Asymptotische Analysis

Sommersemester 2021

Vorrede

Asymptotische Analysis ist mehr Hilfsmittel als Theorie und stellt damit keine einheitliche und abgeschlossene Lerneinheit dar. Ich werde im folgenden versuchen, eine kurze Begriffsbestimmung und Ideensammlung zu geben. Für die Details sei auf die nachfolgenden Kapitel verwiesen.

Sei a:NC eine (komplexe) Zahlenfolge mit Gliedern ak=a(k). Über eine derartige Folge lassen sich verschiedenartige Aussagen treffen. So kann man zum Beispiel die Folge explizit angeben, ak=k!=j=1kj, was es (prinzipiell) einfach macht das k-te Folgenglied auszurechnen. Darüberhinaus kann man Abschätzungen für die Größe von ak angeben. Hier gilt zum Beispiel 2k1k!kk1 für alle kN. Diese Ungleichungen werden mit zunehmenden k schlechter; interessiert man sich nur für große k so kann man nach asymptotischen Ungleichungen suchen. Ein Beispiel dafür ist die Stirlingsche Abschätzung 1ϵk!2πk(ke)k1+ϵkNϵ, gültig für hinreichend große k. Diese schreibt man auch kurz als k!2πk(ke)k,k, der relative Fehler der Abschätzung nimmt mit zunehmendem k ab. Während die explizite Vorschrift zur Berechnung von k! stets das richtige Ergebnis (bei drastisch steigendem Aufwand) liefert, ist die asymptotische Formel auch für große k einfach zu berechnen. Ein zweites für uns wichtiges Beispiel ist die Primzahlzählfunktion ak=#{p prim:pk}, deren explizite Bestimmung für große k schon am Testen der Primzahleigenschaft großer natürlicher Zahlen scheitert. Jedoch gilt der Primzahlsatz akklnk,k, wie wir im Verlaufe des Semesters beweisen werden.

Asymptotische Aussagen sind auch oft einfacher zu beweisen als direkte Abschätzungen. Wir werden dies im Verlaufe der Vorlesung noch oft sehen. Ziel der Vorlesung ist es Methoden zu entwickeln, mit denen das asymptotische Verhalten von Folgen und Funktionen ausgehend von Rekursions-, Differenzen- und Differentialgleichungen sowie Integraldarstellungen bestimmt werden kann. Als Anwendungen werden Aussagen der analytischen Zahlentheorie sowie aus dem Bereich der speziellen Funktionen betrachtet.

Literatur

Die Phasenportraits sind mit MATLAB erstellt. Genutzt wurden dazu von Elias Wegert bereitgestellte m-Files. Für weitere Informationen zu Darstellungen holomorpher Funktionen und funktionentheoretischen Hintergründen sei auf das Buch

verwiesen.

1 Asymptotisches Verhalten von Folgen

In diesem einleitenden Kapitel soll das asymptotische Verhalten von Zahlenfolgen im Mittelpunkt stehen. Die wichtigen Grundbegriffe der asymptotischen Analysis werden wir bei der Untersuchung von Zahlenfolgen kennenlernen und im Anschluß noch einmal in voller Allgemeinheit definieren.

Im weiteren bezeichne F={a:N0C} die Menge der komplexwertigen Zahlenfolgen sowie F+={a:N0R+} ihre Teilmenge der positiven Zahlenfolgen. Ist aF, so schreiben wir an kurz für das n-te Folgenglied a(n). Ebenso bezeichnen wir zu a,bF und {+,,,/} die Folge mit Gliedern anbn kurz als ab. Weiter unterscheiden wir nicht zwischen Konstanten aus C und konstanten Folgen, betrachten also CF.

1.1 Landausche O-Notation

Definition 1.1. Sei aF+ eine Folge positiver Zahlen. Dann bezeichnet man nach Landau2 O(a)={bF:lim supn|bn|an<} als Menge der durch a dominierten Folgen. Für bO(a) sagt man, b sei ein groß-O von a.

Proposition 1.2. Die Menge O(a) besitzt die Struktur eines Vektorraumes über C. Weiterhin gilt

  1. bF+ und bO(a) impliziert O(b)O(a);

  2. bO(a) und dO(c) impliziert bdO(ac).

Definition 1.3. Seien a,bF+. Dann heißen a und b asymptotisch vergleichbar , falls O(a)=O(b) gilt. In diesem Falle schreiben wir ab.

Beispiel 1.4. Seien an=2n, bn=n2 und cn=(n+sinn)2. Dann sind a,b,cF+ und es gilt b,cO(a). Weiter gilt cO(b) sowie bO(c) und damit bc.

Beispiel 1.5. Zu nN betrachten wir die Fakultät n!=k=1nk und ihren Logarithmus. Für letzteren gilt lnn!=k=1nlnklnn+1nlnxdx=lnn+[xlnxx]x=1n=nlnnn+lnn+1 als Abschätzung des Integrals durch Untersummen sowie nlnnn+1=1nlnxdxk=1nlnk=lnn! als Abschätzung durch Obersummen. Also gilt lnn!nlnn und somit lnn!=nlnnn+O(lnn). Wenn man obige Abschätzungen in die Exponentialfunktion einsetzt erhält man die explizite Abschätzung e(ne)nn!ne(ne)n, während die asymptotische Formel nur nc1n!/(n/e)nnc2 mit unbestimmten Konstanten c1,c2R und für hinreichend großes n bedeutet.

Definition 1.6. Zu aF+ sei o(a)={bF:limnbnan=0}. Für bo(a) sagt man auch, b sein klein-o von a.

Proposition 1.7. Die Menge o(a) besitzt die Struktur eines Vektorraumes über C. Weiterhin gilt

  1. o(a)O(a);

  2. bF+ und bo(a) impliziert o(b)o(a);

  3. bo(a) und dO(c) impliziert bdo(ac).

Definition 1.8. Seien a,bF und bn0 für fast alle n. Dann heißen a und b asymptotisch äquivalent , falls limnanbn=1 gilt. In diesem Falle schreiben wir ab.

Proposition 1.9. Seien a,bF+. Dann sind äquivalent

  1. ab;

  2. a/b1o(1);

  3. abo(b);

  4. abo(a).

Beispiel 1.10. Es gilt no(nlnn) und lnno(n). Wie oben schon gezeigt, gilt damit lnn!nlnnn.

1.2 Asymptotische Entwicklungen

1.11. Wir beginnen da, wo wir in obigen Beispielen aufgehört haben. Für lnn! haben wir gezeigt, daß lnn!nlnn+o(nlnn)lnn!nlnnn+o(n) gilt, und es stellt sich die Frage, ob sich weitere solche asymptotischen Verbesserungen finden lassen. Die Beantwortung dieser Frage verschieben wir in das nächste Unterkapitel, hier werden wir zuerst die allgemeinen Definitionen vorbereiten.

Definition 1.12. Sei aF. Eine Folge a(k)F heißt asymptotische Entwicklung von a, falls a(k)0 f.u¨.unda(k+1)o(|a(k)|) und aj=1ka(j)o(|a(k)|) für alle kN gilt. In diesem Falle schreiben wir aka(k) und sprechen von einer asymptotischen Reihe.

Beispiel 1.13. Die direkt aus der Exponentialreihe folgende Darstellung e1/n=k=0(1)kk!nk ist eine asymptotische Reihe, da |e1/nj=0k(1)jj!nj|=|j=k+1(1)jj!nj|1(k+1)!nk+1o(nk),n, da die Summanden der Reihe das Leibnizkriterium erfüllen. Es gilt also e1/n11n+12n216n3±

Asymptotische Entwicklungen werden uns noch einige begegnen, insbesondere wenn wir uns mit dem asymptotischen Verhalten von Funktionen beschäftigen. Man beachte, dass es für asymptotische Reihen keinen Konvergenzbegriff gibt. Sie bestimmen für kein nN den Wert an, sie beschreiben nur das asymptotische Verhalten der Folge a=(an) für n.

1.3 Summenformeln

1.14. Wir benötigen noch ein Hilfsmittel. Im folgenden bezeichne Bk die k-te Bernoullizahl 3, definiert durch zez1=k=0Bkzkk!,|z|<2π, und allgemeiner Bk(t) das k-te Bernoullipolynom definiert als zez1etz=k=0Bk(t)zkk!,|z|<2π. Die Folge der Bk(t) sind als Taylorkoeffizienten einer analytischen Funktion eindeutig bestimmt, die angegebenen Reihen konvergieren absolut und gleichmäßig in jedem kleineren Kreis bezüglich z.

Lemma 1.1. Es gilt

  1. B0(t)=1;

  2. tBk(t)=kBk1(t) für alle tC;

  3. 01Bk(t)dt=0 für k1;

  4. Bk(1)=(1)kBk(0);

  5. B2k+1(0)=0 für k1.

Insbesondere ist Bk(t) ein Polynom vom Grad k in t. Darüberhinaus gilt die Abschätzung |Bk(t)|k! für alle t[0,1].

Proof. (1) folgt aus B0(t)=limz0zez1etz=1. folgt durch formales Differenzieren der Reihe und der Beobachtung, daß die abgeleitete Reihe absolut und gleichmäßig konvergiert, k=0tBk(t)zkk!=tzez1etz=z2ez1etz=k=0Bk(t)zk+1k!=k=1kBk1(t)zkk!. (3) folgt durch Integration 1=zez101etzdt=k=0(01Bk(t)dt)zkk! und Koeffizientenvergleich. ergibt sich durch Einsetzen von z in die Reihendarstellung, k=0Bk(1)zkk!=zez1ez=z1ez=k=0(1)kBk(0)zkk!. (5) folgt aus 1ez111ez=1ezez+1(ez1)(1ez)=1, da damit z/(ez1)=1z/2+f(z) mit einer geraden Funktion f(z) gilt. Es bleibt die Abschätzung zu zeigen. Dazu nutzen wir Induktion über k. Für k=1 gilt B1(t)=t1/2 und die Aussage folgt. Für den Induktionsschritt nutzen wir, daß Bk(t) reellwertig ist und damit wegen (3) eine Nullstelle t0 im Intervall [0,1] besitzen muß. Also gilt mit (2) und der Induktionsvoraussetzung Bk(t)=kt0tBk1(s)ds,|Bk(t)|k|tt0|(k1)!k!. ◻

Die nachfolgende Summenformel von Euler4 und Maclaurin5 verallgemeinert die Trapezregel.

Lemma 1.15 (Euler–Maclaurin-Formel). Sei k1 und gC2k[0,1]. Dann gilt 01B2k(t)(2k)!g(2k)(t)dt=j=1kB2j(2j)!(g(2j1)(1)g(2j1)(0))g(1)+g(0)2+01g(t)dt

Proof. Der Fall k=1 folgt durch partielles Integrieren 01B2(t)g(t)dt=B2(t)g(t)|t=01201B1(t)g(t)dt=B2(t)g(t)|t=012B1(t)g(t)|t=01+201g(t)dt=B2(g(1)g(0))(g(1)+g(0))+201g(t)dt unter Beachtung von B0(t)=1 sowie B1(0)=B1(1)=1/2 sowie B2(0)=B2(1)=B2. Für größere k nutzen wir Induktion. Es gilt wiederum 01B2k(t)g(2k)(t)dt=B2k(t)g(2k1)(t)|t=01(2k)01B2k1(t)g(2k1)(t)dt=B2k(t)g(2k1)(t)|t=01(2k)B2k1(t)g(2k2)(t)|t=01+(2k)(2k1)01B2k2(t)g(2k2)(t)dt=B2k(g(2k1)(1)g(2k1)(0))+(2k)(2k1)01B2k2(t)g(2k2)(t)dt und mit B2k1(0)=B2k1(1)=0 sowie B2k(1)=B2k(0)=B2k folgt die Behauptung. ◻

Da die Bernoullipolynome Bk(t)O(k!) gleichmäßig in t[0,1] erfüllen, kann man diese Formel zum Beweis von Reihenentwicklungen nutzen. Gilt zum Beispiel gC[0,1] mit supt[0,1]|g(k)(t)|0,k, so strebt das Integral auf der linken Seite in für k gegen Null und wir erhalten g(1)+g(0)2=j=1B2j(2j)!(g(2j1)(1)g(2j1)(0))+01g(t)dt Zum Beweis asymptotischer Entwicklungen benötigen wir eine leichte Verschärfung der Formel und betrachten Integrale über Intervalle ganzzahliger Länge. Addieren wir dann Euler–Maclaurin-Formeln für jedes Teilintervall der Länge Eins, so erhalten wir die Euler–Maclaurinsche Summenformel.

Korollar 1.16 (Euler–Maclaurin-Summenformel). Sei fC2k[m,n]. Dann gilt j=mnf(j)=mnf(t)dt+f(m)+f(n)2+j=1kB2j(2j)!(f(2j1)(n)f(2j1)(m))+R2k(m,n) mit R2k(m,n)=mnB2k(tt)(2k)!f(2k)(t)dt.

Nutzt man, dass B2k+1=B2k+1(0)=B2k+1(1)=0 für alle kN sowie B1(1)=B1(0)=1/2 gilt, so kann man die Summenformel kompakter als j=mnf(j)=j=02kBj(1)f(j1)(n)Bj(0)f(j1)(m)j!mnB2k(tt)(2k)!f(2k)(t)dt. schreiben. Hier haben wir die Notation f(1) für eine Stammfunktion von f genutzt.

Beispiel 1.17 (Stirling6-Reihe). Als erstes Betrachten wir wieder die Folge lnn!. Wendet man die Euler–Maclaurinsche Summenformel auf die Darstellung lnn!==1nln an, so erhalten wir mit f(t)=lnt und f(j)(t)=(1)j1(j1)!tj für j1 entsprechend lnn!=1nlntdt+12lnn+j=1kB2j(2j)(2j1)(n12j1)+1nB2k(tt)(2k)t2kdt. In dieser Darstellung ist der letzte Summand kein Restterm, allerdings gilt 1nB2k(tt)(2k)t2kdt=1B2k(tt)(2k)t2kdtnB2k(tt)(2k)t2kdt und nun kann der Restterm |nB2k(tt)(2k)t2kdt|(2k2)!n12k abgeschätzt werden. Bis auf die noch zu bestimmenden Konstante c=1j=1kB2j2j(2j1)+1B2k(tt)(2k)t2kdt haben wir also lnn!=nlnnn+12lnn+c+j=1kB2j(2j)(2j1)n2j1+O(n12k) gezeigt. (Es gilt c=ln2π.)

Beispiel 1.18. Als zweites Beispiel betrachten wir die Partialsummen der harmonischen Reihe. Hier gilt entsprechend =1n1=1n1tdt+12n+1n+B22(11n2)1nB2(tt)t3dt=lnn+γ+12nB22n2+nB2(tt)t3dt mit γ=1+B221B2(tt)t3dt. Weiter gilt B22n2+nB2(tt)t3dt=j=1kB2j2j(2j1)n2j+nB2k(tt)t2k+1dt und damit für alle k =1n1=lnn+γ+12nj=1kB2j2j(2j1)n2j+O(n12k). Die Konstante γ wird als Euler–Mascheroni7-Konstante bezeichnet.

Beispiel 1.19 (Faulhabersche8 Formeln). Als drittes Beispiel betrachten wir die Potenzsummen n=0nq zu beliebigem Exponenten qN. Da dann der Restterm identisch verschwindet liefert die Euler–Maclaurinsche Summenformel eine explizite Darstellung =0nq=0ntqdt+nq2+j=1q/2B2j(2j)!q!(q+12j)!nq+12j=1q+1nq+1+12nq+1q+1j=1q/2B2j(q+12j)nq+12j=nq2+1q+1j=0q/2B2j(q+12j)nq+12j. Für beliebige Exponenten qC liefert die Euler–Maclaurinsche Summenformel wiederum asymptotische Entwicklungen. Eine analoge Rechnung liefert für jedes kN =0nq=nq2+1q+1j=0kB2j(q+12j)nq+12j+O(nq2k). Für die verallgemeinerten Binomialkoeffizienten siehe auch .

1.4 Die Methode von Laplace

1.20. Oft werden interessante Größen als Integrale dargestellt. Ein typisches Beispiel dafür ist die Fakultät n!=0ettndt, die Gültigkeit dieser Formel erschließt sich durch partielles Integrieren 0ettndt=tnet|t=0+n0ettn1dt=n0ettn1dt zusammen mit 0etdt=1. Wir wollen die Integraldarstellung nutzen, um das asymptotische Verhalten von n! für große n zu untersuchen. Die verwendete Methode geht auf Laplace9 zurück. Wir formulieren das Resultat möglichst allgemein, benötigen aber vorher zwei Hilfsaussagen.

Lemma 1.21. Es gilt es2ds=π, sowie für alle kN0 s2k+1es2ds=0 und s2kes2ds=(2k)!4kk!π=π(k12)k unter Ausnutzung des Pochhammersymbols10 (a)k=a(a1)(ak+1).

Proof. Gleichung folgt wegen (es2ds)2=e(x2+y2)dxdy=02π0rer2drdφ=π0er22rdr=π. Gleichung ist offensichtlich, da der Integrand ungerade ist. Gleichung folgt per Induktion. Bezeichne dazu Ek das zu bestimmende Integral. Dann gilt mittels partieller Integration Ek=12s2k1es22sds=12s2k1es2|s=+2k12s2k2es2ds=2k12Ek1=(k12)kE0. Mit folgt E0=π und damit die Behauptung. ◻

Lemma 1.22. Sei g:RR beschränkt. Dann gilt für jedes kN ens2s2kg(s)dsO(nk12).

Proof. Wir substituieren ns und erhalten ens2s2kg(s)ds=nk12es2s2kg(s/n)ds und das verbleibende Integral ist durch |es2s2kg(s/n)ds|Mes2s2kds,M=supsR|g(s)|, beschränkt. ◻

Satz 1.23 (Laplace). Sei a<b und f,h:(a,b)R beliebig oft differenzierbare Funktionen, so daß

  1. ein Punkt t0(a,b) mit h(t0)=μ, h(t0)=0 und h(t0)<0 existiert;

  2. für jedes ϵ>0 ein δ>0 existiert, so daß für |tt0|ϵ stets h(t)μδ gilt;

  3. die Integrierbarkeitsbedingung ab|f(t)|eh(t)dt< erfüllt ist.

Dann gilt die asymptotische Entwicklung enμabf(t)enh(t)dtπk=0α2k4kk!nk12 für n mit Konstanten αkR, die durch αk=dkdskf(ϕ1(s))ϕ(ϕ1(s))|s=0=(1ϕ(t)ddt)kf(t)ϕ(t)|t=t0 für eine glatte Funktion ϕ mit h(t)=μ(ϕ(t))2 gegeben sind.

Wichtig ist die Existenz einer asymptotischen Entwicklung und die Form der Terme. Die dabei auftretenden Koeffizienten sind durch Koeffizientenvergleich mitunter auch einfacher zu berechnen.

Proof. Es genügt, den Fall μ=t0=0 zu betrachten. Sei also im folgenden a<0<b und h:(a,b)(,0] glatt mit h(0)=h(0)=0 und h(0)<0, sowie h(t)<δ für alle t mit |t|ϵ. Wir zerlegen das Integral in zwei Teile und integrieren einmal für |t|ϵ und einmal über das Intervall |t|ϵ.

Es gilt für jedes ϵ>0 mit dem entsprechenden δ>0 ||t|ϵf(t)enh(t)dt||t|ϵ|f(t)|eh(t)e(n1)h(t)dte(n1)δab|f(t)|eh(t)dt und damit strebt dieses Integral schneller gegen Null als alle Terme der zu zeigenden asymptotischen Entwicklung.

Für das verbleibende Integral substituieren wir. Das Integralrestglied des Taylorschen Satzes liefert h(t)=t201h(ϑt)(1ϑ)dϑ=t2ψ(t). Dabei ist ψ:(a,b)R beliebig oft differenzierbar und erfüllt ψ(0)=h(0)01(1ϑ)dθ=h(0)2>0. Damit existiert ein ϵ>0, so daß ψ(t)>0 für alle |t|<ϵ gilt und die Funktion ϕ(t)=tψ(t) ist für |t|<ϵ beliebig oft differenzierbar und erfüllt h(t)=(ϕ(t))2. Durch Verkleinern von ϵ kann man insbesondere erreichen, daß ϕ streng monoton ist und eine differenzierbare Umkehrfunktion besitzt. Substituiert man nun s=ϕ(t), so ergibt sich |t|<ϵf(t)enh(t)dt=ϕ(ϵ)ϕ(ϵ)f(ϕ1(s))ϕ(ϕ1(s))ens2ds=ϕ(ϵ)ϕ(ϵ)f~(s)ens2ds und es bleibt, das Verhalten dieses Integrals zu untersuchen. Wir setzen dazu die Funktion f~ zu einer glatten und zusammen mit allen ihren Ableitungen beschränkten Funktion f~:RR fort. Da damit wiederum |ϕ(ϵ)f~(s)ens2ds|Mϕ(ϵ)2sens2ds=Mnenϕ(ϵ)2 und eine entsprechende Abschätzung für die untere Hälfte gilt, genügt es, die Behauptung für das Integral f~(s)ens2ds zu zeigen.

Wir nutzen die Taylorsche Formel für die Funktion f~. Es gilt für jedes NN f~(s)=k=0N1αkk!sk+sN(N1)!01f~(N)(ϑs)(1ϑ)N1dϑ mit den Koeffizienten αk=f~(k)(0)=dkdskf~(s)|s=0. Das Integral im Restterm ist nach Konstruktion gleichmäßig beschränkt, der Restterm also Produkt aus einem Polynom und einer beschränkten Funktion. Wir betrachten die Summanden einzeln. Lemma  impliziert, daß der Restterm zu O(n(N+1)/2) gehört. Für die Summanden des Taylorpolynoms substituieren wir ns und erhalten skens2ds=n12k2skes2ds, das verbleibende Integral berechnet sich mit Lemma . ◻

Beispiel 1.24 (Stirlingsche Formel). Wir nutzen die Substitution t=ns in n!=0ettndt=0et+nlntdt=n0ens+nlns+nlnnds. Damit ist Satz  anwendbar. Die Funktion h(s)=lnss besitzt ihr eindeutig bestimmtes Maximum in s=1 mit h(1)=1, h(1)=0 und h(1)=1<0. Also gilt mit noch zu bestimmenden Konstanten βk die asymptotische Entwicklung n!n(ne)nk=0βknk für n. Wir bestimmen die ersten auftretenden Konstanten. Wegen h(s)+1=k=2(1)kk(s1)k=12(s1)2+13(s1)314(s1)4+O(|s1|5) folgt ϕ(s)=h(s)1=12(s1)132(s1)2+7362(s1)3+O(|s1|4) und damit 1ϕ(s)|s=1=1ϕ(1)=2,1ϕ(s)dds1ϕ(s)|s=1=ϕ(1)ϕ(1)3=231ϕ(s)dds(1ϕ(s)dds1ϕ(s))|s=1=1ϕ(s)ddsϕ(s)ϕ(s)3|s=1=3ϕ(1)2ϕ(1)ϕ(1)ϕ(1)5=23 also n!2πn(ne)n(1+112n1+O(n2)). Der erste Term der Entwicklung ist als Stirlingsche Formel bekannt.

Besitzt die Funktion h mehrere Maxima zum selben Wert, so addieren sich die asymptotischen Terme einfach. Mit wenigen Änderungen im Beweis lassen sich auch Maxima höherer Ordnung der Funktion h oder Situationen in denen die Maxima am Intervallende liegen behandeln. Wir betrachten nur die Hauptterme der Asymptotik und überlassen die detaillierten asymptotischen Entwicklungen dem interessierten Leser. Wir benötigen die Eulersche Gammafunktion

Γ(z)=0tz1etdt definiert für z>0.

Lemma 1.25 (Watson11). Seien α,β>0, 0<a und fC([0,a);C) stetig mit f(s)=f(0)+O(s) für s0 sowie der Integrabilitätsbedingung 0asβ1|f(s)|esαds<. Dann gilt 0asβ1f(s)ensαds=f(0)αΓ(βα)nβα+O(nβ+1α)

Proof. Wir zerlegen das Integral in zwei Teile und integrieren über (0,ϵ] und [ϵ,a) für noch zu bestimmendes ϵ>0. Da f auf einem Kompaktum stetig und damit beschränkt ist, folgt |ϵasβ1f(s)ensαds|e(n1)ϵα0asβ1|f(s)|esαdsO(enϵα) und dieser Term ist ein Restterm für die zu zeigende Abschätzung. Weiter gilt 0ϵsβ1ensαds=0sβ1ensαds+O(enϵα), und die Definition der Γ-Funktion impliziert mit der Substitution t=nsα, dt=nαsα1ds 0sβ1ensαds=nβαα0tβα1etdt=nβααΓ(βα). Wegen |0ϵsβ1(f(s)f(0))ensα|C0ϵsβensαdsO(nβ+1α) folgt damit durch Addition der Terme die Behauptung. ◻

Beispiele 1.26. Wir beschränken uns auf die Hauptterme der Entwicklungen. Es gilt 0πsinntdt2πn+O(n3/2) als direkte Konsequenz von Satz . Weiterhin ergibt sich 0(t+a)nentdt{e(a1)n(2πn+O(n3/2)),a<1,π2n+O(n1),a=1,an(a1an+O(n2)),a>1, je nach Wahl des reellen Parameters aR. Das Nachrechnen verbleibt als Übungsaufgabe.

1.5 Erzeugendenfunktionen

1.27. Es bezeichne FpotF die Menge aller a:N0C mit 1ρ(a)=lim supn|an|n<. Dann betrachten wir die zu a assoziierte Erzeugendenfunktion

Ga(z)=n=0anzn,|z|<ρ(a). Diese ist nach Konstruktion analytisch in der Kreisscheibe Bρ(a)={zC:|z|<ρ(a)} und enthält alle Informationen über die Folge an. So gilt an=1n!dndznGa(z)|z=0, sowie nach den Formeln von Cauchy12 an=12πiΓGa(z)zn+1dz für jeden im Innern der Kreisscheibe Bρ(a) verlaufenden Weg Γ mit Windungszahl 1 um den Ursprung. Mitunter ist es möglich, die Erzeugendenfunktion einer interessanten (und nicht explizit bekannten) Folge direkt anzugeben.

Beispiel 1.28. Zur Vorbereitung ein Beispiel. Zu αC und kN0 bezeichne (α)k=j=0k1(αj)=α(α1)(αk+1) zusammen mit (α)0=1 das Pochhammer-Symbol 13. Offenbar gilt (α)k=limz0dkdzk(1+z)α für alle αC und kN. Das Pochhammer-Symbol erlaubt es, verallgemeinerte Binomialkoeffizienten (αk)=(α)kk! zu definieren. Die Erzeugendenfunktion zu dieser Folge ist durch G(z)=k=0(αk)zk gegeben und besitzt mindestens den Konvergenzradius 1. Wegen gilt der allgemeine binomische Satz. Er geht auf Newton14 für reelles α und Abel15 für komplexes α zurück.

Lemma 1.2 (Newton–Abel). Sei αC beliebig. Dann gilt k=0(αk)zk=(1+z)α,|z|<1. Insbesondere gilt damit (αk)=12πiΓ(1+z)αzk+1dz für jeden Weg Γ in der Einheitskreisscheibe der den Ursprung einmal positiv umläuft.

Definition 1.29. Seien a,bF. Dann bezeichnet ab definiert durch (ab)n=k=0nakbnk das Cauchyprodukt der Folgen a und b.

Proposition 1.30. Seine a,bFpot. Dann gilt abFpot mit ρ(ab)min{ρ(a),ρ(b)} sowie Gab(z)=Ga(z)Gb(z),|z|min{ρ(a),ρ(b)}.

Proof. Der Beweis erfolgt durch direktes Nachrechnen. Es gilt Ga(z)Gb(z)=(k=0akzk)(=0bz)=n=0zn(k+=nakb)=Gab(z) unter Ausnutzung der absoluten und gleichmäßigen Konvergenz der Potenzreihen im Inneren des Konvergenzradius. Die Behauptung folgt. ◻

Sei im Folgenden ϵ die Folge mit ϵ0=1 und ϵn=0 für nN. Dann gilt Gϵ(z)=1.

Korollar 1.31. Die Menge Fpot bildet zusammen mit der Multiplikation und der Skalarmultiplikation mit komplexen Zahlen eine C-Algebra mit Eins ϵ. Ein Element aFpot ist genau dann bezüglich invertierbar, wenn a00 gilt und die Inverse b mit ab=ϵ=ba erfüllt Gb(z)=1Ga(z), also bn=12πiΓ1zn+1Ga(z)dz=1a0n!limz0dndznk=0n(j=1naja0zj)k.

Zur Berechnung von bn genügen die ersten n Folgenglieder von a.

Proposition 1.32. Seien S:FpotFpot definiert durch (Sa)n=an+1 und (S+a)n=an1 für n1 sowie (S+a)0=0. Sei weiter D:FpotFpot definiert durch (Da)n=nan. Dann gilt ρ(S±a)=ρ(Da)=ρ(a) sowie GSa(z)=n=0an+1zn=Ga(z)Ga(0)z,GS+a(z)=n=1an1zn=zGa(z),GDa(z)=n=0nanzn=zddzGa(z).

Beispiel 1.33 (Erzeugendenfunktion der Fibonacci16-Folge). Die Fibonacci-Folge fn ist durch die Rekursionsvorschrift fn+2=fn+1+fn, zusammen mit den Anfangswerten f0=0 und f1=1 bestimmt. Offenbar gilt fn2n für alle n und die Fibonacci-Folge besitzt eine Erzeugendenfunktion G(z). Diese erfüllt aufgrund der Rekursion SSf=Sf+f die Gleichung G(z)z1z=G(z)z+G(z) unter Ausnutzung von G(0)=0 und G(0)=1. Das kann man nach G(z) umstellen und erhält (z2+z1)G(z)=z,G(z)=z1zz2.

Beispiel 1.34 (Explizite Darstellung der Fibonacci-Folge). Man kann die soeben gewonnene Erzeugendenfunktion der Fibonacci-Folge nutzen, um eine explizite Darstellung zu erhalten. Dazu verschieben wir den Integrationsweg Γ um den Pol im Ursprung in fn=12πiΓG(z)zn+1dz=12πiΓ1zn(1zz2)dz wie in Abbildung  dargestellt ins Unendliche und nutzen den Residuensatz für die dabei überstrichenen Pole der Erzeugendenfunktion. Diese liegen bei den Punkten z± z2+z1=(zz+)(zz),z±=12±52 und haben die Residuen 1zn(z+z)=(1+z)nz+z,1z+n(zz+)=(1+z+)nzz+. Damit gilt fn=12πiΓ1zn(1zz2)dz=Res(1zn(1zz2);z=z+)Res(1zn(1zz2);z=z)=1z+z((1+z+)n(1+z)n)=15((1+52)n(152)n) Diese explizite Formel geht auf Moivre17 und Binet18 zurück. Die Residuen werden subtrahiert, da die Pole im Uhrzeigersinn umlaufen werden.

1.35. Sei ΩC ein Gebiet in der komplexen Zahlenebene. Dann bezeichne A(Ω) den Ring der holomorphen Funktionen ΩC und M(Ω) seinen Quotientenkörper, also den Körper der meromorphen Funktionen ΩC^=C{}. Sei weiter Bρ={zC:|z|ρ}.

Die Zuordnung der Erzeugendenfunktion definiert damit eine Abbildung FpotaGaρ>0A(Bρ). Betrachtet man zusätzlich asymptotisches Verhalten der Folge a, so ergibt sich etwas mehr. Einerseits gilt ρ((ρn)nN)=ρ und damit O((ρn)nN0)aGaA(Bρ), andererseits impliziert ρ(a)>ρ schon aO((ρn)nN0). Es besteht ein Zusammenhang zwischen gewissen asymptotischen Entwicklungen und einer meromorphen Fortsetzung der Erzeugendenfunktion über den Konvergenzkreis Bρ(a) hinaus.

Satz 1.36. Sei aFpot. Dann sind die folgenden zwei Aussagen äquivalent.

  1. Die Erzeugendenfunktion GaM(Bρ) ist meromorph mit Polen in Punkten zjBρ mit Ordnungen νj1 für j=1,,k und Ga(z)=j=1k=1νj(1)αj,(zzj)modA(Bρ).

  2. Für die Folge a~=(an+j=1kzjn=1νj(n+11)αj,zj)nN gilt ρ(a~)ρ.

Man beachte, daß (n+11) ein Polynom vom Grad in der Variablen n ist, während sich zjn exponentiell verhält.

Proof. Da für Folgen a~ genau dann ρ(a~)ρ gilt, wenn ihre Erzeugendenfunktionen zu A(Bρ) gehören, genügt es die Summanden beziehungsweise Pole einzeln zu betrachten. Es gilt mit der geometrischen Summenformel 1zzj=1/zj1z/zj=1zjn=0znzjn, sowie wegen (1)(1)!(zzj)=d1dz11zzj entsprechend (1)(zzj)=1(1)!1zjn=0d1dz1znzjn=1(1)!1zjn=1(n)1zn+1zjn=n=0(n+11)znzjn+. Addition aller dieser Terme liefert die Behauptung. ◻

Beispiel 1.37. Wir wollen dies anwenden und das asymptotische Verhalten von Lösungen inhomogener Rekursionsgleichungen =0kμan+=bn zu gegebener Folge b=(bn)nN0Fpot und gegebenen Koeffizienten μC betrachten. Wir nehmen an, daß der Konvergenzradius ρ(b) hinreichend groß ist und betrachten die zugeordneten Erzeugendenfunktionen F(z)=n=0anzn,G(z)=n=0bnzn. Für F ist noch zu zeigen, daß diese existiert. Die Rekursionsgleichung impliziert nun G(z)=n=0bnzn==0kμzn=0zn+an+==0kμz(F(z)n=01znan) und damit (=0kμzk)F(z)=zkG(z)+n=0k1an=n+1kμzn+k, also p(z)F(z)=zkG(z)+n=0k1anqn(z) mit Polynomen p(z) vom Grad k sowie qn(z) vom Grad k1 in der Variablen z. Wir können annehmen an, daß p(0)0 gilt (sonst ist die Rekursion von niedrigerer Ordnung) und folgern, daß dann in einer Umgebung von z=0 die Funktion F(z) holomorph ist und durch F(z)=zkG(z)p(z)+n=0k1anqn(z)p(z). gegeben ist. Diese Funktion ist auf dem Konvergenzkreis von G meromorph, das asymptotische Verhalten wird durch die im Inneren liegenden Pole (also die Nullstellen von p(z)) bestimmt. Besitzt auch G eine meromorphe Fortsetzung über den Konvergenzkreis, so ergeben sich weitere asymptotische Terme.

1.38. Erzeugendenfunktionen sind eng mit der additiven Struktur der natürlichen Zahlen verbunden. Das hat man bei Rekursionsgleichungen gesehen, wird aber insbesondere bei Problemen der additiven Zahlentheorie deutlich. Wir skizzieren nur eines und bezeichnen zu einer natürlichen Zahl nN die Anzahl der wesentlich verschiedenen Möglichkeiten, die Zahl als Summe natürlicher Zahlen zu schreiben, als Zerfällungszahl pn. So gilt 5=4+1=3+2=3+1+1=2+2+1=2+1+1+1=1+1+1+1+1+1 und damit p5=7. Wir setzen ebenso p0=1. Zerfällungszahlen erfüllen keine offensichtliche Rekursionsgleichung, allerdings existiert eine explizite Formel für ihre Erzeugendenfunktion.

Lemma 1.3 (Euler). Es gilt P(z)=n=0pnzn=k=111zk=k=1=0zk,|z|<1.

Proof. Wir bezeichnen mit pm,n die Anzahl der Zerlegungen in Summanden kleiner oder gleich m. Dann gilt Pm(z)=n=0pm,nzn=(1+z+z2+)(1+z2+z4+)(1+zm+z2m+)=k=1m=0zk, der k-te Faktor zählt die Anzahl der Summanden k in der Zerlegung. Offenbar gilt pm,npn und alle auftretenden Reihen sind für |z|<1 absolut konvergent. Also ist Umordnen erlaubt. Darüberhinaus ist pm,npn monoton wachsend und pm,n=pn für mn. Weiter konvergiert das unendliche Produkt P(z)=k=111zk für alle reellen z[0,1) und es folgt n=0mpnznn=0mpnzn+n=m+1pm,nzn=Pm(z)P(z) und damit Pm(z)P(z). Also konvergiert die Reihe n=1pnzn für z[0,1) gegen P(z). Da die Koeffizienten der Reihe positiv und monoton wachsend sind, impliziert der Satz über die majorisierte Konvergenz, daß Pm(z)P(z) lokal gleichmäßig in |z|<1. ◻

Die Eulersche Produktformel für die Erzeugendenfunktion P(z) hat eine wesentliche Singularität in |z|=1, ist also nicht analytisch über den Einheitskreis hinaus fortsetzbar. Damit hilft uns die Erzeugendenfunktion nicht zur Diskussion asymptotischen Verhaltens.

1.6 Erzeugendenfunktionen vom Exponentialtyp

1.39. Sei Fexp die Menge aller Folgen aF mit 1ρE(a)=lim supn|an|/n!n<. Dann betrachten wir die zu a assoziierte Erzeugendenfunktion vom Exponentialtyp oder exponentiell erzeugende Funktion Ea(z)=n=0anznn!,|z|<ρE(a). Wiederum bestimmt die Erzeugendenfunktion die Folge, es gilt an=limz0dndznEa(z)=n!2πiEa(z)zn+1dz aufgrund der Definition als Potenzreihe sowie des Residuensatzes.

Definition 1.40. Seien a,bF. Dann bezeichnet ab definiert durch (ab)n=k=0n(nk)akbnk die Kombination der Folgen a und b.

Proposition 1.41. Seien a,bFexp. Dann gilt abFexp mit ρE(ab)min{ρE(a),ρE(b)} sowie Eab(z)=Ea(z)Eb(z),|z|ρE(ab). Damit wird Fexp mit der Multiplikation zu einer C-Algebra mit Einselement ϵ. Weiter ist aFexp genau dann bezüglich invertierbar, wenn a00 gilt.

Erzeugendenfunktionen vom Exponentialtyp sind interessant für kombinatorische Fragestellungen. Wir betrachten dazu einige Beispiele.

Beispiel 1.42 (Stirlingzahlen zweiter Art). Sei Sn,k die Anzahl der Möglichkeiten eine n-elementige Menge in k nichtleere disjunkte Teile zu zerlegen. Dann gilt offenbar S0,1=0 und Sn,1=1 für n1. Weiterhin gilt (Sn,k+1)nN0=1k+1(Sn,1)nN0(Sn,k)nN0, also Sn,k+1=1k+1=1n(n)S,k, da man zum Zerlegen in k+1 Teile zuerst Elemente auswählen und dann den Rest in k Teile zerlegen kann. Dabei ist zu beachten, daß jedes der k+1 Teile als erstes ausgewählt werden kann, wir also alle Zerlegungen (k+1)-fach gezählt haben. Also folgt für die exponentiell erzeugende Funktion Ek(z) der Folge (Sn,k)nN0 E1(z)=ez1,Ek(z)=1k!(ez1)k. Damit kann man die Zahlen Sn,k explizit angeben, es gilt Sn,k=1k!limz0dndzn(ez1)k=n!k!12πiΓ(ez1)kzn+1dz. Man sieht deutlich, daß Sn,k=0 für alle k>n.

Beispiel 1.43 (Bellsche19 Zahlen). Die Anzahl der Partitionen einer Menge von n Elementen wird als die Bellsche Zahl Bn bezeichnet. Wegen B0=1 und Bn=k=1nSn,k=k=1Sn,k,n1, gilt für die zugeordnete exponentielle erzeugende Funktion E(z)=n=0Bnznn!=1+k=1n=1Sn,kznn!=k=01k!(ez1)k=eez1. Also folgt für die Bellschen Zahlen Bn=limz0dndzneez1=n!2πiΓeez1zn+1dz.

Beispiel 1.44 (Stirlingzahlen erster Art). Sei sn,k die Anzahl der Permutationen von n Elementen, welche genau k Zykel besitzen. Es gilt sn,k=0 für k>n und sn,n=1. Darüberhinaus gibt es genau (n1)! Permutationen mit einem Zykel (da man ja die Reihenfolge der Zykelelemente permutieren kann, aber jeden Zykel dabei n-fach zählt). Damit gilt für die exponentiell erzeugende Funktion E~1(z) von sn,1=(n1)! E~1(z)=n=0sn,1znn!=n=1znn=ln(1z),|z|<1. Weiter gilt (sn,k+1)nN0=1k+1(sn,1)nN0(sn,k)nN0, also sn,k+1=1k+1=1n(n)(1)!sn,k=1k+1=1n1n!(n)!sn,k, da wir n!/(n)! Möglichkeiten haben ein -Tupel aus n Elementen als ersten Zykel auszuwählen, diesen dabei aber -fach zählen und sn,k Möglichkeiten haben, die verbleibenden n Elemente mit k Zykeln zu permutieren. Da wir k+1 mögliche Wahlen erster Zykel haben, haben wir insgesamt jede Permutation k+1 fach gezählt. Also folgt für die exponentiell erzeugende Funktion E~k(z) der Folge (sn,k)nN0 E~k(z)=1k!(ln(11z))k,|z|<1, und damit die explizite Darstellung der Stirlingzahlen erster Art sn,k=1k!limz0dndzn(ln(11z))k=n!k!12πiΓ(ln(1z))kzn+1dz.

1.45 (Borelkorrespondenz). Erzeugendenfunktionen und exponentiell erzeugende Funktionen sind eng miteinander verbunden.

Da offenbar FpotFexp, kann man jeder Folge aF mit ρ=ρ(a)< neben einer Erzeugendenfunktion GaA(Bρ) eine (ganze!) exponentiell erzeugende Funktion EaA(C) zuordnen.

Satz 1.1 (Borel20). Sei aFpot und seien GaA(Bρ(a)) die zugeordnete Erzeugendenfunktion sowie EaA(C) die zugeordnete expenonentiell erzeugende Funktion. Dann gilt Ga(z)=0etEa(zt)dt,|z|ρ(a).

Proof. Wir zerlegen den Beweis in drei Schritte. Schritt 1. Für 0<r<ρ(a) gilt mit der Cauchyschen Formel an=12πi|z|=rGa(z)zn+1dz die Abschätzung |an|1rnmax|z|=r|Ga(z)|=Mrrn und damit |Ea(z)|=|n=0anznn!|Mrn=01n!(|z|r)n=Mrexp(|z|r) und analog für alle Ableitungen |Ea(k)(z)|=|n=0an+kznn!|Mrrkexp(|z|r). Schritt 2. Abschätzung auftretender Integrale. Es gilt |0etEa(k)(zt)dt|0et|Ea(k)(zt)|dtMrrk0e(1|z|/r)tdt=Mrrkrr|z| für alle |z|<r. Damit konvergiert 0etEa(k)(zt)dt für jedes |z|<ρ(a) und jedes kN0 absolut.

Schritt 3. Partielles Integrieren liefert für jedes NN0 die Darstellung 0etEa(zt)dt=etEa(zt)|t=0+z0etEa(zt)dt=n=0N1anzn+zN0etEa(N)(zt)dt. Die Resttermabschätzung mit liefert |0etEa(zt)dtn=0N1anzn|(|z|r)NMrrr|z|0,N, lokal gleichmäßig in |z|<r. ◻

1.7 Die Methode des steilsten Abstiegs

Wir fragen uns, wie sich die Stirlingschen und die Bellschen Zahlen für n verhalten. Dazu nutzen wir die Darstellungen als komplexe Kurvenintegrale und wählen optimale Integrationswege zur Abschätzung ihrer Größe. Die Methode geht in dieser (komplexen) Form auf Riemann21 und Debye22 zurück und verallgemeinert die reelle Methode von Laplace.

Analytische Landschaft für {\mathrm e}^{2(z- \ln z)}
Phasenportrait für {\mathrm e}^{2(z- \ln z)}

1.46. Vorbereitend betrachten wir nochmals die Folge der Fakultäten n! und skizzieren die wichtigsten Schritte der Methode. Es gilt 1n!=12πiΓezzn+1dz für jeden Weg Γ, der den Ursprung einmal positiv umläuft. Mit der Substitution nz für z ergibt sich daraus 1n!=nn2πiΓen(zlnz)dzz und es stellt sich die Frage nach dem optimal zu wählenden Integrationsweg. Die analytische Landschaft des Integranden besitzt einen Pol im Ursprung und wächst für große z exponentiell, weiterhin besitzt sie auf der positiven reellen Achse genau einen Sattelpunkt und dieser liegt in z=1, vgl. Abbildung23  . Wir wählen den Integrationsweg nun so, daß er aus dem negativ Unendlichen kommend über den Sattelpunkt z=1 und danach wieder ins negativ Unendliche verläuft. Weiter sollte er den Sattelpunkt möglichst steil ansteigend erreichen und steil abfallend wieder verlassen.

Es bietet sich also an, den Integrationsweg wie in Abbildung  zu wählen. Sei also zum Beispiel Γ=Γ1Γ2Γ3 der Weg parallel zur negativen reellen Achse aus dem Unendlichen kommend bis i, danach ein Halbkreis mit Radius 1 und parallel zur negativen Achse zurück von i ins Unendliche. Bezeichne wiederum h(z)=zlnz den Exponenten, so gilt damit in der Nähe des Sattelpunktes h(z)=0 entlang Γ2 und h(z)1δ für alle Punkte auf Γ1 und Γ3. Das erlaubt es, die reelle Methode von Laplace auf das Integral anzuwenden, und wir erhalten |Γienh(z)dzz|Γie(n1)h(z)eh(z)|dz||z|e(n1)(1δ)Γieh(z)|dz||z|O(e(1δ)n) für i=1,3 sowie wegen h(1)=1 und mit einer geeigneten Subsitution des Integranden, welche h(z)h(1) auf h(1)2θ2 abbildet 12πiΓ2enh(z)dzz=enϵϵen2θ2f(θ)dθen2πn, was zusammengefaßt wiederum die Stirlingsche Formel liefert.

Wir beginnen mit einem Lemma, welches die Struktur von Sattelpunkten genauer beschreibt.

Lemma 1.47. Sei hA(Ω) holomorph und gelte für ein z0Ω h(z0)==h(k1)(z0)=0undh(k)(z0)0. Dann existiert eine offene Menge UC mit 0U und eine holomorphe Funktion φ:UΩ mit h(φ(ζ))=h(z0)+h(k)(z0)k!ζk,ζU, sowie φ(0)=z0, φ(0)=1.

Proof. Wir können zur Vereinfachung des Beweises annehmen, daß z0=0 und h(0)=0 gilt. Der allgemeine Fall folgt durch Verschieben der Funktionen und Addition von Konstanten. Dann gilt 0=h(0)=h(0)==h(k1)(0) und somit h(z)=h(k)(0)zkk!g(z) mit h(k)(0)0, g(0)=1 und g holomorph in einer Umgebung von z=0. Damit ist aber auch ψ(z)=zg(z)k holomorph um z=0 und ψ(0)=g(0)k=1. Also existiert eine holomorphe Inverse und mit φ(ζ)=ψ1(ζ) folgt die Behauptung. ◻

1.48. Wir betrachten nun allgemeiner Integrale der Form Γenh(z)f(z)dz für holomorphe Funktionen h und f und geeignet gewählte Integrationswege Γ in ihrem Definitionsbereich. Der Einfachheit halber nehmen wir an, daß der Betrag des Integranden am Rand des Definitionsbereichs gegen Unendlich strebt. Weiterhin sei h nicht konstant.

Es stellt sich zuerst die Frage nach der Wahl geeigneter Wege. Dazu nehmen wir zuerst an, daß der Weg Γ Punkte A und B verbindet, die in verschiedenen Komponenten von {z:h(z)<c} für ein cR liegen. Dann muß |exp(h(z))|=exph(z) auf dem verbindenden Weg ein Maximum annehmen und wir wollen Wege so wählen, daß zumindest dieses minimal ist. Der Weg führt damit über Sattelpunkte.

Es stellt sich die Frage wie viele Möglichkeiten dafür bestehen. Die höchsten der zu passierenden Sattelpunkte sind durch die Homotopieklasse der Wege eindeutig bestimmt. Angenommen es gäbe zwei solcher Wege über verschiedene Sattelpunkte gleicher Höhe, dann wäre ihre Verkettung ein geschlossener Weg und nach dem Maximumprinzip wäre |exp(h(z))| im Inneren niedriger als die beteiligten Sattelpunkte. Das aber widerspricht der Minimalität.

Wir betrachten nun einen solchen Weg und nehmen weiter ohne Beschränkung der Allgemeinheit an, daß es nur einen Sattelpunkt entlang des Weges gibt. Dann kann dieser zerlegt werden in eine kleine Umgebung Γ1 des Sattelpunktes mit h(z)=μ und Teile Γ2, auf denen h(z)μδ mit kleinem δ>0 (abhängig von der Umgebung des Sattelpunktes) gilt. Auf letzteren erhalten wir also |Γ2enh(z)f(z)dz|e(n1)(μδ)Γ2eh(z)|f(z)||dz|=O(e(μδ)n), während erstere je nach Ordnung des Sattelpunktes auf Integrale der Form Γ1enh(z)f(z)dz=eμnΓ~1enh(k)(z)k!ζkf(φ(ζ))φ(ζ)dζ führen. Diese sind aber nun von der Form, die mit der Methode von Laplace und insbesondere dem Watsonschen Lemma  behandelt werden kann. Wählt man Wege stärksten An- und Abstiegs, also solche die zum Gradienten von h(z) parallel sind, so ist dort h(z) konstant (da hh) und somit h(k)(z)ζk reell (und negativ) und die asymptotische Entwicklung ergibt sich durch gliedweise Integration der Potenzreihen von f(φ(ζ))φ(ζ). Nach Konstruktion gilt f(φ(0))φ(0)=f(z) und somit folgt für den Hauptterm der Entwicklung Γenh(z)f(z)dzΓ1enh(z)f(z)dzenh(z)f(z)Γ~1enh(k)(z)k!ζkdζenh(z)f(z)(eiθauseiθein)0en|h(k)(z)|k!tkdtenh(z)f(z)(eiθauseiθein)1kΓ(1k)k!kn|h(k)(z)|k wobei θein und θaus die Winkel der ein- und auslaufenden Wege in der ζ-Ebene zur positiven reellen Achse bezeichnen. Im letzten Schritt haben wir die Formel aus Lemma  verwendet.

Satz 1.2. Seien h und f holomorph und sei Γ ein über genau einen Sattelpunkt z der Ordnung k verlaufender Weg steilsten Abstiegs für exp(h(z)). Dann gilt Γenh(z)f(z)dzenh(z)=0α(ei(1+)θausei(1+)θein)1kΓ(+1k)(k!kn|h(k)(z)|k)+1 für n mit θein und θaus den Winkeln der ein- und auslaufenden Wege und α den Koeffizienten der Potenzreihe f(φ(ζ))φ(ζ)==0αζ mit φ aus Lemma .

Speziell für einen nichtentarteten Sattelpunkt (also mit k=2) folgt aus Γ(1/2)=π Γenh(z)f(z)dzenh(z)f(z)eiθ2πn|h(z)| mit θ dem Winkel des Weges in der ζ-Ebene zur reellen Achse.

Korollar 1.1. Seien h und f holomorph und sei Γ ein über genau einen nichtentarteten Sattelpunkt z verlaufender Weg steilsten Abstiegs für exp(h(z)). Dann gilt Γenh(z)f(z)dz2πenh(z)=0α2ei(1+2)θ(2)!2!(1n|h(z)|)2+1 für n mit θ dem Winkel des Weges durch den Sattelpunkt und α den Koeffizienten der Potenzreihe f(φ(ζ))φ(ζ)==0αζ mit φ aus Lemma .

Für mehrere gleich hohe Sattelpunkte addieren sich die asymptotischen Terme, niedrigere sind im Restterm enthalten und können vernachlässigt werden.

Beispiel 1.49 (Stirlingreihe). Speziell mit h(z)=zlnz und f(z)=1/z folgt aus 1n!=12πiezzn+1dz=nn2πiΓenznlnzdzz für den Weg Γ aus Abbildung  mit z=1, h(z)=1, h(z)=0 und h(z)=1 sowie θ=π/2 (d.h. man durchläuft den Sattelpunkt in Richtung der imaginären Achse) die asymptotische Reihe 1n!12πn(en)n=0(1)α2(2)!2!n mit Koeffizienten α, die sich aus φ(ζ)lnφ(ζ)=1+12ζ2,φ(ζ)φ(ζ)=ddζlnφ(ζ)==0αζ zusammen mit φ(0)=1 ergeben.

Für die ersten Koeffizienten erhalten wir ausgehend von lnφ(ζ)=β1ζ+β2ζ2+β3ζ3+β4ζ4+O(|ζ|5) aus der ersten Gleichung φ(ζ)lnφ(ζ)=1+12(β12ζ2+β22ζ4+2β1β2ζ3+2β1β3ζ4)+13!(β13ζ3+3β12β2ζ4)+14!β14ζ4+O(|ζ|5)=1+12ζ2 und damit β1=1, β2=1/6 und β3=1/36. Daraus ergibt sich α0=β1=1, sowie α2=3β3=1/12 und damit 1n!=12πn(en)n(1112n+O(1n2)).

2 Asymptotik im Allgemeinen

In diesem kurzen Kapitel soll Asymptotik in größerer Allgemeinheit diskutiert werden. Dazu betrachten wir Funktionen f:XV definiert auf einer Menge X und wertig in einem (normierten) Vektorraum V. Beispiele für zu betrachtende Mengen sind vielfältig, so kann X=R+ gelten oder für holomorphe Funktionen X=Σθ ein Sektor Σθ={zC:|argz|θ} oder oder X=Sb ein Streifen Sb={zC:|z|b} in der komplexen Zahlenebene sein. Das Verhalten von Funktionen auf Sektoren wird insbesondere für durch komplexe Kurvenintegrale definierte spezielle Funktionen von Bedeutung sein.

Für andersgeartete Beispiele kann auch X=N oder X=Q gelten und wir interessieren uns für das asymptotische Verhalten nicht in einem archimedischen sondern in einem p-adischen Sinne.

2.1 Filter und Landausche Ordnungssymbolik

Definition 2.1. Ein Filter auf einer Menge X ist ein Mengensystem FP(X), für welches

  1. XF und F;

  2. F,GF impliziert FGF; sowie

  3. FF und FG impliziert GF

gilt. Ein nichtleeres Mengensystem, welches (1) und (2) erfüllt, heißt Filterbasis . Der kleinste Filter, der die gegebene Filterbasis enthält, wird als der von dieser erzeugte Filter bezeichnet.

Beispiele 2.2.

  1. In einem nichtleeren metrischen Raum X mit Metrik d:X×XR+ bestimmt zu gegebenem xX Br(x)={xX:d(x,x)<r},r>0, zusammen mit X eine Filterbasis. Der erzeugte Filter wird als Umgebungsfilter von x bezeichnet. Wir verwenden für diesen Filter die Schreibweise xx.

  2. In einem unbeschränkten metrischen Raum (d.h., einem metrischen Raum in welchem zu gegebenem R>0 zwei Punkte x,yX mit d(x,y)>R existieren) bestimmt {xX:d(x,x)>R},RR, zu vorgegebenem xX eine Filterbasis. Der erzeugte Filter ist vom gewählten xX unabhängig und entspricht dem Umgebungsfilter des unendlich fernen Punktes . Wir verwenden die Schreibweise x für diesen Filter.

  3. Auf R bezeichne x+ den durch die Mengen (R,), R>0, erzeugten Filter. Ebenso bezeichnet x0 den durch die Mengen (ϵ,ϵ), ϵ>0, erzeugten Filter. Der Filter x wird durch die Mengen (,R)(R,), R>0, erzeugt und ist eher von untergeordnetem Interesse.

Beispiel 2.3. Sei F ein Filter auf einer Menge X und Y eine beliebige Menge. Dann erzeugt die Filterbasis F×Y,FF, einen Filter auf X×Y. Man sagt, man verwendet den Filter F gleichmäßig bezüglich Y.

Beispiel 2.4. Auf N bestimmt jede Primzahl p durch die Filterbasis {aN:pN teilt a},NN0, einen Filter. Dieser wird als p-adischer Filter bezeichnet. Er ist für gewisse zahlentheoretische Anwendungen von Interesse. Auf Q betrachtet man entsprechend den von {abQ:pN teilt a, aber nicht b},NN0, erzeugten Filter.

Asymptotisches Verhalten wird in Abhängigkeit von einem Filter definiert. Dazu sei X eine Menge, versehen mit einem Filter F, und V ein normierter Vektorraum über R oder C. Betrachtet werden Funktionen XV.

Definition 2.5. Sei F ein Filter auf einer Menge X und V ein normierter Vektorraum. Sei g:XV und gelte g(x)0 für alle xX.

  1. Es bezeichne OF(g)={f:XV:FFsupxFf(x)g(x)<}. Für fOF(g) sagen wir f sei ein groß-O von g.

  2. Weiterhin bezeichne oF(g)={f:XV:infFFsupxFf(x)g(x)=0}. Für foF(g) sagen wir f sei ein klein-o von g.

Oft fordern wir stillschweigend weitere Voraussetzungen an f (Meßbarkeit, Stetigkeit oder Holomorphie), die aber aus dem Kontext klar sein sollten. Die wesentlichen Eigenschaften sind analog zu denen in Abschnitt  und sollen nur kurz zusammengefasst werden.

Proposition 2.6. Die Mengen OF(g) und oF(g) sind Vektorräume über R beziehungsweise C. Weiterhin gilt

  1. oF(g)OF(g);

  2. fOF(g) und f(x)0 impliziert OF(f)OF(g) und oF(f)oF(g);
    ebenso impliziert foF(g) mit f0 schon OF(f)oF(g);

  3. f1OF(g1) und f2OF(g2) impliziert f1f2OF(g1g2);
    ebenso impliziert f1oF(g1) und f2OF(g2) schon f1f2oF(g1g2).

Wir definieren ebenso asymptotische Vergleichbarkeit und asymptotische Äquivalenz.

Definition 2.7. Seien g1,g2:XV mit gi(x)0. Dann heißen g1 und g2 asymptotisch vergleichbar bezüglich des Filters F, falls OF(g1)=OF(g2) gilt. Wir schreiben g1Fg2 oder nur kurz g1g2.

Korollar 2.8. Angenommen, es gilt g1Fg2. Dann gilt oF(g1)=oF(g2).

Definition 2.9. Seien g1,g2:XV asymptotisch vergleichbar. Dann heißen g1 und g2 asymptotisch äquivalent bezüglich des Filters F, falls g1g2oF(g1) und wir schreiben g1Fg2 oder kurz g1g2.

2.2 Integrieren und Differenzieren

2.10. In diesem Abschnitt sei X=[1,) und Funktionen seien der Einfachheit halber als stetig (differenzierbar) und komplexwertig vorausgesetzt. Der verwendete Filter ist .

Wie zu vermuten, stimmen hier die Ordnungssymbole mit den schon bekannten Bezeichnungen überein. Sind f,g:[1,)C stetig und gilt g(t)0, so ergibt sich fO(g)lim supt|f(t)||g(t)|< und ebenso fo(g)limt|f(t)||g(t)|=0.

Proposition 2.11. Angenommen, es gilt fO(g) mit g(t)>0. Seien weiter F(t)=1tf(s)ds,G(t)=1tg(s)ds. Dann gilt FO(G).

Proof. Da fO(g) gilt, existiert insbesondere eine Konstante C mit |f(s)|Cg(s) für alle s[1,). Also folgt |F(t)|1t|f(s)|dsC1tg(s)ds=CG(t) für alle t1 und die Aussage ist gezeigt. ◻

Proposition 2.12. Angenommen, es gilt fo(g) mit g(t)>0. Seien weiter F(t)=1tf(s)ds,G(t)=1tg(s)ds und gelte limtG(t)=. Dann gilt Fo(G).

Proof. Wir unterscheiden zwei Fälle. Ist F unbeschränkt, so ist die Regel von l’Hôpital anwendbar und es folgt limtF(t)G(t)=limtF(t)G(t)=limtf(t)g(t)=0. Ist andererseits F beschränkt, so ist die Aussage trivial. ◻

Für absolut integrierbares g ist die entsprechende Aussage im allgemeinen falsch.

Beispiel 2.13. Wir skizzieren eine einfache Anwendung. Angenommen, wir wissen daß für eine Funktion f:R+R+ die Bedingung fo(f) gilt. Nach Definition impliziert dies (lnf)=ffo(1) und damit (da die Stammfunktion von 1 unbeschränkt ist) nach Proposition  lnf(t)o(t),t.

2.3 Asymptotische Entwicklungen

Beispiel 2.14. Nicht explizit berechenbare Integrale kann man oft asymptotisch berechnen. Dazu wieder ein einfaches Beispiel. Wir betrachten die Exponentialintegralfunktion

E(t)=1tessds,t>1. Mit einer partiellen Integration folgt E(t)=1tessds=ess|s=1t+1tess2ds=ette+1tess2ds. Wir zeigen, dass der letzte Summand für t in o(E) liegt. Dazu teilen wir das Integral in zwei Hälften und schätzen diese separat ab, 1tess2ds=1t2ess2ds+t2tess2ds<1t2esdset/2+1(t/2)2t2tesds4t2et. Also gilt E(t)=1tessds=ett+o(ett),t.

Obige Argumentation kann man iterieren und mehrere Schritte partiell integrieren. Dies liefert jeweils bessere asymptotische Terme E(t)=ess|s=1t+1tess2ds=ess|s=1t+ess2|s=1t+21tess3ds==es(1s+1!s2+2!s3+3!s4++(n1)!sn)|s=1t+n!1tessn+1ds=etk=1n(k1)!tk+o(ettn),t. Letzteres gilt für jedes nN, also haben wir limttn(etE(t)k=1n(k1)!tk)=0 gezeigt. Allerdings divergiert die Reihe k=1n(k1)!tk für alle t0, die Darstellung von E(t) über diese Reihe ist rein asymptotisch. Die Reihe beschreibt das asymptotische Verhalten der Funktion E(t) für t.

Wir formulieren die Definition wiederum möglichst allgemein, beschränken uns aber auf eine vereinfachte Fassung des Begriffs asymptotische Entwicklung.

Definition 2.15. Sei F ein Filter auf X und V ein normierter Rraum.

  1. Eine Folge positiver Funktionen φn:XR+ heißt asymptotische Folge bezüglich F, falls φn+1oF(φn) für alle nN0 gilt.

  2. Eine Funktion f:XV besitzt eine asymptotische Entwicklung im Sinne von Poincaré24 bezüglich der asymptotischen Folge (φn)nN0, falls es Konstanten αnV mit fn=0N1αnφnOF(φN)Vfür alle NN gibt. In diesem Fall schreiben wir kurz fnαnφn.

  3. Eine Funktion f:XV besitzt eine asymptotische Entwicklung im Sinne von Erdélyi25 bezüglich der asymptotischen Folge (φn)nN0, falls es Funktionen ψnOF(φn)V mit fn=0N1ψnOF(φN)Vfür alle NN gibt. In diesem Fall schreiben wir kurz fnψn.

Beispiel 2.16. Interessante asymptotische Folgen auf R+ für den Filter t sind insbesondere φn(t)=tνn für eine Folge νnR mit νn und φn(t)=eνnt ebenso für νnR mit νn. Beide werden uns noch einmal begegnen. Für t0 wird insbesondere φn(t)=tn von Interesse sein.

Beispiele 2.17. Beispiele asymptotischer Entwicklungen sind uns schon begegnet.

  1. Es ist E(t)=1tessdsk=1(k1)!tket,t, eine asymptotische Entwicklung bezüglich der asymptotischen Folge et,ett,,ettn,

  2. Für jedes fC(R) gilt nach dem Taylorschen Satz f(t)n=0f(n)(0)tnn!,t0. Ist die Funktion f holomorph, so konvergiert die Reihe insbesondere lokal gleichmäßig. Im Allgemeinen muß die Reihe nicht konvergent sein und auch falls sie konvergent ist nicht gegen die Funktion f konvergieren.

Das Problem ist zu zeigen, daß Funktionen asymptotische Entwicklungen besitzen. Das Bestimmen der dabei auftretenden Koeffizienten ist dann in der Regel einfach. Wir beschränken uns nachfolgend auf Entwicklungen im Sinne von Poincaré.

Proposition 2.18.

  1. Angenommen, zwei Funktionen f und g besitzen asymptotische Entwicklungen fnαnφn und gnβnφn. Dann besitzt für alle λC die Funktion f+λg eine asymptotische Entwicklung und es gilt f+λgn(αn+λβn)φn.

  2. Angenommen, f besitzt die asymptotische Entwicklung fnαnφn. Dann besitzt die Differenz fα0φ0 die asymptotische Entwicklung fα0φ0n1αnφn.

  3. Die Koeffizienten einer asymptotischen Entwicklung im Sinne von Poincaré sind eindeutig bestimmt.

Proof. (1) und (2) folgen direkt aus der Vektorraumstruktur von oF(φn). (3) Angenommen, f besitze zwei asymptotische Entwicklungen fnαnφn und fnα~nφn. Dann gilt insbesondere fα0φ0,fα~0φ0OF(φ1)oF(φ0) und damit (α0α~0)φ0oF(φ0). Da aber φ0oF(φ0) gilt, muß α0=α~0 gelten. Damit ist der erste Koeffizient eindeutig bestimmt und die Behauptung folgt per Induktion, indem man jeweils die Entwicklung der Reste fn<Nαnφn betrachtet und damit jeweils αN=α~N schließt. ◻

Betrachtet man speziell Funktionen auf [1,) und den Filter , so kann man asymptotische Reihen gliedweise integrieren und, so die Ableitung eine asymptotische Entwicklung besitzt, auch differenzieren. Es gilt

Proposition 2.19.

  1. Sei φn:[1,)R+ eine asymptotische Folge stetiger Funktionen für den Filter . Angenommen, die Integrale Φn(t)=tφn(s)ds konvergieren für alle t. Dann ist Φn ebenso asymptotische Folge .

  2. Sei f:[1,)V stetig und besitze eine asymptotische Entwicklung f(t)nαnφn(t),t. Dann konvergiert F(t)=tf(s)ds und besitzt die asymptotische Entwicklung F(t)nαnΦn(t),t.

Proof. (1) folgt aus der Regel von l’Hôpital. Da nach Konstruktion Φn(t)0 für t gilt, liefert diese limtΦn+1(t)Φn(t)=limtϕn+1(t)ϕn(t)=0. (2) Es gilt f(t)=α0φ0(t)++αn1φn1(t)+rn(t) mit einem Rest rnO(φn)V. Also folgt trn(s)dsCtφn(s)dsO(Φn) und damit F(t)α0Φ0(t)αn1Φn1(t)=trn(s)dsO(Φn)V, also die Behauptung. ◻

2.20. Von besonderem Interesse ist das soeben gezeigte für asymptotische Reihen der Form f(t)α0+α1t+α2t2+nαntn,t, oder asymptotische Potenzreihen f(t)α0+α1t+α2t2+nαntn,t0. Sind die Funktionen komplexwertig, so kann man solche asymptotischen Reihen addieren, multiplizieren und (falls der führende Koeffizient ungleich Null ist) auch dividieren. Asymptotische Potenzreihen kann man gliedweise integrieren und sobald die Ableitung der Funktion ebenso eine asymptotische Entwicklung besitzt auch differenzieren. Die Details seien als Übungsaufgabe überlassen.

Satz 2.21 (Borel26, Peano27). Sei (αn)nN0 eine beliebige komplexe Zahlenfolge. Dann existiert eine Funktion fC(R) mit f(n)(0)=αn, also mit f(t)n=0αnn!tn.

Proof. Wir folgen dem Beweis von Borel und wählen uns eine Funktion χC(R) mit |χ(t)|1, χ(t)=0 für |t|>1 und χ(t)=1 für |t|<1/2. Für eine noch zu bestimmende monoton wachsende Folge Mn sei f(t)=n=0αnn!tnχ(Mnt). Für t=0 hat die Reihe genau einen von Null verschiedenen Summanden und es gilt f(0)=α0. Für jedes andere t0 sind nur endlich viele der Summanden ungleich Null. Damit ist fC(R{0}) und es genügt, die Folge Mn so zu konstruieren, daß f(n)(0)=αn gilt.

Für n=1 sei M1 so groß gewählt, daß supt|α1tχ(M1t)||α1|M1121. Für größere n sei Mn so groß, daß k=0n1supt|αnn!dkdtktnχ(Mnt)|k=0n1|αn|n!=0k(k)n!(n)!supt|tnMnkχ(k)(Mnt)|k=0n1|αn|=0k1(n)!(k)Mnknsups|snχ(k)(s)|2n gilt. Dann konvergiert die Reihe n=Nαnn!tnχ(Mnt) wegen n=Nαnn!tnχ(Mnt)CN1n=Nαnn!tnχ(Mnt)Cn1n=N2n1 absolut in CN1(R) und der Grenzwert sowie die ersten N1 Ableitungen verschwinden in t=0. Also folgt f(t)=n=0N1αnn!tnχ(Mnt)+n=Nαnn!tnχ(Mnt) und der erste Summand ist lokal um t=0 ein Polynom und besitzt bis zur Ordnung N1 die vorgegebenen Ableitungen. ◻

Annahme: Es existiere eine Folge FnF mit #{n:xFn}<0 für jedes xX, welche F erzeugt (d.h. für jedes FF existiere ein n mit FnF), sowie eine Folge χn:X[0,1] mit {x:χn(x)0}Fn und Fn+1{x:χn(x)=1}.

Satz 2.22. Zu jeder asymptotischen Reihe nψn im Sinne von Erdélyi existiert eine Funktion f mit fnψn.

Proof. Wir folgen der Beweisidee von Borel und wählen eine hinreichend schnell wachsende Folge mn. Dann ist für jedes xX die Summe f(x)=nχmn(x)ψn(x) endlich und es bleibt, die Asymptotik der Reihenreste zu untersuchen. Wir wählen mn so groß, daß χmn(x)ψn(x)2nφk(x),k<n, gilt. Dies kann erfüllt werden, da ψnoF(φk) für alle k<n gilt und dies für festes n nur endlich viele Bedingungen sind. Damit folgt f(x)n=0N1χmn(x)ψn(x)ψN(x)+n>Nχmn(x)ψn(x)ψN(x)+n>N2nφN(x)OF(φN) und der Satz ist bewiesen. ◻

Obige Annahme schränkt die Anwendbarkeit des Satzes natürlich ein. Sie ist allerdings klar erfüllt für Filter, die über die Metrik eines Raumes definiert sind, und Funktionen, welche als stetig vorausgesetzt werden. Die Existenz der Funktionen χn ist dann durch das Lemma von Urysohn garantiert. Ebenso funktioniert das Argument für asymptotische Entwicklungen von Folgen. Für asymptotische Entwicklungen holomorpher Funktionen ist die Situation eine Andere und die Summierbarkeit beliebiger asymptotischer Reihen zu holomorphen Funktionen auch allgemeinen falsch.

2.4 Holomorphe Funktionen

2.23. Für ganze Funktionen fA(C) ist das asymptotische Verhalten bezüglich des Umgebungsfilters von eher uninteressant; besitzt f eine asymptotische Entwicklung in (positive und negative) Potenzen von z, so ist f schon ein Polynom. Interessantere Funktionen, die in Entwicklungen auftauchen können, besitzen ein richtungsabhängiges asymptotisches Verhalten. Ein typisches erstes Beispiel dazu wäre die Funktion f(z)=sinz, welche in Richtung der reellen Achse beschränkt ist, in imaginärer Richtung aber jeweils exponentiell wächst.

Phasenportraits der Funktionen \sin z und \exp(z^2). Phasenportraits der Funktionen \sin z und \exp(z^2).

Beispiel 2.24. Als zweites Beispiel betrachten wir die Eulersche Gammafunktion definiert für z>0 durch Γ(z)=0ettz1dt. Zumindest für reelle z haben wir das asymptotische Verhalten schon diskutiert. Die Methode von Laplace liefert eine asymptotische Reihe der Form Γ(z)ezlnzz2πzk=0αkzk,z+, mit α0=1 und (explizit berechenbaren) Koeffizienten αkR.

Betrachtet man nun ein z=reiθC mit |θ|<π2, so kann man ebenso nach der Asymptotik für r bei festem θ fragen. Diese bestimmt sich wiederum nach einer Variante der Sattelpunktmethode. Es gilt Γ(z)=0exp(zlntt)dtt=0eiθexp(zlnz+zlnζzζ)dζζ=ezlnz0eiθexp(reiθ(lnζζ))dζζ. mit der Substitution t=zζ. Wir wählen den Integrationsweg über den Sattelpunkt der Funktion h(ζ)=eiθ(lnζζ) in ζ=1 mit h(1)=eiθ, h(ζ)=0 und h(ζ)=eiθ. Damit folgt mit Gleichung  Γ(z)ezlnzeeiθreiθ/22πrk=0αk(θ)rk,r=|z|ezlnzz2πzk=0αkzk,z für festes argz=θ in der Halbebene z>0. Daß die hierbei auftretenden Konstanten αk von θ unabhängig sind ist leicht nachzurechnen und folgt ebenso aus Formel . Ob die punktweise Asymptotik gleichmäßig in argz ist, muß vorerst offenbleiben. Dies ergibt sich aus allgemeineren Sätzen, denen wir uns zuerst zuwenden wollen.

2.25. Für holomorphe Funktionen bietet es sich deshalb an, das asymptotische Verhalten in Sektoren Σθ={0}{zC:|argz|θ}C für θ(0,π) zu untersuchen. Wir fragen nach dem asymptotischen Verhalten gegebener Funktionen f:ΣθC, welche auf Σθ stetig und im Inneren von Σθ holomorph sind.

Hierbei ist zu beachten, daß es im Sektor verschiedene Möglichkeiten gibt, sich dem Unendlichen anzunähern. Uns interessieren deshalb das asymptotische Verhalten für |z| gleichmäßig im Argument, also bezüglich des durch {zΣθ:|z|>R},R>0, erzeugten Filters. Für holomorphe Funktionen ergibt sich überraschenderweise, daß Asymptotik auf den begrenzenden Strahlen unter minimalen Voraussetzungen schon gleichmäßige Asymptotik im Sektor impliziert. Das folgt aus dem Satz von Phragmén28–Lindelöf29 in der nachfolgenden allgemeinen Fassung. Er verallgemeinert das bekannte Maximumprinzip.

Satz 2.26 (Phragmén–Lindelöf). Sei f:ΣθC stetig und holomorph im Inneren von Σθ. Angenommen, es gilt ln(1+|f(z)|)o(|z|α),|z|, mit α=π2θ, sowie |f(z)|1für argz=±θ. Dann gilt |f(z)|1für alle zΣθ.

Proof. Schritt 1. Wir zeigen zuerst die schwächere Form des Theorems unter der Voraussetzung ln(1+|f(z)|)O(|z|α) für ein α<π2θ. Wir betrachten die Menge ΣθBR. Die Funktion F(z)=f(z)eϵzβ mit α<β<π2θ erfüllt auf den berandenden Strahlen argz=±θ die Abschätzung |F(z)|=eϵ|z|βcosβθ|f(z)|1 sowie auf dem Kreisbogensegment mit Radius R die Abschätzung |F(z)|eϵRβcosβθ|f(z)|eCRαϵRβcosβθ0,R. Damit impliziert das Maximumprinzip aber maxzΣθBR|F(z)|1 für R hinreichend groß und, da ϵ>0 beliebig war, folgt die Behauptung.

Wir zeigen die Aussage unter der Voraussetzung ln(1+|f(z)|)o(|z|α) für α=π2θ. Dazu betrachten wir F(z)=f(z)eϵzα und nutzen, daß für reelles z wegen |F(z)|=eϵzα|f(z)|0, z, die Existenz von M=supzR+|F(z)| folgt. Damit kann auf jedem der Teilsektoren 0argzθ die Abschätzung aus Schritt 1 genutzt werden. Es gilt also |F(z)|max{1,M},zΣθ. Es folgt wiederum |f(z)|M in Σθ. Damit ist aber die schwächere Voraussetzung von Schritt 1 für f erfüllt und die Behauptung folgt durch erneute Anwendung von Schritt 1, diesmal für den ganzen Sektor. ◻

Die Aussage gilt entsprechend für Gebiete der Form Σθ{z:|z|>R}, wobei man zusätzlich |f(z)|1 auf dem Kreisbogensegment fordern muß.

Korollar 2.27. Sei f:ΣθC holomorph im Inneren und stetig bis zum Rand von Σθ und beschränkt. Dann gilt

  1. Angenommen, f(z)a für |z| entlang der Strahlen argz=±θ. Dann gilt f(z)a für |z| gleichmäßig im Sektor Σθ.

  2. Angenommen, f(z)a für |z| entlang eines Strahles argz=α und f(z)b für |z| entlang eines weiteren Strahles argz=β mit θα<βθ. Dann gilt a=b.

Proof. (i) Durch Substitution von z durch zγ kann man erreichen, daß θ<π/2 gilt. Sei also im folgenden θ<π/2 und für λ>0 die Funktion Fλ(z)=zλ+z(f(z)a) definiert. Sei weiter ϵ>0 und R so groß, daß |f(z)a|<ϵ für argz=±θ und |z|>R. Dann gilt insbesondere |Fλ(z)|ϵ für diese z. Da f beschränkt ist, existiert weiter λ>0, sodaß |Fλ(z)|MR/λ=ϵ für |z|R. Also folgt |Fλ(z)|ϵ in Σθ und damit |f(z)a|(1+λ/|z|)ϵ<2ϵ,|z|λ. (ii) folgt mit der Wahl F(z)=(f(z)12(a+b))2, da dann wegen (i) F(z)14(ab)2=(f(z)a)(f(z)b)0 gleichmäßig auf dem Sektor αargzβ gilt. ◻

Wir formulieren noch eine Folgerung aus dem Satz von Phragmén–Lindelöf. Wir nutzen dazu den Halbstreifen Sb+={zC:z0,|z|b}. Die komplexe Logarithmusfunktion liefert eine biholomorphe Abbildung ln:Σθ{|z|1}Sθ+ des Sektors Σθ{|z|1} auf den Halbstreifen Sθ+ der Breite 2θ. Damit kann das gerade gezeigte Theorem direkt in eine Streifenvariante überführt werden.

Satz 2.28 (Phragmén–Lindelöf). Sei f:Sb+C stetig auf Sb+ und holomorph im Inneren von Sb+. Angenommen, es gilt ln(1+|f(z)|)o(eαz),z+, mit α=π2b, sowie |f(z)|1für zSb+ mit z=±b oder z=0. Dann gilt |f(z)|1für alle zSb+.

Proof. Anwenden von Satz  auf die Funktion f(lnζ), die auf dem Sektor Σb{|ζ|1} definiert ist. ◻

Beispiel 2.29 (Airyfunktionen). Als Beispiel untersuchen wir die Lösungen der Airyschen Differentialgleichung30 f(z)zf(z)=0. Zusammen mit den Bedingungen f(0)=α und f(0)=β besitzt diese eine eindeutig bestimmte ganze Funktion als Lösung. Um das zu sehen, nutzen wir den Ansatz als Potenzreihe f(z)=n=0cnzn, welcher eingesetzt in die Differentialgleichung zu n=2n(n1)cnzn2zn=0cnzn=0, und damit zur Rekursion cn+2=cn1(n+2)(n+1),n1, für die Koeffizienten zusammen mit der Bedingung c2=0 führt. Also folgt c3k+2=0 für alle k sowie c3k=α1j=1k3j(3j1),c3k+1=β1j=1k(3j+1)3j. Die absolute Konvergenz der Reihen auf ganz C folgt mittels Quotientenkriterium für die beiden Teilreihen mit c3k und c3k+1 als Koeffizienten.

Phasenportrait der Airyfunktion, links für |\Re z|,|\Im z|\le 10 rechts für |\Re z|,|\Im z|\le 20Phasenportrait der Airyfunktion, links für |\Re z|,|\Im z|\le 10 rechts für |\Re z|,|\Im z|\le 20

Das hilft uns aber nicht, das Verhalten der Lösungen für große z zu untersuchen. Dazu benötigen wir eine alternative Darstellung der Funktionen als komplexe Kurvenintegrale und nutzen den Ansatz f(z)=12πiΓezζW(ζ)dζ für eine zu bestimmende (holomorphe) Funktion W(ζ) und einen geeigneten (geschlossenen oder unbeschränkten) Weg Γ. Formales Einsetzen in die Differentialgleichung liefert nun mittels partieller Integration 0=f(z)zf(z)=12πiΓezζ(ζ2W(ζ)zW(ζ))dζ=12πiΓezζ(ζ2W(ζ)+W(ζ))dζ, bei der Wahl des Integrationsweges haben wir später sicherzustellen, daß diese Rechnung korrekt war.

Das Integral verschwindet für jeden Integrationsweg, falls der Integrand identisch verschwindet. Dazu wählen wir W als Lösung der Differentialgleichung W(ζ)=ζ2W(ζ),d.h.W(ζ)=e13ζ3. Den Integrationsweg in f(z)=12πiΓezζζ33dζ wählen wir nichttrivial, indem wir damit zwei der Strahlen e23πkiR+, k{0,1,2}, verbinden. Da entlang dieser Strahlen der Integrand zusammen mit seinen Ableitungen exponentiell fällt, war obige Rechnung korrekt und wir erhalten die gesuchte Lösungsdarstellung.

Für den Weg ΓAi, der aus Richtung e43πi kommt und nach e23πi verläuft, ergibt sich die Airyfunktion erster Art

Ai(z)=12πiΓAiezζ13ζ3dζ, deren Phasenportrait in Abbildung  dargestellt ist. Unser Ziel ist es, das Verhalten der Funktion Ai(z) für große z genauer zu untersuchen. Dazu nutzen wir die Sattelpunktmethode und untersuchen das Verhalten für z=reiθ bei festem θ. Es gilt mit der Substitution ζ=rξ Ai(reiθ)=r2πiΓAier3/2(eiθξ13ξ3)dξ=r2πiΓAier3/2h(ξ)dξ mit h(ξ)=eiθξ13ξ3. Der Weg ΓAi wird so deformiert, daß er über die (eindeutig bestimmten) Sattelpunkte minimaler Höhe von h(ξ) in seiner Homotopieklasse verläuft. Aufgrund von h(ξ)=eiθξ2 sind die beiden Sattelpunkte bei ±eiθ/2 und es gilt h(±eiθ/2)=±23ei3θ/2,h(±eiθ/2)=±23cos(3θ/2) sowie h(±eiθ/2)=2eiθ/2. Für θ{π/3,π/3,π} sind beide Sattelpunkte gleich hoch, jedoch ist nur der Fall θ=π besonders. Hier wechselt der optimale Sattelpunkt in der Homotopieklasse, siehe Abbildung .

Für θ=π verläuft der Weg über beide Sattelpunkte. Das entspricht später einer Stokeslinie 31 im asymptotischen Verhalten, sonst verläuft der Weg nur über einen Sattelpunkt und der gewählte Sattelpunkt ist stetig in der Richtung θ für θπ. Mit Formel folgt für die Asymptotik r bei festem θ und unter Beschränkung auf den Hauptterm der Asymptotik Ai(reiθ)=r2πiΓAier3/2h(ξ)dξr2πi2πer3/2h(eiθ/2)ei(π/2θ/4)1r3/4|h(eiθ/2)|12πr1/4eiθ/4e23r3/2ei3θ/2 für r. Es gilt also auf dem Strahl argz=θ zusammengefaßt Ai(z)e23z3/22πz1/4,|z|. Diese Asymptotik ist gleichmäßig auf Sektoren Σθ für θ<π. Um das zu sehen nutzen wir den Satz von Phragmén–Lindelöf und benötigen zuerst noch eine grobe Abschätzung der Airyfunktionen. Dazu nutzen wir die Potenzreihendarstellung und schätzen grob die beiden Lösungen der Airygleichung mit f(0)=1 und f(0)=0 sowie f(0)=0 und f(0)=1 ab. Wegen c3k=3k(k2/3)k(3k)!3kk!(3k)!3k(2k)!,c3k+1=3k(k2/3)k(3k+1)!3kk!(3k+1)!3k(2k)! gilt |k=0c3kz3k|k=01(2k)!3k|z|3kexp(3|z|3/2),|k=0c3k+1z3k+1|k=01(2k)!3k|z|3k+1|z|exp(3|z|3/2) und somit folgt Ai(z)e23z3/2z1/4O(e3|z|3/2). Damit ist aber in Sektoren ΣΣπϵ mit Öffnungswinkel kleiner π/3 der Satz von Phragmén–Lindelöf anwendbar und Korollar  liefert die Gleichmäßigkeit der Asymptotik. Also gilt, da man den Sektor Σπϵ mit endlich vielen solcher Sektoren überdecken kann, Ai(z)e23z3/22πz1/4,|z|. gleichmäßig in Σπϵ für beliebig kleines ϵ>0. Analog sieht man, dass die in jeder Richtung existierenden asymptotischen Entwicklungen konsistent sind (also dieselben Koeffizienten haben) und ebenso gleichmäßig in jedem Sektor Σπϵ Ai(z)e23z3/22πz1/4k=0αkzk,|z|, mit Koeffizienten α0=1 und (berechenbaren) αkR gilt.

Analytische Landschaft der Funktion \exp(\xi-\frac13 \xi^3)

Phasenportraits der Funktion \exp({\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta} \xi-\frac13 \xi^3) für \theta\in\{0, \pi/2,\pi, 3\pi/2\} Phasenportraits der Funktion \exp({\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta} \xi-\frac13 \xi^3) für \theta\in\{0, \pi/2,\pi, 3\pi/2\}
Phasenportraits der Funktion \exp({\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta} \xi-\frac13 \xi^3) für \theta\in\{0, \pi/2,\pi, 3\pi/2\} Phasenportraits der Funktion \exp({\mathrm e}^{{\mathrm i}\theta} \xi-\frac13 \xi^3) für \theta\in\{0, \pi/2,\pi, 3\pi/2\}

Für θ=π verläuft der optimale Weg über beide Sattelpunkte und wir müssen die asymptotischen Terme beider Sattelpunkte addieren. Dies liefert die andersgeartete Asymptotik Ai(z)r2πi2πer3/2h(eiπ/2)eiπ/41r3/4|h(eiπ/2)|+r2πi2πer3/2h(eiπ/2)ei3π/41r3/4|h(eiπ/2)|1πr1/4eiπ/4ei23r3/2+ei3π/4ei23r3/22i1π|z|1/4sin(23|z|3/2+π4),z. mit r=|z|. Der Wechsel der Asymptotik (also das Wechseln zwischen den Sattelpunkten) wird als Stokesphänomen bezeichnet und findet hier entlang der Stokeslinie

argz=π statt.

Um eine zweite zu Ai(z) linear unabhängige Lösung der Airyschen Differentialgleichung zu erhalten wählen wir den Integrationsweg ΓBi bestehend aus den zwei Wegen verlaufend von e43πi aus dem Unendlichen kommend zur reellen Achse nach Unendlich verlaufend sowie von e23πi kommend und entlang der reellen Achse ins Unendliche verlaufend und betrachten die Airyfunktion zweiter Art

Bi(z)=12πΓBiezζ13ζ3dζ. Nach Substitution ζ=rξ für z=reiθ und optimaler Wahl des Weges verläuft dieser wie in nachfolgender Tabelle dargestellt:

θ relevante Sattelpunkte
|θ|<π/3 zweifach über den höheren Sattelpunkt in eiθ/2 in Richtung eiθ/4
θ=π/3 zweifach über den Sattelpunkt eiπ/6 in Richtung eiπ/12
und einfach über eiπ/6 in Richtung ei5π/12
θ=π/3 zweifach über den Sattelpunkt eiπ/6 in Richtung eiπ/12
und einfach über eiπ/6 in Richtung ei5π/12
π/3<±θ<π einfach über den höheren Sattelpunkt in eiθ/2 in Richtung ±ei(π/2θ/4)
θ=π über beide Sattelpunkte ±i=e±iπ/2 in Richtungen ei3π/4

Damit folgt Bi(z)=r2πΓBier3/2h(ξ)dξ1πr1/4eiθ/4e23r3/2ei3θ/2e23z3/2πz1/4,|z|, wiederum gleichmäßig auf Σπ/3ϵ für ϵ>0, Bi(z)=r2πΓBier3/2h(ξ)dξi2πr1/4eiθ/4e23r3/2ei3θ/2ie23z3/22πz1/4,|z|, gleichmäßig auf ei2π/3Σπ/3ϵ für ϵ>0, Bi(z)=r2πΓBier3/2h(ξ)dξi2πr1/4eiθ/4e23r3/2ei3θ/2ie23z3/22πz1/4,|z|, gleichmäßig auf ei2π/3Σπ/3ϵ für ϵ>0, Bi(re±iπ/3)1πr1/4(eiπ/12ei23r3/2+e±iπ/32e±iπ/12ei23r3/2),r für θ=±π3, sowie im Falle θ=π Bi(z)1πr1/4eiπ/4ei23r3/2ei3π/4ei23r3/22i1π|z|1/4cos(23|z|3/2+π4),z.

Beispiel 2.30. Als zweites Beispiel betrachten wir die Besselfunktionen 32 Jn der Ordnung n. Diese besitzen die Erzeugendenfunktion n=Jn(z)ζn=ez2(ζ1ζ) und damit die Integraldarstellung Jn(z)=12πiez2(ζ1ζ)ζn+1dζ für einen den Ursprung einmal positiv umlaufenden geschlossenen Integrationsweg. Die Besselfunktionen Jn sind ganz, es stellt sich wiederum die Frage nach ihrem asymptotischen Verhalten für große z. Offenbar gilt Jn(z)=(1)nJn(z).

Phasenportrait der Besselfunktion \mathcal J_{10}(z) für |\Re z|, |\Im z|\le 100

Direkt aus der Definition und mit dem Einheitskreis als Integrationsweg ergibt sich die grobe Abschätzung |Jn(z)|12π|eziζ||dζ|e|z|. Für das weitere gehen wir analog zum letzten Beispiel vor und betrachten z=reiθ für gegebenes θ und suchen eine Asymptotik für r. Da dann Jn(reiθ)=12πier2eiθ(ζ1ζ)ζn+1dζ gilt, stellt sich die Frage nach Sattelpunkten der Funktion h(ζ)=eiθ12(ζ1ζ). Diese liegen wegen h(ζ)=eiθ12(1+1ζ2) in den Punkten ζ=±i mit h(±i)=ei(θ+π/2). Wegen h(±i)=sinθ ist für θ(0,π) der Sattelpunkt in i höher, während für θ(π,0) der Sattelpunkt in i der Höhere ist. Für θ{0,π} sind beide gleich hoch. Der geschlossene Integrationsweg verläuft jeweils über beide Sattelpunkte.

Also ist die reelle Achse eine Stokeslinie und das asymptotische Verhalten der Besselfunktionen in der oberen Halbebene unterscheidet sich vom asymptotischen Verhalten der Besselfunktionen in der unteren Halbebene. In der oberen Halbebene, also mit θ(0,π), impliziert Jn(reiθ)=12πierh(ζ)ζn+1dζ12πierh(i)ei(π4θ2)ei(n+1)π22πr12πreiθ/2eireiθei(π4+nπ2)Jn(z)12πzeizei(π4+nπ2),|z|, und analog für die untere Halbebene, also θ(π,0) Jn(reiθ)12πierh(i)ei(π4+θ2)ei(n+1)π22πr12πreiθ/2eireiθei(π4+nπ2)Jn(z)12πzeizei(π4+nπ2),|z|, sowie für z>0 als Summe beider Darstellungen Jn(z)2πzcos(zπn2π4),z+. Die asymptotischen Formeln sind wiederum gleichmäßig in Sektoren innerhalb der jeweiligen Halbebenen.

3 Integraltransformationen

In diesem Kapitel betrachten wir Integraltransformationen, welche Funktionen f:[0,)C holomorphe Funktionen T[f] zuordnen. Diese verallgemeinern in gewissem Sinne die schon betrachteten Erzeugendenfunktionen für Folgen und uns interessiert wiederum der Zusammenhang zwischen asymptotischem Verhalten von f und holomorphen beziehungsweise meromorphen Fortsetzungen von T[f].

3.1 Die Laplacetransformation

Wir betrachten vorerst stetige Funktionen f:[0,)C und diskutieren im Anschluß eine Verallgemeinerung auf Borelmaße.

Proposition 3.1. Sei ln(1+|f(t)|)O(t) für t und bezeichne δL(f)=lim suptln|f(t)|t. Dann ist L[f](z)=0eztf(t)dt,z>δL(f), holomorph in der Halbebene {zC:z>δL(f)} und erfüllt die Abschätzung |L[f](z)|Czδ,z>δ>δL(f) mit einer von f und δ abhängenden Konstanten C. Die durch definierte Funktion L[f]A({z>δL(f)}) wird als Laplacetransformierte von f bezeichnet.

Proof. Sei z>δ>δL(f). Dann gilt aufgrund der Definition von δL(t) |f(t)|Ceδt und somit die punktweise Abschätzung |L[f](z)|0etz|f(t)|dtC0e(δz)tdt=Czδ. Also konvergiert das Integral absolut und lokal gleichmäßig und L[f] ist holomorph auf jeder Halbebene {z:z>δ} mit δ>δL(f). ◻

Wir beginnen damit, die elementaren Eigenschaften der Laplacetransformation zusammenzufassen.

Proposition 3.2 (Linearität). Die Transformation L ist linear; genauer es gilt δL(f+g)max{δL(f),δL(g)}, sowie L[f+αg](z)=L[f](z)+αL[g](z),z>max{δL(f),δL(g)}, für beliebiges αC.

Proof. Folgt direkt aus der Linearität des Integrals. ◻

Definition 3.3. Seien f,g:[0,)C zwei stetige (oder lokal integrierbare meßbare) Funktionen. Dann bezeichne fg(t)=0tf(ts)g(s)ds ihre Laplacefaltung .

Proposition 3.4 (Faltungssatz). Es gilt δL(fg)max{δL(f),δL(g)} sowie L[fg](z)=L[f](z)L[g](z),z>max{δL(f),δL(g)}.

Proof. Es gilt unter Ausnutzung des Satzes von Fubini L[fg](z)=0ezt0tf(ts)g(s)dsdt=0ezssez(ts)f(ts)dtg(s)ds=L[f](z)L[g](z) solange z>max{δL(f),δL(g)}. ◻

Proposition 3.5.

  1. (Dämpfungssatz) Sei g(t)=eμtf(t) für ein μC. Dann gilt δL(g)=δL(f)μ sowie L[g](z)=L[f](z+μ),z>δL(f)μ.

  2. Sei g(t)=tf(t). Dann gilt δL(g)=δL(f), sowie ddzL[f](z)=L[g](z),z>δL(f).

Proof. (1) folgt direkt aus der Definition. folgt, da tezt=zezt und die absolute Integrierbarkeit für z>δL(f) das Vertauschen von Integral und Ableitung rechtfertigt. ◻

Proposition 3.6 (Differentiationssatz). Sei f differenzierbar und gelte δL(f)<. Dann gilt δL(f)max{δL(f),0} sowie L[f](z)=zL[f](z)f(0).

Proof. Aus δ>δL(f) folgt |f(t)|Ceδt und damit impliziert f(t)=f(0)+0tf(s)ds schon |f(t)||f(0)|+C0teδsds=|f(0)|+CδeδtCδ und damit δL(f)max{δ,0}. Das impliziert δL(f)max{δL(f),0} und somit liefert partielle Integration L[f](z)=0eztf(t)dt=eztf(t)|t=0+z0eztf(t)dt=zL[f](z)f(0). ◻

Beispiel 3.7. In der folgenden Tabelle sind einige elementare Funktionen und ihre Laplacetransformierten zusammengetragen. Sie wird für weitere Rechnungen wichtig sein. Die Transformierten ergeben sich durch direktes nachrechnen. So gilt 0ezteλtdt=0e(zλ)tdt=1zλ und damit die erste Tabellenzeile. Weiter gilt damit unter Ausnutzung von Proposition  (2) 0ezttkeλtdt=(ddz)k0e(zλ)tdt=k!(zλ)k+1. Dies erlaubt die Bestimmung der Laplacetransformierten aller trigonometrischen Polynome sowie aller Produkte aus Polynomen und trigonometrischen Funktionen. Ein weiteres Beispiel ergibt sich direkt aus der Definition der Gamma-Funktion. Es gilt 0ezttλdt=0es(sz)λ+1dss=Γ(λ+1)zλ+1 unter Ausnutzung der Substitution s=zt und für zR. Für die Halbebene z>0 liefert holomorphe Fortsetzung die Laplacetransformierte.

Mitunter sind Differentiationssätze und Dämpfungssätze zur Berechnung der Transformation hilfreich. Um (eλteμt)/t zu transformieren, nutzen wir, daß nach Multiplikation mit t die Funktion eλteμt mit der Transformierten 1/(zλ)1/(zμ) entsteht. Da Multiplikation mit t im Laplacebild der Ableitung d/dz entspricht, benötigen wir eine Stammfunktion. Diese ist 1zλ1zμdz=ln(zλ)+ln(zμ)+C=lnzμzλ+C und da wir das Laplacebild einer stetigen Funktion suchen ergibt sich C aus der Abschätzung und damit durch Nullsetzen des Grenzwertes z+.

Funktion Laplacetransformierte Konvergenzabszisse
eλt, λC 1zλ δL=λ
tkeλt, λC,kN (ddz)k1zλ=k!(zλ)k+1 δL=λ
cos(λt), λR zz2+λ2 δL=0
sin(λt), λR λz2+λ2 δL=0
tλ, λ>1 Γ(λ+1)zλ+1 δL=0
eλteμtt, λ,μC lnzμzλ δL=min{λ,μ}

Die sinnvolle Nutzbarkeit einer solchen Tabelle hängt an der Injektivität der Transformation. Diese wird nachfolgend in Satz  gezeigt. Nimmt man diese vorerst naiv an, so ergibt sich aus obiger Tabelle insbesondere die Inversion der Laplacetransformation auf rationalen Funktionen durch Partialbruchzerlegung. So liefert L[f](z)=k=1n=0νk1αk,!(zzk)+1 mit Koeffizienten αk,C und Polen zkC für die Originalfunktion die Darstellung f(t)=k=1n=0νk1αk,tezkt.

Satz 3.8 (Eindeutigkeitssatz von Lerch33). Seien f und g stetig mit δL(f),δL(g)<. Angenommen, es gilt mit δ=max{δL(f),δL(g)} L[f](z)=L[g](z),zS{z:z>δ} für eine Menge S, die mindestens einen ihrer Häufungspunkte enthält. Dann gilt f=g.

Proof. Mit dem Verschiebungssatz können wir annehmen, daß δ<1 gilt. Da nun sowohl L[f] als auch L[g] auf {z>1} holomorph sind, liefert der Identitätssatz aus L[f](z)=L[g](z) auf S schon die Gleichheit auf der gesamten Menge {z>1}. Weiter gilt f,go(et), t. Betrachtet man also die Funktionen f~(s)=f(lns) und g~(s)=g(lns), so sind diese stetig auf (0,1] und erfüllen lims0f~(s)/s=lims0g~(s)/s=0. Wählt man nun speziell die Punkte z=nN0, so folgt 01snf~(s)dss=0entf(t)dt=L[f](n)=L[g](n)=0entg(t)dt=01sng~(s)dss und, da nach dem Weierstraßschen Approximationssatz die Menge der Polynome dicht in C[0,1] ist, damit die Behauptung f~=g~. ◻

Bemerkung: Der Eindeutigkeitssatz gilt ebenso für meßbare lokal essentiell beschränkte Funktionen f und g, sowie allgemeiner für die Laplacetransformierten von Radonmaßen. Die Aussage gilt auch für die Menge S=N, wie gerade gezeigt, oder allgemeiner für eine Menge S={zk:kN0}{z:z>0} mit k=0(1|zk1zk+1|)=, vorausgesetzt δ0 und sowohl L[f] als auch L[g] sind beschränkt in der rechten Halbebene (Satz von Müntz-Szasz).

Satz 3.9 (Laplace, Bromwichintegral34). Sei f stetig mit δL(f)<γ. Dann gilt für jeden Punkt t>0, in welchem f hölderstetig ist f(t)=12πiv.p.γiγ+ietzL[f](z)dz=limR12πiγiRγ+iRetzL[f](z)dz.

Proof. Es gilt für γ>δL(f) und jedes t>0 12πiγiRγ+iRetz0ezsf(s)dsdz=12πi0(γiRγ+iRe(ts)zdz)f(s)ds=1π0eiR(ts)eiR(ts)2ie(ts)γtsf(s)ds=1π0sin((ts)R)(ts)e(ts)γf(s)ds=1πtsin(Rτ)τeγτf(t+τ)dτ mit der Substitution τ=st. Wir setzen g(t)=eγtf(t) für t0 und g(t)=0 für t<0. Dann ergibt obiges Integral =eγt1πsin(Rτ)τg(t+τ)dτ=eγt1πsin(Rτ)τ(g(t+τ)g(t))dτ+f(t)1πsinττdτ, und es bleibt, das den Grenzwert für R zu untersuchen. Da sinττdτ=π gilt, liefert der zweite Summand den Wert f(t). Wir zerlegen das erste Integral in drei Teile sin(Rτ)τ(g(t+τ)g(t))dτ=BBg(t+τ)g(t)τsin(Rτ)dτ+|τ|>Bg(t+τ)τsin(Rτ)dτg(t)|τ|>Bsin(Rτ)τdτ und betrachten diese einzeln. Wir betrachten zuerst die letzten beiden Terme. Aufgrund der Konvergenz des uneigentlichen Integrals gilt limB|τ|>Bsin(Rτ)τdτ=limB|τ|>RBsinττdτ=0 und (gleichmäßig in R>1) kann B so groß gewählt werden, daß der dritte Term betragsmäßig kleiner ϵ/3 ist. Weiter gilt limB|τ|>B|g(t+τ)τsin(Rτ)dτ|limB|τ|>B|g(t+τ)|τdτ=0 aufgrund der exponentiellen Schranke g(t)O(e(δγ)t) für δL(f)<δ<γ und der damit verbundenen absoluten Integrierbarkeit. Wir vergrößern B bis auch der zweite Term kleiner als ϵ/3 ist. Es bleibt der erste Term. Für diesen verwenden wir das bekannte Riemann–Lebesgue-Lemma, für jede absolut integrierbare Funktion h:[a,b]C gilt limRabh(τ)sin(Rτ)dτ=0. Da f und damit auch g als in t hölderstetig angenommen wurde, existiert ein α>0 und eine Zahl A, so daß |g(t+τ)g(t)τ|A|τ|1α für τ[B,B] gilt. Damit ist die linke Seite aber absolut integrierbar über [B,B] und mit dem Riemann–Lebesgue-Lemma strebt der erste Term in für R gegen Null. Also kann R so groß gewählt werden, daß dieser betragsmäßig kleiner ϵ/3 ist. Also ist das gesamte Integral in betragsmäßig kleiner ϵ für hinreichend großes R und, da ϵ beliebig war, folgt limR12πiγiRγ+iRetzL[f](z)dz=f(t) und der Satz ist gezeigt. ◻

Bemerkung. Die Voraussetzungen lassen sich leicht abschwächen. Ist f von beschränkter Variation, ist also Differenz monotoner Funktionen, so gilt die Inversionsformel in allen Stetigkeitspunkten von f und liefert in Sprungstellen den Mittelwert 12πiv.p.γiγ+ietzL[f](z)dz=f(t+0)f(t0)2 der Grenzwerte f(t0)=limstf(s) und f(t+0)=limstf(s).

Nachfolgendes Theorem hilft uns, zu zeigen, daß eine gegebene holomorphe Funktion im Bild der Laplacetransformation liegt und damit die Inversionsformel anwendbar ist. Zusammen mit dem Verschiebungssatz ergeben sich entsprechende Aussagen für andere Halbebenen.

Satz 3.10. Sei F:Σπ/2C stetig und holomorph im Inneren der Halbebene z>0. Angenommen, es gilt Fo(1) gleichmäßig im Sektor Σπ/2 sowie |F(iz)|dz<. Dann konvergiert f(t)=12πiiietzF(z)dz gleichmäßig in t0 und bestimmt eine stetige Funktion f:R+C, für welche F(z)=L[f](z)=0etzf(t)dt für alle z>0 gilt.

Proof. Daß f(t) stetig ist, folgt direkt aus |f(t)12πiiRiReztF(z)dz|12πR[R,R]|F(iz)|dz0,R, also der gleichmäßigen Konvergenz des uneigentlichen Integrals. Weiter gilt für z>0 aufgrund der absoluten Konvergenz beider Integrale 12πi0etziietζF(ζ)dζdt=12πiiiF(ζ)0et(zζ)dtdζ=12πiiiF(ζ)zζdζ. Andererseits gilt für z>0 mit der Cauchyschen Integralformel für den Weg ΓR bestehend aus dem Halbkreisbogen |ζ|=R und dem Intervall i[R,R] für R>|z| F(z)=12πiΓRF(ζ)zζdζ12πiiiF(ζ)zζdζ, da nach Voraussetzung das Integral über den Halbkreisbogen für R gegen Null strebt. ◻

Beispiel 3.11 (Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten). Zu lösen sei k=0mαkf(k)(t)=g(t) mit Konstanten αkC und für eine gegebene rechte Seite g:RC, ln(1+|g|)O(t) für t. Weiterhin nehmen wir an, daß f(k)(0)=βkC,k=0,1,m1 gilt. Dann kann das Problem durch Anwenden der Laplacetansformation gelöst werden. Wir nehmen an, daß ln(1+|f(k)|)O(t) für t und alle k{0,1,,m} gilt (was wir entweder a priori zeigen oder hinterher nachrechnen können) und erhalten aus den elementaren Rechenregeln der Laplacetransformation für F=L[f] und mit G=L[g] (k=0mαkzk)F(z)=k=0mαk=0k1zk1f()(0)+G(z), wenn man die Polynome p(z)=k=0mαkzkundq(z)=k=+1mαkzk1 einführt ergibt sich also p(z)F(z)==0m1βq(z)+G(z). Damit folgt F(z)==0m1βq(z)p(z)+G(z)p(z). mit rationalen Funktionen q(z)/p(z) (die im Bild der Laplacetransformation liegen) und der Funktion G(z)/p(z) (auf die zumindest für m2 obige Bildcharakterisierung anwendbar ist). Zur Rücktransformation nutzen wir eine Partialbruchzerlegung der rationalen Funktionen q(z)/p(z) und 1/p(z).

Wir skizzieren dies nur für den Fall, daß p(z) nur einfache Nullstellen λ1,,λm besitzt. Dann gilt wegen degq<degp 1p(z)=k=1mγkzλkundq(z)p(z)=k=1mq(λk)γkzλk mit γk=limzλkzλkp(z) und damit unter Ausnutzung des Faltungssatzes f(t)==0m1βk=1mq(λk)γkeλkt+k=1mγk0teλk(ts)g(s)ds. Der Fall mehrfacher Nullstellen verbleibt als Übung.

Beispiel 3.12 (Differentialgleichungen mit Gedächtnis). Nur ein Beispiel. Wir betrachten f(t)2f(t)+f(t)=fg(t)=0tg(ts)f(s)ds zu Anfangsdaten f(0)=a und f(0)=b und für einen gegebenen laplacetransformierbaren Kern g. Die Laplacetransformierte F=L[f] erfüllt dann (z22z+1)F(z)(z2)f(0)f(0)=F(z)G(z) mit G=L[g] und besitzt damit die explizite Form F(z)=a(z2)+b(z1)2G(z). Wählt man speziell g(t)=eλt so ergibt sich damit G(z)=1/(z+λ) F(z)=a(z2)(z+λ)+b(z+λ)(z1)2(z+λ)1 und Rücktransformation mittels Partialbruchzerlegung liefert die explizite Lösung.

3.2 Meromorphe Fortsetzbarkeit und Asymptotik

3.13. Asymptotisches Verhalten der Funktion f:R+C spiegelt sich im Verhalten der Laplacetransformierten wieder. Einerseits impliziert jede Abschätzung der Form |f(t)|Ceδt schon die Holomorphie der Laplacetransformierten in der Halbebene {z:z>δ}. Die Umkehrung gilt nicht notwendigerweise, da die Inversionsformel durch das Bromwichintegral oft nur in einer kleineren Halbebene (absolut) konvergiert.

Lemma 3.1.

  1. Angenommen, fO(eδt) für t. Dann gilt L[f]A({z:z>δ}).

  2. Angenommen, für ein laplacetransformierbares f gilt

    1. L[f]A({z:zδ});

    2. L[f] ist beschränkt und strebt gegen Null entlang jeder vertikalen Linien; und

    3. Fγ(σ)=L[f](γ+iσ) erfüllt FγL1(R) für ein γδ.

    Dann gilt fO(eγt).

Proof. (1) klar. folgt durch direktes Nachrechnen. Da L[f] auf Streifen gleichmäßig gegen Null für z± strebt (Phragmén–Lindelöf), kann der Integrationsweg des Bromwichintegrals bis zur Linie z=γ verschoben werden. Aufgrund der absoluten Konvergenz gilt dann |f(t)|=12π|γiγ+ieztL[f](z)dz|eγt2π|Fγ(σ)|dσO(eγt),t, und die Behauptung folgt. ◻

Das gerade gezeigte Lemma kann direkt auf asymptotische Entwicklungen angewandt werden. Man beachte die Diskrepanz zwischen beiden Richtungen, in der einen erhalten wir nur eine Beschränktheit entlang vertikaler Linien (außerhalb der Pole), während für die Rückrichtung absolute Integrierbarkeit (zumindest entlang einer vertikalen Linie) benötigt wird.

Proposition 3.14.

  1. Angenommen, die Funktion f:R+C besitzt die asymptotische Entwicklung f(t)k=0νk1αk,teλkt,t für eine Folge λk mit λk, Vielfachheiten νk und Koeffizienten αk,C. Dann besitzt die Laplacetransformierte L[f]A({z:z>λ1}) eine meromorphe Fortsetzung auf C mit Polen in λk der Vielfachheit νk. Genauer gilt für jedes N L[f](z)k=1N1=0νk1αk,!(zλk)+1A({z:z>λN}) und die Funktionen sind jeweils im Laplacebild.

  2. Angenommen, L[f]A({z:z>δL(f)}) besitzt eine meromorphe Fortsetzung auf die Halbebene {z:zδ} für ein δ<δL(f) mit endlich vielen Polen, L[f](z)k=1n=0νk1αk,!(zλk)+1A({z:z>δ}), und es gilt für ein γ>δL(f) und gleichmäßig in σ[δ,γ] lims±L[f](σ+is)=0 sowie die absolute Integrierbarkeit der Fortsetzung entlang der Linien z=δ. Dann gilt f(t)k=1n=0νk1αk,teλktO(eδt),t.

Proof. (1) folgt direkt aus obigem Lemma. bedarf des Nachrechnens. Wir verschieben den Integrationsweg des Bromwich-Integrals wie in Abbildung  rechts skizziert und lassen danach die horizontalen Reststücken ins Unendliche laufen. Dann gilt für hinreichend großes R und jedes t>0 f(t)k=1n=0νk1αk,teλkt=12πiΓReztL[f](z)dz12πiδiδ+ieztL[f](z)dz und die Konvergenz für R folgt aus der Konvergenz der vertikalen Integralreste (aus der Konvergenz als Hauptwertintegral über die Linie z=γ) sowie aus der Konvergenz der horizontalen Integrale als Konsequenz von . Also folgt |f(t)k=1n=0νk1αk,teλkt|12πeδt|L[f](δ+iσ)|dσO(eδt) und damit die Behauptung. ◻

3.15. Die absolute Integrierbarkeit kann erzwungen werden, indem man statt der zu untersuchenden Funktion f:[0,)C eine geglättete Funktion fφ:[0,)C fφ(t)=0tf(ts)φ(s)ds=fφ(t) für einen geeigneten Kern φ betrachtet. Da dann L[fφ](z)=L[f](z)L[φ](z) gilt, erweist es sich dabei als günstig wenn L[φ] entlang horizontaler Linien schnell fällt, L[f] höchstens schwach wächst und die Asymptotik von f und fφ in einem sinnvollen Zusammenhang stehen.

Eine mögliche Wahl für φ sind die Funktionen φ(t)=(1et)α mit α>0. Dann gilt φ(0)=0 und für αN ist L[φ](z)=0ezt(1et)αdt=01sz1(1s)αds=B(z,α+1)=Γ(z)Γ(α+1)Γ(z+α+1) als Betafunktion meromorph mit einfachen Nullstellen in den Punkten z+α+1N0 und einfachen Polstellen in den Punkten zN0. Für αN0 ist die Darstellung einfacher und es gilt L[φ](z)=0ezt(1et)αdt=α!z(z+1)(z+α) als rationale Funktion mit Polen in {α,,0} und keinen Nullstellen. Die Mittel fφ(t)=fφ(t)=0tf(ts)(1es)αds werden oft als Riesz-Mittel 35 bezeichnet. Sie werden uns bei der Mellintransformation und bei Dirichletreihen nochmals begegnen.

3.3 Randverhalten und Asymptotik

Mitunter ist es nur schwer möglich, eine holomorphe Fortsetzung der Laplacetransformierten zu konstruieren bzw. es interessiert nur der erste Term der Asymptotik. Nachfolgendes Theorem hilft diesen ersten Term zu rekonstruieren. Die Voraussetzung der Positivität von f ist notwendig für die Rückrichtung (taubersches Theorem), für die Hinrichtung wird diese nicht benötigt (das zugehörige abelsches Theorem).

Satz 3.16 (Hardy36–Littlewood37, Karamata38). Sei ln(1+|f|)O(lnt). Dann gelten die folgenden beiden Aussagen:

  1. Angenommen, es gilt 0tf(s)dsαρtρ,t, dann folgt für die Laplacetransformierte L[f] L[f](z)αΓ(ρ)zρz+0.

  2. Angenommen, f0 und die Laplacetransformierte L[f] erfüllt . Dann folgt .

Proof. (i) Sei F(t)=0tf(s)ds. Dann gilt mit majorisierter Konvergenz zρL[f](z)=zρ+1L[F](z)=zρ+10eztF(t)dt=zρ0etF(tz)dt=0et(z+t)ρ(1+tz)ρF(tz)dt0ettρdtαρ=αΓ(ρ) für z0 unter Ausnutzung der Majorante et(1+t)ρ für 0<z<1, da supt,z(1+tz)ρ|F(tz)|=sups(1+s)ρ|F(s)|< nach Voraussetzung . Das ist der eigentliche taubersche Satz von Hardy und Littlewood, wir folgen dem Beweis von Karamata. Wegen gilt für z+0 und kN L[f](kz)=0ekztf(t)dtαΓ(ρ)kρzρ=αkρzρ0ekt(kt)ρdtt=αzρ0ekttρdtt und damit auch für jedes Polynom p 0p(etz)etzf(t)dtαzρ0p(et)ettρ1dt,z+0, also auch limz+0zρ10p(et)etf(t/z)dt=α0p(et)ettρ1dt. Da die Menge der Polynome dicht im Raum C([0,1]) ist, gilt diese Aussage sogar für jedes pC([0,1]). Um den Beweis zu führen, wählen wir passende stetige Funktionen. Sei für gegebenes ϵ>0 die Funktion gϵC([0,1]) so gewählt, daß gϵ(s){1/s,1/es1,0,0s<1/e, sowie 0etgϵ(et)tρ1dt01tρ1dt+ϵ erfüllt ist. Mit dieser Funktion folgt lim supz+0zρ101f(t/z)dtlim supz+0zρ10etgϵ(et)f(t/z)dt=α0etgϵ(et)tρ1dtα(1ρ+ϵ) Analog gilt mit einer stetigen Funktion hϵC([0,1]), für die 0hϵ(s){1/s,1/es1,0,0s<1/e, sowie 0ethϵ(e1)tρ1dt01tρ1dtϵ gilt, auch lim infz+0zρ101f(t/z)dtlim infz+0zρ10hϵ(t)f(t/z)dt=α0hϵ(t)tρ1dtα(1ρϵ). Da ϵ>0 beliebig war, folgt αρ=limz+0zρ101f(t/z)dt=zρ01/zf(s)ds und damit die Behauptung. ◻

Der Vollständigkeit halber sei noch das entsprechende Aussagenpaar für Erzeugendenfunktionen erwähnt. Das Modellbeispiel eines abelschen Theorems ist der abelsche Grenzwertsatz.

Satz 3.17 (Abel). Angenommen, die Reihe n=0an=A konvergiert. Dann gilt limz1Ga(z)=limz1n=0anzn=A.

Proof. Wir beschränken uns auf den Fall A=0, der Rest ergibt sich durch Ändern des ersten Folgengliedes. Da die Reihe konvergiert, gilt a=(an)nN0o(1) und somit auch ρ(a)1. Also ist die Erzeugendenfunktion Ga(z) auf B1={zC:|z|<1} holomorph und die absolute Konvergenz der Reihe impliziert Ga(z)=n=0anzn=n=0(AnAn1)zn=(1z)n=0Anzn=(1z)GA(z) mit An=k=0nak0. Sei nun ϵ>0 beliebig und N so groß, daß |An|<ϵ2 für nN. Dann folgt für alle z[0,1) |(1z)GA(z)|(1z)n=0N1|An|+ϵ2(1z)Nzn(1z)n=0N1|An|+ϵ2 und für z nahe genug bei 1 ist auch der erste Term kleiner ϵ/2. Da ϵ beliebig war, folgt die Behauptung. ◻

Eine erste teilweise Umkehrung des abelschen Grenzwertsatzes geht auf Tauber39 zurück. Er zeigte, daß für abelsummierbare Reihen mit der Zusatzbedingung (an)nN0o(n1) stets Konvergenz folgt. Zum Beweis betrachten wir für z[0,1) n=0anznn=0Nan=n=0Nan(zn1)+n=N+1anzn=n=N+1nanznn+(z1)n=0Nank=0n1zk=S1(z)+S2(z) und nutzen, daß |S1(z)|<ϵN+1n=N+1znϵ(N+1)(1z)<ϵ aufgrund von nano(1) und für N=1/(1z), sowie |S2(z)|<(1z)n=0Nn|an|1Nn=0Nn|an|0,N, da wiederum nano(1). Littlewood verbesserte dieses Theorem zu der wesentlich schwächeren Zusatzbedingung (an)nN0O(n1). Wir werden dies als Folgerung aus Satz  erhalten.

Satz 3.18 (Littlewood). Angenommen, die Reihe nan ist abelsummierbar zum Grenzwert A, d.h. es gilt limz1Ga(z)=limz1n=0anzn=A. Gilt dann zusätzlich (an)nN0O(n1), so folgt n=0an=A.

Theorem  entspringt einer Variante dieser Sätze, wir betrachten die Cesàro-Konvergenz einer Folge an gegen den Grenzwert A und setzen diese in Bezug zum asymptotischen Verhalten der Erzeugendenfunktion Ga(z) für z1. Als Hilfsaussage nutzen wir folgendes Lemma von Titchmarsh. Es ist wiederum ein abelsches Theorem.

Lemma 3.19 (Titchmarsh40). Angenommen zwei nichtnegative Folgen a,bF+ erfüllen ab und ρ(a)1. Gilt dann limz1Ga(z)=+, so folgt Ga(z)Gb(z) für z1.

Proof. Da ab gilt, existiert zu jedem ϵ>0 ein N mit |anbn|ϵ2an und damit für z[0,1) |Ga(z)Gb(z)|n=0|anbn|znn=0N1|anbn|+ϵ2n=Nanzn und da Ga(z)+ für z1 existiert ein δ>0, so daß für alle z(1δ,1) der erste Summand kleiner ist als ϵ2Ga(z). Damit folgt |Ga(z)Gb(z)|ϵGa(z),1δ<z<1, und da ϵ>0 beliebig war auch die Behauptung. ◻

Es genügt, die Positivität für große n zu fordern.

Satz 3.20 (Hardy–Littlewood).

  1. Angenommen, es gilt limn1n+1k=0nak=A. Dann folgt Ga(z)=n=0anznA1z,z1.

  2. Angenommen, die Erzeugendenfunktion Ga erfüllt und es gilt infnan>. Dann gilt .

Im Falle A=0 ist als Ga(z)o((1z)1) für z1 zu interpretieren.

Proof. (i) Dies folgt aus obigem Lemma. Sei dazu An=k=0nak. Da nach Voraussetzung nun AnA(n+1) gilt, folgt GA(z)=n=0AnznAn=0(n+1)zn=A(1z)2,z1, und mit Ga(z)=(1z)GA(z) auch die Behauptung. Der Beweis folgt wiederum Karamata. Durch Addition einer konstanten Folge können wir den Beweis auf den Fall an0 und A>0 reduzieren. Gilt nun , so folgt durch Ersetzen von z durch zk+1 für z1 Ga(zk+1)=n=0anz(k+1)nA1zk+1=A(1z)(zk++z+1)A(k+1)(1z) und damit limz1(1z)n=0anznzkn=Ak+1=A01tkdt,kN0. Also gilt für jedes Polynom p limz1(1z)n=0anznp(zn)=A01p(t)dt. Die Dichtheit der Polynome in C[0,1] liefert dieses Resultat für jede stetige Funktion p. Approximieren wir nun wiederum g(t)={1/t,1/et10,0t<1/e von oben und von unten durch stetige Funktionen gϵ und hϵ mit ϵ-Integralfehler, so ergibt sich speziell mit z=e1/N lim supN(1e1/N)n=0NanA01gϵ(t)dtA1/e1dtt+Aϵ=A(1+ϵ) und entsprechend lim infN(1e1/N)n=0NanA01hϵ(t)dtA1/e1dttAϵ=A(1ϵ) und da ϵ beliebig war folgt mit 1e1/N1/N die Behauptung. ◻

Der oben erwähnte Satz von Littlewood folgt aus dem gerade gezeigten Satz von Hardy und Littlewood.

Beweis zu Littlewood’s O-Satz, Satz . Sei also an eine Folge, für die Ga(z)A für z1 strebt. Durch Ändern des ersten Folgengliedes können wir dies auf den Fall A=0 reduzieren, es gelte also Ga(z)o(1), z1. Dann gilt für z[0,1) und mit anO(n1) Ga(z)=n=2n(n1)anzn2O(n=2(n1)zn2)=O(1(1z)2),z1. Damit folgt aber41 Ga(z)=n=1nanzn1o(11z),z1. Setzt man nun anO(n1) voraus, so ist |nan|c beschränkt und nach Voraussetzung gilt n=1(1nanc)zn1=11zGa(z)c11z,z1 und nach dem Hardy–Littlewood-Theorem folgt k=1n(1kakc)n und damit k=1nkako(n). Dies impliziert die Behauptung, es gilt mit bn=k=1nkak Ga(z)a0=n=1bnbn1nzn=n=1bn(znnzn+1n+1)=n=1bn(znzn+1n+1+znn(n+1))=(1z)n=1bnn+1zn+n=1bnn(n+1)zn und da bno(n) gilt, ist der erste Term o(1) für z1 und da limz1Ga(z)=0 gilt, folgt auch limz1n=1bnn(n+1)zn=a0. Da nun aber die Koeffizienten in o(1/n) sind, folgt mit dem tauberschen o-Satz n=1bnn(n+1)=a0 und mit n=1bnn(n+1)=n=1bn(1n1n+1)=n=1bnbn1n=n=1an folgt die Behauptung. ◻

Während für die Sätze von Hardy–Littlewood und Karamata nur das reelle Verhalten der Laplacetransformierten oder der Erzeugendenfunktion eine Rolle spielt, ist nachfolgendes Theorem ein komplexes taubersches Theorem. Der Satz von Wiener–Ikehara beruht auf dem Verhalten der Laplacetransformierten auf der Konvergenzhalbebene und ihrem Randverhalten.

Satz 3.21 (Wiener42–Ikehara43). Sei f:[0,)R monoton wachsend mit δL(f)=1. Sei weiter F(z)=L[f](z) die zugeordnete Laplacetransformierte. Angenommen, für eine Konstante AC ist die Funktion G(z)=F(z)Az1 stetig auf die abgeschlossene Halbebene {z:z1} fortsetzbar. Dann gilt limtetf(t)=A.

Proof. Wir nutzen die Hilfsfunktionen kλ(τ)=max{1|τ|/λ,0},k^λ(t)=12πλλkλ(τ)eiτtdτ=λ2π(sin(λt/2)λt/2)2, für die mittels Fubini 0k^λ(ts)eσsds=12πλλkλ(τ)eiτt0es(σ+iτ)dsdτ=12πλλkλ(τ)eiτtσ+iτdτ für σ>0 und entsprechend 0k^λ(ts)eσsf(s)ds=12πλλkλ(τ)eiτt0es(σ+iτ)f(s)dsdτ=12πλλkλ(τ)eiτtF(σ+iτ)dτ für σ>1 gilt. Also gilt unter Ausnutzung von F(z)=G(z)+Az1 0k^λ(ts)f(s)eσsds=A2πλλkλ(τ)eiτtσ+iτ1dτ+12πλλkλ(τ)eiτtG(σ+iτ)dτ=A0k^λ(ts)es(σ1)ds+12πλλkλ(τ)eiτtG(σ+iτ)dτ. Da nach Voraussetzung G stetig auf die abgeschlossene Halbebene {z1} fortsetzbar ist, konvergiert limσ1G(σ+iτ)=G(1+iτ) gleichmäßig in σ[λ,λ] und es folgt 0k^λ(ts)f(s)esds=A0k^λ(ts)ds+12πλλkλ(τ)eiτtG(1+iτ)dτ. Da der letzte Summand aufgrund des Riemann–Lebesgue-Lemmas für t gegen Null strebt, folgt limt0k^λ(ts)f(s)esds=Alimt0k^λ(ts)ds=A. Bisher haben wir die Monotonie von f noch nicht genutzt, dies ist die eigentliche taubersche Bedingung. Es gilt A=limt0k^λ(ts)f(s)esds=limtλtk^(s)f(ts/λ)es/λtdslim suptaak^(s)f(ts/λ)es/λtdslim suptf(ta/λ)ea/λtaak^(s)ds und damit lim suptf(t)et=lim suptf(ta/λ)ea/λte2a/λAaak^(s)ds. Speziell mit a=λ und für λ folgt lim suptf(t)etA. Andererseits gilt mit M=supt>0f(t)et (was nach dem gerade gezeigten ja endlich ist) A=limt(bb+b+bλt)k^(s)f(ts/λ)es/λtdslim inftf(t+b/λ)eb/λtbbk^(s)ds+2Mbdss2 unter Ausnutzung der Abschätzung k^(s)1/s2. Also folgt lim inftf(t)et=lim inftf(t+b/λ)eb/λte2b/λA2M/bbbk^(s)ds und mit b=λ und λ folgt lim inftf(t)etA und damit die Behauptung. ◻

3.4 Die Mellintransformation

3.22. Aus der Laplacetransformation entsteht durch Substitution t=lns die (einseitige) Mellintransformation 44. Das erlaubt das direkte Übertragen der meisten Sätze. Für Funktionen f:[1,)C betrachtet man dazu M+[f](z)=1tzf(t)dtt,z>δM(f) für δM(f)=lim suptln|f(t)|lnt. Ersetzt man t durch 1/t und betrachtet also Funktionen f:(0,1]C, so ergibt sich als Gegenstück die (einseitige) Mellintransformation

M[f](z)=01tzf(t)dtt,z<ηM(f) mit ηM(f)=lim inft0ln|f(t)|lnt. Diese ist ebenso linear und erfüllt entsprechende Eigenschaften. Ebenso von Interesse ist die Summe beider, vorausgesetzt f:R+C erfüllt δM(f)<ηM(f). Die dadurch entstehende Integraltransformation M[f](z)=0tzf(t)dtt,δM(f)<z<ηM(f) wird als die (zweiseitige) Mellintransformation bezeichnet.

Proposition 3.23.

  1. Sei ln(1+|f(t)|)O(lnt) für t und gelte δM(f)=lim suptln|f(t)|lnt<. Dann ist die einseitige Mellintransformation M+[f](z)=1tzf(t)dtt,z>δM(f), holomorph in der Halbebene {zC:z>δM(f)} und erfüllt für jedes δ>δM(f) die Abschätzung |M+[f](z)|Czδ,z>δ.

  2. Sei ln(1+|f(t)|)O(lnt) für t0 und gelte ηM(f)=lim inftln|f(t)|lnt>. Dann ist die einseitige Mellintransformation M[f](z)=01tzf(t)dtt,z<ηM(f), holomorph in der Halbebene {zC:z<ηM(f)} und erfüllt für jedes η<ηM(f) die Abschätzung |M[f](z)|Cηz,z<η.

  3. Die einseitigen Mellintransformationen sind linear.

  4. Es gilt der Faltungssatz M+[f+g](z)=M+[f](z)M+[g](z),z>max{δM(f),δM(g)} für die Mellinfaltung f+g(t)=1tf(ts)g(s)dss.

  5. Es gilt der Faltungssatz M[fg](z)=M[f](z)M[g](z),z<min{ηM(f),ηM(g)} für die Mellinfaltung fg(t)=t1f(ts)g(s)dss.

  6. Es gilt der Faltungssatz M[fg](z)=M[f](z)M[g](z),max{δM(f),δM(g)}<z<min{ηM(f),ηM(g)} für die zweiseitige Mellinfaltung fg(t)=0f(ts)g(s)dss.

  7. Es gilt für g(t)=tμf(t) der Dämpfungssatz M±[g](z)=M±[f](zμ).

  8. Für g(t)=tf(t) gilt der Differentiationssatz M+[g](z)=zM+[f](z)f(1),M[g](z)=zM[f](z)+f(1) und damit insbesondere M[g](z)=zM[f](z).

  9. Für hölderstetiges f gilt punktweise die Inversionsformel f(t)=12πiv.p.γiγ+itzM[f](z)dz mit δM(f)<γ<ηM(f) und entsprechend f(t)=12πiv.p.γiγ+itzM±[f](z)dz,t±1>1.

Proof. Die meisten Aussagen ergeben sich aus denen für die Laplacetransformation oder ebenso durch direktes Nachrechnen. Der Beweis verbleibt als Übung. ◻

Beispiel 3.24 (Differentialgleichungen vom Fuchstyp45). Gegeben sei die Differentialgleichung k=0mαk(tt)kf(t)=g(t) mit Koeffizienten αkC, einseitig mellintransformierbarer rechter Seite ln(1+|g|)O(lnt) für t0 und (End-) Werten in t=1 (tt)kf(t)|t=1=βkCk=0,1,,m1. Die einseitige Mellintransformation liefert daraus k=0mαkzkM[f](z)=k=0mαk=0k1βzk1+M[g](z), also mit den Polynomen p(z)=k=0mαkzk,undq(z)=k=+1mαkzk1 die Darstellung M[f](z)==0m1βq(z)p(z)+M[g](z)p(z),z<ηM(f), der Mellintransformierten M[f](z) in Abhängigkeit der Daten βk und der rechten Seite g. Wir beschränken uns auf den Fall einfacher Nullstellen. Bezeichnet man diese mit λk, k=1,m, so ergeben sich die Partialbruchzerlegungen 1p(z)=k=1mγkzλk,q(z)p(z)=k=1mq(λk)γkzλk für die auftretenden Terme und die Rücktransformation liefert f(t)==0m1βk=1mq(λk)γktλk+k=1mγkt1g(ts)sλkdss. Der auftretende Integralterm ist dabei eine Mellinfaltung. Der Fall mehrfacher Nullstellen ist entsprechend und enthält neben Potenzen noch logarithmische Terme.

Beispiel 3.25 (Besselsche Differentialgleichung). Gegeben sei die Differentialgleichung t2f(t)+tf(t)+(t2ν2)f(t)=0 zum Parameter νC. Wir suchen Lösungen in der Nähe von t=0 bzw. das Verhalten von Lösungen für t0. Die einseitige Mellintransformation liefert ausgehend von ((tt)2ν2)f(t)+t2f(t)=0 die Gleichung (z2ν2)M[f](z)+M[f](z2)=azb zu Werten f(1)=a und f(1)=b. Weiß man fOt0(tδ) für ein δ, so ist M[f] holomorph für z<δ. Die Funktionalgleichung M[f](z)=az+bz2ν2M[f](z2)z2ν2 liefert eine meromorphe Fortsetzung auf C mit Polen in den Punkten 2k+ν und 2kν für kN0, siehe Bild . Wir nehmen an, dass νZ. Dann sind alle Pole einfach und die Residuen der Pole in ±ν bestimmen alle weiteren Residuen. Sei ( weil wir M nutzen) Res(M[f];z=ν)=α,Res(M[f];z=ν)=β. Dann ist Res(M[f];z=2kν)==1kα(2ν)2ν2=(1)kα=1k14(ν),Res(M[f];z=2k+ν)==1kβ(2+ν)2ν2=(1)kβ=1k14(+ν). Je weiter wir nach rechts fortsetzen, desto schneller fällt die Funktion für größer werdende Imaginärteile. Dies folgt direkt aus der Rekursion . Damit liefern die Inversionsformel zusammen mit dem Integralsatz von Cauchy f(t)=αtν+βtν+12πiv.p.1i1+itzM[f](z)dz=αtν+βtνα4(1ν)tν+2β4(1+ν)tν+2+12πi3i3+itzM[f](z)dz=αtν=0k(1)4!(+1ν)t2+βtν=0k(1)4k!(+1+ν)t2+12πi2k+1i2k+1+itzM[f](z)dz für jedes kN und unter Ausnutzung der Pochhammersymbole (a)=a(a+1). Das auftretende Integral konvergiert absolut für hinreichend großes k, die angegebenen Reihen sind also asymptotisch. Sie sind allerdings auch konvergent und bestimmen zwei linear unabhängige Lösungen der Besselschen Differentialgleichung. Mit α=β=1 ergeben sich auf diese Weise die Besselfunktionen J±ν(z) für νZ.

Für ganzzahliges νN ergibt sich die Situation von Bild  und wir unterscheiden zwei Fälle. Besitzt M[f] einen einfachen Pol in z=ν, so ergeben sich auch einfache Pole in z=ν+k, kN (und Nullstellen für M[f](z) in z{ν1,ν,1ν,,ν1}). Dies führt zur Besselfunktion Jn(t). Besitzt M[f] andererseits einen einfachen Pol in z=ν, so folgt ein zweifacher Pol in z=+ν und entsprechend in z=ν+2k, kN. Bei entsprechender Wahl der beiden Residuen in ±ν erhält man auf diese Weise die Weberfunktion Yn(t) als Lösung der Besselschen Differentialgleichung.

Für ν=0 gilt entsprechendes. Besitzt M[f] in z=0 einen einfachen Pol, so ergeben sich einfache Pole in z=2k, kN und damit die Lösung J0(t)=k=0αkt2k,α0=1. Besitzt M[f] einen zweifachen Pol in z=0 mit Residuum 0, so ergeben sich auch zweifache Pole in z=2k, kN und damit die Lösung Y(0)(t)=lntk=0αkt2k+k=1βkt2k=J0(t)lnt+k=1βkt2k mit entsprechenden βk. Das entspricht der auf Neumann zurückgehenden zweiten Lösung der Besselschen Differentialgleichung. Für die Webersche Funktion Y0(t) ist das Residuum in z=0 entsprechend anders zu wählen.

3.5 Dirichletreihen

3.26. In der multiplikativen Zahlentheorie nutzt man als Alternative zu Erzeugendenfunktionen sogenannte Dirichletreihen 46. Diese sind für eine gegebene Folge a:NC mit polynomialer Schranke ln(1+|an|)O(lnn) für n definiert als D[a](z)=n=1annz,z>δD(a)+1, wobei die Wachstumsschranke δD(a)=lim supnln|an|lnn die Konvergenzhalbebene bestimmt. Für alle z>δD(a)+1 konvergiert die Dirichletreihe absolut und lokal gleichmäßig. Wir beginnen wieder mit elementaren Eigenschaften, bevor wir uns interessanteren Anwendungen zuwenden.

Proposition 3.27.

  1. Es gilt D[a]A({zC:z>δD(a)+1}) zusammen mit der Abschätzung supz>δ+1|D[a](z)|< für jedes δ>δD(a).

  2. Die Dirichletreihe hängt linear von der Folge a:NC ab. Genauer, es gilt δD(a+b)max{δD(a),δD(b)}, sowie D[a+b](z)=D[a](z)+D[b](z),z>max{δD(a),δD(b)}+1.

  3. Bezeichne zu zwei Folgen a,b:NC (ab)n=n=kakb ihre Dirichletfaltung , so gilt δD(ab)max{δD(a),δD(b)}, sowie D[ab](z)=D[a](z)D[b](z),z>max{δD(a),δD(b)}+1.

Proof. (1) Die Holomorphie folgt direkt aus der absoluten und lokal gleichmäßigen Konvergenz der Reihe, also der Abschätzung |D[a](z)|n=1|an|nzCn=1nδzC(1+1tδzdt)=C+Czδ1. für alle z1>δ>δD(a). klar. folgt aus der absoluten Konvergenz der Reihen und der dadurch erlaubten Umordnung (k=1akkz)(=1bz)=n=1(n=kakb)1nz=n=1(ab)nnz. ◻

Phasenporträt der Riemannschen \zeta-Funktion für \Re z,\Im z\in[-40,40]

Beispiel 3.28. Die bekannteste Dirichletreihe ist die Riemannsche ζ-Funktion . Diese ist der Folge a=1, also an=1 für alle n, zugeordnet, also durch ζ(z)=D[1](z)=n=11nz definiert. Aufgrund majorisierter Konvergenz sieht man, daß limz+ζ(z)=1 gilt.

Für weitere Anwendungen benötigen wir die meromorphe Fortsetzung der ζ-Funktion. Dazu nutzen wir die Integraldarstellung der Γ-Funktion in der Form Γ(z)nz=0enttz1dt,nN,z>0, welche nach Einsetzen in die Dirichletreihe und unter Nutzung der geometrischen Summenformel die Integraldarstellung der ζ-Funktion ζ(z)=1Γ(z)0tz1et1dt,z>1 liefert. Diese kann man in die linke Halbebene fortsetzen, indem man das Integral in einen Teil nahe Null und den Integralrest zerlegt. Der Integralrest ist offenbar ganz, der Teil nahe Null steht im Zusammenhang zu den Bernoullizahlen . Zusammen mit den einfachen Polen der Γ-funktion in zN0 ergibt sich daraus die meromorphe Fortsetzung der ζ-Funktion auf C{0} ζ(z)=1Γ(z)(01tz1et1dt+1tz1et1dt)=1Γ(z)(1z112z+n=2Bnn!1z+n1+1tz1et1dt),zN0 mit einem einfachen Pol in z=1 zum Residuum Res(ζ(z);z=1)=1, und Nullstellen in den negativen geraden Zahlen (da die Bernoullizahlen B2k+1=0, k1, erfüllen).

Beispiel 3.29. Sei δ die Folge mit δ1=1 und δn=0 für n2. Dann gilt offenbar δa=a=aδ für jede Folge a:NC und ebenso D[δ](z)=1 für alle zC.

Proposition 3.30. Die Menge aller Folgen CN={a:NC} bildet zusammen mit der Addition, skalaren Vielfachen und der Dirichletfaltung als Multiplikation eine Algebra über C mit Einselement δ. Eine Folge aCN ist genau dann bezüglich der Dirichletfaltung invertierbar, wenn a10 gilt. Gilt darüberhinaus δD(a)<, so folgt δD(a)< für die Dirichletinverse a.

Proof. Es ist nur die Invertierbarkeit einer Folge (an)nN mit a10 zu zeigen. Die Inverse (bn)nN müsste 1=a1b1 zusammen mit 0=k|nakbn/k,n2 erfüllen. Ersteres liefert b1=1/a1 und letzteres die Rekursion bn=1a1k|n,k>1akbn/k. Besitzt die Folge an eine zugeordnete Dirichletreihe, gilt also δD((an))<, so folgt aus |an|Cnδ für δ>δD(a) per Induktion |bn|Dnδ+M für M so groß, daß C(ζ(M)1)<|a1|. Der Induktionsanfang |b1|=1/|a1|D ist klar, der Induktionsschritt folgt aus |bn|CD|a1|k=2nkδ(n/k)δ+MDC(ζ(M)1)|a1|nδ+MDnδ+M. ◻

Korollar 3.31. Zu jeder Dirichletreihe D[a] mit a10 existiert eine Zahl M, so daß D[a](z)0 für alle z>M gilt.

Beispiel 3.32. Mitunter weiß man mehr. Für die ζ-Funktion gilt die Eulersche Produktdarstellung

ζ(z)=n=11nz=pprim11pz als Produkt über alle Primzahlen p. Da das Produkt für z>1 konvergiert, erfüllt die ζ-Funktion ζ(z)0 für alle z>1. Der Nachweis der Konvergenz der Produktdarstellung verbleibt als Übungsaufgabe.

Dirichletreihen stehen in engem Zusammenhang zur Mellintransformation. Betrachtet man zu einer gegebenen Folge aCN mit δD(a)< die Funktion A:[1,)C A(t)=ntan, so folgt δM(A)=δD(a)+1 und es gilt M+[A](z)=1tzA(t)dtt=1tzntandtt=n=1anntzdtt=1zn=1annz=1zD[a](z) für z>max{0,δM(A)}. Damit liefert die Inversionsformel der Mellintransformation automatisch auch eine Inversionsformel für Dirichletreihen. Da die Funktion A(t) stückweise konstant (und damit stückweise hölderstetig) ist, gilt

Satz 3.33 (Inversionsformel von Stieltjes47–Perron48). Sei a:NC mit δD(a)<. Dann gilt für γ>max{δD(a)+1,0} und alle tN ntan=12πiv.p.γiγ+itzD[a](z)dzz, während für tN das Hauptwertintegral den Wert n<tan+12at liefert.

3.6 Dirichletreihen der multiplikativen Zahlentheorie

Wir betrachten einige Beispiele, die wichtigsten Hilfsmittel sind Dirichletfaltungen und die schon gezeigten Eigenschaften der Riemannschen ζ-Funktion.

Beispiel 3.34. Die Teilerzahl d(n)=#{kN:k|n} erfüllt offenbar d(n)=(11)n=k|n1 und besitzt damit als zugeordnete Dirichletreihe die Funktion ζ2(z). Allgemeiner sei dk(n) die Anzahl der Möglichkeiten, die Zahl n als Produkt von k Zahlen zu schreiben. Dann gilt D[dk](z)=(ζ(z))k,z>1.

Wir nennen eine zahlentheoretische Funktion f:NC multiplikativ, falls f(mn)=f(m)f(n) für alle teilerfremden Zahlen m und n gilt.

Proposition 3.35. Sei f multiplikativ mit δD(f)<. Dann gilt für die zugeordnete Dirichletreihe die Produktdarstellung D[f](z)=pprimk=0f(pk)pkz. Umgekehrt impliziert eine solche Produktdarstellung die Multiplikativität von f.

Proof. Der Beweis ist analog zu dem der Eulerschen Produktdarstellung der ζ-Funktion und folgt damit direkt aus der Eindeutigkeit der Primfaktorzerlegung natürlicher Zahlen. ◻

Beispiel 3.36. Als Anwendung konstruieren wir die Dirichletinverse μ=1. Da nach Definition D[1](z)=ζ(z) gilt, erfüllt μ auch D[μ](z)=1ζ(z). Damit ist μ multiplikativ und erfüllt D[μ]=1ζ(z)=pprim(11pz)=pprimk=0μ(pk)pkz=nμ(n)nz. Somit erhält man μ(1)=1, μ(p)=1 für alle Primzahlen p, und μ(p1pk)=(1)k für Produkte paarweise verschiedener Primzahlen. Für alle Zahlen n mit quadratischen Teilern ist μ(n)=0. Die so konstruierte Funktion μ heißt Möbiusfunktion 49 und erfüllt (nach Konstruktion) die Möbiussche Umkehrformel

μ1=1μ=δ.

Korollar 3.1 (Möbius). Sei (an)CN eine Folge und bezeichne bn=k|nak. Dann gilt an=k|nμ(k)bn/k.

Beispiel 3.37. Für die Eulersche φ-Funktion

φ(n)=#{kn:g.g.T.(k,n)=1} gilt nach dem Abzählprinzip φ(n)=np|nnp+p,p|nnpp+=np|n(11p), dabei ist np=#{mn:p|m},npp=#{mn:pp|m},etc. Also gilt φ=μn,n=φ1(n)=k|nφ(k), letzteres nach der Möbiusschen Umkehrformel. Interessanter für uns ist die Dirichletreihe D[φ](z)=n=1φ(n)nz=n=1(nμ)(n)nz=(n=1nnz)(n=1μ(n)nz)=ζ(z1)ζ(z).

Beispiel 3.38. Sei σ(n)=k|nk die Summe der Teiler der Zahl n. Dann gilt σ=n1 und somit insbesondere D[σ](z)=ζ(z)ζ(z1).

Beispiel 3.39. Die von Mangoldt-Funktion 50 Λ(n) ist durch Λ(1)=0, Λ(pm)=lnp für p prim und Λ(n)=0 für alle Zahlen mit verschiedenen Primfaktoren definiert. Durch Logarithmieren der Produktdarstellung der ζ-Funktion erhält man lnζ(z)=pprimln11pz und damit als logarithmische Ableitung der ζ-Funktion ζ(z)ζ(z)=ddzlnζ(z)=pprimddzln(1pz)=pprimpz1pzlnp=pprimlnpk=11pkz=n=1Λ(n)nz=D[Λ](z).

3.7 Der Primzahlsatz

Dirichletreihen sind für die Untersuchung des asymptotischen Verhaltens zahlentheoretischer Funktionen von Interesse. Es liegt also nahe, die nun berechneten Dirichletreihen zu invertieren und damit Aussagen über die zugrundeliegenden Folgen zu gewinnen. Während die Dirichletreihen D[dk](z)=(ζ(z))k,D[n](z)=ζ(z1) und D[σ](z)=ζ(z)ζ(z1) meromorph auf C mit bekannten Polen und Residuen sind und nur von der schon konstruierten Polstruktur der meromorphen Fortsetzung der ζ-Funktion abhängen, sind für die Dirichletreihen D[μ](z)=1ζ(z),D[φ](z)=ζ(z1)ζ(z) und D[Λ](z)=ζ(z)ζ(z) ebenso die Lage der (nichttrivialen) Nullstellen der ζ-Funktion von Bedeutung. Die Riemannsche Vermutung besagt, daß diese sich alle auf der Linie z=1/2 befinden, bekannt ist bisher nur, dass sie im Inneren des Streifens 0<z<1 und fast alle in der Nähe von z=1/2 liegen.

Vorbereitend benötigen wir einen tauberschen Satz um Rückschlüsse aus dem Randverhalten der Dirichletreihe auf die Asymptotik der Folge ziehen zu können.

Satz 3.40 (Landau, Ikehara).

  1. Angenommen, eine Folge aCN erfüllt ln|a|o(lnn). Dann impliziert limn1nk=1nak=A für die zugeordnete Dichletreihe D[a](z)Az1,z1+.

  2. Angenommen, für eine Folge aCN mit an0 und δD(a)=0 besitzt D[a](z)Az1 eine stetige Fortsetzung auf die abgeschlossene Halbebene {z:z1}, dann gilt limn1nk=1nak=A.

Proof. Nach Voraussetzung gilt δD(a)=0 und D[a]A({z:z>1}). Wir zeigen zuerst das abelsche Theorem (1). Es gilt ζ(z)1/(z1) und damit insbesondere D[a](z)Az1D[a](z)Aζ(z)=n=1anAnz=n=1(k=1n(akA))(1nz1(n+1)z) mit partieller Summation. Da sich aber nun die Summanden wie o(n)O(nz1)=o(nz) verhalten, ergibt die Summe o(1/(z1)) für z1. Dies ist der eigentliche Satz von Ikehara, Landau hat die Aussage nur unter stärkeren Voraussetzungen zeigen können. Er kann auf Satz  zurückgeführt werden, es gilt mit A(t)=ntan 1zD[a](z)=1tzA(t)dtt=0ezsA(es)ds als Laplacetransformierte der Funktion sA(es). Die Funktion ist monoton, also gilt limsA(es)es=limt1tA(t)=limn1nknak=A und damit die Behauptung. ◻

Aufgrund der Eulerschen Produktdarstellung (Beispiel ) besitzt die ζ-Funktion keine Nullstellen in der Halbebene z>1. Daß sie ebenso keine Nullstellen auf der Linie z=1 besitzt, wurde von Hadamard51 gezeigt.

Lemma 3.41 (Hadamard). Es gilt ζ(z)0 für alle z1 mit z=1.

Proof. Angenommen, die ζ-Funktion besitzt Nullstellen der Ordnung μ0 in z=1+iα und ν0 in z=1+2iα für ein α0. (Dabei sei eine Nullstelle der Ordnung Null einfach keine Nullstelle.) Da ζ(z)ζ(z)=pprimlnppz1=pprimlnppz+pprimlnppz(pz1) gilt und die zweite Reihe für alle z>1/2 absolut und lokal gleichmäßig konvergiert, besitzt auch die erste Reihe einen Pol erster Ordnung in z=1 und z=1±iα sowie 1±2iα. Wir bezeichnen die erste Reihe kurz mit Φ(z) und nutzen die Residuen limϵ0ϵΦ(1+ϵ)=1,limϵ0ϵΦ(1+ϵ±iα)=μ,limϵ0ϵΦ(1+ϵ±2iα)=ν. Dann gilt k=22(42+k)Φ(1+ϵ+ikα)=pprimlnpp1+ϵ(piα/2+piα/2)40 und es folgt nach Multiplikation mit ϵ und Grenzübergang ϵ0, daß 68μ2ν0 gelten muß. Also ist μ=0 und es gibt keine (echten) Nullstellen. ◻

Satz 3.42 (Primzahlsatz). Es gilt π(n)=#{p prim:pn}nlnn,n.

Proof. Wir nutzen den tauberschen Satz von Ikehara für die von Mangoldt-Funktion Λ(n) und ihre Dirichletreihe F(z)=D[Λ](z)=ζ(z)/ζ(z). Da die ζ-Funktion meromorph auf C mit einem Pol in z=1 und nullstellenfrei auf der Linie z=1 ist, besitzt F einen Pol in z=1 mit Residuum 1 und keine weiteren Pole auf der Linie z=1. Also gilt mit Satz  (2) 1=limn1nk=1nΛ(k)lim infn1npprim,pnlnnlnplnp=lim infnlnnnπ(n). Dies liefert die untere Schranke nO(π(n)lnn). Andererseits gilt aber für beliebiges ϵ>0 k=1nΛ(k)pprim,pnlnpn1ϵpnlnpln(n1ϵ)n1ϵpn1ln(n1ϵ)(π(n)π(n1ϵ))(1ϵ)ln(n)π(n)+O(n1ϵ) und damit auch die obere Schranke (1ϵ)lim supnlnnnπ(n)limn1nk=1nΛ(k)=1. Da ϵ>0 beliebig war, ist der Satz bewiesen. ◻

4 Analytische Störungstheorie

In diesem letzten Kapitel soll es darum gehen, wie man aus explizit lösbaren Beispielproblemen asymptotische Resultate für (in gewissem Sinne) benachbarte Probleme erhalten kann. Uns interessieren algebraische Gleichungen und die Änderung ihrer Lösungen bei Variation der Koeffizienten, Eigenwertprobleme für Matrizen und die Abhängigkeit der Eigenwerte von der Matrix und Differentialgleichungen mit variablen Koeffizienten und asymptotische Entwicklungen von Lösungen in der Nähe singulärer Punkte.

4.1 Nullstellen von Polynomen

4.1. Wir betrachten als Modellsituation eine Polynomgleichungen in der Unbekannten λ n=0mαn(z)λn=0 deren Koeffizienten selbst holomorphe Funktionen αnA(Ω) auf einem Gebiet ΩC sind. Uns interessiert die Abhängigkeit der Nullstellen λk(z), k=1,,m, von der Variablen zΩ. Wir nehmen vorerst an, daß αm(z)=1 für alle zΩ. Ein erstes Resultat ergibt sich dann direkt aus dem Satz über implizite Funktionen (in seiner komplexen Fassung)

Lemma 4.1. Angenommen, für ein z0Ω ist λ(z0) eine einfache Nullstelle des monischen Polynoms p(z0,λ)=n=0mαn(z0)λn. Dann existiert eine Umgebung UΩ von z0 und eine holomorphe Funktion λ:UC mit p(z,λ(z))=0für alle zU.

Proof. Seien λ1(z0),,λm(z0)C die komplexen Nullstellen des Polynoms p(z0,). Da dann λp(z0,λ)=λk=1m(λλk(z0))==1mk(λλk(z0)) nach Voraussetzung für λ=λ von Null verschieden ist, existiert nach dem Satz über die implizite Funktion eine Umgebung U von z0 und eine holomorphe auflösende Funktion λ(z) in dieser Umgebung U. ◻

Will man die auflösende Funktion in der Nähe von z0 bestimmen, so hilft ein Potenzreihenansatz und Koeffizientenvergleich. Es interessieren also nur Umgebungen mehrfacher Nullstellen oder Punkte, an welchen der führende Koeffizient selbst eine Nullstelle besitzt. Dazu zerlegen wir zuerst das Polynom in irreduzible Faktoren im Polynomring M(Ω)[λ] über dem Quotientenkörper M(Ω) von A(Ω). Zu einem Polynom pM(Ω)[λ] sei ΩpΩ die Menge aller zΩ in denen die Koeffizienten von p regulär sind.

Lemma 4.2.

  1. Angenommen, p,qM(Ω)[λ] sind teilerfremd. Dann ist die Menge {zΩpΩq:λCp(z,λ)=q(z,λ)=0}Ω diskret.

  2. Ist pM(Ω)[λ] irreduzibel, so besitzt p(z,) bis auf eine (höchstens) diskrete Ausnahmemenge nur einfache Nullstellen in Ωp.

Proof. (1) ergibt sich als Anwendung des erweiterten Euklidischen Algorithmus im Ring M(Ω)[z]. Dieser liefert mit Polynomen r(z,λ) und s(z,λ) die Bezout-Darstellung 1=ggT(p,q)(z,λ)=p(z,λ)r(z,λ)+q(z,λ)s(z,λ) und gemeinsame Nullstellen von p(z,) und q(z,) können damit nur in den Polstellen von r(,λ) und s(,λ), also in Polstellen der Koeffizienten der Polynome r oder s auftreten. Diese sind aber für meromorphe Funktionen diskret (besitzen also höchstens auf dem Gebietsrand Ω Häufungspunkte). folgt direkt aus (1). Ist λ mehrfache Nullstelle von p(z,λ), so gilt λp(z,λ)=0. Da aber λ(z,λ) kleineren Grad als p(z,λ) besitzt, müssen die beiden Polynome teilferfremd sein und die Behauptung folgt. ◻

Korollar 4.3. Sei pM(Ω)[λ] beliebig. Dann existiert eine diskrete Menge von Ausnahmepunkten SΩp, so daß die Vielfachheiten aller Nullstellen von p(z,λ) auf ΩpS konstant sind. Entweder gilt

  1. alle Nullstellen λj(z) von p(z,λ) sind einfach für alle zΩpS (nichtentartet); oder

  2. es gibt Tupel von Nullstellen, welche auf ganz ΩpS zusammenfallen (permanent entartet).

Proof. Die Aussage folgt durch Zerlegen des Polynoms in irreduzible Faktoren nach Division durch den führenden Koeffizienten. Der Fall (i) entspricht einfach vorkommenden irreduziblen Faktoren, während im Fall (ii) mindestens ein irreduzibler Faktor doppelt vorkommt. ◻

Beispiele 4.4.

  1. Wir betrachten ein (triviales) Beispiel. Gegeben sei das Polynom p(z,λ)=λ2z für zC. Das Polynom ist irreduzibel in M(C)[λ] und seine Nullstellen sind auf C{0} einfach, die Ausnahmemenge also S={0}. Die Nullstellen λ±(z)=±z leben auf einer Riemannschen Fläche über C{0} und bilden dort die beiden Zweige einer holomorphen Funktion.

  2. Andererseits ist das Polynom q(z,λ)=λ2z2=(λ+z)(λz) reduzibel. Hier gilt ebenso S={0}, die Nullstellen sind aber holomorph auf ganz C.

  3. Um ein nichttriviales Beispiel zu untersuchen, betrachten wir das Polynom p(z,λ)=λ3+zλ+z2. Für dieses Polynom gilt mit λp(z,λ)=3λ2+z durch Anwendung des erweiterten Euklidischen Algorithmus 3(λ3+zλ+z2)λ(3λ2+z)=2λz+3z22z(3λ2+z)3λ(2λz+3z2)=2z29λz29z(2λz+3z2)+2(2z29λz2)=27z3+4z2 die Bezout-Darstellung 27z3+4z2=(27z18λ)p(z,λ)(5zλ+6λ2)λp(z,λ). Das Polynom p(z,λ) ist irreduzibel und seine Ausnahmepunkte sind höchstens durch die Nullstellen von 27z3+4z2, also durch z=0 und z=4/27 gegeben. Auf C^=C{} ist der unendlich ferne Punkt z= ebenso als Ausnahmepunkt zu verstehen, dies werden wir noch sehen.

In der Umgebung der Ausnahmepunkte aus z0S besitzen Nullstellen des Polynoms p(z,λ) ebenso eine einfache Struktur. Wir betrachten dazu das Verhalten einer Nullstelle bei holomorpher Fortsetzung entlang einer geschlossenen Kurve um den Ausnahmepunkt z0.

Satz 4.5 (Puiseux52). Sei pM(Ω)[λ] monisch und irreduzibel und z0Ωp eine Ausnahmestelle, in der p(z0,λ) eine k-fache Nullstelle λ besitzt. Dann existiert eine Umgebung UΩp, eine Zerlegung k=k1++kν und Folgen von Koeffizienten βi,C, so daß für i=1,,ν λ,j(z)=λ+=1βi,(zz0ki),ι<ikιjιikι für zU{z0} konvergiert und auf der Riemannschen Fläche der Wurzelfunktion ki verschiedene Nullstellen von p(z,λ) liefert.

Proof. Als Konsequenz des Satzes von Rouché sind die Nullstellen eines Polynoms stetige Funktionen der Koeffizienten des Polynoms. Da p irreduzibel ist, existieren also für eine hinreichend kleine Umgebungen U von z0 auch genau k (für zz0 einfache) Nullstellen λ,j(z) mit limzz0λ,j(z)=λ. Wir betrachten die Menge dieser Nullstellen. Da diese stetig von z abhängen, bleibt die Gesamtheit bei einem geschlossenen Umlauf von z0 erhalten. Jedoch kann sich die Nummerierung der λ,j ändern. Es existiert also eine Permutation σSk mit λ,j(z)λ,σ(j)(z),j=1,,k bei einem Umlauf von z um z0. Wir zerlegen diese Permutation in Zykel und betrachten die zugehörigen Nullstellen einzeln. Seien diese wiederum mit λ,1(z) bis λ,k(z) (möglicherweise mit kleinerem k) bezeichnet. Subsituiert man nun zz0=ζk, so läuft z bei einem Umlauf von ζ um den Ursprung jeweils k-fach um den Ursprung und die λ,j gehen jeweils in sich über. Da damit aber die Funktionen ζλ,j(z0+ζk) auf einer punktierten Umgebung des Ursprungs beschränkt und holomorph sind, sind sie im Ursprung selbst holomorph und es gilt λ,j(z0+ζk)=λ+=1βζ als konvergente Reihe mit entsprechenden Koeffizienten βC. Das ist aber gerade die Behauptung. ◻

Beispiel 4.6. Wir kommen auf das obige Beispiel mit p(z,λ)=λ3+zλ+z2 und seinen Ausnahmepunkten S={0,4/27,}C^ zurück.

In Abbildung  ist die Änderung des Polynoms bei einem Umlauf um den Ausnahmepunkt z0=0 entlang eines Kreises vom Radius 2/27 dargestellt. Wie man aus der Abbildung ablesen kann, zerfallen die drei Nullstellen in der Umgebung von z0 in zwei Gruppen. Eine der Nullstellen gehört zu einem in z0=0 holomorphen Zweig, die beiden anderen bilden zusammen eine λ-Gruppe und besitzen damit eine Darstellung als Puiseuxreihe. Im Ausnahmepunkt z0=4/27 würde eine ähnliche Abbildung zeigen, daß eine der Nullstellen aus der Gruppe mit der in z0=0 holomorphen Nullstelle permutiert wird und bei einem Umlauf um den unendlich fernen Punkt z0= bilden alle drei Nullstellen einen Dreierzyklus.

Satz 4.7. Sei pM(Ω)[λ] monisch und irreduzibel vom Grad m und z0 Polstelle eines Koeffizienten von p. Sei ν=max{ord(ak;z0)} die maximale Ordnung der Pole in z0 und weiter n=max{k:ord(ak;z0)=ν}. Dann gibt es eine Umgebung UΩp{z0} von z0 und für zU existieren

  1. genau n Nullstellen λ1(z),λn(z), die für zz0 gegen einen endlichen Grenzwert streben und somit Darstellungen als Potenzreihe oder Puiseuxreihe besitzen; und

  2. weitere mn Nullstellen λn+1(z),λm, die für zz0 gegen streben und 1λj(z)O(|zz0|1mn) erfüllen. Die Funktionen 1/λj(z) besitzen wiederum Darstellungen als Potenz- oder Puiseuxreihen.

Proof. (i) Nach Multiplikation des Polynoms mit (zz0)ν ergibt sich in einer Umgebung U des Punktes z0 (zz0)νp(z,λ)=βnq(z,λ)+(zz0)r(z,λ) mit einem monischen Polynom qA(U)[λ] vom Grad degq=n, βn0 und einem weiteren Polynom rA(U)[λ] vom Grad degr=m. Wir wählen U so klein, daß z0 der einzige Ausnahmepunkt dieses Polynoms in U ist. Seien nun μ1(z),,μn(z) die Lösungen zu q(z,μ)=0. Diese sind holomorph für zz0 mit möglichen Verzweigungspunkten in z=z0 und insbesondere einfach.

Mit dem Satz von Rouché angewandt in der λ-Ebene folgt nun, daß für z nahe genug an z0 in der Nähe jedes μj(z) eine Nullstelle λj(z) des Polynoms p(z,λ) liegt, insbesondere also auch limzz0λj(z)=limzz0μj(z)=μj(z0) gilt. Damit besitzt jedes dieser λj(z) eine Darstellung als Potenz- oder Puiseuxreihe um z0.

(ii) Wir substituieren λ=σ1 und erhalten nach Multiplikation mit σm das neue Polynom σmp(z,σ1)=k=0mαk(z)σmk. Nach erneuter Multiplikation mit (zz0)ν entsteht daraus (zz0)νσmp(z,σ1)=σmnβnq~(z,σ)+(zz0)r~(z,σ) mit einem Polynom q~(z,σ)=σnq(z,σ1) vom Grad n und mit q~(z0,0)=1, sowie einem Polynom r~(z,σ)=σmr(z,σ1) vom Grad m. Damit hat der erste Summand in σ=0 eine Nullstelle der Ordnung mn, während der zweite wiederum klein wird. Wir wählen eine kleine Umgebung U von z0 und ein ϵ>0, so daß |q~(z,σ)|>1/2 auf U und für |σ|<ϵ. Wählt man nun U klein genug, also |zz0|Cϵmn für hinreichend kleines C, so implizert wiederum der Satz von Rouché die Existenz von mn Nullstellen σj(z) von σmp(z,σ1) mit |σj(z)|ϵ. Damit besitzen diese σj(z) eine Darstellung als Potenz- oder Puiseuxreihe im Entwicklungspunkt z0. ◻

4.2 Matrixwertige Funktionen

4.8. Sei nun A:ΩCm×m matrixwertig und holomorph, das heißt alle Matrixeinträge seien holomorphe Funktionen. Wir interessieren uns für die Eigenwerte und die zugehörigen Eigenunterräume in Abhängigkeit von zΩ. Da die Eigenwerte Nullstellen des charakteristischen Polynoms p(z,λ)=det(λA(z)) sind, ist alles was wir bisher über Nullstellen von Polynomen mit holomorphen Koeffizienten gelernt haben, anwendbar. Das Polynom ist nach Konstruktion monisch und zerfällt wieder in irreduzible Faktoren in M(Ω)[λ]. Jeder Faktor besitzt, bis auf eine diskrete Ausnahmemenge, nur einfache Eigenwerte, und in den Punkten der Ausnahmemenge fallen entweder holomorphe Funktionen zusammen oder es ergeben sich Puiseuxreihen für entsprechende λ-Gruppen von Eigenwerten.

Beispiele 4.9. Zuerst einige Beispiele um zu zeigen, das alle oben aufgeführten Fälle für 2×2-Matrizen schon auftreten können.

  1. A(z)=[1zz1],λ±(z)=±1+z2für z±i(zweiblättrig)

  2. A(z)=[0zz0],λ±(z)=±z (zwei Funktionen)

  3. A(z)=[0z00],λ1(z)=0=λ2(z)(permanent entartet)

  4. A(z)=[01z0],λ±(z)=±zfür z0 (zweiblättrig)

  5. A(z)=[1z00],λ1(z)=0,λ2(z)=1 (zwei Konstanten)

Für die Untersuchung der Eigenunterräume und verallgemeinerten Eigenunterräume betrachten wir zu einer gegebenen holomorphen matrixwertigen Funktion A:ΩCm×m die Resolvente

RA(z,λ)=(λA(z))1.

Lemma 4.10. Die Resolvente RA(z,λ) ist holomorph in beiden Variablen für zΩ und λCspecA(z).

Proof. Die Aussage folgt aus der Darstellung der Resolvente als Neumannreihe. Für zΩ und |λ|>A(z) gilt RA(z,λ)=λ1(1λ1A(z))1=λ1k=0λk(A(z))k als lokal gleichmäßig konvergente Reihe. In der Nähe von z0Ω und λ0Cspec(A(z0)) gilt RA(z,λ)=RA(z0,λ0)(1((λ0A(z0))(λA(z)))RA(z0,λ0))1=RA(z0,λ0)k=0(((λ0A(z0))(λA(z)))RA(z0,λ0))k für alle z und λ mit (λ0A(z0))(λA(z))<RA(z0,λ0)1. Lokal gleichmäßige Konvergenz impliziert Holomorphie. ◻

Wir nutzen die Resolvente, um das Verhalten der Eigenprojektoren zu untersuchen. Genauer nutzen wir

Lemma 4.11. Sei Γ ein einfacher geschlossener Weg der λ-Ebene, der durch keinen Eigenwert von A(z) verläuft. Dann bestimmt PΓ(z)=12πiΓRA(z,λ)dλ einen Projektor, PΓ(z)PΓ(z)=PΓ(z), der lokal holomorph von z abhängt.

Proof. Da die Eigenwerte von A(z) stetig von z abhängen existiert um z eine kleine Umgebung, so daß der (von z unabhängige) Integrationsweg Γ auf der Umgebung keinen Eigenwert von A(z) durchläuft. Damit folgt lokale Holomorphie mit dem Satz von Morera. Weiterhin hängt PΓ(z) nur von der Homotopieklasse des Weges Γ ab. Seien nun Γ und Γ homotope nicht durch specA(z) verlaufende Wege, so daß Γ ganz im Inneren von Γ liegt. Dann gilt aufgrund der Resolventenidentität RA(z,λ)RA(z,μ)=(λμ)RA(z,λ)RA(z,μ) und unter Ausnutzung des Residuensatzes die Identität PΓ(z)2=12πiΓRA(z,λ)dλ12πiΓRA(z,μ)dμ=14π2ΓΓRA(z,λ)RA(z,μ)λμdλdμ=14π2ΓΓRA(z,λ)λμdμ=0dλ14π2ΓΓRA(z,μ)λμdλ=2πiRA(z,μ)dμ=12πiΓRA(z,μ)dμ=PΓ(z). und damit die zu zeigende Behauptung. ◻

Worauf genau projiziert PΓ? Wir betrachten vorerst den Spezialfall diagonalisierbarer Matrizen und ignorieren für die nachfolgende Rechnung die z-Abhängigkeit. Ist die Matrix A diagonalisierbar, so existiert

  1. eine Kurve Γ, die nur einen Punkt λ aus specA einfach positiv umläuft;

  2. eine Basis {vj} bestehend aus Eigenvektoren aus A;

  3. eine dazu duale Basis {ϕj}, so daß für jeden Vektor vCm v=j=1mϕj,vvj gilt.

Dann projiziert PΓ auf die lineare Hülle der vj, die zum Eigenwert λ gehören. Das ist leicht nachzurechnen, es gilt ϕi,PΓvj=ϕi,12πiΓRA(λ)dλvj=12πiΓϕi,RA(λ)vjdλ=12πiΓϕi,vjλλjdλ=12πiΓδi,jλλjdλ={0,ij,0,i=j,λjλ,1,i=j,λj=λ, unter Ausnutzung von RA(λ)vj=1λλjvj und der Dualitätsrelation ϕi,vj=δi,j. Der letzte Schritt folgt, da im ersten Fall Null integriert wird, im zweiten Fall die Singularität des Integranden außerhalb des Weges Γ liegt und im dritten Fall der Residuensatz anwendbar ist. Damit haben wir gezeigt, daß neben PΓ2=PΓ insbesondere kerPΓ=span{vj:λjλ},ranPΓ=span{vj:λj=λ} gilt. Ebenso folgt PΓ1PΓ2=0=PΓ2PΓ1 für Wege Γ1 und Γ2 um verschiedene Punkte λ und λ~ aus specA. Letzteres erlaubt es, für Wege Γ, die mehrere Punkte des Spektrums umlaufen, die einzelnen Projektoren einfach zu addieren. Damit ist PΓ für eine diagonalisierbare Matrix also stets der Projektor auf die lineare Hülle der Eigenräume zu im Inneren von Γ liegenden Eigenwerten entlang der Eigenräume zu außerhalb von Γ liegenden Eigenwerten.

Für nicht diagonalisierbare Matrizen liefert PΓ den Projektor auf die zu im Inneren von Γ liegenden Eigenwerten gehörenden Jordanblöcken. Dies werden wir nachfolgend noch sehen.

Mit der Integraldarstellung der Eigenprojektoren PΓ kann man Aussagen über das Verhalten der Eigenräume in Abhängigkeit von z treffen. Dazu gilt in der Nähe eines Punktes z0Ω unter Verwendung der Reihendarstellung A(z)=k=0Ak(zz0)k und der Kurzschreibweise R0(λ)=RA(z0,λ)=(λA0)1 für die Resolvente im Punkt z0 die Formel RA(z,λ)=R0(λ)(1(A(z)A0)R0(λ))1, die zugeordnete Neumannreihe liefert eine Reihendarstellung der Resolvente im Entwicklungspunkt z0.

Satz 4.12.

  1. Die Resolvente besitzt die Reihendarstellung RA(z,λ)=R0(λ)k=0((A(z)A0)R0(λ))k=k=0R(k)(λ)(zz0)k mit Koeffizienten R(k)(λ)=ν1+ν2++νr=kνj1R0(λ)Aν1R0(λ)Aν2Aνr1R0(λ)AνrR0(λ). Diese konvergiert für z mit A(z)A0<R0(λ)1 lokal gleichmäßig.

  2. Für jeden geschlossenen Weg Γ der λ-Ebene, welcher keinen der Eigenwerte von A0 durchläuft, ist P(z)=12πiΓRA(z,λ)dλ=P+k=1P(k)(zz0)k analytisch um z0 mit Koeffizienten P(k):=12πiΓR(k)(λ)dλ.

  3. Ist λj(z0) einfacher Eigenwert von A0, dann ist Pj(z) analytisch um z0.

  4. Ist z0 Ausnahmepunkt, λ mehrfacher Eigenwert von A0 und Γ ein Weg, welcher λ umschließt, dann ist der Projektor P(z)=12πiΓRA(z,λ)dλ analytisch um z0 und es gilt P(z)=j=1pPj(z) für zz0 in einer Umgebung von z0 und die dort holomorphen Eigenprojektoren Pj(z) für alle Eigenwerte λj(z) mit limzz0λj(z)=λ.

Proof. (1) entspricht der Neumannreihe für . Diese ist absolut und lokal gleichmäßig konvergent in z, falls (A(z)A0)R0(λ)<1 gilt. Dies erlaubt insbesondere das Umsortieren der Reihenglieder und das Ordnen nach Potenzen von zz0. folgt daraus durch gliedweise Integration, vorausgesetzt z ist so nah bei z0, daß A(z)A0<maxλΓR0(λ)1 die gleichmäßige Konvergenz der Potenzreihe entlang Γ sichert. Daß das Integral analytisch in z ist, ergibt sich wiederum direkt aus dem Satz von Morera. folgen aus (2). ◻

4.13. Sei nun z0Ω ein Ausnahmepunkt, λ ein mehrfacher Eigenwert von A0 und seien λ1(z),,λp(z) die Eigenwerte von A(z), welche für zz0 gegen λ streben. Bei einem Umlauf um den Ausnahmepunkt z0 setzen sich diese holomorph fort. Da man die Eigenwerte nicht unterscheiden kann, werden diese in einem Umlauf um z0 permutiert. Wir zerlegen diese Permutation in Zykeln und betrachten diese einzeln. Angenommen λ1(z),,λp(z) bilden einen solchen p-Zyklus λj(z)λj+1modp(z). In Abschnitt  haben wir gesehen, dass dann λj(z0+ζp)=k=0βkζk in einer Umgebung des Ursprungs in ζ holomorph ist, also eine konvergente Reihe mit entsprechenden (von j unabhängigen) Koeffizienten βkC liefert. Das liefert die Darstellung der Eigenwerte λj(z) als Puiseuxreihe λj(z)=k=0βk(zz0p)k auf der Riemannschen Fläche der Wurzelfunktion. Die Eigenprojektoren Pj(z) sind ebenso lokal holomorph in z, man kann also analog vorgehen. Die Projektoren bilden bei einem Umlauf um z0 den Zyklus Pj(z)Pj+1modp(z), die Funktion Pj(z0+ζp) ist also holomorph in einem Kreisring um den Ursprung. Damit besitzt diese Funktion die Darstellung Pj(z0+ζp)=k=P~(k)ζk als Laurentreihe, also die Projektoren Puiseuxreihen Pj(z)=k=P~(k)(zz0p)k mit entsprechenden Matrizen P~(k) als Koeffizienten. Tatsächlich sind nur endlich viele der negativen Koeffizienten von Null verschieden.

4.14. Um die Projektoren Pj für Eigenwerte höherer (algebraischer) Vielfachheit besser zu verstehen, betrachten wir zu einer gegebenen Matrix ACm×m mit Eigenwert λj neben dem Eigenprojektor Pj=12πiΓjRA(λ)dλ für einen (nur) den Eigenwert λj positiv umlaufenden Weg Γj auch das Eigennilpotent 53 Dj=(Aλj)Pj. Da A mit Pj kommutiert, kann A auf das Bild ranPj eingeschränkt werden. Weiter impliziert w=Pj12πiΓjRA(λ)μλvdλranPj zusammen mit (μA)w=(μA)Pj12πiΓjRA(λ)μλvdλ=12πiΓj(μA)RA(λ)μλPjvdλ=12πiΓj(μλ+λA)RA(λ)μλPjvdλ=12πiΓjRA(λ)Pjvdλ+12πiΓj1μλPjvdλ=Pj2v=Pjv für jedes vCm und μ außerhalb Γj schon spec(A|ranPj)={λj} und somit insbesondere specDjspec(Dj|ranPj){0}={0}. Also ist Dj nilpotent und es gilt Djk=(Aλj)kPj=0 für kdimranPj.

Damit ergibt sich aus Pj=1 die Jordannormalform der Matrix A als A=j=1nAPj=j=1n(λj+Dj)Pj und daraus in der λ-Ebene eine Partialbruchzerlegung der Resolvente folgender Form:

Lemma 4.2 (Partialbruchzerlegung der Resolvente). Sei ACm×m. Dann gilt für die Resolvente RA(λ)=j=1n(Pjλλj+k=1νj1Djk(λλj)k+1) mit den (paarweise verschiedenen) Eigenwerte λ1,,λn von A, den zugehörigen Eigenprojektoren Pj und den Eigennilpotenten Dj.

Proof. Es gilt RA(λ)=j=1nRA(λ)Pj und da auf ranPj nach obiger Konstruktion A|ranPj=λj+Dj|ranPj gilt, folgt für λspecA (λA)1|ranPj=(λλjDj|ranPj)1=1λλj(1Dj|ranPjλλj)1=1λλjk=0Djk|ranPj(λλj)k=1λλjk=0νj1Djk|ranPj(λλj)k mit νjdimranPj (der Dimension des größten Jordanblocks zum Eigenwert λj). Durch Multiplikation mit Pj und Addition folgt die Behauptung.

Für Jordanblöcke zu einem Eigenwert λj ist obige Rechnung explizit durch (λ[λj11λj])1=[λλj11λλj]1=1λλj[11λλj1λλj1]1=1λλj(I1λλjDj)1=1λλjk=01(λλj)kDjk=1λλj(I+k=1ν1Djk(λλj)k) gegeben, wobei auf der ersten Nebendiagonalen die Einträge 0 und 1 vorkommen und ν die Dimension des größten Jordanblocks zum Eigenwert λj ist. ◻

Die Darstellung von Lemma gilt für jeden Punkt zΩ und bestimmt die Eigenprojektoren und Eigennilpotenten als die Koeffizienten in der Partialbruchzerlegung der Resolvente. In Gebieten konstanter Vielfachheit sind Eigenprojektoren und Eigennilpotente lokal holomorph.

Beispiel 4.15. Sei ACm×m eine Matrix mit paarweise verschiedenen (einfachen) Eigenwerten λ1,,λmC und zugehörigen Eigenprojektoren Pj Pjv=12πiΓj(λA)1vdλ=ϕj,vvj,vCm, dargestellt durch entsprechend gewählte Eigenvektoren vj und duale Basisvektoren ϕj. Damit ergibt sich für die Resolvente die Partialbruchzerlegung (λA)1=j=1mPjλλj. Sei nun BCm×m eine weitere Matrix. Wir fragen nach dem Verhalten der Eigenprojektoren von A+zB als Funktion von z nahe z=0. Dazu nutzen wir die Störungsreihe aus Satz  (1) und (2) und bestimmen die ersten Terme der Potenzreihe für Pj(z). Es gilt mit R0(λ)=(λA)1 und den Matrizen A0=A und A1=B (und Aν=0 für ν2) R(1)(λ)=R0(λ)BR0(λ),R(2)(λ)=R0(λ)BR0(λ)BR0(λ) und damit Pj(1)=12πiΓjR(1)(λ)dλ=Res(R(1)(λ);λ=λj)=PjB(ijPiλjλi)+(ijPiλjλi)BPj=ijPjBPi+PiBPjλjλi. Analog ergibt sich für den zweiten Term Pj(2)=i,kjPjBPiBPk+PiBPjBPk+PiBPkBPj(λjλi)(λjλk) und damit für den Projektor Pj(z)=Pj+zPj(1)+z2Pj(2)+O(z3),z0. Die bestimmten Koeffizienten sind durch die Eigenvektoren vj und die dazu dualen Basisvektoren ϕj ausdrückbar. Es gilt Pj(1)v=ijPjBPi+PiBPjλjλiv=ijvjϕj,Bviϕi,v+viϕi,Bvjϕj,vλjλi=vjijϕj,Bviλjλiϕi,v+ijviϕi,Bvjλjλiϕj,v für jedes vCm und entsprechend für Pj(2). Angewandt auf vj ergibt sich zumindest lokal um z=0 eine holomorphe Familie von Eigenvektoren vj(z)=Pj(z)v von A+zB, die ersten Terme der entsprechenden Reihe sind vj(z)=Pj(z)vj=vj+zijviϕi,Bvjλjλi+z2i,kjviϕk,Bviϕi,Bvj(λjλi)(λjλk)+O(z3).

4.3 Differentialgleichungen mit regulären Singularitäten

4.16. Zuletzt wollen wir uns Differentialgleichungen zuwenden. Wir betrachten homogene Gleichungen k=0mαk(z)f(k)(z)=0 auf einem Gebiet Ω mit mit meromorphen Koeffizienten αkM(Ω) und für eine zu bestimmende Funktion f:ΩC. Der Einfachheit halber sei wieder vorerst αm(z)=1 auf Ω und wir bezeichnen mit Ωr die Menge aller zΩ in der alle αk(z) regulär sind. Die Menge ΩΩr ist diskret und besteht aus den singulären Punkten der Differentialgleichung. In der Nähe regulärer Punkte existieren m linear unabhängige Lösungen, die wiederum selbst holomorph sind.

Satz 4.17. Sei z0Ωr regulärer Punkt. Dann existiert zu beliebig vorgegebenen Daten f()(z0)=βC,=0,1,m1, eine Umgebung UΩr von z0 und eine eindeutig bestimmte Lösung fA(U) zu .

Proof. Es genügt, den Potenzreihenansatz f(z)=n=0βnn!(zz0)n in die Gleichung einzusetzen und mittels Koeffizientenvergleich die noch unbekannten βn, nm, zu bestimmen. Dazu nutzen wir die Potenzreihen αk(z)=n=0γk,nn!(zz0)n der um z0 holomorphen Koeffizienten und erhalten aus der Differentialgleichung (βn+m)nN0=k=0m1(γk,n)nN0(βn+k)nN0, mit der Kombination aus und daraus rekursiv die Koeffizienten βn+m=k=0m1=0n(n)γk,βn+k. Es bleibt die Konvergenz der Reihe zu zeigen. Da alle Koeffizienten holomorph um z0 sind, gilt ρE(γk)>ρ>0, also |γk,n|/n!O(ρn) für n. Eingesetzt in die Rekursion folgt induktiv |βn+m|(n+m)!k=0m1=0n(n)C!ρM(n+k)!ρn+k(n+m)!=CMρnmk=0m1=0nn!!(n)!!(n+k)!(n+m)!ρmk=CMρnmk=0m1(=0n(+k)!!)n!(n+m)!ρmkMρnmCk=0m1n+1n+mρmkMρnmC(ρ++ρm1)Mρnm für Mmax0k<m|βk|ρk/k! und ρ klein genug. Damit folgt ρE(β)>ρ und das Lemma ist gezeigt. ◻

Lemma 4.18.

  1. Jede holomorphe Fortsetzung einer Lösung von ist wieder Lösung von .

  2. Auf dem Rand des Konvergenzkreises einer Lösungsfunktion von liegt ein Pol eines Koeffizienten / eine Nullstelle des führenden Koeffizienten (oder eine wesentliche Singularität der holomorphen Fortsetzung eines Koeffizienten).

  3. Jede Lösung von ist holomorph auf einer Riemannschen Fläche über Ωr.

Proof. (1) folgt direkt aus dem Identitätssatz holomorpher Funktionen. (2) folgt aus (1) und obigem Theorem. (3) ergibt sich aus (2). ◻

Auf diese Weise erhält man in einer kleinen Umgebung von z0Ωr ein System von m linear unabhängigen Lösungen der Gleichung . Zur Untersuchung der Unabhängigkeit eines solchen Systems f1,,fm bietet sich die Wronskideterminante54 W(f1,,fm)(z)=det[f1(z)f2(z)fm(z)zf1(z)zf2(z)zfm(z)zm1f1(z)zm1f2(z)zm1fm(z)] an. Wählt man speziell Funktionen fk(z) mit z1fk(z0)=δk, für das Fundamentalsystem, so gilt W(f1,,fm)(z0)=1. Ein System von Lösungen ist genau dann linear abhängig, wenn die Wronskideterminante verschwindet. Daß sich Fundamentalsysteme auch holomorph fortsetzen lassen, folgt aus

Lemma 4.19 (Abel, Liouville). Seien f1,,fm Lösungen zu . Dann gilt ddzW(f1,,fn)(z)=am1(z)W(f1,,fn)(z) und somit W(f1,,fn)(z)=W(f1,,fn)(z0)exp(z0zam1(ζ)dζ), wobei entlang des Weges integriert wird, auf dem die Lösungen analytisch fortgesetzt werden.

Proof. Der Beweis folgt durch Differenzieren. Direkt aus der Definition der Wronskideterminante folgt ddzW(f1,,fm)=ddzdet[f1(z)f2(z)fm(z)zf1(z)zf2(z)zfm(z)zm1f1(z)zm1f2(z)zm1fm(z)]=det[zf1(z)zf2(z)zfm(z)zf1(z)zf2(z)zfm(z)zm1f1(z)zm1f2(z)zm1fm(z)]+det[f1(z)f2(z)fm(z)z2f1(z)z2f2(z)z2fm(z)zm1f1(z)zm1f2(z)zm1fm(z)]+det[f1(z)f2(z)fm(z)zf1(z)zf2(z)zfm(z)zmf1(z)zmf2(z)zmfm(z)] =am1(z)det[f1(z)f2(z)fm(z)zf1(z)zf2(z)zfm(z)zm1f1(z)zm1f2(z)zm1fm(z)]=am1(z)W(f1,,fm)(z) aufgrund der Linearität der Determinante. In allen bis auf der letzten der auftretenden Determinanten sind Zeilen doppelt. ◻

4.20. Sei nun UΩr einfach zusammenhängend und f1,,fmA(U) ein Fundamentalsystem von Lösungen zu in U. Ein solches erhält man insbesondere dadurch, daß man es an einem Punkt in U als Lösungen nach Satz  konstruiert und die so konstruierten Lösungen entlang (beliebiger, da homotoper) Wege in jeden Punkt von U fortsetzt. Sei nun ΓΩr ein geschlossener und in U startender Weg, der einen singulären Punkt zΩΩr einmal umrundet. Nach Fortsetzung entlang Γ erhält man also ein neues Fundamentalsystem in U und damit insbesondere eine Matrix A mit [f1(z)fm(z)]A[f1(z)fm(z)],zU, wobei auf der rechten Seite die holomorphen Fortsetzungen der Funktionen fj entlang Γ dargestellt im Ausgangsfundamentalsystem stehen. Die dabei auftretende Matrix hängt nur vom Ausgangsfundamentalsystem in U und von der Homotopieklasse des Weges Γ ab. Aus praktischen Gründen sind Fundamentalsysteme mit besonders einfacher Matrix A von Interesse. Wir unterscheiden dazu zwei Arten singulärer Punkte zΩΩr. Wir bezeichnen z als regulär singulär , falls (zz)mkαk(z)holomorph in z für alle k=0,1,,m ist. Ein singulärer Punkt, der nicht regulär singulär ist, wird als irregulär singulär bezeichnet.

In der Nähe regulär singulärer Punkte verhält sich die Differentialgleichung wie eine Gleichung vom Fuchstyp. Setzt man γk=limzz(zz)mkαk(z), so liefert k=0m(zz)kγkf~(k)(z)=0 ein Modellproblem im singulären Punkt, dessen Lösungen durch die Nullstellen des zugeordneten Indikatorpolynoms p(r)=k=0mγkr(r1)(rk+1)=k=0mγk(r)k=0 bestimmt sind. Ist r eine Nullstelle von p(r), so löst f~(z)=(zz)r das Hilfsproblem . Ist r mehrfache Nullstelle der Ordnung ν, so ergeben sich allgemeiner Lösungen der Form f~(z)=(zz)r(ln(zz))μ für μ=0,1,ν1. Alle diese Lösungen sind für nichtganzzahliges r beziehungsweise für μ1 als Funktionen auf einer sich in z0 verzweigenden Riemannschen Fläche zu verstehen.

Die Lösung der Ausgangsgleichung hängt mit den Lösungen dieser Modellprobleme eng zusammen, allerdings spielen auch Nullstellen des Indikatorpolynoms mit ganzzahligen Differenzen eine besondere Rolle. Wir formulieren das Resultat in Form von zwei Theoremen.

Satz 4.21 (Frobenius55, Fuchs). Sei zΩ regulär singulärer Punkt der Differentialgleichung und p(r) das zugehörige Indikatorpolynom. Ist nun r eine Nullstelle von p, so daß p(r+n)0 für alle nN gilt. Dann existiert eine Umgebung U von z und ein Lösung f der Form f(z)=(zz)rn=0βn(zz)n mit ρ((βn)nN)>0.

Proof. Durch eine lineare Substitution kann man annehmen, daß z0=0 gilt. Wir machen den Ansatz f(z)=zrn=0βnzn zur Bestimmung der Lösung. Zusammen mit den Potenzreihen der Koeffizientenfunktionen αk(z)=zkmn=0γk,nzn erhalten wir durch Einsetzen in 0=k=0mzkm(=0γk,z)(j=0βj(j+r)kzj+rk)=n=0zn+rmk=0m=0nγk,(r+n)kβn und Koeffizientenvergleich liefert Bestimmungsgleichungen für die Koeffizienten βn. Um diese kurz aufschreiben zu können, definieren wir neben dem Indikatorpolynom p(r)=k=0mγk,0(r)k die Hilfspolynome h(r)=k=0mγk,(r)k. Koeffizientenvergleich in liefert damit n=0:β0p(r)=0n=1:β1p(r+1)=h1(r)β0n=2:β2p(r+2)=h2(r)β0h1(r+1)β1n:βnp(r+n)==1nh(r+n)βn und damit für r mit p(r)=0 die mögliche Wahl β0=1 und rekursiv βn==1nh(r+n)p(r+n)βn. Da p(r+n)0 für alle nN gilt, ist die Folge (β)n wohldefiniert und es bleibt ρ((βn)nN)>0 und damit die lokal gleichmäßige Konvergenz der Reihe nachzuweisen. Dies überlassen wir als Übung. ◻

Mitunter reicht dieser Satz schon aus um ein Fundamentalsystem von Lösungen zu konstruieren. Besitzt das Indikatorpolynom allerdings mehrfache Nullstellen oder Nullstellenpaare mit ganzzahligen Differenzen, so muß man allgemeiner vorgehen. Sei dazu eine Folge rationaler Funktionen βn(r) durch ein Polynom β0(r) und die Rekursion βn(r)==1nh(r+n)p(r+n)βn(r) definiert. Nach Konstruktion besitzt die rationale Funktion βn(r) höchstens in {r|p(r)=0,N} Polstellen. Bei geeigneter Wahl des Ausgangspolynoms kann man nun sicherstellen, daß für gegebenes r alle βn in r definiert und regulär sind. Ist r eine Nullstelle von p und gilt für Zahlen n1,,njN auch p(r+ni)=0, so setzt man im generischen Fall56 n0=0 und β0(r)=i=1j(n=ni1+1nip(r+n))ji+1. Analog zum obigen Fall zeigt man, daß die Reihe f(z,r)=zrn=0βn(r)zn lokal gleichmäßig in r und in z um den Ursprung konvergiert. Darüberhinaus liefert die Konstruktion, daß k=0mαk(z)zkf(z,r)=p(r)β0(r)zrm gilt. Ist nun r Nullstelle von p, so ist damit f(z,r) Lösung. Ist darüberhinaus r+n1 Nullstelle, so kann man nun diese Gleichung nach r differenzieren und erhält wegen β0(r+n1)=0 k=0mαk(z)zkrf(z,r)=p(r)β0(r)zrm+p(r)β0(r)zrm+p(r)β0(r)zrmlnz=0 und damit eine zweite Lösung rf(z,r). Ist r+n2 weitere Lösung, so kann man nochmals Differenzieren und erhält wiederum eine Lösung. Etc. Wegen der auftretenden Logarithmusterme rf(z,r)=zrlnzn=0βn(r)zn+zrn=0βn(r)znr2f(z,r)=zr(lnz)2n=0βn(r)zn+zrlnzn=0βn(r)zn+zrn=0βn(r)zn sind die so konstruierten Lösungen offenbar linear unabhängig. Weiter ist βn(r)=0 für nn2 und βn(r)=0 für nn1.

Satz 4.22 (Frobenius57, Fuchs). Sei zΩ regulär singulärer Punkt der Differentialgleichung und p(r) das zugehörige Indikatorpolynom. Ist r eine Nullstelle von p und seien n1,,nνN0 (mit Vielfachheit) derart, daß p(r+nj)=0 gilt und dies alle Nullstellen der Form58 p(r+n), nN0, sind. Dann existiert eine Umgebung U von z und holomorphe Funktionen gjA(U), so daß f1(z)=(zz)r+n1g1(z)++(zz)nν(ln(zz))ν1gν(z)f2(z)=(zz)r+n2g2(z)++(zz)nν(ln(zz))ν2gν(z)fν(z)=(zz)r+nνgν(z) linear unabhängige Lösungen der Gleichung sind.

Beispiel 4.23. Die Besselsche Differentialgleichung

z2f(z)+zf(z)+(z2ν2)f(z)=0 besitzt (nach Division durch z2) im Punkt z=0 eine reguläre Singularität. Die Indikatorgleichung ist durch p(r)=(r)2+(r)1ν2=r(r1)+rν2=r2ν2 gegeben. Weiter gilt h2(r)=1 und h(r)=0 für alle 2. Die Indikatorgleichung besitzt die Nullstellen r=±ν und es treten drei interessante Fälle auf. Man beachte, daß der von den Nullstellen von p geworfene ‘Schatten’ hier aus ν+2N und ν+2N besteht.

  1. Sei ν=0. Dann ist 0 doppelte Nullstelle und wir finden zwei Lösungen der Form J0(z)=n=0βnzn,Y(0)(z)=lnzn=0βnzn+n=0β~nzn mit geeigneten Koeffizientenfolgen (βn) und (β~n).

  2. Sei νN. Hier egeben sich Lösungen der Form Jν(z)=zνn=0βn,νzn,Y(ν)(z)=zνlnzn=0βn,νzn+zνn=0β~n,νzn mit geeigneten Koeffizientenfolgen (βn,ν) und (β~n,ν).

  3. Sei zuletzt νCZ. Dann sind unabhängige Lösungen durch Reihen Jν(z)=zνn=0βn,νzn,Jν(z)=zνn=0βn,νzn mit geeigneten Koeffizientenfolgen (βn,ν) gegeben.

4.24. Oft betrachtet man Differentialgleichungen nicht nur auf ganz C sondern auf der Riemannschen Zahlenkugel C^=C{}. Letzteres bedarf einer Klarstellung. Wir bezeichnen mit M(C^) die Menge der auf ganz C meromorphen Funktionen, M(C^)={αM(C):NNα(z)Oz(|z|N)}. Diese besitzen nur endlich viele Polstellen und im Unendlichen ein höchstens polynomiales Wachstum. Damit handelt sich genau um den Körper der rationalen Funktionen. Sei nun die Differentialgleichung k=0mαk(z)f(k)(z)=0 mit rationalen Koeffizienten αkM(C^) und αm(z)=1 gegeben. Die Substitution z=1/ζ liefert daraus eine neue Differentialgleichung in g(ζ)=f(1/z) k=0mβk(ζ)g(k)(ζ)=0 mit neuen (wiederum rationalen) Koeffizienten βkM(C^) und βm(ζ)=1. Wir sagen z= ist regulärer Punkt, falls ζ=0 regulärer Punkt für die transformierte Gleichung ist. Weiter heißt z= regulär singulär, falls nach Transformation ζ=0 regulär singulär ist.

Es ist leicht zu zeigen, daß der Punkt z= genau dann ein regulärer oder regulär singulärer Punkt ist, wenn zmkαk(z) für z beschränkt bleibt. Eine Differentialgleichung auf C^ mit nur regulären Singularitäten wird als Fuchssche Differentialgleichung bezeichnet.

Die einfachsten Fuchsschen Differentialgleichungen sind f(z)+2zf(z)=0,mit Lösungen f(z)=c1+c2z für c1,c2C mit genau einer Singularität in z=0 (und einer regulären Stelle in z=) und f(z)+azf(z)+bz2f(z)=0 für Parameter a,bC mit Singularitäten in z=0 und z=. Die Lösungen der zweiten Gleichung ergeben sich aus den Nullstellen von λ2+(a1)λ+b=0. Sind diese einfach, so ergibt sich f(z)=c1zλ1+c2zλ2,c1,c2C, im Falle einer doppelten Nullstelle entsprechend f(z)=c1zλ+c2zλlnz,c1,c2C. Jede Differentialgleichung mit genau einer oder genau zwei regulären Singularitäten kann offenbar auf diese Form gebracht werden.

Beispiel 4.25. Die hypergeometrische Differentialgleichung

z(1z)f(z)+(c(a+b+1)z)f(z)abf(z)=0 zu Parametern a,b,cC besitzt die regulären Singularitäten z=0, z=1 und z=. Nach einem Satz von Riemann und Papperitz59 kann sogar jede Fuchssche Differentialgleichung mit genau drei regulären Singularitäten durch Möbiustransformation auf diese Form gebracht werden. Speziell am Punkt z=0 besitzt die Gleichung das Indikatorpolynom p(r)=(r)2+c(r)1=r(r+c1) und damit die Nullstellen r=0 und r=1c. Für nicht ganzzahliges c existiert damit um den Ursprung eine holomorphe Lösung sowie eine Lösung der Form f(z)=z1cg(z) mit holomorphem g. Die holomorphen Lösungen besitzen mindestens den Konvergenzradius 1. Für c=1 ist r=0 doppelte Nullstelle und die zweite Lösung ist von der Form f(z)=g(z)lnz mit holomorphem g und für ganzzahlige c ist genauer hinzuschauen.

Die Lösungen für nichtganzzahlige c haben die Form hypergeometrischer Reihen 2F1(a,b;c;z)=n=0(a)(n)(b)(n)(c)(n)znn! mit den (wachsenden) Pochhammersymbolen (a)(n)=a(a+1)(a+n1), sowie z1c2F1(1+ac,1+bc;2c;z).

Beispiel 4.26. Die Airysche Differentialgleichung

f(z)+zf(z)=0 besitzt auf C nur reguläre Punkte. Der Punkt z= ist irregulär singulär. Selbiges gilt für die Differentialgleichung der Exponentialfunktion f(z)=f(z).

4.4 Asymptotik der Lösungen in irregulären Singularitäten

4.27. Während für die Untersuchung von Lösungen von Differentialgleichungen in der Nähe regulärer und regulär singulärer Punkte eine allgemeine Theorie existiert, bleiben für die Diskussion irregulärer Singularitäten nur Einzelfalluntersuchungen. Wir beschränken uns hier auf Differentialgleichungen zweiter Ordnung auf C^; ohne Beschränkung der Allgemeinheit betrachten wir den Fall eines irregulär singulären Punktes in C^. Beispiele sind uns mit der Airyschen Differentialgleichung f(z)zf(z)=0 und der Besselschen Differentialgleichung z2f(z)+zf(z)+(z2ν2)f(z)=0 zum Parameter νC schon begegnet. Für Differentialgleichungen zweiter Ordnung existiert eine Normalform. Diese geht auf Liouville zurück und ist der Ausgangspunkt unserer Betrachtungen.

Lemma 4.28 (Liouville). Sei ΩC einfach zusammenhängend, a1,a0A(Ω) holomorph und erfülle f die Differentialgleichung f(z)+a1(z)f(z)+a0(z)f(z)=0 Sei weiter für ein z0Ω g(z)=exp(12z0za1(ζ)dζ)f(z). Dann gilt g(z)b0(z)g(z)=0 mit b0(z)=(a1(z))2+2a1(z)4a0(z).

Proof. Der Beweis erfolgt durch Einsetzen und Nachrechnen. Die Definition von g liefert g(z)=a1(z)2g(z)+exp(12z0za1(ζ)dζ)f(z),g(z)=a1(z)2g(z)+a12(z)4g(z)+exp(12z0za1(ζ)dζ)(a1(z)f(z)+f(z)), und damit g(z)+a0(z)g(z)2a1(z)+a12(z)4g(z)=exp(12z0za1(ζ)dζ)(f(z)+a1(z)f(z)+a0(z)f(z))=0. ◻

Damit genügt es, Gleichungen der Form f(z)α(z)f(z)=0 mit αM(U) für eine Umgebung UC^ des unendlich fernen Punktes zu untersuchen. Damit irregulär singulär ist, muß z2α(z) unbeschränkt für z sein, die Laurentreihe von z2α(z) für |z|>R hinreichend groß also von der Form z2α(z)=k=0γkznk,γ00, mit einem nN sein. Für das Verhalten von Lösungen in der Nähe des singulären Punktes z= spielt die Funktion zα(z) eine Rolle, die Linien (zα(z))=0

Satz 4.29 (Liouville–Green-Approximation). Angenommen, αM(U) mit limzz2α(z)=. Wir zerlegen die Umgebung von z= in Sektoren, in denen (zα(z))0 gilt. Dann existieren in jedem Sektor Lösungen f± zu mit f±(z)1α(z)4exp(±α(z)dz),z gleichmäßig in jedem kleineren echt enthaltenen Sektor.

Proof. Schritt 1. Da nach Voraussetzung z2α(z) strebt, gilt α(z)0 für |z| hinreichend groß. Wir betrachten ein System erster Ordnung in V(z)=(f(z),f(z)). Dann gilt zV(z)=A(z)V(z)=[01α(z)0]V(z). Die Koeffizientenmatrix hat die Eigenwerte ±α(z) und die zugehörigen Eigenvektoren können genutzt werden, die Koeffizientenmatrix zu diagonalisieren. Sei also M(z)=[11α(z)α(z)],M1(z)=12α(z)[α(z)1α(z)1] und bezeichne V1(z)=M(z)1V(z). Dann gilt zV1(z)=(M1(z)A(z)M(z)+(zM1(z))M(z))V1(z)=([α(z)00α(z)]+α(z)4α(z)[1111])V1(z)=(D(z)+R1(z))V1(z). Gilt nun z2α(z)O(|z|n), so ist D(z)O(|z|n/21) und R1(z)O(|z|1). Wichtig für das weitere ist ebenso, daß 1/α(z)O(|z|1/2). Dies nutzen wir, um das System weiter zu transformieren. Dazu sei N(z) eine Lösung der Kommutatorgleichung +R1(z)diagR1(z)=0, also zum Beispiel die Matrix N(z)=α(z)8α(z)α(z)[0110]O(|z|1/2). Dann ist (1+N(z)) für hinreichend großes |z|>R invertierbar und die transformierte Funktion V2(z)=(1+N(z))1V1(z) löst wegen der Identität (zD(z)R1(z))(1+N(z))V2(z)(1+N(z))(zD(z)diagR1(z))V2(z)=(zN(z)[D(z),N(z)]R1(z)+diagR1(z)R1(z)N(z)+N(z)diagR1(z))V2(z)=(1+N(z))R2(z)V2(z) die Gleichung zV2(z)=([α(z)00α(z)]α(z)4α(z)+R2(z))V2(z). Die neue Koeffizientenmatrix erfüllt R2(z)O(|z|3/2) und ist damit entlang von ins unendliche verlaufenden Strahlen absolut integrierbar.

Schritt 2. Wir schreiben das erhaltene System in eine Integralgleichung um und konstruieren daraus wachsende und fallende Lösungen. Dazu schränken wir z auf einen Sektor Σ ein, auf welchem (zα(z))(γ0zn/2) nicht sein Vorzeichen wechselt. Wir wählen weiterhin den Zweig der Wurzelfunktion auf Σ so, daß asymptotisch (zα(z))>0 gilt.

Wir beginnen mit einer wachsenden Lösung und betrachten für ein fest gewähltes z0Σ die Hilfsfunktion V~2+(z)=α(z)4exp(z0zα(ζ)dζ)V2(z). Diese erfüllt die modifizierte Gleichung zV~2+(z)=([2α(z)000]+R2(z))V~2(z) und wir suchen eine Lösung über die aus der Duhameldarstellung folgenden Integralgleichung. Sei dazu Φ+(z,w)=[exp(2wzα(ζ)dζ)001] die Fundamentalmatrix des Hauptteils der modifizierten Gleichung. Da α(z)γ0zn/21α(z)dzγ0zn/2 gilt, ist in jedem echt enthaltenen Sektor Σ supR<|w|<|z|Φ+(z,w)<. Sucht man nun eine Lösung mit V~2+(z0)=[01], so liefert die Duhamelsche Formel die Integralgleichung60 V~2+(z)=[01]+z0zΦ(z,w)R2(w)V~2+(w)dw. Für R hinreichend groß ist diese Gleichung eindeutig mit dem Banachschen Fixpunktsatz lösbar. Es gilt supzΣz0zΦ+(z,w)R2(w)V~2+(w)dwCRmaxθR2(reiθ)drsupzΣV~2+(z) und das Integral strebt mit R gegen Null. Also existiert eine eindeutig bestimmte (stetige) Lösung der Integralgleichung, damit eine Lösung der Differentialgleichung und die so konstruierte Funktion ist holomorph.

Für z konvergiert die so konstruierte Lösung und bei geeigneter Wahl von z0 liegt der Grenzwert nahe genug bei (0,1), ist also insbesondere von Null verschieden.

Zur Konstruktion einer fallenden Lösung nutzen wir analog die Hilfsfunktion V~2(z)=α(z)4exp(z0zα(ζ)dζ)V2(z). Zusammen mit den Endbedingungen limzV~2(z)=[10] erhält man für diese die Integralgleichung V~2(z)=[10]+zΦ(z,w)R2(w)V~2(w)dw unter Ausnutzung der Fundamentalmatrix Φ(z,w)=[100exp(2wzα(ζ)dζ)]. Diese ist für |w|>|z| auf Σ beschränkt, supR<|z|<|w|Φ(z,w)< und der Banachsche Fixpunktsatz liefert ausgehend von supzΣzΦ(z,w)R2(w)V~2(w)dwCRmaxθR2(reiθ)drsupzΣV~2(z) wiederum die Existenz einer entsprechenden Lösung.

Rücktransformation liefert damit die Existenz von Lösungen der Form f±(z)=1α(z)4exp(±α(z)dz)(1+o(1)) im Sektor Σ. ◻

4.30. Die gerade erhaltene Aufteilung der Umgebung des unendlich fernen Punktes in Sektoren entspricht dem schon bei der Diskussion von Airy- und Besselfunktionen beobachteten Stokesphänomen . In jedem der Sektoren gibt es eine eindeutig bestimmte fallende Lösung, diese wird oft als rezessiv bezeichnet. Die wachsenden Lösungen sind nicht eindeutig durch ihre Asymptotik bestimmt, hier sind die Anfangsbedingungen im wesentlichen frei wählbar.

Phasenportrait der Airyfunktion f(z)=\mathrm{Ai}(z) für \Re z,\Im z\in[-50,50]. Deutlich zu sehen sind die Sektoren in denen die Asymptotik durch obiges Theorem bestimmt wird sowie die dazwischenliegenden Stokeslinien.
Phasenportrait der Hankelfunktion f(z)=\mathcal H_2^+(z) für \Re z,\Im z\in[-50,50]. Die Hankelfunktionen \mathcal H_\nu^\pm(z) sind die rezessiven Lösungen der Besselschen Differentialgleichung. Man beachte den Schnitt entlang der negativen reellen Achse.

  1. übersetzt als: M.A. Lawrentjew, B.V. Schabat. Methoden der komplexen Funktionentheorie (Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1967)↩︎

  2. Edmund Landau, 1877–1938↩︎

  3. Jakob I. Bernoulli, 1654–1705↩︎

  4. Leonhard Euler, 1707–1783↩︎

  5. Colin Maclaurin, 1698–1746↩︎

  6. James Stirling, 1692–1770↩︎

  7. Lorenzo Mascheroni, 1750–1800↩︎

  8. Johannes Faulhaber, 1580–1635↩︎

  9. Pierre-Simon Laplace, 1749–1827↩︎

  10. Leo August Pochhammer, 1841–1920↩︎

  11. George Neville Watson, 1886–1965↩︎

  12. Augustin-Louis Cauchy, 1789–1857↩︎

  13. Leo August Pochhammer, 1841–1920↩︎

  14. Isaac Newton, 1643–1727↩︎

  15. Niels Henrik Abel, 1802–1829↩︎

  16. Leonardo von Pisa, genannt Fibonacci, 1170–1240↩︎

  17. Abraham de Moivre, 1667–1754↩︎

  18. Jacques Philippe Marie Binet, 1786–1856↩︎

  19. Eric Temple Bell, 1883–1960↩︎

  20. Émile Borel, 1871–1956↩︎

  21. Bernhard Riemann, 1826–1866↩︎

  22. Paul Debye, 1884–1966↩︎

  23. Dargestellt ist ln|f(z)| über der z-Ebene, gefärbt mit argf(z) als Farbe aus dem Farbkreis. Die Helligkeit ist proportional zur Höhe.↩︎

  24. Henri Poincaré, 1854–1912↩︎

  25. Arthur Erdélyi, 1908–1977↩︎

  26. Emile Borel, 1871–1956↩︎

  27. Giuseppe Peano, 1858–1932↩︎

  28. Lars Edvard Phragmén, 1863–1937↩︎

  29. Ernst Leonard Lindelöf, 1870–1946↩︎

  30. George Biddel Airy, 1801–1892↩︎

  31. Sir George Gabriel Stokes, 1819–1903↩︎

  32. Friedrich Wilhelm Bessel, 1784–1846↩︎

  33. Matyáš Lerch, 1860–1922↩︎

  34. Thomas John I’Anson Bromwich, 1875–1929↩︎

  35. Marcel Riesz, 1886–1969↩︎

  36. Godfrey Harold Hardy, 1877–1947↩︎

  37. John Edensor Littlewood, 1885–1977↩︎

  38. Jovan Karamata, 1902–1967↩︎

  39. Alfred Tauber, 1866–1942↩︎

  40. Edward Charles Titchmarsh, 1899–1963↩︎

  41. Aufgrund der Taylorschen Formel gilt für beliebiges θ(0,1/2) und z=z+θ(1z) Ga(z)=Ga(z)+θ(1z)Ga(z)+θ22(1z)2Ga(ζ) für ein ζ[z,z]. Also folgt mit Ga(ζ)O((1ζ)2)=O((1z)2) (1z)Ga(z)=Ga(z)Ga(z)θ+θ2(1z)2Ga(ζ)=Ga(z)Ga(z)θ+O(θ) und durch Wahl von θ klein und z danach nahe an 1 folgt Ga(z)o((1z)1).↩︎

  42. Norbert Wiener, 1894–1964↩︎

  43. Shikao Ikehara, 1904–1984↩︎

  44. Hjalmar Mellin, 1854–1933↩︎

  45. Lazarus Fuchs, 1833–1902↩︎

  46. Johann Peter Gustav Lejeune Dirichlet, 1805–1859↩︎

  47. Thomas Jean Stieltjes, 1856–1894↩︎

  48. Oskar Perron, 1880–1975↩︎

  49. August Ferdinand Möbius, 1790–1868↩︎

  50. Hans von Mangoldt, 1854–1925↩︎

  51. Jacques Hadamard, 1865–1963↩︎

  52. Victor Puiseux, 1820–1883↩︎

  53. Für Matrizen in Jordanform oder auch nur für Jordanblöcke erklärt sich die Bezeichnung. Es gilt A=[λ11λ]P=IundD=[0110].↩︎

  54. Jósef Maria Hoëné-Wroński, 1776–1853↩︎

  55. Ferdinand Georg Frobenius, 1849–1917↩︎

  56. Die Faktoren sind so gewählt, daß sie Nullstellen liefern die irgendwann beim Dividieren durch p(r+n) gekürzt werden. Sollten die Hilfspolynome h(r) oft genug Null sein, so müssen eventuell Faktoren gestrichen werden und der ’Schatten’ den die Nullstellen werfen wird entsprechend dünner.↩︎

  57. Ferdinand Georg Frobenius, 1849–1917↩︎

  58. Generisch. In Spezialfällen sollten das nur alle Nullstellen im dann kleineren ’Schatten’ der Nullstelle r sein.↩︎

  59. Erwin Papperitz, 1857–1938↩︎

  60. Der Integrationsweg sei dabei jeweils die Verbindungsstrecke.↩︎