) für \(t\to\infty\). Dann gilt \(\mathcal L[f]\in\mathfrak A(\{z:\Re z>\delta\})\).
Angenommen, für ein laplacetransformierbares \(f\) gilt
\(\mathcal L[f]\in\mathfrak A(\{z:\Re z\ge\delta\})\);
\(\mathcal L[f]\) ist beschränkt und strebt gegen Null entlang jeder vertikalen Linien; und
\(F_\gamma(\sigma) = \mathcal L[f](\gamma+{\mathrm i}\sigma)\) erfüllt \(F_\gamma \in \mathrm L^1({\mathbb R})\) für ein \(\gamma\ge\delta\).
Dann gilt \(f\in\mathcal O({\mathrm e}^{\gamma t})\).
Proof. (1) klar. \(\bullet\) folgt durch direktes Nachrechnen. Da \(\mathcal L[f]\) auf Streifen gleichmäßig gegen Null für \(\Im z\to\pm\infty\) strebt (Phragmén–Lindelöf), kann der Integrationsweg des Bromwichintegrals bis zur Linie \(\Re z=\gamma\) verschoben werden. Aufgrund der absoluten Konvergenz gilt dann \[|f(t)| = \frac1{2\pi} \left| \int_{\gamma-{\mathrm i}\infty}^{\gamma+{\mathrm i}\infty} {\mathrm e}^{z t} \mathcal L[f](z){\,\mathrm d}z \right| \le \frac{{\mathrm e}^{\gamma t}}{2\pi} \int_{-\infty}^\infty| F_\gamma(\sigma)|{\,\mathrm d}\sigma \in\mathcal O({\mathrm e}^{\gamma t}),\qquad t\to\infty ,\] und die Behauptung folgt. ◻
Das gerade gezeigte Lemma kann direkt auf asymptotische Entwicklungen angewandt werden. Man beachte die Diskrepanz zwischen beiden Richtungen, in der einen erhalten wir nur eine Beschränktheit entlang vertikaler Linien (außerhalb der Pole), während für die Rückrichtung absolute Integrierbarkeit (zumindest entlang einer vertikalen Linie) benötigt wird.
Proposition 3.14.
Angenommen, die Funktion \(f :{\mathbb R}_+ \to {\mathbb C}\) besitzt die asymptotische Entwicklung \[f(t) \sim \sum_{k} \sum_{\ell=0}^{\nu_k-1} \alpha_{k,\ell} t^\ell {\mathrm e}^{\lambda_k t} ,\qquad t\to\infty\] für eine Folge \(\lambda_k\) mit \(\Re \lambda_k\searrow-\infty\), Vielfachheiten \(\nu_k\) und Koeffizienten \(\alpha_{k,\ell}\in{\mathbb C}\). Dann besitzt die Laplacetransformierte \(\mathcal L[f] \in \mathfrak A(\{z:\Re z>\Re \lambda_1\})\) eine meromorphe Fortsetzung auf \({\mathbb C}\) mit Polen in \(\lambda_k\) der Vielfachheit \(\nu_k\). Genauer gilt für jedes \(N\) \[\mathcal L[f](z) - \sum_{k=1}^{N-1} \sum_{\ell=0}^{\nu_k-1} \alpha_{k,\ell} \frac{\ell!}{(z-\lambda_k)^{\ell+1}} \in \mathfrak A( \{ z: \Re z>\Re \lambda_N\})\] und die Funktionen sind jeweils im Laplacebild.
Angenommen, \(\mathcal L[f] \in \mathfrak A(\{z :\Re z>\delta_{\cal L}(f)\})\) besitzt eine meromorphe Fortsetzung auf die Halbebene \(\{ z : \Re z \ge \delta \}\) für ein \(\delta<\delta_{\cal L}(f)\) mit endlich vielen Polen, \[\mathcal L[f](z) - \sum_{k=1}^n \sum_{\ell=0}^{\nu_k-1} \alpha_{k,\ell} \frac{\ell!}{(z-\lambda_k)^{\ell+1}} \in \mathfrak A( \{ z: \Re z>\delta\}),\] und es gilt für ein \(\gamma>\delta_{\cal L}(f)\) und gleichmäßig in \(\sigma\in[\delta,\gamma]\) \[\label{eq:3:hkonv-ann} \lim_{s\to\pm\infty} \mathcal L[f](\sigma+{\mathrm i}s) = 0\] sowie die absolute Integrierbarkeit der Fortsetzung entlang der Linien \(\Re z=\delta\). Dann gilt \[f(t) - \sum_{k=1}^n \sum_{\ell=0}^{\nu_k-1} \alpha_{k,\ell} t^\ell {\mathrm e}^{\lambda_k t} \in \mathcal O ({\mathrm e}^{\delta t}),\qquad t\to\infty.\]
Proof. (1) folgt direkt aus obigem Lemma. \(\bullet\) bedarf des Nachrechnens. Wir verschieben den Integrationsweg des Bromwich-Integrals wie in Abbildung rechts skizziert und lassen danach die horizontalen Reststücken ins Unendliche laufen. Dann gilt für hinreichend großes \(R\) und jedes \(t>0\) \[\begin{split} f(t) - \sum_{k=1}^n \sum_{\ell=0}^{\nu_k-1} \alpha_{k,\ell} t^\ell {\mathrm e}^{-\lambda_k t} = \frac1{2\pi{\mathrm i}} \int_{\Gamma_R} {\mathrm e}^{zt} \mathcal L[f](z){\,\mathrm d}z \longrightarrow \frac1{2\pi{\mathrm i}} \int_{\delta-{\mathrm i}\infty}^{\delta+{\mathrm i}\infty} {\mathrm e}^{zt} \mathcal L[f](z){\,\mathrm d}z \end{split}\] und die Konvergenz für \(R\to\infty\) folgt aus der Konvergenz der vertikalen Integralreste (aus der Konvergenz als Hauptwertintegral über die Linie \(\Re z=\gamma\)) sowie aus der Konvergenz der horizontalen Integrale als Konsequenz von . Also folgt \[\begin{split} \left| f(t) - \sum_{k=1}^n \sum_{\ell=0}^{\nu_k-1} \alpha_{k,\ell} t^\ell {\mathrm e}^{-\lambda_k t} \right| \le \frac1{2\pi} {\mathrm e}^{\delta t} \int_{-\infty}^{\infty} | \mathcal L[f](\delta+{\mathrm i}\sigma)|{\,\mathrm d}\sigma \in \mathcal O({\mathrm e}^{\delta t}) \end{split}\] und damit die Behauptung. ◻
3.15. Die absolute Integrierbarkeit kann erzwungen werden, indem man statt der zu untersuchenden Funktion \(f:[0,\infty)\to {\mathbb C}\) eine geglättete Funktion \(f_\varphi : [0,\infty)\to{\mathbb C}\) \[f_\varphi(t) = \int_0^t f(t-s) \varphi(s) {\,\mathrm d}s = f\star \varphi (t)\] für einen geeigneten Kern \(\varphi\) betrachtet. Da dann \(\mathcal L[f_\varphi](z)=\mathcal L[f](z)\,\mathcal L[\varphi](z)\) gilt, erweist es sich dabei als günstig wenn \(\mathcal L[\varphi]\) entlang horizontaler Linien schnell fällt, \(\mathcal L[f]\) höchstens schwach wächst und die Asymptotik von \(f\) und \(f_\varphi\) in einem sinnvollen Zusammenhang stehen.
Eine mögliche Wahl für \(\varphi\) sind die Funktionen \(\varphi(t) = (1-{\mathrm e}^{-t})^{\alpha}\) mit \(\Re\alpha>0\). Dann gilt \(\varphi(0)=0\) und für \(\alpha\not\in{\mathbb N}\) ist \[\begin{split} \mathcal L[\varphi](z) &= \int_0^\infty {\mathrm e}^{-zt} (1-{\mathrm e}^{-t})^{\alpha} {\,\mathrm d}t \\&= \int_0^1 s^{z-1} (1-s)^{\alpha} {\,\mathrm d}s = \mathrm B(z,\alpha+1) = \frac{\Gamma(z)\Gamma(\alpha+1)}{\Gamma(z+\alpha+1)} \end{split}\] als Betafunktion meromorph mit einfachen Nullstellen in den Punkten \(z+\alpha+1\in -{\mathbb N}_0\) und einfachen Polstellen in den Punkten \(z\in-{\mathbb N}_0\). Für \(\alpha\in{\mathbb N}_0\) ist die Darstellung einfacher und es gilt \[\mathcal L[\varphi](z) = \int_0^\infty {\mathrm e}^{-zt} (1-{\mathrm e}^{-t})^{\alpha} {\,\mathrm d}t = \frac{\alpha!}{z(z+1)\cdots (z+\alpha)}\] als rationale Funktion mit Polen in \(\{-\alpha,\ldots,0\}\) und keinen Nullstellen. Die Mittel \[f_\varphi (t) = f\star\varphi(t) = \int_0^t f(t-s) (1-{\mathrm e}^{-s})^{\alpha}{\,\mathrm d}s\] werden oft als Riesz-Mittel 35 bezeichnet. Sie werden uns bei der Mellintransformation und bei Dirichletreihen nochmals begegnen.
Mitunter ist es nur schwer möglich, eine holomorphe Fortsetzung der Laplacetransformierten zu konstruieren bzw. es interessiert nur der erste Term der Asymptotik. Nachfolgendes Theorem hilft diesen ersten Term zu rekonstruieren. Die Voraussetzung der Positivität von \(f\) ist notwendig für die Rückrichtung (taubersches Theorem), für die Hinrichtung wird diese nicht benötigt (das zugehörige abelsches Theorem).
Satz 3.16 (Hardy36–Littlewood37, Karamata38). Sei \(\ln (1+|f|)\in \mathcal O(\ln t)\). Dann gelten die folgenden beiden Aussagen:
Angenommen, es gilt \[\label{eq:HardyLittlewood-1} \int_0^t f(s){\,\mathrm d}s \sim \frac{\alpha}{\rho} t^{\rho},\qquad t\to\infty,\] dann folgt für die Laplacetransformierte \(\mathcal L[f]\) \[\label{eq:HardyLittlewood-2} \mathcal L[f](z) \sim \frac{\alpha \Gamma(\rho)}{z^{\rho}}\qquad z\to+0.\]
Angenommen, \(f\ge0\) und die Laplacetransformierte \(\mathcal L[f]\) erfüllt . Dann folgt .
Proof. (i) Sei \(F(t) = \int_0^t f(s){\,\mathrm d}s\). Dann gilt mit majorisierter Konvergenz \[\begin{split} z^\rho \mathcal L[f](z) &= z^{\rho+1} \mathcal L[F](z) = z^{\rho+1} \int_0^\infty {\mathrm e}^{-z t} F(t) {\,\mathrm d}t = z^{\rho} \int_0^\infty {\mathrm e}^{-t} F\left(\frac tz\right) {\,\mathrm d}t \\ &= \int_0^\infty {\mathrm e}^{-t} (z+t)^{\rho} \left(1+\frac tz\right)^{-\rho} F\left(\frac tz\right) {\,\mathrm d}t \\ & \longrightarrow \int_0^\infty {\mathrm e}^{-t} t^{\rho} {\,\mathrm d}t \,\frac{\alpha}\rho = \alpha \Gamma(\rho) \end{split}\] für \(z\to0\) unter Ausnutzung der Majorante \({\mathrm e}^{-t}(1+t)^{\rho}\) für \(0<z<1\), da \[\sup_{t,z} \left(1+\frac tz\right)^{-\rho} | F\left(\frac tz\right)| = \sup_s (1+s)^{-\rho} |F(s)|<\infty\] nach Voraussetzung . \(\bullet\) Das ist der eigentliche taubersche Satz von Hardy und Littlewood, wir folgen dem Beweis von Karamata. Wegen gilt für \(z\to+0\) und \(k\in{\mathbb N}\) \[\begin{split} \mathcal L[f](kz) = \int_0^\infty {\mathrm e}^{-kzt} f(t){\,\mathrm d}t \sim \alpha \frac{\Gamma(\rho)}{k^\rho z^{\rho}} = \frac{\alpha}{k^\rho z^\rho} \int_0^\infty {\mathrm e}^{-kt} (kt)^{\rho} \frac{{\,\mathrm d}t}t = \frac{\alpha}{z^\rho} \int_0^\infty {\mathrm e}^{-kt} t^{\rho} \frac{{\,\mathrm d}t}t \end{split}\] und damit auch für jedes Polynom \(p\) \[\int_0^\infty p({\mathrm e}^{-tz}) {\mathrm e}^{-tz} f(t) {\,\mathrm d}t \sim \frac{\alpha}{z^\rho} \int_0^\infty p({\mathrm e}^{-t}) {\mathrm e}^{-t} t^{\rho-1}{\,\mathrm d}t,\qquad z\to+0,\] also auch \[\lim_{z\to+0} z^{\rho-1} \int_0^\infty p({\mathrm e}^{-t}) {\mathrm e}^{-t} f(t/z) {\,\mathrm d}t = {\alpha} \int_0^\infty p({\mathrm e}^{-t}) {\mathrm e}^{-t} t^{\rho-1}{\,\mathrm d}t.\] Da die Menge der Polynome dicht im Raum \(\mathrm C([0,1])\) ist, gilt diese Aussage sogar für jedes \(p\in\mathrm C([0,1])\). Um den Beweis zu führen, wählen wir passende stetige Funktionen. Sei für gegebenes \(\epsilon>0\) die Funktion \(g_\epsilon\in\mathrm C([0,1])\) so gewählt, daß \[g_\epsilon(s) \ge \begin{cases} 1/s,\quad & 1/{\mathrm e}\le s\le 1, \\ 0 , & 0\le s<1/{\mathrm e}, \end{cases}\] sowie \[\int_0^\infty {\mathrm e}^{-t} g_\epsilon ({\mathrm e}^{-t}) t^{\rho-1}{\,\mathrm d}t \le \int_0^1 t^{\rho-1} {\,\mathrm d}t + \epsilon\] erfüllt ist. Mit dieser Funktion folgt \[\begin{split} \limsup_{z\to+0} z^{\rho-1} \int_0^1 f(t/z) {\,\mathrm d}t & \le \limsup_{z\to+0} z^{\rho-1} \int_0^\infty {\mathrm e}^{-t} g_\epsilon({\mathrm e}^{-t}) f(t/z) {\,\mathrm d}t \\ &= {\alpha} \int_0^\infty {\mathrm e}^{-t} g_\epsilon({\mathrm e}^{-t}) t^{\rho-1}{\,\mathrm d}t \le \alpha \left(\frac1\rho + \epsilon\right) \end{split}\] Analog gilt mit einer stetigen Funktion \(h_\epsilon\in\mathrm C([0,1])\), für die \[0 \le h_\epsilon(s) \le \begin{cases} 1/s,\quad & 1/{\mathrm e}\le s\le 1, \\ 0 , & 0\le s<1/{\mathrm e}, \end{cases}\] sowie \[\int_0^\infty {\mathrm e}^{-t} h_\epsilon({\mathrm e}^{-1}) t^{\rho-1}{\,\mathrm d}t \ge \int_0^1 t^{\rho-1} {\,\mathrm d}t - \epsilon\] gilt, auch \[\begin{split} \liminf_{z\to+0} z^{\rho-1} \int_0^1 f(t/z) {\,\mathrm d}t &\ge \liminf_{z\to+0} z^{\rho-1} \int_0^\infty h_\epsilon(t) f(t/z) {\,\mathrm d}t \\&= {\alpha} \int_0^\infty h_\epsilon(t) t^{\rho-1}{\,\mathrm d}t \ge \alpha \left(\frac1\rho - \epsilon\right). \end{split}\] Da \(\epsilon>0\) beliebig war, folgt \[\frac{\alpha}{\rho} = \lim_{z\to+0} z^{\rho-1} \int_0^1 f(t/z) {\,\mathrm d}t = z^\rho \int_0^{1/z} f(s) {\,\mathrm d}s\] und damit die Behauptung. ◻
Der Vollständigkeit halber sei noch das entsprechende Aussagenpaar für Erzeugendenfunktionen erwähnt. Das Modellbeispiel eines abelschen Theorems ist der abelsche Grenzwertsatz.
Satz 3.17 (Abel). Angenommen, die Reihe \(\sum_{n=0}^\infty a_n = A\) konvergiert. Dann gilt \[\lim_{z\to1-} G_a(z) = \lim_{z\to1-} \sum_{n=0}^\infty a_n z^n = A.\]
Proof. Wir beschränken uns auf den Fall \(A=0\), der Rest ergibt sich durch Ändern des ersten Folgengliedes. Da die Reihe konvergiert, gilt \(a=(a_n)_{n\in{\mathbb N}_0}\in \mathbf o(1)\) und somit auch \(\rho(a)\ge 1\). Also ist die Erzeugendenfunktion \(G_a(z)\) auf \(B_1 = \{ z\in{\mathbb C}\,:\, |z|<1\}\) holomorph und die absolute Konvergenz der Reihe impliziert \[G_a(z) = \sum_{n=0}^\infty a_n z^n = \sum_{n=0}^\infty (A_n-A_{n-1}) z^n = (1-z) \sum_{n=0}^\infty A_n z^n = (1-z) G_A(z)\] mit \(A_n = \sum_{k=0}^n a_k\to0\). Sei nun \(\epsilon>0\) beliebig und \(N\) so groß, daß \(|A_n|<\frac{\epsilon}2\) für \(n\ge N\). Dann folgt für alle \(z\in[0,1)\) \[\left| (1-z) G_A(z)\right| \le (1-z)\sum_{n=0}^{N-1} |A_n| + \frac{\epsilon}2 (1-z) \sum_{N}^\infty z^n \le (1-z) \sum_{n=0}^{N-1} |A_n| + \frac\epsilon2\] und für \(z\) nahe genug bei \(1\) ist auch der erste Term kleiner \(\epsilon/2\). Da \(\epsilon\) beliebig war, folgt die Behauptung. ◻
Eine erste teilweise Umkehrung des abelschen Grenzwertsatzes geht auf Tauber39 zurück. Er zeigte, daß für abelsummierbare Reihen mit der Zusatzbedingung \((a_n)_{n\in{\mathbb N}_0} \in \mathbf o(n^{-1})\) stets Konvergenz folgt. Zum Beweis betrachten wir für \(z\in[0,1)\) \[\begin{split} \sum_{n=0}^\infty a_n z^n - \sum_{n=0}^{N} a_n &= \sum_{n=0}^N a_n (z^n-1) + \sum_{n=N+1}^\infty a_n z^n \\ &= \sum_{n=N+1}^\infty n a_n \frac{z^n}n + (z-1)\sum_{n=0}^N a_n \sum_{k=0}^{n-1} z^k \\ &=S_1(z) + S_2(z) \end{split}\] und nutzen, daß \[|S_1(z)| < \frac{\epsilon}{N+1} \sum_{n=N+1}^\infty z^n \le \frac\epsilon{(N+1)(1-z)} < \epsilon\] aufgrund von \(na_n \in\mathbf o(1)\) und für \(N=\lfloor 1/(1-z)\rfloor\), sowie \[|S_2(z)| < (1-z) \sum_{n=0}^N n |a_n| \le \frac1N \sum_{n=0}^N n |a_n| \to 0,\qquad N\to\infty,\] da wiederum \(na_n\in\mathbf o(1)\). Littlewood verbesserte dieses Theorem zu der wesentlich schwächeren Zusatzbedingung \((a_n)_{n\in{\mathbb N}_0}\in \mathcal O(n^{-1})\). Wir werden dies als Folgerung aus Satz erhalten.
Satz 3.18 (Littlewood). Angenommen, die Reihe \(\sum_n a_n\) ist abelsummierbar zum Grenzwert \(A\), d.h. es gilt \[\lim_{z\to1-} G_a(z) = \lim_{z\to1-} \sum_{n=0}^\infty a_n z^n = A.\] Gilt dann zusätzlich \((a_n)_{n\in{\mathbb N}_0}\in \mathcal O(n^{-1})\), so folgt \[\sum_{n=0}^\infty a_n = A.\]
Theorem entspringt einer Variante dieser Sätze, wir betrachten die Cesàro-Konvergenz einer Folge \(a_n\) gegen den Grenzwert \(A\) und setzen diese in Bezug zum asymptotischen Verhalten der Erzeugendenfunktion \(G_a(z)\) für \(z\to1-\). Als Hilfsaussage nutzen wir folgendes Lemma von Titchmarsh. Es ist wiederum ein abelsches Theorem.
Lemma 3.19 (Titchmarsh40). Angenommen zwei nichtnegative Folgen \(a,b\in\mathbb F_+\) erfüllen \(a\sim b\) und \(\rho(a)\ge 1\). Gilt dann \(\lim_{z\to 1-} G_a(z)=+\infty\), so folgt \(G_a(z)\sim G_b(z)\) für \(z\to 1-\).
Proof. Da \(a\sim b\) gilt, existiert zu jedem \(\epsilon>0\) ein \(N\) mit \(|a_n-b_n|\le \frac\epsilon2 a_n\) und damit für \(z\in[0,1)\) \[\begin{split} \left| G_a(z) - G_b(z) \right| \le \sum_{n=0}^\infty |a_n -b_n| z^n \le \sum_{n=0}^{N-1} |a_n-b_n| + \frac{\epsilon}2 \sum_{n=N}^\infty a_n z^n \end{split}\] und da \(G_a(z)\to+\infty\) für \(z\to1\) existiert ein \(\delta>0\), so daß für alle \(z\in(1-\delta,1)\) der erste Summand kleiner ist als \(\frac\epsilon2 G_a(z)\). Damit folgt \[|G_a(z)-G_b(z)|\le \epsilon G_a(z),\qquad 1-\delta<z<1,\] und da \(\epsilon>0\) beliebig war auch die Behauptung. ◻
Es genügt, die Positivität für große \(n\) zu fordern.
Satz 3.20 (Hardy–Littlewood).
Angenommen, es gilt \[\label{eq:3:a-Ces} \lim_{n\to\infty} \frac1{n+1} \sum_{k=0}^n a_k = A .\] Dann folgt \[\label{eq:3:Ga-as} G_a(z) =\sum_{n=0}^\infty a_n z^n \sim \frac A{1-z},\qquad z\to1-.\]
Angenommen, die Erzeugendenfunktion \(G_a\) erfüllt und es gilt \(\inf_n a_n>-\infty\). Dann gilt .
Im Falle \(A=0\) ist als \(G_a(z)\in\mathbf o((1-z)^{-1})\) für \(z\to1\) zu interpretieren.
Proof. (i) Dies folgt aus obigem Lemma. Sei dazu \(A_n = \sum_{k=0}^n a_k\). Da nach Voraussetzung nun \(A_n\sim A\, (n+1)\) gilt, folgt \[G_A(z) = \sum_{n=0}^\infty A_n z^n \sim A \sum_{n=0}^\infty (n+1)z^n = \frac{A}{(1-z)^2},\qquad z\to1-,\] und mit \(G_a(z) = (1-z)G_A(z)\) auch die Behauptung. \(\bullet\) Der Beweis folgt wiederum Karamata. Durch Addition einer konstanten Folge können wir den Beweis auf den Fall \(a_n\ge0\) und \(A>0\) reduzieren. Gilt nun , so folgt durch Ersetzen von \(z\) durch \(z^{k+1}\) für \(z\to1-\) \[\begin{split} G_a(z^{k+1}) =\sum_{n=0}^\infty a_n z^{(k+1)n} &\sim \frac A{1-z^{k+1}} = \frac A{(1-z)(z^{k}+\cdots+z+1)}\\& \sim \frac A{(k +1)(1-z)} \end{split}\] und damit \[\lim_{z\to1-} (1-z) \sum_{n=0}^\infty a_n z^n z^{kn} = \frac A{k+1} = A \int_0^1 t^k {\,\mathrm d}t,\qquad k\in{\mathbb N}_0.\] Also gilt für jedes Polynom \(p\) \[\lim_{z\to1-} (1-z) \sum_{n=0}^\infty a_n z^n p( z^{n} )= A \int_0^1 p(t) {\,\mathrm d}t.\] Die Dichtheit der Polynome in \(\mathrm C[0,1]\) liefert dieses Resultat für jede stetige Funktion \(p\). Approximieren wir nun wiederum \[g(t) = \begin{cases} 1/t,\qquad & 1/{\mathrm e}\le t\le 1\\ 0,& 0\le t< 1/{\mathrm e}\end{cases}\] von oben und von unten durch stetige Funktionen \(g_\epsilon\) und \(h_\epsilon\) mit \(\epsilon\)-Integralfehler, so ergibt sich speziell mit \(z={\mathrm e}^{-1/N}\) \[\limsup_{N\to\infty} (1-{\mathrm e}^{-1/N}) \sum_{n=0}^N a_n \le A \int_0^1 g_\epsilon(t){\,\mathrm d}t \le A \int_{1/{\mathrm e}}^1 \frac{ {\,\mathrm d}t}t +A \epsilon = A(1+\epsilon)\] und entsprechend \[\liminf_{N\to\infty} (1-{\mathrm e}^{-1/N}) \sum_{n=0}^N a_n \ge A \int_0^1 h_\epsilon(t){\,\mathrm d}t \ge A \int_{1/{\mathrm e}}^1 \frac{ {\,\mathrm d}t}t -A \epsilon = A(1-\epsilon)\] und da \(\epsilon\) beliebig war folgt mit \(1-{\mathrm e}^{-1/N}\sim 1/N\) die Behauptung. ◻
Der oben erwähnte Satz von Littlewood folgt aus dem gerade gezeigten Satz von Hardy und Littlewood.
Beweis zu Littlewood’s \(\mathcal O\)-Satz, Satz . Sei also \(a_n\) eine Folge, für die \(G_a(z) \to A\) für \(z\to1-\) strebt. Durch Ändern des ersten Folgengliedes können wir dies auf den Fall \(A=0\) reduzieren, es gelte also \(G_a(z) \in \mathbf o(1)\), \(z\to1-\). Dann gilt für \(z\in[0,1)\) und mit \(a_n\in\mathcal O(n^{-1})\) \[\begin{gathered} G_a''(z) = \sum_{n=2}^\infty n (n-1) a_n z^{n-2} \\ \in \mathcal O\left( \sum_{n=2}^\infty (n-1) z^{n-2}\right) = \mathcal O\left(\frac1{(1-z)^2}\right),\qquad z\to1-.\end{gathered}\] Damit folgt aber41 \[G_a'(z) = \sum_{n=1}^\infty n a_n z^{n-1} \in \mathbf o\left( \frac1{1-z}\right),\qquad z\to1-.\] Setzt man nun \(a_n\in\mathcal O(n^{-1})\) voraus, so ist \(|na_n|\le c\) beschränkt und nach Voraussetzung gilt \[\sum_{n=1}^\infty \left(1-\frac{n a_n}c\right) z^{n-1} = \frac1{1-z} - \frac{G_a'(z)}{c} \sim \frac1{1-z},\qquad z\to1-\] und nach dem Hardy–Littlewood-Theorem folgt \[\sum_{k=1}^n \left(1-\frac{k a_k}c\right) \sim n\] und damit \(\sum_{k=1}^n k a_k \in \mathbf o(n)\). Dies impliziert die Behauptung, es gilt mit \(b_n = \sum_{k=1}^n ka_k\) \[\begin{split} G_a(z) - a_0 &= \sum_{n=1}^\infty \frac{b_{n}-b_{n-1}}{n} z^n = \sum_{n=1}^\infty b_n \left(\frac{z^n}{n} - \frac{z^{n+1}}{n+1}\right)\\ & = \sum_{n=1}^\infty b_n \left( \frac{z^{n}-z^{n+1}}{n+1} + \frac{z^n}{n(n+1)} \right)\\ & = (1-z) \sum_{n=1}^\infty \frac{b_n}{n+1} z^n + \sum_{n=1}^\infty \frac{b_n}{n(n+1)}z^n \end{split}\] und da \(b_n\in\mathbf o(n)\) gilt, ist der erste Term \(\mathbf o(1)\) für \(z\to1-\) und da \(\lim_{z\to1-}G_a(z)=0\) gilt, folgt auch \[\lim_{z\to1-} \sum_{n=1}^\infty \frac{b_n}{n(n+1)}z^n = -a_0.\] Da nun aber die Koeffizienten in \(\mathbf o(1/n)\) sind, folgt mit dem tauberschen \(\mathbf o\)-Satz \[\sum_{n=1}^\infty \frac{b_n}{n(n+1)} = -a_0\] und mit \[\sum_{n=1}^\infty \frac{b_n}{n(n+1)} = \sum_{n=1}^\infty b_n \left( \frac 1n - \frac1{n+1}\right) = \sum_{n=1}^\infty \frac{b_n-b_{n-1}}n = \sum_{n=1}^\infty a_n\] folgt die Behauptung. ◻
Während für die Sätze von Hardy–Littlewood und Karamata nur das reelle Verhalten der Laplacetransformierten oder der Erzeugendenfunktion eine Rolle spielt, ist nachfolgendes Theorem ein komplexes taubersches Theorem. Der Satz von Wiener–Ikehara beruht auf dem Verhalten der Laplacetransformierten auf der Konvergenzhalbebene und ihrem Randverhalten.
Satz 3.21 (Wiener42–Ikehara43). Sei \(f:[0,\infty)\to{\mathbb R}\) monoton wachsend mit \(\delta_{\cal L}(f)=1\). Sei weiter \(F(z) = \mathcal L[f](z)\) die zugeordnete Laplacetransformierte. Angenommen, für eine Konstante \(A\in{\mathbb C}\) ist die Funktion \[G(z) = F(z) - \frac A{z-1}\] stetig auf die abgeschlossene Halbebene \(\{z\,:\,\Re z\ge1\}\) fortsetzbar. Dann gilt \[\lim_{t\to\infty} {\mathrm e}^{-t} f(t) = A.\]
Proof. Wir nutzen die Hilfsfunktionen \[k_\lambda(\tau) = \max\{ 1- |\tau|/\lambda, 0\},\qquad \widehat k_\lambda(t) = \frac1{2\pi} \int_{-\lambda}^\lambda k_\lambda (\tau) {\mathrm e}^{{\mathrm i}\tau t} {\,\mathrm d}\tau = \frac \lambda {2\pi} \left( \frac{\sin(\lambda t/2)}{\lambda t/2}\right)^2,\] für die mittels Fubini \[\begin{split} \int_0^\infty \widehat k_\lambda(t-s) {\mathrm e}^{-\sigma s} {\,\mathrm d}s &= \frac1{2\pi} \int_{-\lambda}^\lambda k_\lambda (\tau) {\mathrm e}^{{\mathrm i}\tau t} \int_0^\infty {\mathrm e}^{-s (\sigma+{\mathrm i}\tau)}{\,\mathrm d}s {\,\mathrm d}\tau\\ &= \frac1{2\pi} \int_{-\lambda}^\lambda k_\lambda (\tau) \frac{{\mathrm e}^{{\mathrm i}\tau t}}{\sigma+{\mathrm i}\tau} {\,\mathrm d}\tau \end{split}\] für \(\sigma>0\) und entsprechend \[\begin{split} \int_0^\infty \widehat k_\lambda(t-s) {\mathrm e}^{-\sigma s} f(s) {\,\mathrm d}s &= \frac1{2\pi} \int_{-\lambda}^\lambda k_\lambda (\tau) {\mathrm e}^{{\mathrm i}\tau t} \int_0^\infty {\mathrm e}^{-s (\sigma+{\mathrm i}\tau)} f(s) {\,\mathrm d}s {\,\mathrm d}\tau\\ & = \frac1{2\pi} \int_{-\lambda}^\lambda k_\lambda (\tau) {\mathrm e}^{{\mathrm i}\tau t} F(\sigma+{\mathrm i}\tau) {\,\mathrm d}\tau \end{split}\] für \(\sigma>1\) gilt. Also gilt unter Ausnutzung von \(F(z) = G(z) + \frac{A}{z-1}\) \[\begin{split} \int_0^\infty & \widehat k_\lambda(t-s) f(s) {\mathrm e}^{-\sigma s}{\,\mathrm d}s \\ &= \frac{A}{2\pi} \int_{-\lambda}^\lambda k_\lambda (\tau) \frac{{\mathrm e}^{{\mathrm i}\tau t}}{\sigma+{\mathrm i}\tau-1} {\,\mathrm d}\tau + \frac1{2\pi} \int_{-\lambda}^\lambda k_\lambda (\tau) {\mathrm e}^{{\mathrm i}\tau t} G(\sigma+{\mathrm i}\tau) {\,\mathrm d}\tau \\ &= A \int_0^\infty \widehat k_\lambda(t-s) {\mathrm e}^{-s(\sigma-1)} {\,\mathrm d}s + \frac1{2\pi} \int_{-\lambda}^\lambda k_\lambda (\tau) {\mathrm e}^{{\mathrm i}\tau t} G(\sigma+{\mathrm i}\tau) {\,\mathrm d}\tau. \end{split}\] Da nach Voraussetzung \(G\) stetig auf die abgeschlossene Halbebene \(\{\Re z\ge 1\}\) fortsetzbar ist, konvergiert \(\lim_{\sigma\to 1} G(\sigma+{\mathrm i}\tau) = G(1+{\mathrm i}\tau)\) gleichmäßig in \(\sigma\in[-\lambda,\lambda]\) und es folgt \[\int_0^\infty \widehat k_\lambda(t-s) f(s) {\mathrm e}^{- s}{\,\mathrm d}s = A \int_0^\infty \widehat k_\lambda(t-s) {\,\mathrm d}s + \frac1{2\pi} \int_{-\lambda}^\lambda k_\lambda (\tau) {\mathrm e}^{{\mathrm i}\tau t} G(1+{\mathrm i}\tau) {\,\mathrm d}\tau.\] Da der letzte Summand aufgrund des Riemann–Lebesgue-Lemmas für \(t\to\infty\) gegen Null strebt, folgt \[\lim_{t\to\infty} \int_0^\infty \widehat k_\lambda(t-s) f(s) {\mathrm e}^{- s}{\,\mathrm d}s = A \lim_{t\to\infty} \int_0^\infty \widehat k_\lambda(t-s) {\,\mathrm d}s = A.\] Bisher haben wir die Monotonie von \(f\) noch nicht genutzt, dies ist die eigentliche taubersche Bedingung. Es gilt \[\begin{split} A &= \lim_{t\to\infty} \int_0^\infty \widehat k_\lambda(t-s) f(s) {\mathrm e}^{- s}{\,\mathrm d}s = \lim_{t\to\infty} \int_{-\infty}^{\lambda t} \widehat k(s) f(t-s/\lambda) {\mathrm e}^{ s/\lambda-t}{\,\mathrm d}s\\ & \ge \limsup_{t\to\infty} \int_{-a}^{a} \widehat k(s) f(t-s/\lambda) {\mathrm e}^{ s/\lambda-t}{\,\mathrm d}s\\ & \ge \limsup_{t\to\infty} f(t-a/\lambda) {\mathrm e}^{-a/\lambda-t} \int_{-a}^{a} \widehat k(s){\,\mathrm d}s\\ \end{split}\] und damit \[\limsup_{t\to\infty} f(t) {\mathrm e}^{-t} = \limsup_{t\to\infty} f(t-a/\lambda) {\mathrm e}^{a/\lambda-t} \le {\mathrm e}^{-2a/\lambda} \frac{A }{ \int_{-a}^{a} \widehat k(s){\,\mathrm d}s}.\] Speziell mit \(a=\sqrt\lambda\) und für \(\lambda\to\infty\) folgt \(\limsup_{t\to\infty} f(t) {\mathrm e}^{-t} \le A\). Andererseits gilt mit \(M = \sup_{t>0} f(t) {\mathrm e}^{-t}\) (was nach dem gerade gezeigten ja endlich ist) \[\begin{split} A & = \lim_{t\to\infty} ( \int_{-b}^b + \int_{-\infty}^{-b} + \int_{b}^{\lambda t} ) \; \widehat k(s) f(t-s/\lambda) {\mathrm e}^{ s/\lambda-t}{\,\mathrm d}s \\ & \le \liminf_{t\to\infty} f(t+b/\lambda) {\mathrm e}^{b/\lambda - t} \int_{-b}^b \widehat k(s) {\,\mathrm d}s + 2 M \int_b^\infty \frac{{\,\mathrm d}s}{s^2} \end{split}\] unter Ausnutzung der Abschätzung \(\widehat k(s) \le 1/s^2\). Also folgt \[\liminf_{t\to\infty} f(t) {\mathrm e}^{-t} = \liminf_{t\to\infty} f(t+b/\lambda) {\mathrm e}^{-b/\lambda-t} \ge {\mathrm e}^{2 b/\lambda} \frac{A -2 M / b}{ \int_{-b}^b \widehat k(s) {\,\mathrm d}s }\] und mit \(b=\sqrt\lambda\) und \(\lambda\to\infty\) folgt \(\liminf_{t\to\infty} f(t) {\mathrm e}^{-t}\ge A\) und damit die Behauptung. ◻
3.22. Aus der Laplacetransformation entsteht durch Substitution \(t=\ln s\) die (einseitige) Mellintransformation 44. Das erlaubt das direkte Übertragen der meisten Sätze. Für Funktionen \(f:[1,\infty)\to{\mathbb C}\) betrachtet man dazu \[\label{eq:3:Mell-Def1} {\mathcal M}_+[f] (z) = \int_1^\infty t^{-z} f(t)\frac{{\,\mathrm d}t}t, \qquad \Re z>\delta_{\cal M} (f)\] für \[\delta_{\cal M}(f) = \limsup_{t\to\infty} \frac{\ln |f(t)|}{\ln t}.\] Ersetzt man \(t\) durch \(1/t\) und betrachtet also Funktionen \(f:(0,1]\to{\mathbb C}\), so ergibt sich als Gegenstück die (einseitige) Mellintransformation
\[\label{eq:3:Mell2-Def} {\mathcal M}_-[f] (z) = \int_0^1 t^{-z} f(t)\frac{{\,\mathrm d}t}t, \qquad \Re z<\eta_{\cal M} (f)\] mit \[\eta_{\cal M}(f) = \liminf_{t\to0} \frac{\ln |f(t)|}{\ln t}.\] Diese ist ebenso linear und erfüllt entsprechende Eigenschaften. Ebenso von Interesse ist die Summe beider, vorausgesetzt \(f:{\mathbb R}_+\to{\mathbb C}\) erfüllt \(\delta_{\cal M}(f) < \eta_{\cal M}(f)\). Die dadurch entstehende Integraltransformation \[\label{eq:3:Mell-Def} \mathcal M[f] (z) = \int_0^\infty t^{-z} f(t)\frac{{\,\mathrm d}t}t, \qquad \delta_{\cal M}(f)< \Re z<\eta_{\cal M} (f)\] wird als die (zweiseitige) Mellintransformation bezeichnet.
Proposition 3.23.
Sei \(\ln (1+|f(t)|) \in\mathcal O(\ln t)\) für \(t\to\infty\) und gelte \[\delta_{\cal M}(f) = \limsup_{t\to\infty} \frac{\ln |f(t)|}{\ln t} <\infty.\] Dann ist die einseitige Mellintransformation \[\label{eq:3:Mell-Def+} {\mathcal M}_{+}[f] (z) = \int_1^\infty t^{-z} f(t)\frac{{\,\mathrm d}t}{t}, \qquad \Re z >\delta_{\cal M}(f),\] holomorph in der Halbebene \(\{ z\in{\mathbb C}\;:\; \Re z> \delta_{\cal M}(f)\}\) und erfüllt für jedes \(\delta>\delta_{\cal M}(f)\) die Abschätzung \[|{\mathcal M}_+[f](z)|\le \frac{C}{\Re z-\delta},\qquad \Re z>\delta.\]
Sei \(\ln (1+|f(t)|) \in\mathcal O(\ln t)\) für \(t\to0\) und gelte \[\eta_{\cal M}(f) = \liminf_{t\to\infty} \frac{\ln |f(t)|}{\ln t} >-\infty.\] Dann ist die einseitige Mellintransformation \[\label{eq:3:Mell-Def-} {\mathcal M}_-[f] (z) = \int_0^1 t^{-z} f(t)\frac{{\,\mathrm d}t}t, \qquad \Re z <\eta_{\cal M} (f),\] holomorph in der Halbebene \(\{ z\in{\mathbb C}\;:\; \Re z< \eta_{\cal M}(f)\}\) und erfüllt für jedes \(\eta<\eta_{\cal M}(f)\) die Abschätzung \[|{\mathcal M}_-[f](z)|\le \frac{C}{\eta-\Re z},\qquad \Re z<\eta.\]
Die einseitigen Mellintransformationen sind linear.
Es gilt der Faltungssatz \[{\mathcal M}_+[f\circledast_+ g](z) = {\mathcal M}_+[f](z)\; {\mathcal M}_+[g](z),\qquad \Re z > \max \{ \delta_{\cal M}(f), \delta_{\cal M}(g)\}\] für die Mellinfaltung \[f \circledast_+ g (t) = \int_1^t f\left(\frac ts\right) g(s) \frac{{\,\mathrm d}s}s.\]
Es gilt der Faltungssatz \[{\mathcal M}_-[f\circledast_- g](z) = {\mathcal M}_-[f](z)\; {\mathcal M}_-[g](z),\qquad \Re z < \min \{ \eta_{\cal M}(f), \eta_{\cal M}(g)\}\] für die Mellinfaltung \[f \circledast_- g (t) = \int_t^1 f\left(\frac ts\right) g(s) \frac{{\,\mathrm d}s}s.\]
Es gilt der Faltungssatz \[\begin{gathered} \mathcal M[f\circledast g](z) = \mathcal M[f](z)\; \mathcal M[g](z),\\ \max\{ \delta_{\cal M}(f), \delta_{\cal M}(g)\} < \Re z < \min \{ \eta_{\cal M}(f), \eta_{\cal M}(g)\}\end{gathered}\] für die zweiseitige Mellinfaltung \[f \circledast g (t) = \int_0^\infty f\left(\frac ts\right) g(s) \frac{{\,\mathrm d}s}s.\]
Es gilt für \(g(t) = t^\mu f(t)\) der Dämpfungssatz \[{\mathcal M}_\pm[g](z) = {\mathcal M}_\pm[f](z-\mu).\]
Für \(g(t) = tf'(t)\) gilt der Differentiationssatz \[{\mathcal M}_+[g](z) = z{\mathcal M}_+[f](z) - f(1),\qquad {\mathcal M}_-[g](z) = z{\mathcal M}_-[f](z) + f(1)\] und damit insbesondere \[\mathcal M[g](z) = z \mathcal M[f](z).\]
Für hölderstetiges \(f\) gilt punktweise die Inversionsformel \[f(t) = \frac1{2\pi{\mathrm i}}\mathrm{v.p.} \int_{\gamma-{\mathrm i}\infty}^{\gamma+{\mathrm i}\infty} t^z \mathcal M[f](z) {\,\mathrm d}z\] mit \(\delta_{\cal M}(f)<\gamma<\eta_{\cal M}(f)\) und entsprechend \[f(t) = \frac1{2\pi{\mathrm i}}\mathrm{v.p.} \int_{\gamma-{\mathrm i}\infty}^{\gamma+{\mathrm i}\infty} t^z {\mathcal M}_\pm [f](z) {\,\mathrm d}z ,\qquad t^{\pm 1} >1.\]
Proof. Die meisten Aussagen ergeben sich aus denen für die Laplacetransformation oder ebenso durch direktes Nachrechnen. Der Beweis verbleibt als Übung. ◻
Beispiel 3.24 (Differentialgleichungen vom Fuchstyp45). Gegeben sei die Differentialgleichung \[\sum_{k=0}^m \alpha_k (t\partial_t)^kf(t)=g(t)\] mit Koeffizienten \(\alpha_k\in\mathbb{C}\), einseitig mellintransformierbarer rechter Seite \(\ln (1+|g|) \in\mathcal O(\ln t)\) für \(t\to 0\) und (End-) Werten in \(t=1\) \[(t\partial_t)^k f(t)\bigg|_{t=1}=\beta_k\in{\mathbb C}\qquad k=0,1,\ldots, m-1 .\] Die einseitige Mellintransformation liefert daraus \[\sum_{k=0}^m \alpha_k z^k {\mathcal M}_-[f](z) = - \sum_{k=0}^m \alpha_k \sum_{\ell=0}^{k-1} \beta_\ell z^{k-\ell-1} +{\mathcal M}_-[g](z),\] also mit den Polynomen \[p(z) = \sum_{k=0}^m \alpha_k z^k,\quad\text{und}\quad q_\ell(z)=\sum_{k=\ell+1}^m \alpha_k z^{k-1-\ell}\] die Darstellung \[{\mathcal M}_-[f](z) = - \sum_{\ell=0}^{m-1} \beta_\ell \frac{q_\ell(z)}{p(z)}+\frac{{\mathcal M}_-[g](z)}{p(z)},\qquad\Re z<\eta_{\cal M}(f),\] der Mellintransformierten \({\mathcal M}_-[f](z)\) in Abhängigkeit der Daten \(\beta_k\) und der rechten Seite \(g\). Wir beschränken uns auf den Fall einfacher Nullstellen. Bezeichnet man diese mit \(\lambda_k\), \(k=1,\ldots m\), so ergeben sich die Partialbruchzerlegungen \[\frac{1}{p(z)}=\sum_{k=1}^m \frac{\gamma_k}{z-\lambda_k},\qquad \frac{q_\ell(z)}{p(z)} = \sum_{k=1}^m q_\ell(\lambda_k) \frac{\gamma_k}{z-\lambda_k}\] für die auftretenden Terme und die Rücktransformation liefert \[f(t)=- \sum_{\ell=0}^{m-1} \beta_\ell \sum_{k=1}^mq_\ell(\lambda_k) \gamma_k t^{\lambda_k} +\sum_{k=1}^m\gamma_k \int_t^1 g\left(\frac ts\right) s^{\lambda_k}\frac{{\,\mathrm d}s}{s}.\] Der auftretende Integralterm ist dabei eine Mellinfaltung. Der Fall mehrfacher Nullstellen ist entsprechend und enthält neben Potenzen noch logarithmische Terme.
Beispiel 3.25 (Besselsche Differentialgleichung). Gegeben sei die Differentialgleichung \[t^2f''(t)+tf'(t)+(t^2-\nu^2)f(t)=0\] zum Parameter \(\nu\in{\mathbb C}\). Wir suchen Lösungen in der Nähe von \(t=0\) bzw. das Verhalten von Lösungen für \(t\rightarrow 0\). Die einseitige Mellintransformation liefert ausgehend von \[\left( (t\partial_t)^2-\nu^2\right) f(t)+t^2f(t)= 0\] die Gleichung \[(z^2-\nu^2){\mathcal M}_-[f](z)+{\mathcal M}_-[f](z-2) = -az-b\] zu Werten \(f(1)=a\) und \(f'(1)=b\). Weiß man \(f\in\mathcal{O}_{t\to0}(t^\delta)\) für ein \(\delta\), so ist \(\mathcal{M}_-[f]\) holomorph für \(\Re z<\delta\). Die Funktionalgleichung \[\label{eq:2-bessel-Mrec} \mathcal{M}_-[f](z)=-\frac{az+b}{z^2-\nu^2}-\frac{\mathcal{M}_-[f](z-2)}{z^2-\nu^2}\] liefert eine meromorphe Fortsetzung auf \(\mathbb{C}\) mit Polen in den Punkten \(2k+\nu\) und \(2k-\nu\) für \(k\in\mathbb{N}_0\), siehe Bild . Wir nehmen an, dass \(\nu\not\in\mathbb Z\). Dann sind alle Pole einfach und die Residuen der Pole in \(\pm\nu\) bestimmen alle weiteren Residuen. Sei (\(-\) weil wir \({\mathcal M}_-\) nutzen) \[\mathop{\mathrm{Res}}(\mathcal{M}_-[f];\;z=-\nu)=-\alpha,\qquad\qquad \mathop{\mathrm{Res}}(\mathcal{M}_-[f];\;z=\nu)=-\beta.\] Dann ist \[\begin{split} \mathop{\mathrm{Res}}(\mathcal{M}_-[f];\;z=2k-\nu)&=-\prod_{\ell=1}^k\frac{-\alpha}{(2\ell-\nu)^2-\nu^2} =-(-1)^k\alpha\prod_{\ell=1}^k\frac{1}{4\ell(\ell-\nu)},\\ \mathop{\mathrm{Res}}(\mathcal{M}_-[f];\;z=2k+\nu)&=-\prod_{\ell=1}^k\frac{-\beta}{(2\ell+\nu)^2-\nu^2}=-(-1)^k\beta\prod_{\ell=1}^k\frac{1}{4\ell(\ell+\nu)}. \end{split}\] Je weiter wir nach rechts fortsetzen, desto schneller fällt die Funktion für größer werdende Imaginärteile. Dies folgt direkt aus der Rekursion . Damit liefern die Inversionsformel zusammen mit dem Integralsatz von Cauchy \[\begin{split} f(t)&=\alpha t^{-\nu}+\beta t^\nu+\frac{1}{2\pi{\mathrm i}} \mathrm{v.p.} \int_{1-{\mathrm i}\infty}^{1+{\mathrm i}\infty}t^z\mathcal{M}_-[f](z){\,\mathrm d}z \\ &=\alpha t^{-\nu}+\beta t^\nu-\frac{\alpha}{4(1-\nu)} t^{-\nu+2}-\frac{\beta}{4(1+\nu)} t^{\nu+2}+\frac{1}{2\pi{\mathrm i}}\int_{3-{\mathrm i}\infty}^{3+{\mathrm i}\infty}t^z {\mathcal M}_-[f](z){\,\mathrm d}z \\ &= \alpha t^{-\nu}\sum_{\ell=0}^{k} \frac{(-1)^\ell}{4^\ell \ell! \,(\ell+1-\nu)_\ell}t^{2\ell} +\beta t^\nu\sum_{\ell=0}^{k} \frac{(-1)^\ell }{4^\ell k!\,(\ell+1+\nu)_\ell}t^{2\ell} \\&\qquad+ \frac1{2\pi {\mathrm i}}\int_{2k+1-{\mathrm i}\infty}^{2k+1+{\mathrm i}\infty} t^z\mathcal{M}_-[f](z){\,\mathrm d}z \end{split}\] für jedes \(k\in\mathbb N\) und unter Ausnutzung der Pochhammersymbole \((a)_\ell = a \cdots (a-\ell+1)\). Das auftretende Integral konvergiert absolut für hinreichend großes \(k\), die angegebenen Reihen sind also asymptotisch. Sie sind allerdings auch konvergent und bestimmen zwei linear unabhängige Lösungen der Besselschen Differentialgleichung. Mit \(\alpha=\beta=1\) ergeben sich auf diese Weise die Besselfunktionen \(\mathcal J_{\pm \nu}(z)\) für \(\nu\not\in\mathbb Z\).
Für ganzzahliges \(\nu\in{\mathbb N}\) ergibt sich die Situation von Bild und wir unterscheiden zwei Fälle. Besitzt \(\mathcal{M}_-[f]\) einen einfachen Pol in \(z=\nu\), so ergeben sich auch einfache Pole in \(z=\nu+k\), \(k\in\mathbb{N}\) (und Nullstellen für \({\mathcal M}_-[f](z)\) in \(z\in \{-\nu-1,-\nu,1-\nu,\ldots,\nu-1\}\)). Dies führt zur Besselfunktion \(\mathcal J_n(t)\). Besitzt \(\mathcal{M}_-[f]\) andererseits einen einfachen Pol in \(z=-\nu\), so folgt ein zweifacher Pol in \(z=+\nu\) und entsprechend in \(z=\nu+2k\), \(k\in\mathbb{N}\). Bei entsprechender Wahl der beiden Residuen in \(\pm\nu\) erhält man auf diese Weise die Weberfunktion \(\mathcal Y_n(t)\) als Lösung der Besselschen Differentialgleichung.
Für \(\nu = 0\) gilt entsprechendes. Besitzt \(\mathcal{M}_-[f]\) in \(z=0\) einen einfachen Pol, so ergeben sich einfache Pole in \(z=2k\), \(k\in\mathbb{N}\) und damit die Lösung \[\mathcal J_0(t)=\sum_{k=0}^\infty \alpha_k t^{2k},\qquad \alpha_0=1.\] Besitzt \(\mathcal{M}_-[f]\) einen zweifachen Pol in \(z=0\) mit Residuum 0, so ergeben sich auch zweifache Pole in \(z=2k\), \(k\in\mathbb{N}\) und damit die Lösung \[\mathcal Y^{(0)}(t)=\ln t \sum_{k=0}^\infty \alpha_k t^{2k} +\sum_{k=1}^\infty \beta_k t^{2k}= \mathcal J_0(t) \ln t +\sum_{k=1}^\infty \beta_k t^{2k}\] mit entsprechenden \(\beta_k\). Das entspricht der auf Neumann zurückgehenden zweiten Lösung der Besselschen Differentialgleichung. Für die Webersche Funktion \(\mathcal Y_0(t)\) ist das Residuum in \(z=0\) entsprechend anders zu wählen.
3.26. In der multiplikativen Zahlentheorie nutzt man als Alternative zu Erzeugendenfunktionen sogenannte Dirichletreihen 46. Diese sind für eine gegebene Folge \(a : {\mathbb N}\to {\mathbb C}\) mit polynomialer Schranke \(\ln (1+|a_n|) \in \mathcal O(\ln n)\) für \(n\to\infty\) definiert als \[\mathcal D[a](z) = \sum_{n=1}^\infty \frac{a_n}{n^{z}},\qquad \Re z > \delta_{\cal D}(a)+1,\] wobei die Wachstumsschranke \[\delta_{\cal D} (a) = \limsup_{n\to\infty} \frac{\ln | a_n|}{\ln n}\] die Konvergenzhalbebene bestimmt. Für alle \(\Re z>\delta_{\cal D}(a)+1\) konvergiert die Dirichletreihe absolut und lokal gleichmäßig. Wir beginnen wieder mit elementaren Eigenschaften, bevor wir uns interessanteren Anwendungen zuwenden.
Proposition 3.27.
Es gilt \(\mathcal D[a]\in \mathfrak A( \{ z\in{\mathbb C}\,:\,\Re z>\delta_{\cal D}(a)+1\})\) zusammen mit der Abschätzung \[\sup_{\Re z>\delta+1} |\mathcal D[a](z)| <\infty\] für jedes \(\delta>\delta_{\cal D}(a)\).
Die Dirichletreihe hängt linear von der Folge \(a: {\mathbb N}\to{\mathbb C}\) ab. Genauer, es gilt \[\delta_{\cal D}(a+b) \le \max\{\delta_{\cal D}(a),\delta_{\cal D}(b)\},\] sowie \[\mathcal D[a+b](z) = \mathcal D[a](z) + \mathcal D[b](z) ,\qquad \Re z> \max\{\delta_{\cal D}(a),\delta_{\cal D}(b)\}+1.\]
Bezeichne zu zwei Folgen \(a,b : {\mathbb N}\to {\mathbb C}\) \[(a\ast b)_n = \sum_{n = k\,\ell} a_k b_\ell\] ihre Dirichletfaltung , so gilt \[\delta_{\cal D}(a\ast b) \le \max \{\delta_{\cal D}(a),\delta_{\cal D}(b)\},\] sowie \[\mathcal D[a\ast b](z) = \mathcal D[a](z) \,\mathcal D[b](z) ,\qquad \Re z> \max\{\delta_{\cal D}(a),\delta_{\cal D}(b)\}+1.\]
Proof. (1) Die Holomorphie folgt direkt aus der absoluten und lokal gleichmäßigen Konvergenz der Reihe, also der Abschätzung \[\begin{gathered} | \mathcal D[a](z) | \le \sum_{n=1}^\infty \frac{|a_n|}{n^{\Re z}} \le C \sum_{n=1}^\infty n^{\delta-\Re z} \\ \le C \left(1+\int_1^\infty t^{\delta-\Re z}{\,\mathrm d}t \right)= C + \frac{C}{\Re z -\delta-1}.\end{gathered}\] für alle \(\Re z-1 > \delta>\delta_{\cal D}(a)\). \(\bullet\) klar. \(\bullet\) folgt aus der absoluten Konvergenz der Reihen und der dadurch erlaubten Umordnung \[\left(\sum_{k=1}^\infty \frac{a_k}{k^z}\right) \left(\sum_{\ell=1}^\infty \frac{b_\ell}{\ell^z} \right) = \sum_{n=1}^\infty \left(\sum_{n=k\,\ell} a_k b_\ell \right) \frac1{n^z} = \sum_{n=1}^\infty \frac{(a\ast b)_n}{n^z}.\] ◻
Beispiel 3.28. Die bekannteste Dirichletreihe ist die Riemannsche \(\zeta\)-Funktion . Diese ist der Folge \(a=\mathbf 1\), also \(a_n=1\) für alle \(n\), zugeordnet, also durch \[\zeta(z) = \mathcal D[\mathbf 1](z) = \sum_{n=1}^\infty \frac1{n^z}\] definiert. Aufgrund majorisierter Konvergenz sieht man, daß \(\lim_{z\to+\infty}\zeta(z)=1\) gilt.
Für weitere Anwendungen benötigen wir die meromorphe Fortsetzung der \(\zeta\)-Funktion. Dazu nutzen wir die Integraldarstellung der \(\Gamma\)-Funktion in der Form \[\frac{ \Gamma(z)}{n^z} = \int_0^\infty {\mathrm e}^{-nt} t^{z-1} {\,\mathrm d}t,\qquad n\in{\mathbb N}, \quad \Re z>0,\] welche nach Einsetzen in die Dirichletreihe und unter Nutzung der geometrischen Summenformel die Integraldarstellung der \(\zeta\)-Funktion \[\zeta(z) = \frac1{\Gamma(z)} \int_0^\infty \frac{ t^{z-1}}{{\mathrm e}^{t}-1} {\,\mathrm d}t ,\qquad \Re z>1\] liefert. Diese kann man in die linke Halbebene fortsetzen, indem man das Integral in einen Teil nahe Null und den Integralrest zerlegt. Der Integralrest ist offenbar ganz, der Teil nahe Null steht im Zusammenhang zu den Bernoullizahlen . Zusammen mit den einfachen Polen der \(\Gamma\)-funktion in \(z\in-\mathbb N_0\) ergibt sich daraus die meromorphe Fortsetzung der \(\zeta\)-Funktion auf \({\mathbb C}\setminus\{0\}\) \[\begin{split} \zeta(z) &= \frac1{\Gamma(z)} \left( \int_0^1\frac{ t^{z-1}}{{\mathrm e}^{t}-1} {\,\mathrm d}t + \int_1^\infty \frac{ t^{z-1}}{{\mathrm e}^{t}-1} {\,\mathrm d}t\right)\\ &= \frac1{\Gamma(z)}\left( \frac1{z-1} - \frac1{2z} + \sum_{n=2}^\infty \frac{\mathrm B_n}{n!}\, \frac{1}{z+n-1} + \int_1^\infty \frac{ t^{z-1}}{{\mathrm e}^{t}-1} {\,\mathrm d}t \right),\qquad z\not\in-{\mathbb N}_0 \end{split}\] mit einem einfachen Pol in \(z=1\) zum Residuum \(\mathop{\mathrm{Res}}(\zeta(z); z=1)=1\), und Nullstellen in den negativen geraden Zahlen (da die Bernoullizahlen \(\mathrm B_{2k+1}=0\), \(k\ge 1\), erfüllen).
Beispiel 3.29. Sei \(\boldsymbol \delta\) die Folge mit \(\boldsymbol \delta_1=1\) und \(\boldsymbol \delta_n=0\) für \(n\ge2\). Dann gilt offenbar \[\boldsymbol \delta \ast a = a = a \ast \boldsymbol \delta\] für jede Folge \(a:{\mathbb N}\to{\mathbb C}\) und ebenso \(\mathcal D[\boldsymbol\delta](z)=1\) für alle \(z\in{\mathbb C}\).
Proposition 3.30. Die Menge aller Folgen \({\mathbb C}^{\mathbb N}= \{ a : {\mathbb N}\to {\mathbb C}\}\) bildet zusammen mit der Addition, skalaren Vielfachen und der Dirichletfaltung als Multiplikation eine Algebra über \({\mathbb C}\) mit Einselement \(\boldsymbol\delta\). Eine Folge \(a\in{\mathbb C}^{\mathbb N}\) ist genau dann bezüglich der Dirichletfaltung \(\ast\) invertierbar, wenn \(a_1\ne0\) gilt. Gilt darüberhinaus \(\delta_{\cal D}(a)<\infty\), so folgt \(\delta_{\cal D}(a^{-\ast})<\infty\) für die Dirichletinverse \(a^{-\ast}\).
Proof. Es ist nur die Invertierbarkeit einer Folge \((a_n)_{n\in{\mathbb N}}\) mit \(a_1\ne0\) zu zeigen. Die Inverse \((b_n)_{n\in{\mathbb N}}\) müsste \(1=a_1b_1\) zusammen mit \[0 = \sum_{k | n} a_k b_{n/k},\qquad n\ge 2\] erfüllen. Ersteres liefert \(b_1=1/a_1\) und letzteres die Rekursion \[b_n = \frac{-1}{a_1} \sum_{k | n,\; k>1} a_k b_{n/k}.\] Besitzt die Folge \(a_n\) eine zugeordnete Dirichletreihe, gilt also \(\delta_{\cal D}((a_n)) < \infty\), so folgt aus \(|a_n|\le C n^\delta\) für \(\delta>\delta_{\cal D}(a)\) per Induktion \(|b_n|\le D n^{\delta+M}\) für \(M\) so groß, daß \(C (\zeta(M)-1)<|a_1|\). Der Induktionsanfang \(|b_1| = 1/|a_1|\le D\) ist klar, der Induktionsschritt folgt aus \[|b_n| \le \frac{ C D }{|a_1|} \sum_{k=2}^n k^\delta (n/k)^{\delta+M} \le D \frac{C (\zeta(M)-1)}{|a_1|} n^{\delta+M} \le D n^{\delta+M}.\] ◻
Korollar 3.31. Zu jeder Dirichletreihe \(\mathcal D[a]\) mit \(a_1\ne0\) existiert eine Zahl \(M\), so daß \(\mathcal D[a](z)\ne0\) für alle \(\Re z>M\) gilt.
Beispiel 3.32. Mitunter weiß man mehr. Für die \(\zeta\)-Funktion gilt die Eulersche Produktdarstellung
\[\zeta(z) = \sum_{n=1}^\infty \frac1{n^z} = \prod_{p\,\text{prim}} \frac1{1-p^{-z}}\] als Produkt über alle Primzahlen \(p\). Da das Produkt für \(\Re z>1\) konvergiert, erfüllt die \(\zeta\)-Funktion \(\zeta(z)\ne0\) für alle \(\Re z>1\). Der Nachweis der Konvergenz der Produktdarstellung verbleibt als Übungsaufgabe.
Dirichletreihen stehen in engem Zusammenhang zur Mellintransformation. Betrachtet man zu einer gegebenen Folge \(a\in{\mathbb C}^{\mathbb N}\) mit \(\delta_{\cal D}(a)<\infty\) die Funktion \(A:[1,\infty)\to {\mathbb C}\) \[A(t) = \sum_{n \le t} a_n,\] so folgt \(\delta_{\cal M}(A)=\delta_{\cal D}(a)+1\) und es gilt \[\begin{split} {\mathcal M}_+[A](z) &= \int_1^\infty t^{-z} A(t) \frac{{\,\mathrm d}t}t = \int_1^\infty t^{-z} \sum_{n \le t} a_n \frac{ {\,\mathrm d}t}t = \sum_{n=1}^\infty a_n \int_n^\infty t^{-z} \frac{{\,\mathrm d}t}t\\ & = \frac1{z} \sum_{n=1}^\infty \frac{a_n}{n^{z}} = \frac1{z} \mathcal D[a](z) \end{split}\] für \(\Re z > \max\{ 0, \delta_{\cal M}(A) \}\). Damit liefert die Inversionsformel der Mellintransformation automatisch auch eine Inversionsformel für Dirichletreihen. Da die Funktion \(A(t)\) stückweise konstant (und damit stückweise hölderstetig) ist, gilt
Satz 3.33 (Inversionsformel von Stieltjes47–Perron48). Sei \(a:{\mathbb N}\to{\mathbb C}\) mit \(\delta_{\cal D}(a)<\infty\). Dann gilt für \(\gamma>\max\{\delta_{\cal D}(a)+1,0\}\) und alle \(t\not\in {\mathbb N}\) \[\label{eq:3:PerronStieltjes} \sum_{n \le t} a_n = \frac1{2\pi{\mathrm i}} \mathrm{v.p.} \int_{\gamma-{\mathrm i}\infty}^{\gamma+{\mathrm i}\infty} t^z \mathcal D[a] (z) \frac{{\,\mathrm d}z}{z},\] während für \(t\in{\mathbb N}\) das Hauptwertintegral den Wert \(\sum_{n<t} a_n + \frac12 a_t\) liefert.
Wir betrachten einige Beispiele, die wichtigsten Hilfsmittel sind Dirichletfaltungen und die schon gezeigten Eigenschaften der Riemannschen \(\zeta\)-Funktion.
Beispiel 3.34. Die Teilerzahl \(d(n) = \#\{ k\in{\mathbb N}\;:\; k|n\}\) erfüllt offenbar \[d(n) = (\mathbf 1 \ast \mathbf 1)_n = \sum_{k|n} 1\] und besitzt damit als zugeordnete Dirichletreihe die Funktion \(\zeta^2(z)\). Allgemeiner sei \(d_k(n)\) die Anzahl der Möglichkeiten, die Zahl \(n\) als Produkt von \(k\) Zahlen zu schreiben. Dann gilt \[\mathcal D[d_k](z) = (\zeta(z))^k,\qquad \Re z>1.\]
Wir nennen eine zahlentheoretische Funktion \(f:{\mathbb N}\to{\mathbb C}\) multiplikativ, falls \[f (mn) = f(m) f(n)\] für alle teilerfremden Zahlen \(m\) und \(n\) gilt.
Proposition 3.35. Sei \(f\) multiplikativ mit \(\delta_{\cal D}(f)<\infty\). Dann gilt für die zugeordnete Dirichletreihe die Produktdarstellung \[\mathcal D[f](z) = \prod_{p\,\text{prim}} \sum_{k=0}^\infty \frac{f(p^k)}{p^{kz}}.\] Umgekehrt impliziert eine solche Produktdarstellung die Multiplikativität von \(f\).
Proof. Der Beweis ist analog zu dem der Eulerschen Produktdarstellung der \(\zeta\)-Funktion und folgt damit direkt aus der Eindeutigkeit der Primfaktorzerlegung natürlicher Zahlen. ◻
Beispiel 3.36. Als Anwendung konstruieren wir die Dirichletinverse \(\mu=\mathbf 1^{-\ast}\). Da nach Definition \(\mathcal D[\mathbf 1](z)=\zeta(z)\) gilt, erfüllt \(\mu\) auch \(\mathcal D[\mu](z) = \frac1{\zeta(z)}\). Damit ist \(\mu\) multiplikativ und erfüllt \[\mathcal D[\mu] = \frac1{\zeta(z)} = \prod_{p\,\text{prim}} \left(1-\frac1{p^z}\right) = \prod_{p\,\text{prim}} \sum_{k=0}^\infty \frac{\mu(p^k)}{p^{kz}} = \sum_n \frac{\mu(n)}{n^z}.\] Somit erhält man \(\mu(1)=1\), \(\mu(p)=-1\) für alle Primzahlen \(p\), und \(\mu(p_1\cdots p_k)=(-1)^k\) für Produkte paarweise verschiedener Primzahlen. Für alle Zahlen \(n\) mit quadratischen Teilern ist \(\mu(n)=0\). Die so konstruierte Funktion \(\mu\) heißt Möbiusfunktion 49 und erfüllt (nach Konstruktion) die Möbiussche Umkehrformel
\[\mu\ast\mathbf 1=\mathbf 1\ast\mu=\boldsymbol\delta.\]
Korollar 3.1 (Möbius). Sei \((a_n)\in{\mathbb C}^{\mathbb N}\) eine Folge und bezeichne \[b_n = \sum_{k|n} a_k.\] Dann gilt \[a_n = \sum_{k|n} \mu(k) b_{n/k}.\]
Beispiel 3.37. Für die Eulersche \(\varphi\)-Funktion
\[\varphi(n) = \# \{ k \le n\,:\, \mathrm{g.g.T.}(k,n)=1 \}\] gilt nach dem Abzählprinzip \[\varphi(n) = n - \sum_{p|n} \frac np + \sum_{p,p'|n} \frac{n}{pp'} - + \cdots = n \prod_{p|n}\left(1-\frac1p\right),\] dabei ist \[\frac np = \# \{ m\le n : p|m\},\qquad \frac{n}{pp'}= \# \{ m\le n : pp'|m\}, \qquad \text{etc.}\] Also gilt \[\varphi = \mu \ast \mathbf n, \qquad n = \varphi\ast \mathbf 1 (n) = \sum_{k|n} \varphi(k),\] letzteres nach der Möbiusschen Umkehrformel. Interessanter für uns ist die Dirichletreihe \[\mathcal D[\varphi](z) = \sum_{n=1}^\infty \frac{\varphi(n)}{n^z} = \sum_{n=1}^\infty \frac{(\mathbf n\ast\mu) (n)}{n^z} = \left(\sum_{n=1}^\infty \frac{n}{n^z}\right)\left(\sum_{n=1}^\infty \frac{\mu(n)}{n^z}\right)=\frac{\zeta(z-1)}{\zeta(z)}.\]
Beispiel 3.38. Sei \(\sigma(n) = \sum_{k|n}k\) die Summe der Teiler der Zahl \(n\). Dann gilt \(\sigma = \mathbf n\ast \mathbf 1\) und somit insbesondere \(\mathcal D[\sigma](z)=\zeta(z)\zeta(z-1)\).
Beispiel 3.39. Die von Mangoldt-Funktion 50 \(\Lambda(n)\) ist durch \(\Lambda(1)=0\), \(\Lambda(p^m)=\ln p\) für \(p\) prim und \(\Lambda(n)=0\) für alle Zahlen mit verschiedenen Primfaktoren definiert. Durch Logarithmieren der Produktdarstellung der \(\zeta\)-Funktion erhält man \[\ln \zeta(z) = \sum_{p\,\text{prim}} \ln \frac1{1-p^{-z}}\] und damit als logarithmische Ableitung der \(\zeta\)-Funktion \[\label{eq:3:vonMang} \begin{split} - \frac{\zeta'(z)}{\zeta(z)} &= - \frac{{\,\mathrm d}}{{\,\mathrm d}z}\ln \zeta(z) = \sum_{p\,\text{prim}} \frac{{\,\mathrm d}}{{\,\mathrm d}z} \ln(1-p^{-z}) = \sum_{p\,\text{prim}} \frac{p^{-z}}{1-p^{-z}} \ln p \\&= \sum_{p\,\text{prim}} \ln p \sum_{k=1}^\infty \frac1{p^{kz}} = \sum_{n=1}^\infty \frac{\Lambda(n)}{n^{z}} = \mathcal D[\Lambda](z). \end{split}\]
Dirichletreihen sind für die Untersuchung des asymptotischen Verhaltens zahlentheoretischer Funktionen von Interesse. Es liegt also nahe, die nun berechneten Dirichletreihen zu invertieren und damit Aussagen über die zugrundeliegenden Folgen zu gewinnen. Während die Dirichletreihen \[\mathcal D[d_k](z)=(\zeta(z))^k,\qquad \mathcal D[\mathbf n](z)=\zeta(z-1)\quad\text{ und }\quad\mathcal D[\sigma](z)=\zeta(z)\zeta(z-1)\] meromorph auf \({\mathbb C}\) mit bekannten Polen und Residuen sind und nur von der schon konstruierten Polstruktur der meromorphen Fortsetzung der \(\zeta\)-Funktion abhängen, sind für die Dirichletreihen \[\mathcal D[\mu](z) = \frac 1{\zeta(z)},\qquad \mathcal D[\varphi](z)=\frac{\zeta(z-1)}{\zeta(z)}\quad\text{ und }\quad \mathcal D[\Lambda](z)=-\frac{\zeta'(z)}{\zeta(z)}\] ebenso die Lage der (nichttrivialen) Nullstellen der \(\zeta\)-Funktion von Bedeutung. Die Riemannsche Vermutung besagt, daß diese sich alle auf der Linie \(\Re z=1/2\) befinden, bekannt ist bisher nur, dass sie im Inneren des Streifens \(0<\Re z<1\) und fast alle in der Nähe von \(\Re z=1/2\) liegen.
Vorbereitend benötigen wir einen tauberschen Satz um Rückschlüsse aus dem Randverhalten der Dirichletreihe auf die Asymptotik der Folge ziehen zu können.
Satz 3.40 (Landau, Ikehara).
Angenommen, eine Folge \(a\in{\mathbb C}^{\mathbb N}\) erfüllt \(\ln |a|\in \mathbf o(\ln n)\). Dann impliziert \[\lim_{n\to\infty} \frac1n \sum_{k=1}^n a_k = A\] für die zugeordnete Dichletreihe \[\mathcal D[a](z) \sim \frac A{z-1} ,\qquad z\to 1+.\]
Angenommen, für eine Folge \(a\in{\mathbb C}^{\mathbb N}\) mit \(a_n\ge0\) und \(\delta_{\cal D}(a)=0\) besitzt \[\mathcal D[a](z) - \frac{A}{z-1}\] eine stetige Fortsetzung auf die abgeschlossene Halbebene \(\{z\;:\;\Re z\ge 1\}\), dann gilt \[\lim_{n\to\infty} \frac1n \sum_{k=1}^n a_k = A.\]
Proof. Nach Voraussetzung gilt \(\delta_{\cal D}(a)=0\) und \(\mathcal D[a]\in\mathfrak A(\{z: \Re z>1\})\). Wir zeigen zuerst das abelsche Theorem (1). Es gilt \(\zeta(z) \sim 1/(z-1)\) und damit insbesondere \[\begin{split} \mathcal D[a](z) - \frac{A}{z-1}& \sim \mathcal D[a](z) -A \zeta(z) = \sum_{n=1}^\infty \frac{a_n-A}{n^{z}}\\ & = \sum_{n=1}^\infty \left(\sum_{k=1}^n (a_k - A)\right) \left(\frac1{n^z}-\frac1{(n+1)^z}\right) \end{split}\] mit partieller Summation. Da sich aber nun die Summanden wie \(\mathbf o(n) \mathcal O(n^{-z-1})=\mathbf o(n^{-z})\) verhalten, ergibt die Summe \(\mathbf o(1/(z-1))\) für \(z\to1\). \(\bullet\) Dies ist der eigentliche Satz von Ikehara, Landau hat die Aussage nur unter stärkeren Voraussetzungen zeigen können. Er kann auf Satz zurückgeführt werden, es gilt mit \(A(t) = \sum_{n\le t} a_n\) \[\frac1z \mathcal D[a](z) = \int_1^\infty t^{-z} A(t) \frac{{\,\mathrm d}t}{t} = \int_0^\infty {\mathrm e}^{-zs} A({\mathrm e}^{s}) {\,\mathrm d}s\] als Laplacetransformierte der Funktion \(s\mapsto A({\mathrm e}^s)\). Die Funktion ist monoton, also gilt \[\lim_{s\to\infty} A({\mathrm e}^s) {\mathrm e}^{-s} = \lim_{t\to\infty} \frac1t A(t)= \lim_{n\to\infty} \frac1n \sum_{k\le n} a_k = A\] und damit die Behauptung. ◻
Aufgrund der Eulerschen Produktdarstellung (Beispiel ) besitzt die \(\zeta\)-Funktion keine Nullstellen in der Halbebene \(\Re z>1\). Daß sie ebenso keine Nullstellen auf der Linie \(\Re z=1\) besitzt, wurde von Hadamard51 gezeigt.
Lemma 3.41 (Hadamard). Es gilt \(\zeta(z)\ne0\) für alle \(z\ne 1\) mit \(\Re z=1\).
Proof. Angenommen, die \(\zeta\)-Funktion besitzt Nullstellen der Ordnung \(\mu\ge0\) in \(z=1+{\mathrm i}\alpha\) und \(\nu\ge0\) in \(z=1+2{\mathrm i}\alpha\) für ein \(\alpha\ne0\). (Dabei sei eine Nullstelle der Ordnung Null einfach keine Nullstelle.) Da \[-\frac{\zeta'(z)}{\zeta(z)} = \sum_{p\,\text{prim}} \frac{\ln p}{p^z-1} = \sum_{p\,\text{prim}} \frac{\ln p}{p^z} + \sum_{p\,\text{prim}} \frac{\ln p}{p^z(p^z-1)}\] gilt und die zweite Reihe für alle \(\Re z>1/2\) absolut und lokal gleichmäßig konvergiert, besitzt auch die erste Reihe einen Pol erster Ordnung in \(z=1\) und \(z=1\pm {\mathrm i}\alpha\) sowie \(1\pm2{\mathrm i}\alpha\). Wir bezeichnen die erste Reihe kurz mit \(\Phi(z)\) und nutzen die Residuen \[\begin{split} &\lim_{\epsilon\to0} \epsilon \Phi(1+\epsilon)=1,\\ &\lim_{\epsilon\to0} \epsilon \Phi(1+\epsilon\pm {\mathrm i}\alpha) = - \mu, \\ &\lim_{\epsilon\to0} \epsilon \Phi(1+\epsilon\pm 2{\mathrm i}\alpha) = - \nu. \end{split}\] Dann gilt \[\sum_{k=-2}^2 \binom{4}{2+k} \Phi(1+\epsilon+{\mathrm i}k\alpha ) = \sum_{p\,\text{prim}} \frac{\ln p}{p^{1+\epsilon}} \left(p^{{\mathrm i}\alpha/2} + p^{-{\mathrm i}\alpha/2}\right)^4 \ge 0\] und es folgt nach Multiplikation mit \(\epsilon\) und Grenzübergang \(\epsilon\to0\), daß \(6-8\mu-2\nu\ge0\) gelten muß. Also ist \(\mu=0\) und es gibt keine (echten) Nullstellen. ◻
Satz 3.42 (Primzahlsatz). Es gilt \[\pi(n) = \# \{ p\, \text{ prim}\,:\, p\le n\} \sim \frac{n}{\ln n},\qquad n\to\infty.\]
Proof. Wir nutzen den tauberschen Satz von Ikehara für die von Mangoldt-Funktion \(\Lambda(n)\) und ihre Dirichletreihe \(F(z)=\mathcal D[\Lambda](z)= - \zeta'(z) / \zeta(z)\). Da die \(\zeta\)-Funktion meromorph auf \({\mathbb C}\) mit einem Pol in \(z=1\) und nullstellenfrei auf der Linie \(\Re z=1\) ist, besitzt \(F\) einen Pol in \(z=1\) mit Residuum \(1\) und keine weiteren Pole auf der Linie \(\Re z=1\). Also gilt mit Satz (2) \[1 = \lim_{n\to\infty} \frac1n\sum_{k=1}^n \Lambda(k) \le \liminf_{n\to\infty} \frac1n \sum_{p\,\text{prim},\; p\le n} \frac{\ln n}{\ln p} \ln p = \liminf_{n\to\infty} \frac{\ln n}{n} \pi(n).\] Dies liefert die untere Schranke \(n\in \mathcal O( \pi(n) \ln n )\). Andererseits gilt aber für beliebiges \(\epsilon>0\) \[\begin{split} \sum_{k=1}^n \Lambda(k)& \ge \sum_{p\,\text{prim},\;p\le n} \ln p \ge \sum_{n^{1-\epsilon} \le p\le n} \ln p \ge \ln (n^{1-\epsilon}) \sum_{ n^{1-\epsilon} \le p\le n}1 \\ &\ge \ln (n^{1-\epsilon}) \left( \pi(n) -\pi(n^{1-\epsilon})\right) \in (1-\epsilon) \ln (n) \pi(n) + \mathcal O(n^{1-\epsilon}) \end{split}\] und damit auch die obere Schranke \[(1-\epsilon) \limsup_{n\to\infty} \frac{\ln n}{n} \pi(n) \le \lim_{n\to\infty} \frac1n\sum_{k=1}^n \Lambda(k) = 1.\] Da \(\epsilon>0\) beliebig war, ist der Satz bewiesen. ◻
In diesem letzten Kapitel soll es darum gehen, wie man aus explizit lösbaren Beispielproblemen asymptotische Resultate für (in gewissem Sinne) benachbarte Probleme erhalten kann. Uns interessieren algebraische Gleichungen und die Änderung ihrer Lösungen bei Variation der Koeffizienten, Eigenwertprobleme für Matrizen und die Abhängigkeit der Eigenwerte von der Matrix und Differentialgleichungen mit variablen Koeffizienten und asymptotische Entwicklungen von Lösungen in der Nähe singulärer Punkte.
4.1. Wir betrachten als Modellsituation eine Polynomgleichungen in der Unbekannten \(\lambda\) \[\sum_{n=0}^m \alpha_n(z) \lambda^n =0\] deren Koeffizienten selbst holomorphe Funktionen \(\alpha_n\in\mathfrak A(\Omega)\) auf einem Gebiet \(\Omega\subset{\mathbb C}\) sind. Uns interessiert die Abhängigkeit der Nullstellen \(\lambda_k(z)\), \(k=1,\ldots,m\), von der Variablen \(z\in\Omega\). Wir nehmen vorerst an, daß \(\alpha_m(z)=1\) für alle \(z\in\Omega\). Ein erstes Resultat ergibt sich dann direkt aus dem Satz über implizite Funktionen (in seiner komplexen Fassung)
Lemma 4.1. Angenommen, für ein \(z_0\in\Omega\) ist \(\lambda_*(z_0)\) eine einfache Nullstelle des monischen Polynoms \[p(z_0,\lambda) = \sum_{n=0}^m \alpha_n(z_0) \lambda^n.\] Dann existiert eine Umgebung \(U\subset\Omega\) von \(z_0\) und eine holomorphe Funktion \(\lambda_* : U \to {\mathbb C}\) mit \[p(z,\lambda_*(z))=0\qquad\text{für alle $z\in U$.}\]
Proof. Seien \(\lambda_1(z_0),\ldots,\lambda_m(z_0)\in{\mathbb C}\) die komplexen Nullstellen des Polynoms \(p(z_0,\cdot)\). Da dann \[\partial_\lambda p(z_0,\lambda) = \partial_{\lambda} \prod_{k=1}^m (\lambda-\lambda_k(z_0)) = \sum_{\ell=1}^m \prod_{k\ne \ell}(\lambda-\lambda_{k}(z_0))\] nach Voraussetzung für \(\lambda=\lambda_*\) von Null verschieden ist, existiert nach dem Satz über die implizite Funktion eine Umgebung \(U\) von \(z_0\) und eine holomorphe auflösende Funktion \(\lambda_*(z)\) in dieser Umgebung \(U\). ◻
Will man die auflösende Funktion in der Nähe von \(z_0\) bestimmen, so hilft ein Potenzreihenansatz und Koeffizientenvergleich. Es interessieren also nur Umgebungen mehrfacher Nullstellen oder Punkte, an welchen der führende Koeffizient selbst eine Nullstelle besitzt. Dazu zerlegen wir zuerst das Polynom in irreduzible Faktoren im Polynomring \(\mathfrak M(\Omega)[\lambda]\) über dem Quotientenkörper \(\mathfrak M(\Omega)\) von \(\mathfrak A(\Omega)\). Zu einem Polynom \(p\in\mathfrak M(\Omega)[\lambda]\) sei \(\Omega_p\subset\Omega\) die Menge aller \(z\in\Omega\) in denen die Koeffizienten von \(p\) regulär sind.
Lemma 4.2.
Angenommen, \(p,q\in\mathfrak M(\Omega)[\lambda]\) sind teilerfremd. Dann ist die Menge \[\{ z\in\Omega_{p}\cap\Omega_{q}\,:\, \exists\lambda\in{\mathbb C}\quad p(z,\lambda)=q(z,\lambda)=0 \}\subset\Omega\] diskret.
Ist \(p\in\mathfrak M(\Omega)[\lambda]\) irreduzibel, so besitzt \(p(z,\cdot)\) bis auf eine (höchstens) diskrete Ausnahmemenge nur einfache Nullstellen in \(\Omega_p\).
Proof. (1) ergibt sich als Anwendung des erweiterten Euklidischen Algorithmus im Ring \(\mathfrak M(\Omega)[z]\). Dieser liefert mit Polynomen \(r(z,\lambda)\) und \(s(z,\lambda)\) die Bezout-Darstellung \[1 = \mathrm{ggT}(p,q) (z,\lambda) = p(z,\lambda) r(z,\lambda) + q(z,\lambda) s(z,\lambda)\] und gemeinsame Nullstellen von \(p(z,\cdot)\) und \(q(z,\cdot)\) können damit nur in den Polstellen von \(r(\cdot,\lambda)\) und \(s(\cdot,\lambda)\), also in Polstellen der Koeffizienten der Polynome \(r\) oder \(s\) auftreten. Diese sind aber für meromorphe Funktionen diskret (besitzen also höchstens auf dem Gebietsrand \(\partial\Omega\) Häufungspunkte).\(\bullet\) folgt direkt aus (1). Ist \(\lambda\) mehrfache Nullstelle von \(p(z,\lambda)\), so gilt \(\partial_\lambda p(z,\lambda)=0\). Da aber \(\partial_\lambda(z,\lambda)\) kleineren Grad als \(p(z,\lambda)\) besitzt, müssen die beiden Polynome teilferfremd sein und die Behauptung folgt. ◻
Korollar 4.3. Sei \(p\in \mathfrak M(\Omega)[\lambda]\) beliebig. Dann existiert eine diskrete Menge von Ausnahmepunkten \(S\subset\Omega_p\), so daß die Vielfachheiten aller Nullstellen von \(p(z,\lambda)\) auf \(\Omega_p\setminus S\) konstant sind. Entweder gilt
alle Nullstellen \(\lambda_j(z)\) von \(p(z,\lambda)\) sind einfach für alle \(z\in\Omega_p\setminus S\) (nichtentartet); oder
es gibt Tupel von Nullstellen, welche auf ganz \(\Omega_p\setminus S\) zusammenfallen (permanent entartet).
Proof. Die Aussage folgt durch Zerlegen des Polynoms in irreduzible Faktoren nach Division durch den führenden Koeffizienten. Der Fall (i) entspricht einfach vorkommenden irreduziblen Faktoren, während im Fall (ii) mindestens ein irreduzibler Faktor doppelt vorkommt. ◻
Beispiele 4.4.
Wir betrachten ein (triviales) Beispiel. Gegeben sei das Polynom \[p(z,\lambda) = \lambda^2-z\] für \(z\in{\mathbb C}\). Das Polynom ist irreduzibel in \(\mathfrak M({\mathbb C})[\lambda]\) und seine Nullstellen sind auf \({\mathbb C}\setminus \{0\}\) einfach, die Ausnahmemenge also \(S=\{0\}\). Die Nullstellen \(\lambda_\pm(z) = \pm \sqrt z\) leben auf einer Riemannschen Fläche über \({\mathbb C}\setminus\{0\}\) und bilden dort die beiden Zweige einer holomorphen Funktion.
Andererseits ist das Polynom \[q(z,\lambda) = \lambda^2-z^2 = (\lambda+z)(\lambda -z)\] reduzibel. Hier gilt ebenso \(S=\{0\}\), die Nullstellen sind aber holomorph auf ganz \({\mathbb C}\).
Um ein nichttriviales Beispiel zu untersuchen, betrachten wir das Polynom \(p(z,\lambda)=\lambda^3+z\lambda+z^2\). Für dieses Polynom gilt mit \(\partial_\lambda p(z,\lambda)=3\lambda^2 + z\) durch Anwendung des erweiterten Euklidischen Algorithmus \[\begin{split} 3 (\lambda^3 + z \lambda + z^2) - \lambda ( 3\lambda^2 + z ) &= 2\lambda z + 3z^2\\ 2z ( 3\lambda^2 + z) -3 \lambda (2\lambda z + 3z^2) & = 2z^2 - 9 \lambda z^2\\ 9z (2\lambda z + 3z^2) +2 (2z^2 - 9 \lambda z^2) &= 27 z^3 + 4z^2 \end{split}\] die Bezout-Darstellung \[27 z^3 + 4z^2 % = 9z ( 3 p(z,\lambda) - \lambda \partial_\lambda p(z,\lambda) ) +2 ( 2z \partial_\lambda p(z,\lambda) -3 \lambda ( 3 p(z,\lambda) - \lambda \partial_\lambda p(z,\lambda) )) = (27 z -18\lambda) p(z,\lambda) - (5z\lambda + 6\lambda^2)\partial_\lambda p(z,\lambda).\] Das Polynom \(p(z,\lambda)\) ist irreduzibel und seine Ausnahmepunkte sind höchstens durch die Nullstellen von \(27z^3+4z^2\), also durch \(z=0\) und \(z=-4/27\) gegeben. Auf \(\widehat {\mathbb C}={\mathbb C}\cup\{\infty\}\) ist der unendlich ferne Punkt \(z=\infty\) ebenso als Ausnahmepunkt zu verstehen, dies werden wir noch sehen.
In der Umgebung der Ausnahmepunkte aus \(z_0\in S\) besitzen Nullstellen des Polynoms \(p(z,\lambda)\) ebenso eine einfache Struktur. Wir betrachten dazu das Verhalten einer Nullstelle bei holomorpher Fortsetzung entlang einer geschlossenen Kurve um den Ausnahmepunkt \(z_0\).
Satz 4.5 (Puiseux52). Sei \(p \in \mathfrak M(\Omega)[\lambda]\) monisch und irreduzibel und \(z_0\in\Omega_p\) eine Ausnahmestelle, in der \(p(z_0,\lambda)\) eine \(k\)-fache Nullstelle \(\lambda_*\) besitzt. Dann existiert eine Umgebung \(U\subset\Omega_p\), eine Zerlegung \(k=k_1+\cdots+k_\nu\) und Folgen von Koeffizienten \(\beta_{i,\ell}\in{\mathbb C}\), so daß für \(i=1,\ldots,\nu\) \[\lambda_{*,j} (z) = \lambda_*+ \sum_{\ell=1}^\infty \beta_{i,\ell} \left( \sqrt[k_i]{z-z_0}\,\right)^{\ell},\qquad \sum_{\iota<i} k_\iota \le j \le \sum_{\iota\le i} k_\iota\] für \(z\in U \setminus\{z_0\}\) konvergiert und auf der Riemannschen Fläche der Wurzelfunktion \(k_i\) verschiedene Nullstellen von \(p(z,\lambda)\) liefert.
Proof. Als Konsequenz des Satzes von Rouché sind die Nullstellen eines Polynoms stetige Funktionen der Koeffizienten des Polynoms. Da \(p\) irreduzibel ist, existieren also für eine hinreichend kleine Umgebungen \(U\) von \(z_0\) auch genau \(k\) (für \(z\ne z_0\) einfache) Nullstellen \(\lambda_{*,j}(z)\) mit \[\lim_{z\to z_0} \lambda_{*,j}(z) = \lambda_*.\] Wir betrachten die Menge dieser Nullstellen. Da diese stetig von \(z\) abhängen, bleibt die Gesamtheit bei einem geschlossenen Umlauf von \(z_0\) erhalten. Jedoch kann sich die Nummerierung der \(\lambda_{*,j}\) ändern. Es existiert also eine Permutation \(\sigma \in \mathbf S_k\) mit \[\lambda_{*,j}(z) \rightsquigarrow \lambda_{*,\sigma(j)} (z),\qquad j=1,\ldots, k\] bei einem Umlauf von \(z\) um \(z_0\). Wir zerlegen diese Permutation in Zykel und betrachten die zugehörigen Nullstellen einzeln. Seien diese wiederum mit \(\lambda_{*,1}(z)\) bis \(\lambda_{*,k}(z)\) (möglicherweise mit kleinerem \(k\)) bezeichnet. Subsituiert man nun \(z-z_0=\zeta^k\), so läuft \(z\) bei einem Umlauf von \(\zeta\) um den Ursprung jeweils \(k\)-fach um den Ursprung und die \(\lambda_{*,j}\) gehen jeweils in sich über. Da damit aber die Funktionen \(\zeta\mapsto \lambda_{*,j}(z_0+\zeta^k)\) auf einer punktierten Umgebung des Ursprungs beschränkt und holomorph sind, sind sie im Ursprung selbst holomorph und es gilt \[\lambda_{*,j}(z_0+\zeta^k) = \lambda_* + \sum_{\ell=1}^\infty \beta_\ell \zeta^\ell\] als konvergente Reihe mit entsprechenden Koeffizienten \(\beta_\ell\in{\mathbb C}\). Das ist aber gerade die Behauptung. ◻
Beispiel 4.6. Wir kommen auf das obige Beispiel mit \(p(z,\lambda) = \lambda^3+z\lambda+z^2\) und seinen Ausnahmepunkten \(S=\{0,-4/27,\infty\}\subset\widehat {\mathbb C}\) zurück.
In Abbildung ist die Änderung des Polynoms bei einem Umlauf um den Ausnahmepunkt \(z_0=0\) entlang eines Kreises vom Radius \(2/27\) dargestellt. Wie man aus der Abbildung ablesen kann, zerfallen die drei Nullstellen in der Umgebung von \(z_0\) in zwei Gruppen. Eine der Nullstellen gehört zu einem in \(z_0=0\) holomorphen Zweig, die beiden anderen bilden zusammen eine \(\lambda\)-Gruppe und besitzen damit eine Darstellung als Puiseuxreihe. Im Ausnahmepunkt \(z_0=-4/27\) würde eine ähnliche Abbildung zeigen, daß eine der Nullstellen aus der Gruppe mit der in \(z_0=0\) holomorphen Nullstelle permutiert wird und bei einem Umlauf um den unendlich fernen Punkt \(z_0=\infty\) bilden alle drei Nullstellen einen Dreierzyklus.
Satz 4.7. Sei \(p \in \mathfrak M(\Omega)[\lambda]\) monisch und irreduzibel vom Grad \(m\) und \(z_0\) Polstelle eines Koeffizienten von \(p\). Sei \(\nu = \max\{ \mathop{\mathrm{ord}}(a_k; z_0) \}\) die maximale Ordnung der Pole in \(z_0\) und weiter \(n = \max\{ k \,:\, \mathop{\mathrm{ord}}(a_k; z_0) = \nu \}\). Dann gibt es eine Umgebung \(U\subset\Omega_p\cup\{z_0\}\) von \(z_0\) und für \(z\in U\) existieren
genau \(n\) Nullstellen \(\lambda_1(z),\ldots \lambda_n(z)\), die für \(z\to z_0\) gegen einen endlichen Grenzwert streben und somit Darstellungen als Potenzreihe oder Puiseuxreihe besitzen; und
weitere \(m-n\) Nullstellen \(\lambda_{n+1}(z),\ldots\lambda_m\), die für \(z\to z_0\) gegen \(\infty\) streben und \[\frac{1}{\lambda_j(z)} \in \mathcal O( |z-z_0|^{\frac1{m-n}} )\] erfüllen. Die Funktionen \(1/\lambda_j(z)\) besitzen wiederum Darstellungen als Potenz- oder Puiseuxreihen.
Proof. (i) Nach Multiplikation des Polynoms mit \((z-z_0)^\nu\) ergibt sich in einer Umgebung \(U\) des Punktes \(z_0\) \[(z-z_0)^\nu p(z,\lambda) = \beta_n q(z,\lambda) + (z-z_0) r(z,\lambda)\] mit einem monischen Polynom \(q\in\mathfrak A(U)[\lambda]\) vom Grad \(\deg q=n\), \(\beta_n\ne0\) und einem weiteren Polynom \(r \in\mathfrak A(U)[\lambda]\) vom Grad \(\deg r=m\). Wir wählen \(U\) so klein, daß \(z_0\) der einzige Ausnahmepunkt dieses Polynoms in \(U\) ist. Seien nun \(\mu_1(z),\ldots, \mu_n(z)\) die Lösungen zu \(q(z,\mu)=0\). Diese sind holomorph für \(z\ne z_0\) mit möglichen Verzweigungspunkten in \(z=z_0\) und insbesondere einfach.
Mit dem Satz von Rouché angewandt in der \(\lambda\)-Ebene folgt nun, daß für \(z\) nahe genug an \(z_0\) in der Nähe jedes \(\mu_j(z)\) eine Nullstelle \(\lambda_j(z)\) des Polynoms \(p(z,\lambda)\) liegt, insbesondere also auch \[\lim_{z\to z_0} \lambda_j(z) = \lim_{z\to z_0}\mu_j(z) = \mu_j(z_0)\] gilt. Damit besitzt jedes dieser \(\lambda_j(z)\) eine Darstellung als Potenz- oder Puiseuxreihe um \(z_0\).
(ii) Wir substituieren \(\lambda = \sigma^{-1}\) und erhalten nach Multiplikation mit \(\sigma^m\) das neue Polynom \[\sigma^m p(z,\sigma^{-1}) = \sum_{k=0}^m \alpha_k(z) \sigma^{m-k}.\] Nach erneuter Multiplikation mit \((z-z_0)^\nu\) entsteht daraus \[(z-z_0)^\nu \sigma^m p(z,\sigma^{-1} ) = \sigma^{m-n} \beta_n \tilde q(z,\sigma) + (z-z_0) \tilde r(z,\sigma)\] mit einem Polynom \(\tilde q(z,\sigma) = \sigma^{n} q(z,\sigma^{-1})\) vom Grad \(n\) und mit \(\tilde q(z_0,0)=1\), sowie einem Polynom \(\tilde r(z,\sigma) = \sigma^m r(z,\sigma^{-1})\) vom Grad \(m\). Damit hat der erste Summand in \(\sigma=0\) eine Nullstelle der Ordnung \(m-n\), während der zweite wiederum klein wird. Wir wählen eine kleine Umgebung \(U\) von \(z_0\) und ein \(\epsilon>0\), so daß \(|\tilde q(z,\sigma)|>1/2\) auf \(U\) und für \(|\sigma|<\epsilon\). Wählt man nun \(U\) klein genug, also \(|z-z_0|\le C \epsilon^{m-n}\) für hinreichend kleines \(C\), so implizert wiederum der Satz von Rouché die Existenz von \(m-n\) Nullstellen \(\sigma_j(z)\) von \(\sigma^m p(z,\sigma^{-1})\) mit \(|\sigma_j(z)|\le \epsilon\). Damit besitzen diese \(\sigma_j(z)\) eine Darstellung als Potenz- oder Puiseuxreihe im Entwicklungspunkt \(z_0\). ◻
4.8. Sei nun \(A : \Omega\to {\mathbb C}^{m\times m}\) matrixwertig und holomorph, das heißt alle Matrixeinträge seien holomorphe Funktionen. Wir interessieren uns für die Eigenwerte und die zugehörigen Eigenunterräume in Abhängigkeit von \(z\in\Omega\). Da die Eigenwerte Nullstellen des charakteristischen Polynoms \[p(z,\lambda) = \det(\lambda- A(z))\] sind, ist alles was wir bisher über Nullstellen von Polynomen mit holomorphen Koeffizienten gelernt haben, anwendbar. Das Polynom ist nach Konstruktion monisch und zerfällt wieder in irreduzible Faktoren in \(\mathfrak M(\Omega)[\lambda]\). Jeder Faktor besitzt, bis auf eine diskrete Ausnahmemenge, nur einfache Eigenwerte, und in den Punkten der Ausnahmemenge fallen entweder holomorphe Funktionen zusammen oder es ergeben sich Puiseuxreihen für entsprechende \(\lambda\)-Gruppen von Eigenwerten.
Beispiele 4.9. Zuerst einige Beispiele um zu zeigen, das alle oben aufgeführten Fälle für \(2\times2\)-Matrizen schon auftreten können.
\(A(z)= \begin {bmatrix} 1 & z \\ z & -1 \end {bmatrix}, \quad\; \lambda_\pm(z)=\pm\sqrt{1+z^2}\quad\text{für $ z\neq\pm {\mathrm i}$}\)(zweiblättrig)
\(A(z)= \begin {bmatrix} 0 & z \\ z & 0 \end {bmatrix},\quad\quad\lambda_\pm(z)=\pm z\) (zwei Funktionen)
\(A(z)= \begin {bmatrix} 0 & z \\ 0 & 0 \end {bmatrix},\quad\quad\,\lambda_1(z)=0=\lambda_2(z)\)(permanent entartet)
\(A(z)= \begin {bmatrix} 0 & 1 \\ z & 0 \end {bmatrix},\quad\quad\lambda_\pm(z)=\pm\sqrt{z}\quad \text{für $z\ne0$}\) (zweiblättrig)
\(A(z)= \begin {bmatrix} 1 & z \\ 0 & 0 \end {bmatrix},\quad\quad\lambda_1(z)=0,\;\lambda_2(z)=1\) (zwei Konstanten)
Für die Untersuchung der Eigenunterräume und verallgemeinerten Eigenunterräume betrachten wir zu einer gegebenen holomorphen matrixwertigen Funktion \(A : \Omega\to{\mathbb C}^{m\times m}\) die Resolvente
\[R_A(z,\lambda)=(\lambda-A(z))^{-1}.\]
Lemma 4.10. Die Resolvente \(R_A(z,\lambda)\) ist holomorph in beiden Variablen für \(z\in \Omega\) und \(\lambda\in{\mathbb C}\setminus\mathop{\mathrm{spec}}A(z)\).
Proof. Die Aussage folgt aus der Darstellung der Resolvente als Neumannreihe. Für \(z\in\Omega\) und \(|\lambda|>\|A(z)\|\) gilt \[R_A(z,\lambda)=\lambda^{-1} \big(1-\lambda^{-1}A(z)\big)^{-1}=\lambda^{-1}\sum_{k=0}^\infty\lambda^{-k}(A(z))^k\] als lokal gleichmäßig konvergente Reihe. In der Nähe von \(z_0\in\Omega\) und \(\lambda_0\in{\mathbb C}\setminus\mathop{\mathrm{spec}}(A(z_0))\) gilt \[\begin{split} R_A(z,\lambda)&= R_A(z_0,\lambda_0) \Big(1-\big((\lambda_0-A(z_0))-(\lambda-A(z))\big) R_A(z_0,\lambda_0)\Big)^{-1} \\ &= R_A(z_0,\lambda_0) \sum_{k=0}^\infty \Big(\big((\lambda_0-A(z_0))-(\lambda-A(z))\big) R_A(z_0,\lambda_0)\Big)^k \end{split}\] für alle \(z\) und \(\lambda\) mit \[\|(\lambda_0-A(z_0))-(\lambda-A(z))\|< \| R_A(z_0,\lambda_0)\| ^{-1}.\] Lokal gleichmäßige Konvergenz impliziert Holomorphie. ◻
Wir nutzen die Resolvente, um das Verhalten der Eigenprojektoren zu untersuchen. Genauer nutzen wir
Lemma 4.11. Sei \(\Gamma\) ein einfacher geschlossener Weg der \(\lambda\)-Ebene, der durch keinen Eigenwert von \(A(z)\) verläuft. Dann bestimmt \[P_\Gamma(z) = \frac1{2\pi{\mathrm i}} \oint_\Gamma R_A(z,\lambda){\,\mathrm d}\lambda\] einen Projektor, \[P_\Gamma(z) \, P_\Gamma(z) = P_\Gamma(z),\] der lokal holomorph von \(z\) abhängt.
Proof. Da die Eigenwerte von \(A(z)\) stetig von \(z\) abhängen existiert um \(z\) eine kleine Umgebung, so daß der (von \(z\) unabhängige) Integrationsweg \(\Gamma\) auf der Umgebung keinen Eigenwert von \(A(z)\) durchläuft. Damit folgt lokale Holomorphie mit dem Satz von Morera. Weiterhin hängt \(P_\Gamma(z)\) nur von der Homotopieklasse des Weges \(\Gamma\) ab. Seien nun \(\Gamma\) und \(\Gamma'\) homotope nicht durch \(\mathop{\mathrm{spec}}A(z)\) verlaufende Wege, so daß \(\Gamma\) ganz im Inneren von \(\Gamma'\) liegt. Dann gilt aufgrund der Resolventenidentität \[R_A(z,\lambda)-R_A(z,\mu)= - (\lambda-\mu)R_A(z,\lambda)R_A(z,\mu)\] und unter Ausnutzung des Residuensatzes die Identität \[\begin{split} P_\Gamma(z)^2&=\frac{1}{2\pi{\mathrm i}}\oint_{\Gamma'} R_A(z,\lambda){\,\mathrm d}\lambda \; \frac{1}{2\pi{\mathrm i}}\oint_{\Gamma} R_A(z,\mu){\,\mathrm d}\mu \\ &= \frac1{4\pi^2} \oint_\Gamma \oint_{\Gamma'} \frac{R_A(z,\lambda) - R_A(z,\mu)} {\lambda-\mu} {\,\mathrm d}\lambda{\,\mathrm d}\mu\\ &= \frac1{4\pi^2} \oint_{\Gamma'} \underbrace{ \oint_{\Gamma} \frac{R_A(z,\lambda) } {\lambda-\mu} {\,\mathrm d}\mu}_{=0}{\,\mathrm d}\lambda - \frac1{4\pi^2} \oint_\Gamma \underbrace{ \oint_{\Gamma'} \frac{R_A(z,\mu)} {\lambda-\mu} {\,\mathrm d}\lambda}_{=2\pi{\mathrm i}\,R_A(z,\mu)} {\,\mathrm d}\mu\\ & = \frac1{2\pi{\mathrm i}} \oint_{\Gamma} R_A(z,\mu){\,\mathrm d}\mu = P_\Gamma(z). \end{split}\] und damit die zu zeigende Behauptung. ◻
Worauf genau projiziert \(P_\Gamma\)? Wir betrachten vorerst den Spezialfall diagonalisierbarer Matrizen und ignorieren für die nachfolgende Rechnung die \(z\)-Abhängigkeit. Ist die Matrix \(A\) diagonalisierbar, so existiert
eine Kurve \(\Gamma\), die nur einen Punkt \(\lambda_*\) aus \(\mathop{\mathrm{spec}}A\) einfach positiv umläuft;
eine Basis \(\{v_j\}\) bestehend aus Eigenvektoren aus \(A\);
eine dazu duale Basis \(\{\phi_j\}\), so daß für jeden Vektor \(v\in{\mathbb C}^m\) \[v = \sum_{j=1}^m \langle\phi_j, v\rangle v_j\] gilt.
Dann projiziert \(P_\Gamma\) auf die lineare Hülle der \(v_j\), die zum Eigenwert \(\lambda_*\) gehören. Das ist leicht nachzurechnen, es gilt \[\begin{split} \langle \phi_i , P_\Gamma v_j \rangle &= \left\langle\phi_i ,\frac1{2\pi{\mathrm i}} \oint_\Gamma R_A(\lambda) {\,\mathrm d}\lambda \, v_j\right\rangle = \frac1{2\pi{\mathrm i}} \oint_\Gamma \langle \phi_i , R_A(\lambda) v_j \rangle {\,\mathrm d}\lambda\\ & = \frac1{2\pi{\mathrm i}} \oint_\Gamma \frac{\langle \phi_i,v_j\rangle}{\lambda-\lambda_j} {\,\mathrm d}\lambda = \frac1{2\pi{\mathrm i}} \oint_\Gamma \frac{\delta_{i,j} }{\lambda-\lambda_j} {\,\mathrm d}\lambda \\ & = \begin{cases} 0,\qquad & i\ne j, \\ 0, & i=j,\quad \lambda_j\ne\lambda_*,\\ 1, & i=j,\quad \lambda_j=\lambda_*, \end{cases} \end{split}\] unter Ausnutzung von \(R_A(\lambda) v_j = \frac1{\lambda-\lambda_j} v_j\) und der Dualitätsrelation \(\langle\phi_i, v_j\rangle = \delta_{i,j}\). Der letzte Schritt folgt, da im ersten Fall Null integriert wird, im zweiten Fall die Singularität des Integranden außerhalb des Weges \(\Gamma\) liegt und im dritten Fall der Residuensatz anwendbar ist. Damit haben wir gezeigt, daß neben \(P_\Gamma^2=P_\Gamma\) insbesondere \[\ker P_\Gamma = \mathop{\mathrm{span}}\{ v_j \;:\; \lambda_j\ne\lambda_*\} ,\qquad \mathop{\mathrm{ran}}P_\Gamma = \mathop{\mathrm{span}}\{ v_j \;:\; \lambda_j=\lambda_*\}\] gilt. Ebenso folgt \[P_{\Gamma_1} P_{\Gamma_2} = 0 = P_{\Gamma_2} P_{\Gamma_1}\] für Wege \(\Gamma_1\) und \(\Gamma_2\) um verschiedene Punkte \(\lambda_*\) und \(\tilde\lambda_*\) aus \(\mathop{\mathrm{spec}}A\). Letzteres erlaubt es, für Wege \(\Gamma\), die mehrere Punkte des Spektrums umlaufen, die einzelnen Projektoren einfach zu addieren. Damit ist \(P_\Gamma\) für eine diagonalisierbare Matrix also stets der Projektor auf die lineare Hülle der Eigenräume zu im Inneren von \(\Gamma\) liegenden Eigenwerten entlang der Eigenräume zu außerhalb von \(\Gamma\) liegenden Eigenwerten.
Für nicht diagonalisierbare Matrizen liefert \(P_\Gamma\) den Projektor auf die zu im Inneren von \(\Gamma\) liegenden Eigenwerten gehörenden Jordanblöcken. Dies werden wir nachfolgend noch sehen.
Mit der Integraldarstellung der Eigenprojektoren \(P_\Gamma\) kann man Aussagen über das Verhalten der Eigenräume in Abhängigkeit von \(z\) treffen. Dazu gilt in der Nähe eines Punktes \(z_0\in \Omega\) unter Verwendung der Reihendarstellung \[A(z) = \sum_{k=0}^\infty A_k (z-z_0)^k\] und der Kurzschreibweise \[R_0(\lambda)=R_A(z_0,\lambda)=\big(\lambda-A_0\big)^{-1}\] für die Resolvente im Punkt \(z_0\) die Formel \[\label{eq:4:RA-1-def} R_A(z,\lambda)=R_0(\lambda)\Big(1-\big(A(z)-A_0\big)R_0(\lambda)\Big)^{-1},\] die zugeordnete Neumannreihe liefert eine Reihendarstellung der Resolvente im Entwicklungspunkt \(z_0\).
Satz 4.12.
Die Resolvente besitzt die Reihendarstellung \[R_A(z,\lambda) =R_0(\lambda)\sum_{k=0}^\infty \big((A(z)-A_0)R_0(\lambda)\big)^k = \sum_{k=0}^\infty R^{(k)}(\lambda)\,(z-z_0)^k\] mit Koeffizienten \[R^{(k)}(\lambda)=\sum_{\substack{\nu_1+\nu_2+\ldots+\nu_r=k \\ \nu_j\geq 1}} R_0(\lambda)A_{\nu_1} R_0(\lambda)A_{\nu_2}\cdots A_{\nu_{r-1}} R_0(\lambda)A_{\nu_r} R_0(\lambda).\] Diese konvergiert für \(z\) mit \(\| A(z) - A_0\| < \| R_0(\lambda)\|^{-1}\) lokal gleichmäßig.
Für jeden geschlossenen Weg \(\Gamma\) der \(\lambda\)-Ebene, welcher keinen der Eigenwerte von \(A_0\) durchläuft, ist \[\begin{aligned} P(z) =\frac{1}{2\pi{\mathrm i}}\oint_\Gamma R_A(z,\lambda){\,\mathrm d}\lambda =P+\sum_{k=1}^\infty P^{(k)}\,(z-z_0)^k\end{aligned}\] analytisch um \(z_0\) mit Koeffizienten \[P^{(k)}:=\frac{1}{2\pi{\mathrm i}}\oint_\Gamma R^{(k)}(\lambda){\,\mathrm d}\lambda.\]
Ist \(\lambda_j(z_0)\) einfacher Eigenwert von \(A_0\), dann ist \(P_j(z)\) analytisch um \(z_0\).
Ist \(z_0\) Ausnahmepunkt, \(\lambda_*\) mehrfacher Eigenwert von \(A_0\) und \(\Gamma\) ein Weg, welcher \(\lambda_*\) umschließt, dann ist der Projektor \[P(z)=\frac{1}{2\pi{\mathrm i}}\oint_\Gamma R_A(z,\lambda){\,\mathrm d}\lambda\] analytisch um \(z_0\) und es gilt \[P(z)=\sum_{j=1}^p P_j(z)\] für \(z\ne z_0\) in einer Umgebung von \(z_0\) und die dort holomorphen Eigenprojektoren \(P_j(z)\) für alle Eigenwerte \(\lambda_j(z)\) mit \(\lim_{z\to z_0} \lambda_j(z) = \lambda_*\).
Proof. (1) entspricht der Neumannreihe für . Diese ist absolut und lokal gleichmäßig konvergent in \(z\), falls \[\| \big( A(z) - A_0 \big) R_0(\lambda) \| < 1\] gilt. Dies erlaubt insbesondere das Umsortieren der Reihenglieder und das Ordnen nach Potenzen von \(z-z_0\). \(\bullet\) folgt daraus durch gliedweise Integration, vorausgesetzt \(z\) ist so nah bei \(z_0\), daß \[\| A(z) - A_0 \| < \max_{\lambda\in\Gamma} \| R_0(\lambda)\|^{-1}\] die gleichmäßige Konvergenz der Potenzreihe entlang \(\Gamma\) sichert. Daß das Integral analytisch in \(z\) ist, ergibt sich wiederum direkt aus dem Satz von Morera. \(\bullet\) folgen aus (2). ◻
4.13. Sei nun \(z_0\in\Omega\) ein Ausnahmepunkt, \(\lambda_*\) ein mehrfacher Eigenwert von \(A_0\) und seien \(\lambda_1(z),\ldots ,\lambda_p(z)\) die Eigenwerte von \(A(z)\), welche für \(z\to z_0\) gegen \(\lambda_*\) streben. Bei einem Umlauf um den Ausnahmepunkt \(z_0\) setzen sich diese holomorph fort. Da man die Eigenwerte nicht unterscheiden kann, werden diese in einem Umlauf um \(z_0\) permutiert. Wir zerlegen diese Permutation in Zykeln und betrachten diese einzeln. Angenommen \(\lambda_1(z),\ldots ,\lambda_p(z)\) bilden einen solchen \(p\)-Zyklus \[\lambda_j(z)\;\rightsquigarrow\;\lambda_{j+1\;\mathrm{mod}\; p}(z).\] In Abschnitt haben wir gesehen, dass dann \[\lambda_j(z_0+ \zeta^p) = \sum_{k=0}^\infty \beta_k \zeta^k\] in einer Umgebung des Ursprungs in \(\zeta\) holomorph ist, also eine konvergente Reihe mit entsprechenden (von \(j\) unabhängigen) Koeffizienten \(\beta_k\in{\mathbb C}\) liefert. Das liefert die Darstellung der Eigenwerte \(\lambda_j(z)\) als Puiseuxreihe \[\lambda_j(z) = \sum_{k=0}^\infty \beta_k \big( \sqrt[p]{z-z_0} \big)^k\] auf der Riemannschen Fläche der Wurzelfunktion. Die Eigenprojektoren \(P_j(z)\) sind ebenso lokal holomorph in \(z\), man kann also analog vorgehen. Die Projektoren bilden bei einem Umlauf um \(z_0\) den Zyklus \[P_j(z)\;\rightsquigarrow\; P_{j+1\;\mathrm{mod}\; p}(z),\] die Funktion \(P_j(z_0+\zeta^p)\) ist also holomorph in einem Kreisring um den Ursprung. Damit besitzt diese Funktion die Darstellung \[P_j(z_0+\zeta^p)=\sum_{k=-\infty}^\infty \tilde P^{(k)} \zeta^k\] als Laurentreihe, also die Projektoren Puiseuxreihen \[P_j(z)=\sum_{k=-\infty}^\infty \tilde P^{(k)} \left(\sqrt[p]{z-z_0}\right)^{k}\] mit entsprechenden Matrizen \(\tilde P^{(k)}\) als Koeffizienten. Tatsächlich sind nur endlich viele der negativen Koeffizienten von Null verschieden.
4.14. Um die Projektoren \(P_j\) für Eigenwerte höherer (algebraischer) Vielfachheit besser zu verstehen, betrachten wir zu einer gegebenen Matrix \(A\in{\mathbb C}^{m\times m}\) mit Eigenwert \(\lambda_j\) neben dem Eigenprojektor \[P_j = \frac1{2\pi{\mathrm i}} \oint_{\Gamma_j} R_A(\lambda) {\,\mathrm d}\lambda\] für einen (nur) den Eigenwert \(\lambda_j\) positiv umlaufenden Weg \(\Gamma_j\) auch das Eigennilpotent 53 \[D_j = (A-\lambda_j) P_j.\] Da \(A\) mit \(P_j\) kommutiert, kann \(A\) auf das Bild \(\mathop{\mathrm{ran}}P_j\) eingeschränkt werden. Weiter impliziert \[w = P_j \frac1{2\pi{\mathrm i}} \oint_{\Gamma_j} \frac{R_A(\lambda)}{\mu-\lambda} v {\,\mathrm d}\lambda \in \mathop{\mathrm{ran}}P_j\] zusammen mit \[\begin{split} (\mu-A)w & = (\mu-A) P_j \frac1{2\pi{\mathrm i}} \oint_{\Gamma_j} \frac{R_A(\lambda)}{\mu-\lambda} v {\,\mathrm d}\lambda = \frac1{2\pi{\mathrm i}} \oint_{\Gamma_j} \frac{(\mu-A) R_A(\lambda)}{\mu-\lambda} P_j v {\,\mathrm d}\lambda\\ & = \frac1{2\pi{\mathrm i}} \oint_{\Gamma_j} \frac{(\mu-\lambda+\lambda-A) R_A(\lambda)}{\mu-\lambda} P_j v {\,\mathrm d}\lambda\\ & = \frac1{2\pi{\mathrm i}} \oint_{\Gamma_j} R_A(\lambda) P_jv d\lambda + \frac1{2\pi{\mathrm i}} \oint_{\Gamma_j} \frac{1}{\mu-\lambda} P_j v {\,\mathrm d}\lambda\\ & = P_j^2 v = P_j v \end{split}\] für jedes \(v\in{\mathbb C}^m\) und \(\mu\) außerhalb \(\Gamma_j\) schon \(\mathop{\mathrm{spec}}(A | _{\mathop{\mathrm{ran}}P_j})=\{\lambda_j\}\) und somit insbesondere \(\mathop{\mathrm{spec}}D_j \subset \mathop{\mathrm{spec}}( D_j|_{\mathop{\mathrm{ran}}P_j}) \cup\{0\} = \{0\}\). Also ist \(D_j\) nilpotent und es gilt \(D_j^k= (A-\lambda_j)^k P_j = 0\) für \(k\ge \dim \mathop{\mathrm{ran}}P_j\).
Damit ergibt sich aus \(\sum P_j =1\) die Jordannormalform der Matrix \(A\) als \[A = \sum_{j=1}^n AP_j = \sum_{j=1}^n( \lambda_j +D_j )P_j\] und daraus in der \(\lambda\)-Ebene eine Partialbruchzerlegung der Resolvente folgender Form:
Lemma 4.2 (Partialbruchzerlegung der Resolvente). Sei \(A\in{\mathbb C}^{m\times m}\). Dann gilt für die Resolvente \[R_A(\lambda)=\sum_{j=1}^n\left(\frac{P_j}{\lambda-\lambda_j}+\sum_{k=1}^{\nu_j-1}\frac{D_j^k}{(\lambda-\lambda_j)^{k+1}} \right)\] mit den (paarweise verschiedenen) Eigenwerte \(\lambda_1,\ldots,\lambda_n\) von \(A\), den zugehörigen Eigenprojektoren \(P_j\) und den Eigennilpotenten \(D_j\).
Proof. Es gilt \[R_A(\lambda) = \sum_{j=1}^n R_A(\lambda) P_j\] und da auf \(\mathop{\mathrm{ran}}P_j\) nach obiger Konstruktion \(A|_{\mathop{\mathrm{ran}}P_j} = \lambda_j+D_j |_{\mathop{\mathrm{ran}}P_j}\) gilt, folgt für \(\lambda\not\in\mathop{\mathrm{spec}}A\) \[\begin{split} (\lambda-A)^{-1} |_{\mathop{\mathrm{ran}}P_j} &= (\lambda-\lambda_j - D_j |_{\mathop{\mathrm{ran}}P_j})^{-1} = \frac1{\lambda-\lambda_j} \left( 1- \frac{D_j|_{\mathop{\mathrm{ran}}P_j}}{\lambda-\lambda_j}\right)^{-1}\\ &=\frac1{\lambda-\lambda_j} \sum_{k=0}^\infty \frac{D_j^k|_{\mathop{\mathrm{ran}}P_j}}{(\lambda-\lambda_j)^{k}} =\frac1{\lambda-\lambda_j} \sum_{k=0}^{\nu_j-1} \frac{D_j^k|_{\mathop{\mathrm{ran}}P_j}}{(\lambda-\lambda_j)^{k}} \end{split}\] mit \(\nu_j\le \dim\mathop{\mathrm{ran}}P_j\) (der Dimension des größten Jordanblocks zum Eigenwert \(\lambda_j\)). Durch Multiplikation mit \(P_j\) und Addition folgt die Behauptung.
Für Jordanblöcke zu einem Eigenwert \(\lambda_j\) ist obige Rechnung explizit durch \[\begin{split} &\hspace{-1cm} \left( \lambda - \begin {bmatrix} \lambda_j & 1 & & \\ & \ddots & \ddots & \\ & & \ddots & 1\\ & & & \lambda_j \end {bmatrix} \right)^{-1} = \begin {bmatrix} \lambda-\lambda_j & -1 & & \\ & \ddots & \ddots & \\ & & \ddots & -1\\ & & & \lambda-\lambda_j \end {bmatrix}^{-1} \\ &= \frac{1}{\lambda-\lambda_j} \begin {bmatrix} 1 & \frac{-1}{\lambda-\lambda_j} & & \\ & \ddots & \ddots & \\ & & \ddots & \frac{-1}{\lambda-\lambda_j}\\ & & & 1 \end {bmatrix}^{-1} = \frac{1}{\lambda-\lambda_j}\big(I-\frac{1}{\lambda-\lambda_j} D_j\big)^{-1} \\ &=\frac{1}{\lambda-\lambda_j}\sum_{k=0}^\infty \frac{1}{(\lambda-\lambda_j)^k}D_j^k = \frac{1}{\lambda-\lambda_j}\left(I+\sum_{k=1}^{\nu-1}\frac{D_j^k}{(\lambda-\lambda_j)^k}\right) \end{split}\] gegeben, wobei auf der ersten Nebendiagonalen die Einträge \(0\) und \(1\) vorkommen und \(\nu\) die Dimension des größten Jordanblocks zum Eigenwert \(\lambda_j\) ist. ◻
Die Darstellung von Lemma gilt für jeden Punkt \(z\in \Omega\) und bestimmt die Eigenprojektoren und Eigennilpotenten als die Koeffizienten in der Partialbruchzerlegung der Resolvente. In Gebieten konstanter Vielfachheit sind Eigenprojektoren und Eigennilpotente lokal holomorph.
Beispiel 4.15. Sei \(A\in{\mathbb C}^{m\times m}\) eine Matrix mit paarweise verschiedenen (einfachen) Eigenwerten \(\lambda_1,\ldots,\lambda_m\in{\mathbb C}\) und zugehörigen Eigenprojektoren \(P_j\) \[P_j v = \frac1{2\pi{\mathrm i}} \oint_{\Gamma_j} (\lambda-A)^{-1} v {\,\mathrm d}\lambda = \langle\phi_j ,v\rangle v_j,\qquad v\in{\mathbb C}^m,\] dargestellt durch entsprechend gewählte Eigenvektoren \(v_j\) und duale Basisvektoren \(\phi_j\). Damit ergibt sich für die Resolvente die Partialbruchzerlegung \[(\lambda-A)^{-1} = \sum_{j=1}^m \frac{P_j}{\lambda-\lambda_j} .\] Sei nun \(B\in{\mathbb C}^{m\times m}\) eine weitere Matrix. Wir fragen nach dem Verhalten der Eigenprojektoren von \(A+zB\) als Funktion von \(z\) nahe \(z=0\). Dazu nutzen wir die Störungsreihe aus Satz (1) und (2) und bestimmen die ersten Terme der Potenzreihe für \(P_j(z)\). Es gilt mit \(R_0(\lambda)=(\lambda-A)^{-1}\) und den Matrizen \(A_0=A\) und \(A_1=B\) (und \(A_\nu=0\) für \(\nu\ge2\)) \[R^{(1)}(\lambda) = R_0(\lambda) B R_0(\lambda) ,\qquad R^{(2)}(\lambda) = R_0(\lambda) B R_0(\lambda) B R_0(\lambda)\] und damit \[\begin{split} P^{(1)}_j &= \frac1{2\pi{\mathrm i}}\oint_{\Gamma_j} R^{(1)}(\lambda){\,\mathrm d}\lambda = \mathop{\mathrm{Res}}(R^{(1)}(\lambda); \lambda=\lambda_j) \\ &= P_j B \left(\sum_{i\ne j} \frac{P_i}{\lambda_j-\lambda_i} \right) + \left(\sum_{i\ne j} \frac{P_i}{\lambda_j-\lambda_i}\right) B P_j\\ & = \sum_{i\ne j} \frac{P_j B P_i + P_i B P_j}{\lambda_j-\lambda_i}. \end{split}\] Analog ergibt sich für den zweiten Term \[P^{(2)}_j = \sum_{i,k\ne j} \frac{P_j B P_i B P_k + P_i B P_j B P_k + P_i B P_k B P_j}{(\lambda_j-\lambda_i)(\lambda_j - \lambda_k)}\] und damit für den Projektor \[P_j(z) = P_j + z P_j^{(1)} + z^2 P_j^{(2)} + \mathcal O(z^3),\qquad z\to 0.\] Die bestimmten Koeffizienten sind durch die Eigenvektoren \(v_j\) und die dazu dualen Basisvektoren \(\phi_j\) ausdrückbar. Es gilt \[\begin{split} P_j^{(1)} v &= \sum_{i\ne j} \frac{P_j B P_i + P_i B P_j}{\lambda_j-\lambda_i} v = \sum_{i\ne j} \frac{v_j \langle \phi_j, Bv_i \rangle \langle \phi_i,v\rangle + v_i \langle \phi_i, B v_j\rangle \langle \phi_j, v\rangle}{\lambda_j-\lambda_i}\\ & = v_j \sum_{i\ne j} \frac{\langle \phi_j, Bv_i \rangle }{\lambda_j-\lambda_i}\langle \phi_i,v\rangle + \sum_{i\ne j} v_i \frac{ \langle \phi_i, B v_j\rangle }{\lambda_j-\lambda_i}\langle \phi_j, v\rangle \end{split}\] für jedes \(v\in{\mathbb C}^m\) und entsprechend für \(P^{(2)}_j\). Angewandt auf \(v_j\) ergibt sich zumindest lokal um \(z=0\) eine holomorphe Familie von Eigenvektoren \(v_j(z) = P_j(z) v\) von \(A+zB\), die ersten Terme der entsprechenden Reihe sind \[v_j(z) = P_j(z) v_j = v_j + z \sum_{i\ne j} v_i \frac{ \langle \phi_i, B v_j\rangle }{\lambda_j-\lambda_i} + z^2 \sum_{i,k\ne j} v_i \frac{ \langle\phi_k, B v_i\rangle \langle \phi_i, B v_j\rangle }{(\lambda_j-\lambda_i)(\lambda_j-\lambda_k)} + \mathcal O(z^3).\]
4.16. Zuletzt wollen wir uns Differentialgleichungen zuwenden. Wir betrachten homogene Gleichungen \[\label{eq:4:Dgl} \sum_{k=0}^m \alpha_k(z) f^{(k)}(z) = 0\] auf einem Gebiet \(\Omega\) mit mit meromorphen Koeffizienten \(\alpha_k\in\mathfrak M(\Omega)\) und für eine zu bestimmende Funktion \(f : \Omega\to{\mathbb C}\). Der Einfachheit halber sei wieder vorerst \(\alpha_m(z)=1\) auf \(\Omega\) und wir bezeichnen mit \(\Omega_r\) die Menge aller \(z\in\Omega\) in der alle \(\alpha_k(z)\) regulär sind. Die Menge \(\Omega\setminus\Omega_r\) ist diskret und besteht aus den singulären Punkten der Differentialgleichung. In der Nähe regulärer Punkte existieren \(m\) linear unabhängige Lösungen, die wiederum selbst holomorph sind.
Satz 4.17. Sei \(z_0\in\Omega_r\) regulärer Punkt. Dann existiert zu beliebig vorgegebenen Daten \[f^{(\ell)}(z_0) = \beta_\ell \in{\mathbb C},\qquad \ell=0,1,\ldots m-1,\] eine Umgebung \(U\subset\Omega_r\) von \(z_0\) und eine eindeutig bestimmte Lösung \(f\in\mathfrak A(U)\) zu .
Proof. Es genügt, den Potenzreihenansatz \[f(z) = \sum_{n=0}^\infty \frac{\beta_n}{n!} (z-z_0)^n\] in die Gleichung einzusetzen und mittels Koeffizientenvergleich die noch unbekannten \(\beta_n\), \(n\ge m\), zu bestimmen. Dazu nutzen wir die Potenzreihen \[\alpha_k(z) = \sum_{n=0}^\infty \frac{\gamma_{k,n}}{n!} (z-z_0)^n\] der um \(z_0\) holomorphen Koeffizienten und erhalten aus der Differentialgleichung \[(\beta_{n+m})_{n\in{\mathbb N}_0} = - \sum_{k=0}^{m-1} (\gamma_{k,n})_{n\in\mathbb N_0} \lozenge (\beta_{n+k})_{n\in{\mathbb N}_0} ,\] mit der Kombination aus und daraus rekursiv die Koeffizienten \[\beta_{n+m} = - \sum_{k=0}^{m-1} \sum_{\ell=0}^n \binom{n}{\ell} \gamma_{k,\ell} \beta_{n-\ell+k}.\] Es bleibt die Konvergenz der Reihe zu zeigen. Da alle Koeffizienten holomorph um \(z_0\) sind, gilt \(\rho_{E} (\gamma_k) > \rho > 0\), also \(|\gamma_{k,n}| / n! \in \mathcal O(\rho^{-n})\) für \(n\to\infty\). Eingesetzt in die Rekursion folgt induktiv \[\begin{split} \frac{|\beta_{n+m}|}{(n+m)!} &\le \sum_{k=0}^{m-1} \sum_{\ell=0}^n \binom{n}{\ell} \frac{ C \ell! \rho^{-\ell} \; M (n-\ell+k)! \rho^{-n+\ell-k} }{(n+m)!}\\ & = C M \rho^{-n-m} \sum_{k=0}^{m-1} \sum_{\ell=0}^n\frac{n!}{\ell! (n-\ell)!} \frac{\ell! (n-\ell+k)! }{(n+m)!} \rho^{m-k} \\ & = C M \rho^{-n-m} \sum_{k=0}^{m-1} \left( \sum_{\ell=0}^n \frac{(\ell+k)! }{\ell! }\right) \frac{n! }{(n+m)! } \rho^{m-k}\\ & \le M\rho^{-n-m} C \sum_{k=0}^{m-1} \frac{n+1 }{n+m } \rho^{m-k} \\ & \le M\rho^{-n-m} C \left(\rho+\cdots +\rho^{m-1}\right) \le M\rho^{-n-m} \end{split}\] für \(M \ge \max_{0\le k<m} | \beta_k | \rho^k/ k!\) und \(\rho\) klein genug. Damit folgt \(\rho_E(\beta)>\rho\) und das Lemma ist gezeigt. ◻
Lemma 4.18.
Jede holomorphe Fortsetzung einer Lösung von ist wieder Lösung von .
Auf dem Rand des Konvergenzkreises einer Lösungsfunktion von liegt ein Pol eines Koeffizienten / eine Nullstelle des führenden Koeffizienten (oder eine wesentliche Singularität der holomorphen Fortsetzung eines Koeffizienten).
Jede Lösung von ist holomorph auf einer Riemannschen Fläche über \(\Omega_r\).
Proof. (1) folgt direkt aus dem Identitätssatz holomorpher Funktionen. (2) folgt aus (1) und obigem Theorem. (3) ergibt sich aus (2). ◻
Auf diese Weise erhält man in einer kleinen Umgebung von \(z_0\in\Omega_r\) ein System von \(m\) linear unabhängigen Lösungen der Gleichung . Zur Untersuchung der Unabhängigkeit eines solchen Systems \(f_1,\ldots, f_m\) bietet sich die Wronskideterminante54 \[\mathcal W(f_1,\ldots,f_m) (z) = \det \begin{bmatrix} f_1(z) & f_2(z) & \cdots & f_m(z) \\ \partial_z f_1(z) & \partial_z f_2(z) & \cdots & \partial_z f_m(z) \\ \vdots & \vdots &&\vdots \\ \partial_z^{m-1} f_1(z) & \partial_z^{m-1} f_2(z) & \cdots & \partial_z^{m-1} f_m(z) \end{bmatrix}\] an. Wählt man speziell Funktionen \(f_k(z)\) mit \(\partial_z^{\ell-1} f_k(z_0) = \delta_{k,\ell}\) für das Fundamentalsystem, so gilt \(\mathcal W(f_1,\ldots,f_m) (z_0) = 1\). Ein System von Lösungen ist genau dann linear abhängig, wenn die Wronskideterminante verschwindet. Daß sich Fundamentalsysteme auch holomorph fortsetzen lassen, folgt aus
Lemma 4.19 (Abel, Liouville). Seien \(f_1,\ldots , f_m\) Lösungen zu . Dann gilt \[\frac{{\,\mathrm d}}{{\,\mathrm d}z} \mathcal W(f_1,\ldots,f_n) (z) = - a_{m-1}(z) \; \mathcal W(f_1,\ldots,f_n) (z)\] und somit \[\mathcal W(f_1,\ldots,f_n) (z) = \mathcal W(f_1,\ldots,f_n) (z_0) \; \exp\left(-\int_{z_0}^z a_{m-1}(\zeta){\,\mathrm d}\zeta \right),\] wobei entlang des Weges integriert wird, auf dem die Lösungen analytisch fortgesetzt werden.
Proof. Der Beweis folgt durch Differenzieren. Direkt aus der Definition der Wronskideterminante folgt \[\begin{split} \frac{{\,\mathrm d}}{{\,\mathrm d}z} \mathcal W(f_1,\ldots,f_m) & = \frac{{\,\mathrm d}}{{\,\mathrm d}z} \det \begin{bmatrix} f_1(z) & f_2(z) & \cdots & f_m(z) \\ \partial_z f_1(z) & \partial_z f_2(z) & \cdots & \partial_z f_m(z) \\ \vdots & \vdots &&\vdots \\ \partial_z^{m-1} f_1(z) & \partial_z^{m-1} f_2(z) & \cdots & \partial_z^{m-1} f_m(z) \end{bmatrix}\\ &= \quad \det \begin{bmatrix} \partial_z f_1(z) & \partial_z f_2(z) & \cdots &\partial_z f_m(z) \\ \partial_z f_1(z) & \partial_z f_2(z) & \cdots & \partial_z f_m(z) \\ \vdots & \vdots &&\vdots \\ \partial_z^{m-1} f_1(z) & \partial_z^{m-1} f_2(z) & \cdots & \partial_z^{m-1} f_m(z) \end{bmatrix}\\ &\quad + \det \begin{bmatrix} f_1(z) & f_2(z) & \cdots & f_m(z) \\ \partial_z ^2f_1(z) & \partial_z^2 f_2(z) & \cdots & \partial_z^2 f_m(z) \\ \vdots & \vdots &&\vdots \\ \partial_z^{m-1} f_1(z) & \partial_z^{m-1} f_2(z) & \cdots & \partial_z^{m-1} f_m(z) \end{bmatrix}\\ & \hspace{6cm} \vdots\\ &\quad +\det \begin{bmatrix} f_1(z) & f_2(z) & \cdots & f_m(z) \\ \partial_z f_1(z) & \partial_z f_2(z) & \cdots & \partial_z f_m(z) \\ \vdots & \vdots &&\vdots \\ \partial_z^{m} f_1(z) & \partial_z^{m} f_2(z) & \cdots & \partial_z^{m} f_m(z) \end{bmatrix}\\ \end{split}\] \[\begin{split} & = -a_{m-1}(z) \det \begin{bmatrix} f_1(z) & f_2(z) & \cdots & f_m(z) \\ \partial_z f_1(z) & \partial_z f_2(z) & \cdots & \partial_z f_m(z) \\ \vdots & \vdots &&\vdots \\ \partial_z^{m-1} f_1(z) & \partial_z^{m-1} f_2(z) & \cdots & \partial_z^{m-1} f_m(z) \end{bmatrix}\\ & = -a_{m-1}(z) \;\mathcal W(f_1,\ldots, f_m)(z) \end{split}\] aufgrund der Linearität der Determinante. In allen bis auf der letzten der auftretenden Determinanten sind Zeilen doppelt. ◻
4.20. Sei nun \(U\subset\Omega_r\) einfach zusammenhängend und \(f_1, \ldots, f_m\in\mathfrak A(U)\) ein Fundamentalsystem von Lösungen zu in \(U\). Ein solches erhält man insbesondere dadurch, daß man es an einem Punkt in \(U\) als Lösungen nach Satz konstruiert und die so konstruierten Lösungen entlang (beliebiger, da homotoper) Wege in jeden Punkt von \(U\) fortsetzt. Sei nun \(\Gamma\subset\Omega_r\) ein geschlossener und in \(U\) startender Weg, der einen singulären Punkt \(z_*\in\Omega\setminus\Omega_r\) einmal umrundet. Nach Fortsetzung entlang \(\Gamma\) erhält man also ein neues Fundamentalsystem in \(U\) und damit insbesondere eine Matrix \(A\) mit \[\begin{bmatrix} f_1(z) \\ \vdots \\ f_m(z) \end{bmatrix} \quad \rightsquigarrow \quad A \begin{bmatrix} f_1(z) \\ \vdots \\ f_m(z) \end{bmatrix},\qquad z\in U,\] wobei auf der rechten Seite die holomorphen Fortsetzungen der Funktionen \(f_j\) entlang \(\Gamma\) dargestellt im Ausgangsfundamentalsystem stehen. Die dabei auftretende Matrix hängt nur vom Ausgangsfundamentalsystem in \(U\) und von der Homotopieklasse des Weges \(\Gamma\) ab. Aus praktischen Gründen sind Fundamentalsysteme mit besonders einfacher Matrix \(A\) von Interesse. Wir unterscheiden dazu zwei Arten singulärer Punkte \(z_*\in\Omega\setminus\Omega_r\). Wir bezeichnen \(z_*\) als regulär singulär , falls \[(z-z_*)^{m-k} \alpha_k(z) \quad\text{holomorph in $z_*$}\] für alle \(k=0,1,\ldots, m\) ist. Ein singulärer Punkt, der nicht regulär singulär ist, wird als irregulär singulär bezeichnet.
In der Nähe regulär singulärer Punkte verhält sich die Differentialgleichung wie eine Gleichung vom Fuchstyp. Setzt man \[\label{eq:4:DglRed} \gamma_k = \lim_{z\to z_*} (z-z_*)^{m-k} \alpha_k(z),\] so liefert \[\sum_{k=0}^m (z-z_*)^{k} \gamma_k \tilde f^{(k)}(z) = 0\] ein Modellproblem im singulären Punkt, dessen Lösungen durch die Nullstellen des zugeordneten Indikatorpolynoms \[p(r) = \sum_{k=0}^m \gamma_k r(r-1) \cdots (r-k+1) = \sum_{k=0}^m \gamma_k\; (r)_k = 0\] bestimmt sind. Ist \(r\) eine Nullstelle von \(p(r)\), so löst \[\tilde f(z) = (z-z_*)^r\] das Hilfsproblem . Ist \(r\) mehrfache Nullstelle der Ordnung \(\nu\), so ergeben sich allgemeiner Lösungen der Form \[\tilde f(z) = (z-z_*)^r \big(\ln(z-z_*)\big)^\mu\] für \(\mu=0,1,\ldots \nu-1\). Alle diese Lösungen sind für nichtganzzahliges \(r\) beziehungsweise für \(\mu\ge1\) als Funktionen auf einer sich in \(z_0\) verzweigenden Riemannschen Fläche zu verstehen.
Die Lösung der Ausgangsgleichung hängt mit den Lösungen dieser Modellprobleme eng zusammen, allerdings spielen auch Nullstellen des Indikatorpolynoms mit ganzzahligen Differenzen eine besondere Rolle. Wir formulieren das Resultat in Form von zwei Theoremen.
Satz 4.21 (Frobenius55, Fuchs). Sei \(z_*\in\Omega\) regulär singulärer Punkt der Differentialgleichung und \(p(r)\) das zugehörige Indikatorpolynom. Ist nun \(r\) eine Nullstelle von \(p\), so daß \(p(r+n)\ne0\) für alle \(n\in{\mathbb N}\) gilt. Dann existiert eine Umgebung \(U\) von \(z_*\) und ein Lösung \(f\) der Form \[f(z) = (z-z_*)^r \sum_{n=0}^\infty \beta_n \, (z-z_*)^n\] mit \(\rho((\beta_n)_{n\in{\mathbb N}}) >0\).
Proof. Durch eine lineare Substitution kann man annehmen, daß \(z_0=0\) gilt. Wir machen den Ansatz \[f(z) = z^r \sum_{n=0}^\infty {\beta_n} z^n\] zur Bestimmung der Lösung. Zusammen mit den Potenzreihen der Koeffizientenfunktionen \[\alpha_k(z) = z^{k-m} \sum_{n=0}^\infty \gamma_{k,n} z^{n}\] erhalten wir durch Einsetzen in \[\label{eq:4:FrobAnsKoeff} \begin{split} 0 &= \sum_{k=0}^m z^{k-m} \left( \sum_{\ell=0}^\infty \gamma_{k,\ell} \,z^{\ell} \right) \left( \sum_{j=0}^\infty \beta_j \,(j+r)_k \,z^{j+r-k} \right)\\ &= \sum_{n=0}^\infty z^{n+r-m} \sum_{k=0}^m \sum_{\ell=0}^n \gamma_{k,\ell} \, (r+n-\ell)_k \, \beta_{n-\ell} \end{split}\] und Koeffizientenvergleich liefert Bestimmungsgleichungen für die Koeffizienten \(\beta_n\). Um diese kurz aufschreiben zu können, definieren wir neben dem Indikatorpolynom \[p(r) = \sum_{k=0}^m \gamma_{k,0}\, (r)_k\] die Hilfspolynome \[h_{\ell}(r) = \sum_{k=0}^m \gamma_{k,\ell}\, (r)_k.\] Koeffizientenvergleich in liefert damit \[\begin{split} n=0: & \qquad\qquad \beta_0 p(r) = 0\\ n=1: & \qquad\qquad \beta_1 p(r+1) = - h_1(r) \beta_0\\ n=2: & \qquad\qquad \beta_2 p(r+2) = - h_2(r) \beta_0 - h_1(r+1) \beta_1\\ &\qquad\vdots \\ n:&\qquad\qquad \beta_n p(r+n) = - \sum_{\ell=1}^n h_\ell(r+n-\ell) \beta_{n-\ell}\\ \end{split}\] und damit für \(r\) mit \(p(r)=0\) die mögliche Wahl \(\beta_0=1\) und rekursiv \[\beta_{n} = - \sum_{\ell=1}^n \frac{h_\ell(r+n-\ell)}{p(r+n)} \beta_{n-\ell}.\] Da \(p(r+n)\ne0\) für alle \(n\in {\mathbb N}\) gilt, ist die Folge \((\beta)_n\) wohldefiniert und es bleibt \(\rho((\beta_n)_{n\in{\mathbb N}})>0\) und damit die lokal gleichmäßige Konvergenz der Reihe nachzuweisen. Dies überlassen wir als Übung. ◻
Mitunter reicht dieser Satz schon aus um ein Fundamentalsystem von Lösungen zu konstruieren. Besitzt das Indikatorpolynom allerdings mehrfache Nullstellen oder Nullstellenpaare mit ganzzahligen Differenzen, so muß man allgemeiner vorgehen. Sei dazu eine Folge rationaler Funktionen \(\beta_n(r)\) durch ein Polynom \(\beta_0(r)\) und die Rekursion \[\beta_n(r) = - \sum_{\ell=1}^n \frac{h_\ell(r+n-\ell)}{p(r+n)} \beta_{n-\ell}(r)\] definiert. Nach Konstruktion besitzt die rationale Funktion \(\beta_n(r)\) höchstens in \[\{ r-\ell \;| \; p(r)=0,\; \ell\in {\mathbb N}\}\] Polstellen. Bei geeigneter Wahl des Ausgangspolynoms kann man nun sicherstellen, daß für gegebenes \(r\) alle \(\beta_n\) in \(r\) definiert und regulär sind. Ist \(r\) eine Nullstelle von \(p\) und gilt für Zahlen \(n_1,\ldots, n_j\in{\mathbb N}\) auch \(p(r+n_i)=0\), so setzt man im generischen Fall56 \(n_0=0\) und \[\beta_0(r) = \prod_{i=1}^j \left( \prod_{n=n_{i-1}+1}^{n_{i}} p(r+n) \right)^{j-i+1}.\] Analog zum obigen Fall zeigt man, daß die Reihe \[f(z,r) = z^r \sum_{n=0}^\infty \beta_n(r) \, z^n\] lokal gleichmäßig in \(r\) und in \(z\) um den Ursprung konvergiert. Darüberhinaus liefert die Konstruktion, daß \[\sum_{k=0}^m \alpha_k(z)\, \partial_z^k f(z,r) = p(r) \, \beta_0(r)\,z^{r-m}\] gilt. Ist nun \(r\) Nullstelle von \(p\), so ist damit \(f(z,r)\) Lösung. Ist darüberhinaus \(r+n_1\) Nullstelle, so kann man nun diese Gleichung nach \(r\) differenzieren und erhält wegen \(\beta_0(r+n_1)=0\) \[\sum_{k=0}^m \alpha_k(z)\, \partial_z^k \partial_r f(z,r) = p'(r) \, \beta_0(r)\, z^{r-m} + p(r) \, \beta_0'(r)\,z^{r-m} +p(r) \, \beta_0(r)\,z^{r-m} \ln z = 0\] und damit eine zweite Lösung \(\partial_r f(z,r)\). Ist \(r+n_2\) weitere Lösung, so kann man nochmals Differenzieren und erhält wiederum eine Lösung. Etc. Wegen der auftretenden Logarithmusterme \[\begin{split} \partial_r f(z,r) &=z^r \; \ln z \; \sum_{n=0}^\infty \beta_n(r) z^n + z^r \sum_{n=0}^\infty \beta_n'(r) z^n\\ \partial_r^2 f(z,r) &=z^r \; (\ln z)^2 \; \sum_{n=0}^\infty \beta_n(r) z^n +z^r \; \ln z \; \sum_{n=0}^\infty \beta_n'(r) z^n+ z^r \sum_{n=0}^\infty \beta_n''(r) z^n \end{split}\] sind die so konstruierten Lösungen offenbar linear unabhängig. Weiter ist \(\beta_n(r)=0\) für \(n\le n_2\) und \(\beta_n'(r)=0\) für \(n\le n_1\).
Satz 4.22 (Frobenius57, Fuchs). Sei \(z_*\in\Omega\) regulär singulärer Punkt der Differentialgleichung und \(p(r)\) das zugehörige Indikatorpolynom. Ist \(r\) eine Nullstelle von \(p\) und seien \(n_1,\ldots , n_\nu\in{\mathbb N}_0\) (mit Vielfachheit) derart, daß \(p(r+n_j)=0\) gilt und dies alle Nullstellen der Form58 \(p(r+n)\), \(n\in{\mathbb N}_0\), sind. Dann existiert eine Umgebung \(U\) von \(z_*\) und holomorphe Funktionen \(g_j\in \mathfrak A(U)\), so daß \[\begin{split} f_1(z) &= (z-z_*)^{r+n_1} g_1(z) +% (z-z_*)^{n_2} \ln (z-z_*) g_2(z) + \cdots + (z-z_*)^{n_\nu} \big(\ln(z-z_*)\big)^{\nu-1} g_\nu(z)\\ f_2(z) &= (z-z_*)^{r+n_2} g_2(z) +% (z-z_*)^{n_3} \ln (z-z_*) g_3(z) \cdots + (z-z_*)^{n_\nu} \big(\ln(z-z_*)\big)^{\nu-2} g_\nu(z)\\ &\vdots\\ f_\nu (z) & = (z-z_*)^{r+n_\nu} g_\nu(z) \end{split}\] linear unabhängige Lösungen der Gleichung sind.
Beispiel 4.23. Die Besselsche Differentialgleichung
\[z^2 f''(z) + z f'(z) + (z^2-\nu^2) f(z)=0\] besitzt (nach Division durch \(z^2\)) im Punkt \(z=0\) eine reguläre Singularität. Die Indikatorgleichung ist durch \(p(r) = (r)_2 + (r)_1 - \nu^2 = r(r-1)+r-\nu^2 = r^2-\nu^2\) gegeben. Weiter gilt \(h_2(r) = 1\) und \(h_{\ell}(r)=0\) für alle \(\ell\ne2\). Die Indikatorgleichung besitzt die Nullstellen \(r=\pm\nu\) und es treten drei interessante Fälle auf. Man beachte, daß der von den Nullstellen von \(p\) geworfene ‘Schatten’ hier aus \(\nu+2{\mathbb N}\) und \(-\nu+2{\mathbb N}\) besteht.
Sei \(\nu=0\). Dann ist \(0\) doppelte Nullstelle und wir finden zwei Lösungen der Form \[\mathcal J_0(z) = \sum_{n=0}^\infty \beta_n z^n,\qquad \mathcal Y^{(0)}(z) = \ln z \sum_{n=0}^\infty \beta_n z^n+ \sum_{n=0}^\infty \tilde\beta_n z^n\] mit geeigneten Koeffizientenfolgen \((\beta_n)\) und \((\tilde\beta_n)\).
Sei \(\nu\in{\mathbb N}\). Hier egeben sich Lösungen der Form \[\mathcal J_\nu(z) = z^\nu \sum_{n=0}^\infty \beta_{n,\nu} z^n,\qquad \mathcal Y^{(\nu)}(z) = z^\nu \ln z \sum_{n=0}^\infty \beta_{n,\nu} z^n+ z^{-\nu} \sum_{n=0}^\infty \tilde\beta_{n,\nu} z^n\] mit geeigneten Koeffizientenfolgen \((\beta_{n,\nu})\) und \((\tilde\beta_{n,\nu})\).
Sei zuletzt \(\nu\in{\mathbb C}\setminus \mathbb Z\). Dann sind unabhängige Lösungen durch Reihen \[\mathcal J_{\nu}(z) = z^\nu \sum_{n=0}^\infty \beta_{n,\nu} z^n,\qquad \mathcal J_{-\nu}(z) = z^{-\nu} \sum_{n=0}^\infty \beta_{n,-\nu} z^n\] mit geeigneten Koeffizientenfolgen \((\beta_{n,\nu})\) gegeben.
4.24. Oft betrachtet man Differentialgleichungen nicht nur auf ganz \({\mathbb C}\) sondern auf der Riemannschen Zahlenkugel \(\widehat{\mathbb C}= {\mathbb C}\cup\{\infty\}\). Letzteres bedarf einer Klarstellung. Wir bezeichnen mit \(\mathfrak M(\widehat {\mathbb C})\) die Menge der auf ganz \({\mathbb C}\) meromorphen Funktionen, \[\mathfrak M(\widehat {\mathbb C}) = \{ \alpha\in\mathfrak M({\mathbb C})\;:\; \exists_{N\in{\mathbb N}}\quad \alpha(z) \in \mathcal O_{z\to\infty} (|z|^N) \}.\] Diese besitzen nur endlich viele Polstellen und im Unendlichen ein höchstens polynomiales Wachstum. Damit handelt sich genau um den Körper der rationalen Funktionen. Sei nun die Differentialgleichung \[\sum_{k=0}^m \alpha_k(z) f^{(k)}(z) =0\] mit rationalen Koeffizienten \(\alpha_k\in\mathfrak M(\widehat {\mathbb C})\) und \(\alpha_m(z)=1\) gegeben. Die Substitution \(z=1/\zeta\) liefert daraus eine neue Differentialgleichung in \(g(\zeta) = f(1/z)\) \[\sum_{k=0}^m \beta_k(\zeta) g^{(k)}(\zeta) = 0\] mit neuen (wiederum rationalen) Koeffizienten \(\beta_k\in\mathfrak M(\widehat {\mathbb C})\) und \(\beta_m(\zeta)=1\). Wir sagen \(z=\infty\) ist regulärer Punkt, falls \(\zeta=0\) regulärer Punkt für die transformierte Gleichung ist. Weiter heißt \(z=\infty\) regulär singulär, falls nach Transformation \(\zeta=0\) regulär singulär ist.
Es ist leicht zu zeigen, daß der Punkt \(z=\infty\) genau dann ein regulärer oder regulär singulärer Punkt ist, wenn \(z^{m-k} \alpha_k(z)\) für \(z\to\infty\) beschränkt bleibt. Eine Differentialgleichung auf \(\widehat{\mathbb C}\) mit nur regulären Singularitäten wird als Fuchssche Differentialgleichung bezeichnet.
Die einfachsten Fuchsschen Differentialgleichungen sind \[f''(z) + \frac2z f'(z) = 0,\qquad \text{mit Lösungen $f(z) = c_1 + \frac{c_2} z$ für $c_1,c_2\in{\mathbb C}$}\] mit genau einer Singularität in \(z=0\) (und einer regulären Stelle in \(z=\infty\)) und \[f''(z) + \frac az f'(z) + \frac b{z^2} f(z) =0\] für Parameter \(a,b\in{\mathbb C}\) mit Singularitäten in \(z=0\) und \(z=\infty\). Die Lösungen der zweiten Gleichung ergeben sich aus den Nullstellen von \(\lambda^2 + (a-1)\lambda+b=0\). Sind diese einfach, so ergibt sich \[f(z) = c_1 z^{\lambda_1} + c_2 z^{\lambda_2},\qquad c_1,c_2\in{\mathbb C},\] im Falle einer doppelten Nullstelle entsprechend \[f(z) = c_1 z^{\lambda} + c_2 z^{\lambda} \ln z,\qquad c_1,c_2\in{\mathbb C}.\] Jede Differentialgleichung mit genau einer oder genau zwei regulären Singularitäten kann offenbar auf diese Form gebracht werden.
Beispiel 4.25. Die hypergeometrische Differentialgleichung
\[z(1-z) f''(z) + (c-(a+b+1)z ) f'(z) - ab f(z) = 0\] zu Parametern \(a,b,c\in{\mathbb C}\) besitzt die regulären Singularitäten \(z=0\), \(z=1\) und \(z=\infty\). Nach einem Satz von Riemann und Papperitz59 kann sogar jede Fuchssche Differentialgleichung mit genau drei regulären Singularitäten durch Möbiustransformation auf diese Form gebracht werden. Speziell am Punkt \(z=0\) besitzt die Gleichung das Indikatorpolynom \[p(r) = (r)_2 + c \, (r)_1 = r(r+c-1)\] und damit die Nullstellen \(r=0\) und \(r=1-c\). Für nicht ganzzahliges \(c\) existiert damit um den Ursprung eine holomorphe Lösung sowie eine Lösung der Form \(f(z) = z^{1-c} g(z)\) mit holomorphem \(g\). Die holomorphen Lösungen besitzen mindestens den Konvergenzradius \(1\). Für \(c=1\) ist \(r=0\) doppelte Nullstelle und die zweite Lösung ist von der Form \(f(z) = g(z) \ln z\) mit holomorphem \(g\) und für ganzzahlige \(c\) ist genauer hinzuschauen.
Die Lösungen für nichtganzzahlige \(c\) haben die Form hypergeometrischer Reihen \[{}_2\mathcal F_1 (a,b;c; z) = \sum_{n=0}^\infty \frac{(a)^{(n)} \, (b)^{(n)}}{(c)^{(n)}} \frac{z^n}{n!}\] mit den (wachsenden) Pochhammersymbolen \((a)^{(n)} = a(a+1)\cdots(a+n-1)\), sowie \[z^{1-c} {}_2\mathcal F_1 (1+a-c,1+b-c;2-c; z).\]
Beispiel 4.26. Die Airysche Differentialgleichung
\[f''(z) + z f(z) = 0\] besitzt auf \({\mathbb C}\) nur reguläre Punkte. Der Punkt \(z=\infty\) ist irregulär singulär. Selbiges gilt für die Differentialgleichung der Exponentialfunktion \(f'(z) = f(z)\).
4.27. Während für die Untersuchung von Lösungen von Differentialgleichungen in der Nähe regulärer und regulär singulärer Punkte eine allgemeine Theorie existiert, bleiben für die Diskussion irregulärer Singularitäten nur Einzelfalluntersuchungen. Wir beschränken uns hier auf Differentialgleichungen zweiter Ordnung auf \(\widehat{\mathbb C}\); ohne Beschränkung der Allgemeinheit betrachten wir den Fall eines irregulär singulären Punktes in \(\infty \in \widehat {\mathbb C}\). Beispiele sind uns mit der Airyschen Differentialgleichung \[f''(z) - zf(z) = 0\] und der Besselschen Differentialgleichung \[z^2 f''(z) + z f'(z) + (z^2-\nu^2) f(z)=0\] zum Parameter \(\nu\in{\mathbb C}\) schon begegnet. Für Differentialgleichungen zweiter Ordnung existiert eine Normalform. Diese geht auf Liouville zurück und ist der Ausgangspunkt unserer Betrachtungen.
Lemma 4.28 (Liouville). Sei \(\Omega\subset{\mathbb C}\) einfach zusammenhängend, \(a_1, a_0\in\mathfrak A(\Omega)\) holomorph und erfülle \(f\) die Differentialgleichung \[f''(z) + a_1(z) f'(z) + a_0(z) f(z) = 0\] Sei weiter für ein \(z_0\in\Omega\) \[g(z) = \exp\left(\frac12 \int^z_{z_0} a_1(\zeta){\,\mathrm d}\zeta \right) f(z).\] Dann gilt \[g''(z) - b_0(z) g(z) = 0\] mit \[b_0(z) = \frac{(a_1(z))^2 +2 a_1'(z)}{4}- a_0(z).\]
Proof. Der Beweis erfolgt durch Einsetzen und Nachrechnen. Die Definition von \(g\) liefert \[\begin{split} g'(z) &= \frac{ a_1(z)}2 g(z) + \exp\left(\frac12 \int^z_{z_0} a_1(\zeta){\,\mathrm d}\zeta \right) f'(z),\\ g''(z) &= \frac{a_1'(z)}2 g(z) + \frac{ a_1^2(z) }4 g(z) + \exp\left(\frac12 \int^z_{z_0} a_1(\zeta){\,\mathrm d}\zeta \right) \bigg(a_1(z) f'(z) + f''(z) \bigg), \end{split}\] und damit \[\begin{split} g''(z) &+ a_0(z) g(z) - \frac{2a_1'(z)+a_1^2(z)}4 g(z) \\&= \exp\left(\frac12 \int^z_{z_0} a_1(\zeta){\,\mathrm d}\zeta \right) \bigg(f''(z) + a_1(z) f'(z) + a_0(z) f(z) \bigg) = 0. \end{split}\] ◻
Damit genügt es, Gleichungen der Form \[\label{eq:4:ModEq} f''(z) - \alpha(z) f(z)=0\] mit \(\alpha\in \mathfrak M(U_\infty)\) für eine Umgebung \(U_\infty\subset\widehat {\mathbb C}\) des unendlich fernen Punktes zu untersuchen. Damit \(\infty\) irregulär singulär ist, muß \(z^2\alpha(z)\) unbeschränkt für \(z\to\infty\) sein, die Laurentreihe von \(z^2\alpha(z)\) für \(|z|>R\) hinreichend groß also von der Form \[z^2 \alpha(z) = \sum_{k=0}^\infty \gamma_k z^{n-k},\qquad \gamma_0\ne0,\] mit einem \(n\in{\mathbb N}\) sein. Für das Verhalten von Lösungen in der Nähe des singulären Punktes \(z=\infty\) spielt die Funktion \(z\sqrt{\alpha(z)}\) eine Rolle, die Linien \(\Re (z\sqrt{\alpha(z)})=0\)
Satz 4.29 (Liouville–Green-Approximation). Angenommen, \(\alpha\in\mathfrak M(U_\infty)\) mit \[\lim_{z\to\infty} z^2\alpha(z)=\infty.\] Wir zerlegen die Umgebung von \(z=\infty\) in Sektoren, in denen \(\Re (z \sqrt{\alpha(z)}) \ne 0\) gilt. Dann existieren in jedem Sektor Lösungen \(f_\pm\) zu mit \[f_\pm(z) \sim \frac1{\sqrt[4]{\alpha(z)}} \exp\left( \pm \int \sqrt{ \alpha(z)} {\,\mathrm d}z \right),\qquad z\to \infty\] gleichmäßig in jedem kleineren echt enthaltenen Sektor.
Proof. Schritt 1. Da nach Voraussetzung \(z^2\alpha(z)\to\infty\) strebt, gilt \(\alpha(z)\ne0\) für \(|z|\) hinreichend groß. Wir betrachten ein System erster Ordnung in \(V(z) = \big(f(z),f'(z)\big)^\top\). Dann gilt \[\partial_z V(z) = A(z) V(z) = \begin{bmatrix} 0 & 1 \\ \alpha(z) & 0 \end{bmatrix} V(z).\] Die Koeffizientenmatrix hat die Eigenwerte \(\pm\sqrt{\alpha(z)}\) und die zugehörigen Eigenvektoren können genutzt werden, die Koeffizientenmatrix zu diagonalisieren. Sei also \[M(z) = \begin{bmatrix} 1 & 1 \\ -\sqrt{\alpha(z)} & \sqrt{\alpha(z)} \end{bmatrix},\qquad M^{-1}(z) = \frac1{2\sqrt{\alpha(z)}} \begin{bmatrix} \sqrt{\alpha(z)} & -1 \\ \sqrt{ \alpha(z) }& 1 \end{bmatrix}\] und bezeichne \(V_1(z) = M(z)^{-1} V(z)\). Dann gilt \[\begin{split} \partial_z V_1(z) &= \big( M^{-1}(z) A(z) M(z) + \big(\partial_z M^{-1}(z)\big) M(z)\big) V_1(z)\\ &=\left( \begin{bmatrix} -\sqrt{\alpha(z)} & 0 \\ 0 & \sqrt{\alpha(z)} \end{bmatrix} + \frac{\alpha'(z)}{4\alpha(z)}\begin{bmatrix} -1 & 1 \\1 & -1 \end{bmatrix} \right) V_1(z)\\ &=\big( \mathcal D(z) + R_1(z)\big) V_1(z). \end{split}\] Gilt nun \(z^2\alpha(z)\in\mathcal O(|z|^n)\), so ist \(\mathcal D(z)\in\mathcal O(|z|^{n/2-1})\) und \(R_1(z)\in\mathcal O(|z|^{-1})\). Wichtig für das weitere ist ebenso, daß \(1/\sqrt{\alpha(z)} \in \mathcal O(|z|^{1/2})\). Dies nutzen wir, um das System weiter zu transformieren. Dazu sei \(N(z)\) eine Lösung der Kommutatorgleichung \[+ R_1(z) - \mathop{\mathrm{diag}}R_1(z) =0,\] also zum Beispiel die Matrix \[N(z) = \frac{\alpha'(z)}{8 \alpha(z) \sqrt{\alpha(z)}}\begin{bmatrix} 0 & -1 \\ 1 & 0 \end{bmatrix} \in \mathcal O(|z|^{-1/2}).\] Dann ist \((1+N(z))\) für hinreichend großes \(|z|>R\) invertierbar und die transformierte Funktion \(V_2(z) = (1+N(z))^{-1} V_1(z)\) löst wegen der Identität \[\begin{split} & \big(\partial_z - \mathcal D(z) - R_1(z) \big) \big(1+ N(z) \big) V_2(z) \\&\qquad\qquad\qquad\qquad - \big(1+ N(z) \big) \big(\partial_z - \mathcal D(z) - \mathop{\mathrm{diag}}R_1(z)\big)V_2(z) \\ & = \big( \partial_z N(z) - [ \mathcal D(z) , N(z) ] -R_1(z) + \mathop{\mathrm{diag}}R_1(z) \\&\qquad\qquad\qquad\qquad - R_1(z) N(z) + N(z) \mathop{\mathrm{diag}}R_1(z)\big) V_2(z) \\ & = \big(1+N(z)\big) R_2(z) V_2(z) \end{split}\] die Gleichung \[\partial_z V_2(z) = \left( \begin{bmatrix} -\sqrt{\alpha(z)} & 0 \\ 0 & \sqrt{\alpha(z)} \end{bmatrix} - \frac{\alpha'(z)}{4\alpha(z)} + R_2(z) \right) V_2(z).\] Die neue Koeffizientenmatrix erfüllt \(R_2(z) \in \mathcal O(|z|^{-3/2})\) und ist damit entlang von ins unendliche verlaufenden Strahlen absolut integrierbar.
Schritt 2. Wir schreiben das erhaltene System in eine Integralgleichung um und konstruieren daraus wachsende und fallende Lösungen. Dazu schränken wir \(z\) auf einen Sektor \(\Sigma\) ein, auf welchem \(\Re (z\sqrt{\alpha(z)}) \sim \Re (\sqrt{\gamma_0}\; z^{n/2})\) nicht sein Vorzeichen wechselt. Wir wählen weiterhin den Zweig der Wurzelfunktion auf \(\Sigma\) so, daß asymptotisch \(\Re (z\sqrt{\alpha(z)}) > 0\) gilt.
Wir beginnen mit einer wachsenden Lösung und betrachten für ein fest gewähltes \(z_0\in\Sigma\) die Hilfsfunktion \[\widetilde V_2^{+}(z) = \sqrt[4]{\alpha(z)} \exp\left( - \int_{z_0}^z \sqrt{\alpha(\zeta)} {\,\mathrm d}\zeta \right) V_2 (z).\] Diese erfüllt die modifizierte Gleichung \[\partial_z \widetilde V_2^{+}(z) = \left( \begin{bmatrix} -2\sqrt{\alpha(z)} & 0 \\ 0 & 0 \end{bmatrix} + R_2(z) \right) \widetilde V_2(z)\] und wir suchen eine Lösung über die aus der Duhameldarstellung folgenden Integralgleichung. Sei dazu \[\Phi_+(z,w) = \begin{bmatrix} \exp\left( -2 \int_w^z \sqrt{\alpha(\zeta)}{\,\mathrm d}\zeta \right) & 0\\0 & 1 \end{bmatrix}\] die Fundamentalmatrix des Hauptteils der modifizierten Gleichung. Da \[\sqrt{\alpha(z)} \sim \sqrt{ \gamma_0 }z^{n/2-1}\qquad \Rightarrow\qquad \int \sqrt{ \alpha(z) }{\,\mathrm d}z \sim \sqrt{\gamma_0} z^{n/2}\] gilt, ist in jedem echt enthaltenen Sektor \(\Sigma'\) \[\sup_{R<|w|<|z|} \| \Phi_+(z,w) \| < \infty.\] Sucht man nun eine Lösung mit \[\widetilde V_2^+(z_0) = \begin{bmatrix}0 \\ 1\end{bmatrix},\] so liefert die Duhamelsche Formel die Integralgleichung60 \[\begin{split} \widetilde V_2^{+}(z) &= \begin{bmatrix}0 \\ 1\end{bmatrix} + \int_{z_0}^z \Phi(z,w) R_2(w) \widetilde V_2^{+}(w) {\,\mathrm d}w. \end{split}\] Für \(R\) hinreichend groß ist diese Gleichung eindeutig mit dem Banachschen Fixpunktsatz lösbar. Es gilt \[\sup_{z\in\Sigma'} \left\| \int_{z_0}^z \Phi_+(z,w) R_2(w) \widetilde V_2^{+}(w) {\,\mathrm d}w \right\| \le C \int_R^\infty \max_{\theta} \|R_2(r{\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta}) \| {\,\mathrm d}r\; \sup_{z\in\Sigma'} \| \widetilde V_2^+(z)\|\] und das Integral strebt mit \(R\to\infty\) gegen Null. Also existiert eine eindeutig bestimmte (stetige) Lösung der Integralgleichung, damit eine Lösung der Differentialgleichung und die so konstruierte Funktion ist holomorph.
Für \(z\to\infty\) konvergiert die so konstruierte Lösung und bei geeigneter Wahl von \(z_0\) liegt der Grenzwert nahe genug bei \((0,1)^\top\), ist also insbesondere von Null verschieden.
Zur Konstruktion einer fallenden Lösung nutzen wir analog die Hilfsfunktion \[\widetilde V_2^{-}(z) = \sqrt[4]{\alpha(z)} \exp\left( \int_{z_0}^z \sqrt{\alpha(\zeta)} {\,\mathrm d}\zeta \right) V_2 (z).\] Zusammen mit den Endbedingungen \[\lim_{z\to\infty} \widetilde V_2^-(z) = \begin{bmatrix}1 \\ 0\end{bmatrix}\] erhält man für diese die Integralgleichung \[\begin{split} \widetilde V_2^{-}(z) &= \begin{bmatrix}1\\ 0\end{bmatrix} + \int_{z}^\infty \Phi_-(z,w) R_2(w) \widetilde V_2^{-}(w) {\,\mathrm d}w \end{split}\] unter Ausnutzung der Fundamentalmatrix \[\Phi_-(z,w) = \begin{bmatrix} 1 & 0 \\ 0 & \exp\left( 2 \int_w^z \sqrt{\alpha(\zeta)}{\,\mathrm d}\zeta \right) \end{bmatrix}.\] Diese ist für \(|w|>|z|\) auf \(\Sigma'\) beschränkt, \[\sup_{R<|z|<|w|} \| \Phi_-(z,w) \| < \infty\] und der Banachsche Fixpunktsatz liefert ausgehend von \[\sup_{z\in\Sigma'} \left\| \int_{z}^\infty \Phi_-(z,w) R_2(w) \widetilde V_2^{-}(w) {\,\mathrm d}w \right\| \le C \int_R^\infty \max_{\theta} \|R_2(r{\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta}) \| {\,\mathrm d}r\; \sup_{z\in\Sigma'} \| \widetilde V_2^-(z)\|\] wiederum die Existenz einer entsprechenden Lösung.
Rücktransformation liefert damit die Existenz von Lösungen der Form \[f_\pm (z) = \frac1{\sqrt[4]{\alpha(z)}} \exp\left( \pm \int \sqrt{ \alpha(z) } {\,\mathrm d}z \right) \left (1 + \mathbf o(1) \right)\] im Sektor \(\Sigma'\). ◻
4.30. Die gerade erhaltene Aufteilung der Umgebung des unendlich fernen Punktes in Sektoren entspricht dem schon bei der Diskussion von Airy- und Besselfunktionen beobachteten Stokesphänomen . In jedem der Sektoren gibt es eine eindeutig bestimmte fallende Lösung, diese wird oft als rezessiv bezeichnet. Die wachsenden Lösungen sind nicht eindeutig durch ihre Asymptotik bestimmt, hier sind die Anfangsbedingungen im wesentlichen frei wählbar.
übersetzt als: M.A. Lawrentjew, B.V. Schabat. Methoden der komplexen Funktionentheorie (Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1967)↩︎
Edmund Landau, 1877–1938↩︎
Jakob I. Bernoulli, 1654–1705↩︎
Leonhard Euler, 1707–1783↩︎
Colin Maclaurin, 1698–1746↩︎
James Stirling, 1692–1770↩︎
Lorenzo Mascheroni, 1750–1800↩︎
Johannes Faulhaber, 1580–1635↩︎
Pierre-Simon Laplace, 1749–1827↩︎
Leo August Pochhammer, 1841–1920↩︎
George Neville Watson, 1886–1965↩︎
Augustin-Louis Cauchy, 1789–1857↩︎
Leo August Pochhammer, 1841–1920↩︎
Isaac Newton, 1643–1727↩︎
Niels Henrik Abel, 1802–1829↩︎
Leonardo von Pisa, genannt Fibonacci, 1170–1240↩︎
Abraham de Moivre, 1667–1754↩︎
Jacques Philippe Marie Binet, 1786–1856↩︎
Eric Temple Bell, 1883–1960↩︎
Émile Borel, 1871–1956↩︎
Bernhard Riemann, 1826–1866↩︎
Paul Debye, 1884–1966↩︎
Dargestellt ist \(\ln |f(z)|\) über der \(z\)-Ebene, gefärbt mit \(\arg f(z)\) als Farbe aus dem Farbkreis. Die Helligkeit ist proportional zur Höhe.↩︎
Henri Poincaré, 1854–1912↩︎
Arthur Erdélyi, 1908–1977↩︎
Emile Borel, 1871–1956↩︎
Giuseppe Peano, 1858–1932↩︎
Lars Edvard Phragmén, 1863–1937↩︎
Ernst Leonard Lindelöf, 1870–1946↩︎
George Biddel Airy, 1801–1892↩︎
Sir George Gabriel Stokes, 1819–1903↩︎
Friedrich Wilhelm Bessel, 1784–1846↩︎
Matyáš Lerch, 1860–1922↩︎
Thomas John I’Anson Bromwich, 1875–1929↩︎
Marcel Riesz, 1886–1969↩︎
Godfrey Harold Hardy, 1877–1947↩︎
John Edensor Littlewood, 1885–1977↩︎
Jovan Karamata, 1902–1967↩︎
Alfred Tauber, 1866–1942↩︎
Edward Charles Titchmarsh, 1899–1963↩︎
Aufgrund der Taylorschen Formel gilt für beliebiges \(\theta\in(0,1/2)\) und \(z'=z+\theta(1-z)\) \[G_a(z') = G_a(z) + \theta (1-z) G_a'(z) + \frac{\theta^2}2 (1-z)^2 G_a''(\zeta)\] für ein \(\zeta\in[z,z']\). Also folgt mit \(G_a''(\zeta) \in \mathcal O((1-\zeta)^{-2})= \mathcal O((1-z)^{-2})\) \[(1-z)G_a'(z) = \frac{G_a(z') - G_a(z)}{\theta} + \frac{\theta}2 (1-z)^2 G_a''(\zeta) =\frac{G_a(z') - G_a(z)}{\theta} + \mathcal O(\theta)\] und durch Wahl von \(\theta\) klein und \(z\) danach nahe an \(1\) folgt \(G_a'(z)\in\mathbf o((1-z)^{-1})\).↩︎
Norbert Wiener, 1894–1964↩︎
Shikao Ikehara, 1904–1984↩︎
Hjalmar Mellin, 1854–1933↩︎
Lazarus Fuchs, 1833–1902↩︎
Johann Peter Gustav Lejeune Dirichlet, 1805–1859↩︎
Thomas Jean Stieltjes, 1856–1894↩︎
Oskar Perron, 1880–1975↩︎
August Ferdinand Möbius, 1790–1868↩︎
Hans von Mangoldt, 1854–1925↩︎
Jacques Hadamard, 1865–1963↩︎
Victor Puiseux, 1820–1883↩︎
Für Matrizen in Jordanform oder auch nur für Jordanblöcke erklärt sich die Bezeichnung. Es gilt \[A= \begin {bmatrix} \lambda & 1 & & \\ & \ddots & \ddots & \\ & & \ddots & 1\\ & & & \lambda \end {bmatrix} \qquad\Rightarrow\qquad {P=I}\quad\text{und}\quad D= \begin {bmatrix} 0 & 1 & & \\ & \ddots & \ddots & \\ & & \ddots & 1\\ & & & 0 \end {bmatrix}.\]↩︎
Jósef Maria Hoëné-Wroński, 1776–1853↩︎
Ferdinand Georg Frobenius, 1849–1917↩︎
Die Faktoren sind so gewählt, daß sie Nullstellen liefern die irgendwann beim Dividieren durch \(p(r+n)\) gekürzt werden. Sollten die Hilfspolynome \(h_\ell(r)\) oft genug Null sein, so müssen eventuell Faktoren gestrichen werden und der ’Schatten’ den die Nullstellen werfen wird entsprechend dünner.↩︎
Ferdinand Georg Frobenius, 1849–1917↩︎
Generisch. In Spezialfällen sollten das nur alle Nullstellen im dann kleineren ’Schatten’ der Nullstelle \(r\) sein.↩︎
Erwin Papperitz, 1857–1938↩︎
Der Integrationsweg sei dabei jeweils die Verbindungsstrecke.↩︎